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Vom schwierigen Umgang mit „Literatur an den Rändern“

Foto: ake1150 - stock.adobe.com

Die Diskussionen um den Umgang mit „Literatur an den Rändern“ in Öffentlichen Bibliotheken reißen nicht ab. Aus diesem Grund ist das Thema von der Lektoratskooperation (Leko) aktuell auf der Digitalkonferenz #vBIB20 aufgegriffen worden. Experten und zugeschaltete Konferenzteilnehmer tauschten sich intensiv aus. Dabei zeigte sich: Die theoretischen Überlegungen und Handlungsempfehlungen zum Umgang mit „Literatur an den Rändern“ sind weitgehend unumstritten, die praktische Umsetzung in den Bibliotheken vor Ort dagegen gestaltet sich häufig schwierig.

Ethik-Experte Hermann Rösch von der TH Köln legte dar, wieso der richtige Umgang mit „Literatur an den Rändern“ so wichtig ist. Dabei bezog er sich auf die aktuellen bibliothekarischen Berufsethiken – sowohl die internationale des Weltbibliotheksverbands IFLA als auch die nationale des deutschen bibliothekarischen Dachverbands BID. Dort stehe die Meinungs- und Informationsfreiheit jeweils an allererster Stelle, weil Bibliotheken mit der Gewährleistung dieser Grundsätze ihren demokratischen Auftrag erfüllten und für die informationelle Grundversorgung der Bevölkerung sorgten.

Aus diesem Grund, so Rösch, müssten Bibliotheken hier immer wieder über den eigenen Schatten springen und auch Literatur vom linken und rechten politischen Rand, aber auch von anderen extremen Gruppierungen wie Sekten et cetera, anschaffen. Rösch sagte: „Die Bestände sollen möglichst neutral und ausbalanciert sein, sodass sich mündige Bürger in der Bibliothek selbst gut und ausreichend informieren können. Die Menschen brauchen hier kein Wahrheitsministerium, das ihnen eine Auswahl vorgibt.“ Genau diese weltanschaulich neutrale und von äußeren Einflüssen freie Bereitstellung von Medien und Informationen sei das wertvolle Alleinstellungsmerkmal von Bibliotheken.

Dieser Sichtweise stimmten die Kolleginnen aus den zugeschalteten Bibliotheken zu. Allerdings, so der Tenor, sei die Umsetzung in der Praxis nicht so einfach. Annette Fichtner von der Stadtbibliothek Hannover wies darauf hin, dass es auch wirtschaftliche Zwänge gebe, die die Anschaffung von Medien verhinderten. Dennoch plädierte sie für den Kauf von Büchern an den politischen Rändern – mit Einschränkungen: „Wir können nicht alles anschaffen, das hängt von der Situation der einzelnen Bibliothek ab.“

Die Leiterin der Stadtbibliothek Reutlingen, Beate Meinck, wies darauf hin, dass es bei der Anschaffung von Titeln mit extremem Inhalt häufig Diskussionen im Mitarbeiter-Team gebe. Für viele Kolleginnen und Kollegen sei es schwierig, diese Medien zu bewerten. Meinck erklärte: „Sie haben ja nicht Geschichte oder Politik studiert.“ Deshalb müsse sie hier immer wieder Mut machen und zum Kauf solcher Titel animieren. Hilfreich und notwendig, so Meinck, wäre eine Richtschnur, die bei der Beurteilung entsprechender Medien Orientierung geben könnte.

