Nie gehört von Radaröfen? Gescheiterte Innovationen als Regelfall
Vom Picturephone zum Transrapid: Warum Innovationen scheitern und was wir daraus lernen können.
Innovatorisches Scheitern – nicht Erfolg – ist der Regelfall! Trotzdem avancierte der Prozess des Scheiterns bis heute nur selten zum Gegenstand historischer Untersuchungen. Das ist umso bedauerlicher, als eine Analyse des Misserfolgs nicht nur zu einem besseren Verständnis des Scheiterns selbst führen kann, sondern auch zu einem umfassenderen und realitätsnäheren Bild des technischen Wandels insgesamt.
Von Radaröfen haben Sie nie gehört? Stahl-Fertighäuser sind Ihnen ebenso wenig ein Begriff wie die Kohlenstaub-Lokomotive? Selbst beim Picturephone oder beim Elektropflug glimmt kein Erinnerungsfunken auf? Kein Grund zur Sorge: Fast niemand erinnert sich mehr an diese Dinge, es sind »gescheiterte Innovationen«, deren Existenz über kurz oder lang von der Welt vergessen wurde. In Erinnerung sind bestenfalls die angesichts verlorener Subventionsmillionen spektakuläreren Fälle, etwa die zumindest vorerst gefloppte Magnetschwebebahn Transrapid oder der 2002 wohl endgültig gescheiterte Frachtzeppelin Cargolifter, in dessen ehemaliger Halle südlich von Berlin sich aber heute immerhin im Freizeitbad Tropical Island vom Urlaub in den Tropen träumen lässt.
»Dass das Scheitern gerne übersehen und vergessen wird, ändert nichts daran, dass der innovatorische Misserfolg und nicht etwa der Erfolg der Regelfall ist.«
Gemeinsam ist all diesen gescheiterten Innovationen, dass es sich keinesfalls um völlig phantastische Projekte handelte, deren Misserfolg also vorprogrammiert war. Nicht von raketengetriebenen Erdsehnenbahnen, von Atomautos oder vom »Perpetuum Mobile« ist hier die Rede, nein, gescheiterte Innovationen beruhen auf Technologien, die grundsätzlich funktionieren und im Vergleich zur existierenden Technologie auch Vorteile bieten, die sich aber eben dennoch nicht durchsetzen konnten. Ein notwendiges Merkmal der gescheiterten Innovation ist, dass sie es bis in die Wirklichkeit geschafft hat, ein zweites, dass sie diese wieder verlassen hat, ohne das investierte Kapital hereinzuspielen. Und bevor sich Widerspruch erhebt: Selbstverständlich müsste hier korrekterweise von gescheiterten Innovationsversuchen die Rede sein, etabliert hat sich aber der Begriff der »Gescheiterten Innovation« respektive der »Failed Innovation«
Scheitern als Regelfall
Dass das Scheitern gerne übersehen und vergessen wird, ändert nichts daran, dass der innovatorische Misserfolg und nicht etwa der Erfolg der Regelfall ist. Das geht aus sämtlichen Studien hervor, die versucht haben, den Erfolg respektive das Scheitern von Innovationsprozessen zu quantifizieren. Dabei kommt mit einiger Regelmäßigkeit heraus, dass je nach Innovationstyp und je nach Branche 60 bis 90 Prozent aller Vorhaben scheitern. Und schon darum wird in programmatischen Veröffentlichungen zur Technikgeschichtsschreibung seit gut einem halben Jahrhundert mit einiger Regelmäßigkeit gefordert, dass sich die historische Forschung stärker mit der »Technik der Verlierer«, das heißt mit gescheiterten Innovationen auseinandersetzen müsse. Sehr viel geholfen hat diese Mahnung bisher nicht, obwohl das Scheitern nicht nur Einblicke in die »Anatomie des Misslingens« verspricht, sondern auch eine andere Perspektive auf den historischen Prozess zu eröffnen vermag.
Damit nun zu einem kurzen Blick auf wenigstens zwei Fallbeispiele für innovatorisches Scheitern. Los geht es mit einem Misserfolg, der zu belegen vermag, wir trügerisch der anfängliche Hype um neue Technologien manchmal sein kann, nämlich mit dem US-amerikanischen Bildtelefonsystem »Picturephone«.
