Sichere Räume für Kinder und Jugendliche

Ratschläge, Hinweise und Hilfestellung für die Einführung funktionierender Schutzkonzepte in Bibliotheken.
Das Ziel von Schutzkonzepten ist es, sichere Räume zu schaffen und sich vor Ort aktiv für den Schutz von Kindern und Jugendlichen einzusetzen. Foto: pexels - julio lopez

Prävention und Kindeswohl im Umfeld von Kinder- und Jugendbibliotheken sind wichtige Anliegen, jedoch oft mit Unsicherheiten verbunden. Der erste Impuls ist daher oftmals, das Thema wegzuschieben. Bibliotheken sind offene Häuser, verstehen sich immer mehr als Dritter Ort oder gar als öffentliches »Wohnzimmer« – umso wichtiger ist es, dass sie auch sichere Räume für Kinder und Jugendliche darstellen.

Ein Schutzkonzept (auch Kinderschutzpolicy oder Kinderschutzrichtlinie genannt) ist ein Organisationsentwicklungsprozess, bei dem sich Organisationen mit möglichen Risiken für Kinder in ihrem Angebot auseinandersetzen und Maßnahmen definieren, um diesen Risiken zu begegnen. Es ist ein Zusammenspiel aus Analyse, strukturellen Veränderungen, Vereinbarungen und Kommunikation sowie Haltung und Kultur einer Organisation. Schutzkonzepte vermindern das Risiko, dass zum Beispiel Gewalt in der Einrichtung verübt wird, und tragen dazu bei, dass betroffene Kinder und Jugendliche von Fachkräften erkannt werden und Zugang zu Hilfe erhalten.

Es geht also vor allem darum, eine Haltung der Achtsamkeit zu entwickeln, mögliche Kindeswohlgefährdungen zu erkennen und Risiken in der eigenen Einrichtung zu identifizieren. Das Ziel von Schutzkonzepten ist es, sichere Räume zu schaffen und sich vor Ort aktiv für den Schutz von Kindern und Jugendlichen einzusetzen. Schutzkonzepte sollen – jenseits von bloßen Lippenbekenntnissen und Pro-forma-Maßnahmen – dabei helfen, eine »Kultur des Hinschauens« zu etablieren.

Rechtsgrundlagen und gesetzliche Verpflichtungen

Bibliotheken unterliegen wie alle öffentlichen Einrichtungen bestimmten gesetzlichen Vorgaben zum Schutz von Kindern und Jugendlichen. Dies umfasst unter anderem das Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG), das Verpflichtungen zur Prävention und zum Schutz vor Kindeswohlgefährdungen festlegt. Ein Schutzkonzept hilft dabei, diese gesetzlichen Anforderungen systematisch umzusetzen und nach außen hin zu dokumentieren.

Wenn wir für die Bürger/-innen ein öffentliches Wohnzimmer sein möchten, müssen wir auch die daraus logisch folgende Verantwortung für die Sicherheit übernehmen. Gerade in Hinblick auf die aktuellen Bemühungen, immer mehr Bibliotheken zu Open Libraries zu transferieren, gewinnt die Thematik Prävention und Kindeswohl noch einmal mehr an Brisanz und Relevanz.

Hintergrund und Bedarfsermittlung

Durch unsere Fachkonferenz in Remscheid im Februar 2023 haben wir als Kommission Kinder- und Jugendbibliotheken des Deutschen Bibliotheksverbands (dbv) erkannt, dass es einen großen Unterstützungsbedarf in den Bibliotheken gibt. Eine Session zu Prävention und Kindeswohl zeigte tiefe Unsicherheiten und gleichzeitig die hohe Relevanz des Themas für Öffentliche Bibliotheken auf. Es fehlten Handlungssicherheit, Leitlinien und eine klare Priorisierung seitens der Bibliotheksleitung.

Um den Status Quo zu dieser Thematik einmal bundesweit zu erfassen, wurde im Anschluss an die Fachkonferenz eine Umfrage durchgeführt, die sowohl über den Community-Blog der Kommission geteilt wurde als auch per Mailversand an die Mitgliedsbibliotheken des dbv ging. 375 Bibliotheken nahmen daran teil und die Ergebnisse bestätigten den Eindruck nach dringendem Unterstützungsbedarf. Knapp 70 Prozent des Fachpersonals, das an der Umfrage teilnahm, hat sich zuvor noch nicht mit den Themen Prävention und Kindeswohl in Bibliotheken beschäftigt, es fehlt also großflächig an der notwendigen Sensibilisierung für die Verantwortung der Bibliotheken als offene Häuser gegenüber den Kindern, Jugendlichen und ihren Familien. Eine überwältigende Mehrheit der in der Umfrage repräsentierten Bibliotheken verfügt über kein Schutzkonzept und hat auch keines in Planung, lediglich in 26 von den 375 Bibliotheken gibt es ein Schutzkonzept.