Kein Königsweg für die Praxis

Ethik-Experte Rösch griff die Idee auf, dämpfte aber zu hohe Erwartungen: „Es gibt keinen Königsweg für die Praxis.“ Das Wichtigste im praktischen Bibliotheksalltag sei die Transparenz. Dazu gehöre, dass man mit den Nutzern offen über die Anschaffungspolitik rede. Selbstverständlich könnten nicht alle Bücher aus rechten Verlagen gekauft werden; eine repräsentative Auswahl würde reichen. „Aber“, so der Bibliothekswissenschaftler, „gerade wenn ein Buch nicht angeschafft wird, muss das auch offen kommuniziert werden.“ Sein Tipp für die Praxis: „Stellen Sie doch die Berufsethik und gegebenenfalls auch ihre Erwerbungsrichtlinien auf ihre Webseite, dann ist das für alle Nutzer einsehbar.“

Dass der richtige Umgang mit „Literatur an den Rändern“ vor allem in kleinen Öffentlichen Bibliotheken für Probleme sorgt, räumte Rösch ein. Die Kolleginnen und Kollegen dort seien mit diesen Fragen oft überfordert. Deshalb schlug Rösch vor, dass sich hier die Lektoratskoooperation stärker engagiert. Er forderte: „In der Lektoratskooperation sollten auch Bücher aus rechten Verlagen besprochen werden.“ Es müssten ja keine Anschaffungsempfehlungen erfolgen. Eine abwägende Besprechung wäre für viele Kolleginnen und Kollegen aber hilfreich.

Frank Seeger, der in der ekz.bibliotheksservice GmbH für die Lektoratskooperation zuständig ist, wollte hier keine Zusage machen. Er erklärte: „In der Leko treffen wir eine Positivauswahl der Titel, die für Öffentliche Bibliotheken geeignet sind.“ Das hätten die Lektoren aus den mitarbeitenden Leko-Partnerbibliotheken so mitentschieden. Allerdings sei man derzeit dabei, über die Lektoratskooperation einen Expertenzirkel für den Umgang mit „Literatur an den Rändern“ aufzustellen. Mit zu diesem Kreis gehört unter anderem Helmut Obst von der Bibliothek der Stiftung Pfennigparade in München. Von ihm sind unter bibliothek@pfennigparade.de weitere Informationen für Interessierte erhältlich.

Rechte Verschwörungstheorien entzaubern

Einig waren sich alle Diskussionsteilnehmer darin, dass bei der Aufnahme von Buchtiteln mit extremem Inhalt in den Bibliotheksbestand eine entsprechende Kontextualisierung unbedingt notwendig ist. Dazu gehört zum einen, dass Bücher mit extremen Inhalten immer durch weitere Medien ergänzt werden, die andere Meinungen und Sichtweisen zum Ausdruck bringen. Rösch erklärte: „Auf diese Weise lassen sich rechte Verschwörungstheorien entzaubern und dekonstruieren.“

Allerdings, so Rösch, reiche es nicht aus, nur ergänzende Bücher zu den umstrittenen Titeln ins Regal zu stellen. Mindestens genauso wichtig sei politische Aufklärungsarbeit, beispielsweise durch entsprechende Lesungen und Diskussionsveranstaltungen in der Bibliothek. Rösch meinte: „Hier kann die Bibliothek ihr demokratisches Engagement besonders herausstellen.“ Sie habe den großen Vorteil, dass sie als neutraler Ort wahrgenommen werde und damit alle Bevölkerungskreise ansprechen könne. Rösch betonte: „Das kann mit Ausnahme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sonst so niemand leisten.“ Dieses Alleinstellungsmerkmal von Bibliotheken gelte es immer wieder neu herauszuarbeiten. Rösch zeigte sich überzeugt: „Das ist ein Pfund mit dem Sie gegenüber der Politik und den Unterhaltsträgern wuchern und so die Arbeit und Bedeutung der Bibliothek festigen können.“

Grundlage der von der Lektoratskooperation organisierten Diskussion über den Umgang mit „Literatur an den Rändern“ war eine Bachelorarbeit von Kirstin Grantz von der HAW Hamburg zu „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit rechter Literatur“, die diese in einem Video zu Beginn der #vBIB20-Veranstaltung vorgestellt hatte. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der Bachelorarbeit erscheint in der Doppelausgabe August/September von BuB.