Ausgefallene Kommunikationsrevolution
Fragt man nach der medialen Präsenz bestimmter Zukunftsvisionen bzw. Leitbilder, so belegt das Konzept der »bildunterstützten Telekommunikation« ganz ohne Frage einen Spitzenplatz. Nicht zuletzt im Science-Fiction-Genre gehört die Telekommunikation mit Ton und Bild zu den absoluten Selbstverständlichkeiten. Anders ausgedrückt: Bildtelefonie ist schon seit vielen Jahrzehnten ein geläufiges, sehr verbreitetes und anhaltend präsentes Zukunftsleitbild.
Das mag ein Grund dafür gewesen sein, dass das neue Bildtelefonsystem »Picturephone«, das der US-amerikanische Telekommunikationskonzern AT&T 1964 auf der Weltausstellung in New York vorgestellt hat, von der Fach- wie von der Publikumspresse geradezu euphorisch begrüßt wurde. Picturephone – so hieß es – werde eine Kommunikationsrevolution auslösen. Prophezeit wurde nicht nur dessen Siegeszug im privaten Bereich, vor allem sollte das Bildtelefon den Arbeitsalltag revolutionieren. Durch die »Face-to-Face-Telekommunikation« werde es möglich, aufwendige Geschäfts- oder Tagungsreisen durch Bildtelefon-Konferenzen zu ersetzen. Ganz allgemein schien die physische Präsenz etwa von Angestellten, Auszubildenden, Verhandlungs- oder Diskussionspartnern bei vielen Gelegenheiten nicht mehr erforderlich zu sein. Das – so versicherte AT&T – werde umwälzende Folgen für den Alltag vieler Menschen, ihr Arbeits- und Freizeit- sowie nicht zuletzt ihr Mobilitätsverhalten haben.
»Picturephone gehört zu den gescheiterten Innovationen, die weit über ihr eigenes »materielles Leben« hinaus Einfluss nahmen.«
Durch die ausgesprochen positive öffentliche Resonanz auf ihr neues System ermutigt, begann AT&T noch im Jahr 1964 mit der Einrichtung öffentlicher Picturephone-Zellen in vielen US-amerikanischen Städten. Die Entwicklung des Systems zur Alltagstauglichkeit dauerte zwar noch einige Jahre, ab 1970 bot das Unternehmen dann aber auch Bildtelefon-Anschlüsse für Büros wie für Privathaushalte an.
Die weitere Geschichte des neuen Systems ist schnell erzählt: Trotz der zunächst so positiven Reaktionen wollte fast niemand das Bildtelefon benutzen. AT&T hielt den Picturephone-Dienst zwar für die wenigen angeschlossenen Kundinnen und Kunden noch eine gewisse Weile aufrecht, nach Jahren der Agonie wurde der Service jedoch Mitte der 1970er-Jahre eingestellt.
Bildtelefonie als übergriffiges Medium
Rein technisch gesehen war Picturephone durchaus erfolgreich. Dass das neue System ein Flop wurde, hatte also andere Gründe. Die von den Nutzerinnen und Nutzern anzuschaffenden Endgeräte waren recht teuer, wobei zusätzlich noch vergleichsweise hohe monatliche Gebühren hinzukamen (125 Dollar/Monat). Die auch, aber nicht nur preisbedingt sehr langsame Verbreitung des Bildtelefons führte dazu, dass die »Bildtelefongemeinde« insgesamt zu klein blieb, um das neue System ausreichend attraktiv zu machen. Hinzu kam aber noch eine wirkungsmächtige psychologische Komponente: Zumindest von seinen potenziellen privaten Nutzer/-innen wurde Picturephone als übergriffiges Medium empfunden. Es eröffnete Anrufer/-innen im wahrsten Sinne des Wortes Einblicke in die Privatsphäre der Gesprächspartner/-innen, die diese bei vielen Gelegenheiten zu gewähren eben nicht bereit waren. In diesem Sinne war das System also an den Bedürfnissen bzw. Interessen der Kundinnen und Kunden oder, anders ausgedrückt, an der Kommunikationskultur seiner Zeit vorbei konstruiert worden.