Die Umfrage zeigte außerdem deutliche Unklarheiten bei Begrifflichkeiten, so war beispielsweise die Abgrenzung von Schutzkonzepten zu Konzepten wie dem der Notinseln nicht allen klar. Die Notinsel ist ein Projekt der Deutschen Kinderschutzstiftung Hänsel+Gretel, das Kindern und Jugendlichen in Not- und Gefahrensituationen im öffentlichen Raum Zufluchtsorte aufzeigen soll. An aktuell 230 Standorten deutschlandweit beteiligen sich circa 17 000 Geschäfte, die das Notinsel-Zeichen gut sichtbar außen an der Eingangstür tragen und Kindern signalisieren: »Wo wir sind, bist du sicher.« Es ist das deutschlandweit größte Kinderschutzprojekt, das Kindern in akuten Gefahrensituationen Schutz bietet. Ein institutionelles Schutzkonzept hingegen zielt darauf ab, innerhalb der eigenen Organisation und den dazugehörigen Räumlichkeiten präventiv Risiken zu minimieren und eine Kultur der Achtsamkeit zu etablieren.

Weiterhin bestätigte die Umfrage, dass innerhalb der Bibliothekswelt einheitliche Vorgaben und Empfehlungen für gelebte Prävention fehlen. Viele Bibliotheken fühlen sich deshalb unsicher im Umgang mit dem Thema und dem eigenen Handlungsspielraum.

Wir fragten die Kolleginnen und Kollegen auch, ob sie Interesse hätten an einem für sie kostenfreien Online–Seminar mit Expertinnen und Experten zur Erstellung von Schutzkonzepten. Mehr als die Hälfte beantwortete diese Frage mit ja, und damit war der Arbeitsauftrag an uns klar formuliert.

Die Arbeitsgruppe Schutzkonzept des dbv

Vor diesem Hintergrund hat die Kommission eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich zum Ziel gesetzt hat, eine umfassende Handreichung für Bibliotheken zu erarbeiten – für Schutzkonzepte mit bibliotheksspezifischen Gegebenheiten und praxisbezogenen Szenarien sowie alle nötigen Schritte für den Weg dorthin. Die Projektinhalte umfassen:

  • Entwicklung eines FAQ zu den Themen Prävention & Intervention

  • Erarbeitung einer Schutzkonzeptvorlage für Öffentliche Bibliotheken mit praxisnahen Szenarien, die übernommen beziehungsweise individuell angepasst werden können, sowie eine Handreichung mit Empfehlungen

  • Bereitstellung einer Quellensammlung inklusive Kontaktverzeichnis zu überregionalen Beratungsstellen

  • Fortbildungsangebot: Webinare für interessierte Führungs- und Fachkräfte

Im Frühjahr 2024 hat sich die dbv-Kommission Kinder- und Jugendbibliotheken mit diesem Vorhaben beim Projekt »Start2Act – Safer Spaces and Participation in the Arts – Creating and Promoting Child Safeguarding Policies« beworben und im Herbst hierüber die Förderung zur Durchführung erhalten. Dieses Förderprojekt der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) unterstützt lokale Träger und Verbände dabei, sichere Orte zu schaffen, in denen Kinder umfassend vor Gewalt geschützt sind. Seit Oktober durften wir endlich die Arbeit an dem Projekt aufnehmen. Die Arbeitsgruppe wird nun den kompletten Prozess der Erarbeitung eines Schutzkonzeptes durchlaufen, zusammen mit verschiedenen Modellbibliotheken:

1. Beteiligung von Kindern und Jugendlichen

Ein zentrales Element bei der Entwicklung von Schutzkonzepten ist die aktive Einbindung von Kindern und Jugendlichen. Ihre Perspektiven und Erfahrungen sind entscheidend, um Risiken realistisch einzuschätzen und wirkungsvolle Maßnahmen zu entwickeln. Die Arbeitsgruppe plant daher, Methoden und Formate zu entwickeln, die die Partizipation dieser Zielgruppen ermöglichen.

2. Risiko- und Potentialanalyse

Ein wichtiger Schritt bei der Entwicklung eines Schutzkonzepts ist die Risiko- und Potenzialanalyse (RPA). Sie dient dazu, die spezifischen Strukturen und Abläufe innerhalb der Bibliothek zu untersuchen, um mögliche Gefährdungsmomente zu identifizieren. Durch die RPA können Risiken frühzeitig erkannt und gezielte Maßnahmen zu deren Minimierung entwickelt werden. Gleichzeitig werden Potenziale sichtbar, die zur Verbesserung des Schutzes beitragen können. Die Einbeziehung von Kindern, Jugendlichen und Mitarbeitenden in diesen Prozess fördert ein umfassendes Verständnis der Situation und erhöht die Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen. In unserem Fall werden wir hierfür mit verschiedenen Modellbibliotheken unterschiedlicher Größe und Einbindung in den umgebenden Sozialraum einbinden. Dies hat die gleichzeitige Funktion, auch für die RPA eine Handreichung in das Projektergebnis zu integrieren, die bereits vielfach und unter verschiedenen Grundvoraussetzungen angewendet und evaluiert wurde.