Bernd Schleh / 28.5.2020






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Vom schwierigen Umgang mit „Literatur an den Rändern“

Foto: ake1150 - stock.adobe.com

Die Diskussionen um den Umgang mit „Literatur an den Rändern“ in Öffentlichen Bibliotheken reißen nicht ab. Aus diesem Grund ist das Thema von der Lektoratskooperation (Leko) aktuell auf der Digitalkonferenz #vBIB20 aufgegriffen worden. Experten und zugeschaltete Konferenzteilnehmer tauschten sich intensiv aus. Dabei zeigte sich: Die theoretischen Überlegungen und Handlungsempfehlungen zum Umgang mit „Literatur an den Rändern“ sind weitgehend unumstritten, die praktische Umsetzung in den Bibliotheken vor Ort dagegen gestaltet sich häufig schwierig.

Ethik-Experte Hermann Rösch von der TH Köln legte dar, wieso der richtige Umgang mit „Literatur an den Rändern“ so wichtig ist. Dabei bezog er sich auf die aktuellen bibliothekarischen Berufsethiken – sowohl die internationale des Weltbibliotheksverbands IFLA als auch die nationale des deutschen bibliothekarischen Dachverbands BID. Dort stehe die Meinungs- und Informationsfreiheit jeweils an allererster Stelle, weil Bibliotheken mit der Gewährleistung dieser Grundsätze ihren demokratischen Auftrag erfüllten und für die informationelle Grundversorgung der Bevölkerung sorgten.

Aus diesem Grund, so Rösch, müssten Bibliotheken hier immer wieder über den eigenen Schatten springen und auch Literatur vom linken und rechten politischen Rand, aber auch von anderen extremen Gruppierungen wie Sekten et cetera, anschaffen. Rösch sagte: „Die Bestände sollen möglichst neutral und ausbalanciert sein, sodass sich mündige Bürger in der Bibliothek selbst gut und ausreichend informieren können. Die Menschen brauchen hier kein Wahrheitsministerium, das ihnen eine Auswahl vorgibt.“ Genau diese weltanschaulich neutrale und von äußeren Einflüssen freie Bereitstellung von Medien und Informationen sei das wertvolle Alleinstellungsmerkmal von Bibliotheken.

Dieser Sichtweise stimmten die Kolleginnen aus den zugeschalteten Bibliotheken zu. Allerdings, so der Tenor, sei die Umsetzung in der Praxis nicht so einfach. Annette Fichtner von der Stadtbibliothek Hannover wies darauf hin, dass es auch wirtschaftliche Zwänge gebe, die die Anschaffung von Medien verhinderten. Dennoch plädierte sie für den Kauf von Büchern an den politischen Rändern – mit Einschränkungen: „Wir können nicht alles anschaffen, das hängt von der Situation der einzelnen Bibliothek ab.“

Die Leiterin der Stadtbibliothek Reutlingen, Beate Meinck, wies darauf hin, dass es bei der Anschaffung von Titeln mit extremem Inhalt häufig Diskussionen im Mitarbeiter-Team gebe. Für viele Kolleginnen und Kollegen sei es schwierig, diese Medien zu bewerten. Meinck erklärte: „Sie haben ja nicht Geschichte oder Politik studiert.“ Deshalb müsse sie hier immer wieder Mut machen und zum Kauf solcher Titel animieren. Hilfreich und notwendig, so Meinck, wäre eine Richtschnur, die bei der Beurteilung entsprechender Medien Orientierung geben könnte.