Erfolgreich scheitern
Dennoch wäre es zu kurz gegriffen, die Beschäftigung mit dem Bildtelefon an dieser Stelle abzubrechen: Picturephone gehört zu den gescheiterten Innovationen, die weit über ihr eigenes »materielles Leben« hinaus Einfluss nahmen. Picturephone sollte nämlich mehr sein, als ein reines Telekommunikationsinstrument. Gedacht war es als universelles Informations- und Kommunikationsinterface, wobei schon deutlich geworden sein dürfte, dass die in den 1960er-Jahren formulierten Nutzungsvorstellungen erstaunlich weitgehend dem entsprechen, was wir heute mit dem Internet anstellen. Imaginiert wurde eine umfassende Nutzung, die unter anderem die Übermittlung unterschiedlichster Daten bzw. Texte, das Versenden von Bildern, den Fernunterricht und Fernkonferenzen aber auch den Verkauf von Produkten einschloss. Auch die von Anfang an erwartete Wirkung des Systems auf Mobilitätsverhalten und Präsenzkulturen erscheint uns heute vielleicht für dessen Einführungsära überzogen, nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre aber auch vollkommen vertraut.
Von Radaröfen und Familienküchen
Und auch mein zweites Beispiel kann verdeutlichen, dass nicht jede gescheiterte Innovation zwangsläufig für immer von der Bildfläche verschwindet. Es geht um den ersten Versuch, Mikrowellenherde auf den Markt zu bringen, der nämlich in den 1950er-Jahren gründlich fehl schlug.
Bei der Mikrowelle handelt es sich um eine zivile Technologie, die unmittelbar als »Spin-off« aus der Rüstungsforschung hervor ging. Im Kern besteht eine Mikrowelle genau wie ein Radargerät aus einem pulsierenden Mikrowellensender, dem sogenannten Magnetron. Mit dessen Hilfe wird im metallischen Garraum des Ofens ein Strahlungsfeld hoher Dichte erzeugt, unter dessen Einfluss sich die kinetische Energie in Speisen und somit die Temperatur rasch erhöht (durch Drehbewegung der Wassermoleküle).
Die US-amerikanische Rüstungsfirma Raytheon arbeitete während des Zweiten Weltkriegs intensiv an der Verbesserung und Verbilligung von Magnetron-Röhren für Radargeräte. Nach dem Krieg suchte die Firma dann nach neuen Anwendungsfeldern für ihre Technologie und brachte so bereits 1947 den ersten Mikrowellenofen auf den Markt.
Ein kommerzieller Erfolg war diese erste Mikrowelle allerdings nicht: Der mit 2000 US-Dollar vergleichsweise teure, kühlschrankgroße Apparat konnte nur an wenige Großküchen verkauft werden, der Einzug in die Privathaushalte gelang ihm nicht. Dass Raytheon ihrem »Radarofen« den wenig küchen- und familientauglichen Namen »Radarange« gab, trug nicht eben zur Marktgängigkeit des neuen Produktes bei: Zu deutlich war dem Gerät seine militärische Herkunft noch anzumerken. Die Produktion musste jedenfalls nach einigen Jahren eingestellt werden. Mitte der 1950er-Jahre handelte es sich somit bei der Mikrowelle um eine gescheiterte Innovation.
Comeback in einer veränderten Welt
Es bedurfte eines zweiten Anlaufs, um den neuen Ofen zum Erfolg werden zu lassen. Seit den 1960er-Jahren bemühten sich vor allem japanische Unternehmen um eine Verkleinerung und Verbilligung der Mikrowelle. Sie schufen damit die Voraussetzungen für den späteren Erfolg der Geräte, die ihren eigentlichen Siegeszug allerdings erst seit den 1980er-Jahren antraten. Für diesen Erfolg hatte sich auch die Welt erst einmal verändern müssen: Der kommerzielle Durchbruch gelang der Mikrowelle in einer neuen Gesellschaft mit veränderten Familienstrukturen und voller Singlehaushalte. Erst in dieser veränderten Welt harmonierte die Technik mit ihrem Nutzungsumfeld.
Auch das Beispiel der Mikrowelle vermag zu verdeutlichen, dass Aussagen über das Scheitern stets nur Aussagen mit »begrenzter Reichweite« sind: Scheitern kann stets nur für einen bestimmten Zeitraum und zudem nur für einen bestimmten geographischen oder kulturellen Raum eindeutig diagnostiziert werden. Eine einmal gescheiterte Technologie kann also durchaus zu einem späteren Zeitpunkt oder innerhalb einer anderen Nutzungskultur sehr erfolgreich werden.