3. Schulung und Sensibilisierung des Personals

Ohne Wirksamkeit und Anwendung ist jedes Schutzkonzept nur ein Stück Papier – um die erarbeiteten Er- und Bekenntnisse auch zu leben, ist es erforderlich, dass alle Mitarbeitenden über die Risiken und Schutzmaßnahmen informiert sind. Die Schulung und Sensibilisierung des Personals ist daher ein wichtiger Bestandteil im Prozess zur Implementierung eines Schutzkonzeptes. Dies beinhaltet regelmäßige Fortbildungen zu Themen wie Kindeswohlgefährdung, Kommunikation und rechtliche Grundlagen, die Entwicklung eines Verhaltenskodex, der klare Richtlinien für den Umgang mit Kindern und Jugendlichen festlegt sowie die Förderung einer offenen Kommunikationskultur, in der Bedenken geäußert und diskutiert werden können.

Auch diesem Aspekt wollen wir in unserem Vorhaben viel Gewicht beimessen und planen aktuell drei Online-Seminare, die parallel zu unserer Arbeit und immer begleitend zu wichtigen Meilensteinen stattfinden werden. Details dazu am Ende des Artikels.

4. Herausforderungen und Lösungsansätze

Bei der Entwicklung und Umsetzung von Schutzkonzepten können Herausforderungen auftreten, wie Ressourcenknappheit auf zeitlicher, personeller und/oder finanzieller Ebene, aber auch Widerstände im Team durch Unsicherheiten oder Vorbehalte gegenüber dem Thema. Auch die Komplexität der Thematik durch rechtliche und organisatorische Aspekte kann überwältigend sein. Für alle diese Herausforderungen möchten wir versuchen, realistische Lösungsansätze anzubieten. Wir wollen Ihnen das Thema so aufbereiten, dass Sie Orientierung haben für

  • die Argumentation gegenüber Leitungsebenen und Trägerschaft zur Notwendigkeit und Machbarkeit eines Schutzkonzepts;

  • Finanzierungsmöglichkeiten durch die Nutzung von Fördermitteln und externen Angeboten zur Einbindung von Expertinnen und Experten sowie Beratungsstellen;

  • die schrittweise Umsetzung mit klaren Meilensteinen und realistischen Zielen.

Aktueller Arbeitsstand und nächste Schritte

Seit Oktober 2024 arbeitet die AG Schutzkonzepte des dbv, bestehend aus Kathrin Hartmann, Carolin Graf und Mareen Reichardt, mit der Expertin für strukturelle Prävention in der Kinder- und Jugendarbeit Vera Sadowski zusammen. Mit dem Redaktionsschluss dieser Ausgabe (November 2024) werden gerade sieben bis acht Modellbibliotheken ausgewählt, die das Projekt mit uns gemeinsam durchlaufen inklusive aller Meilensteine:

  • Risiko- und Potenzialanalyse (RPA) inklusive Beteiligungsformate

  • Entwicklung eines Verhaltenskodex

  • Erstellung des Schutzkonzepts

  • Schulung und Fortbildung

  • Evaluierung und Anpassung

Geplante Online-Seminare finden im Februar, Juni und November 2025 statt (Änderungen vorbehalten) mit folgenden Inhalten und Schwerpunkten:

 

1. Notwendigkeit von Prävention in der Bibliotheksarbeit

  • Inhalte: Sensibilisierung für Präventionsarbeit, Argumentationshilfen gegenüber Politik und Leitung, Finanzierungsmöglichkeiten

  • Termin: 26. Februar 2025, 9-12 Uhr

2. Spezifische Schutzkonzepte für Bibliotheken

  • Inhalte: Ergebnisse der Risiko- und Potenzialanalyse, Empfehlungen für Schutzkonzepte, Feedback der Teilnehmenden

  • Termin: voraussichtlich 4. Juni 2025, 9-12 Uhr3

3. Vorstellung der Handreichung

  • Inhalte: Teilnehmende werden befähigt, ein Schutzkonzept in ihrer Einrichtung zu entwickeln

  • Termin: voraussichtlich 12. November 2025, 9-15 Uhr (inklusive Pausen)

 

Updates zum laufenden Prozess, Veröffentlichungen von Materialien und Termine für Fortbildungsangebote folgen auf dem Blog der Kommission.

Wenn Sie sich für das erste Online-Seminar bereits anmelden möchten, schreiben Sie an: komkiju@bibliotheksverband.de

Mareen Reichardt ist Leiterin der Kinder- und Jugendbibliothek der Bezirkszentralbibliothek Pablo Neruda in Berlin Friedrichshain-Kreuzberg. Als vormalige Vorsitzende der Kommission Kinder- und Jugendbibliotheken des Deutschen Bibliotheksverbands (dbv) engagiert sie sich weiterhin als Gastmitglied der Kommission in der AG Schutzkonzepte.

Interessantes Thema?

Teilen Sie diesen Artikel mit Kolleginnen und Kollegen:

Kommentare

Nach oben