Kein Königsweg für die Praxis

Ethik-Experte Rösch griff die Idee auf, dämpfte aber zu hohe Erwartungen: „Es gibt keinen Königsweg für die Praxis.“ Das Wichtigste im praktischen Bibliotheksalltag sei die Transparenz. Dazu gehöre, dass man mit den Nutzern offen über die Anschaffungspolitik rede. Selbstverständlich könnten nicht alle Bücher aus rechten Verlagen gekauft werden; eine repräsentative Auswahl würde reichen. „Aber“, so der Bibliothekswissenschaftler, „gerade wenn ein Buch nicht angeschafft wird, muss das auch offen kommuniziert werden.“ Sein Tipp für die Praxis: „Stellen Sie doch die Berufsethik und gegebenenfalls auch ihre Erwerbungsrichtlinien auf ihre Webseite, dann ist das für alle Nutzer einsehbar.“

Dass der richtige Umgang mit „Literatur an den Rändern“ vor allem in kleinen Öffentlichen Bibliotheken für Probleme sorgt, räumte Rösch ein. Die Kolleginnen und Kollegen dort seien mit diesen Fragen oft überfordert. Deshalb schlug Rösch vor, dass sich hier die Lektoratskoooperation stärker engagiert. Er forderte: „In der Lektoratskooperation sollten auch Bücher aus rechten Verlagen besprochen werden.“ Es müssten ja keine Anschaffungsempfehlungen erfolgen. Eine abwägende Besprechung wäre für viele Kolleginnen und Kollegen aber hilfreich.

Frank Seeger, der in der ekz.bibliotheksservice GmbH für die Lektoratskooperation zuständig ist, wollte hier keine Zusage machen. Er erklärte: „In der Leko treffen wir eine Positivauswahl der Titel, die für Öffentliche Bibliotheken geeignet sind.“ Das hätten die Lektoren aus den mitarbeitenden Leko-Partnerbibliotheken so mitentschieden. Allerdings sei man derzeit dabei, über die Lektoratskooperation einen Expertenzirkel für den Umgang mit „Literatur an den Rändern“ aufzustellen. Mit zu diesem Kreis gehört unter anderem Helmut Obst von der Bibliothek der Stiftung Pfennigparade in München. Von ihm sind unter bibliothek@pfennigparade.de weitere Informationen für Interessierte erhältlich.

Rechte Verschwörungstheorien entzaubern

Einig waren sich alle Diskussionsteilnehmer darin, dass bei der Aufnahme von Buchtiteln mit extremem Inhalt in den Bibliotheksbestand eine entsprechende Kontextualisierung unbedingt notwendig ist. Dazu gehört zum einen, dass Bücher mit extremen Inhalten immer durch weitere Medien ergänzt werden, die andere Meinungen und Sichtweisen zum Ausdruck bringen. Rösch erklärte: „Auf diese Weise lassen sich rechte Verschwörungstheorien entzaubern und dekonstruieren.“

Allerdings, so Rösch, reiche es nicht aus, nur ergänzende Bücher zu den umstrittenen Titeln ins Regal zu stellen. Mindestens genauso wichtig sei politische Aufklärungsarbeit, beispielsweise durch entsprechende Lesungen und Diskussionsveranstaltungen in der Bibliothek. Rösch meinte: „Hier kann die Bibliothek ihr demokratisches Engagement besonders herausstellen.“ Sie habe den großen Vorteil, dass sie als neutraler Ort wahrgenommen werde und damit alle Bevölkerungskreise ansprechen könne. Rösch betonte: „Das kann mit Ausnahme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sonst so niemand leisten.“ Dieses Alleinstellungsmerkmal von Bibliotheken gelte es immer wieder neu herauszuarbeiten. Rösch zeigte sich überzeugt: „Das ist ein Pfund mit dem Sie gegenüber der Politik und den Unterhaltsträgern wuchern und so die Arbeit und Bedeutung der Bibliothek festigen können.“

Grundlage der von der Lektoratskooperation organisierten Diskussion über den Umgang mit „Literatur an den Rändern“ war eine Bachelorarbeit von Kirstin Grantz von der HAW Hamburg zu „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit rechter Literatur“, die diese in einem Video zu Beginn der #vBIB20-Veranstaltung vorgestellt hatte. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der Bachelorarbeit erscheint in der Doppelausgabe August/September von BuB.

Bernd Schleh / 28.5.2020



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