Scheitern als Chance
Unser arg knapper Einstieg in die Welt der gescheiterten Innovationen könnte im Grunde fast beliebig fortgesetzt werden, der Friedhof fehlgeschlagener Entwicklungen ist nämlich zum Bersten voll. Wie eingangs skizziert, bleibt das innovatorische Scheitern aber bisher eher ein Nischenthema. Das mag einerseits damit zusammenhängen, dass »Innovation« bis heute meist gedankenlos mit Erfolg gleichgesetzt wird. Das den öffentlichen Diskurs noch immer prägende Fortschrittsparadigma lässt auch eine andere Interpretation kaum zu. Damit ignoriert man aber nicht nur die im Innovationsprozess stets vorhandenen Risiken, man ignoriert auch, dass selbst erfolgreiche Innovationen keinesfalls immer und sicher auch nicht für alle Betroffenen durchgehend positive Ergebnisse haben. Gerade unter dem Einfluss des mitunter naiv anmutenden öffentlichen Innovationsdiskurses droht aber die omnipräsente Forderung nach steigender Innovativität zur Leerformel zu verkommen. Der zweite Grund für die geringe Aufmerksamkeit, die gescheiterten Innovationen bisher geschenkt wurde, ist eher praktischer Natur: Firmen haben wenig Interesse daran, ihre Archive für die Untersuchung von Fehlschlägen zu öffnen. Scheitern bleibt tabuisiert und trotz zum Teil anderslautender Bekundungen sprechen Unternehmen über ihr Scheitern de facto nicht gerne.
Dabei lohnt sich die Beschäftigung mit dem Scheitern. Zum einen, weil sie Einsichten in die Ursachen innovatorischer Fehlschläge ermöglicht. Innovationsversuche scheitern häufig an ganzen Problembündeln, wobei bestimmte Ursachen erwartungsgemäß eine große Rolle spielen, etwa technische Schwierigkeiten, wirtschaftliche Faktoren wie Anschaffungs- und Nutzungskosten oder die spezifische Konkurrenzsituation. Deutlich wird aber auch, dass sich die Ursachen des Scheiterns nicht ausschließlich auf diese »harten« Faktoren reduzieren lassen. Zu erkennen sind Problemstränge, die sich aus dem jeweiligen Innovationszeitpunkt, Fehlprognosen der Marktentwicklung, einer falschen Einschätzung der Bedürfnisse von Nutzerinnen und Nutzern, zu hohen Anpassungserfordernissen an das Nutzungsumfeld oder – genereller – mangelndem Verständnis für die Verwendungskultur ergeben können. In diesem Sinne waren sowohl Picturephone wie Radarange zu radikale Innovationen, deren relative Vorteilhaftigkeit sich den potenziellen Nutzerinnen und Nutzern nicht erschloss.
Die Analyse von Fehlschlägen bietet zum anderen (Technik-)Historiker/-innen die Chance, den Charakter technischen Wandels deutlicher zu akzentuieren. Die Entwicklung neuer Technologien – ob letztlich erfolgreich oder nicht – beruht immer auf einer Art Handeln unter Informationsmangel, unter unklaren Bedingungen. Unsicherheiten sind angesichts dieser unklaren Bedingungen »endemisch«, das Risiko des Scheiterns ist immer gegeben. Bei erfolgreichen Innovationen droht der Erfolg selbst den Blick auf diese unvermeidbaren Entstehungsbedingungen zu verstellen.
Kein gerader Weg
Eine Geschichtsschreibung, die sich ganz überwiegend mit der erfolgreichen Verwertung und Umsetzung technischer Ideen beschäftigt, entwirft zudem zwangsläufig ein verzerrtes Bild des historischen Prozesses. Der Eindruck entsteht, die technische Entwicklung sei einem geraden, rationalen Pfad aus der Vergangenheit in die Gegenwart gefolgt. Tatsächlich zeigt schon ein oberflächlicher Blick auf praktisch jeden beliebigen Teilbereich der Technik, dass es diesen unterstellten geraden Entwicklungsweg nicht gegeben hat. Die Vorstellung, vermeintlich objektive technikwissenschaftliche Kriterien, ökonomische Rationalität und die »Weisheit des Marktes« würden garantieren, dass sich immer die – in welchem Sinne auch immer – »beste« Technik durchsetzt, muss jedenfalls als reiner Mythos zurückgewiesen werden.
Prof. Dr. Reinhold Bauer leitet die Abteilung Wirkungsgeschichte der Technik am Historischen Institut der Universität Stuttgart und ist darüber hinaus seit 2019 Direktor des Internationalen Zentrums für Kultur- und Technikforschung (IZKT) der Universität. Neben der historischen Innovationsforschung interessiert er sich insbesondere für Mobilitätsgeschichte sowie für die Geschichte von Produktionsorganisation und -technik. Er hat verschiedene Bücher und Aufsätze unter anderem zum Thema Scheitern veröffentlicht.
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