Bibliotheken können mehr! Jana Haase und Dominik Theis zeigen auf, dass Öffentliche Bibliotheken viele Gesichter haben und dadurch einen essentiellen Teil zum Gemeinwohl beitragen können: Sie schaffen Zugang zu Wissen, fördern den kritischen Umgang mit Medien und ermöglichen so gesellschaftliche Teilhabe für alle. Bibliotheken können eine Moderationsrolle einnehmen, wenn es darum geht, Bildung zeitgemäß und inklusiv zu gestalten. Als Medienzentren können Schulbibliotheken beispielsweise zur Selbstentfaltung von Schülerinnen und Schülern beitragen, indem sie Räume zum Aufhalten, Arbeiten und Kommunizieren schaffen. Sie tragen somit zum selbstständigen Lernen, zu Kollaboration und der Gestaltung der Freizeit bei.
Das Bündnis Freie Bildung ist ein Zusammenschluss von Organisationen und Einzelpersonen, das sich dafür einsetzt, Bildung gerechter, inklusiver und offener gelingen zu lassen. Als Impulsgeber möchte das Bündnis dazu beitragen, dass die Arbeitspraxis von Bildungsinstitutionen die Verbreitung und Etablierung von Ansätzen zu zeitgemäßer Bildung begünstigt. In diesem Rahmen haben wir uns mit der Rolle von Bibliotheken im Zeitalter der Digitalisierung auseinandergesetzt.
Wie Öffentliche Bibliotheken Teilhabe und Lernen in Gemeinschaften aktiv fördern können, diskutierten wir gemeinsam mit Gabi Fahrenkrog (TIB Hannover) bereits auf der virtuellen Konferenz #vBIB20[1] in einem Workshop[2]. Wir haben dabei die Bibliotheken als dem Gemeinwohl verpflichtete Institutionen definiert. Von der Gesellschaft sei anerkannt, dass sie in der Tendenz freien Zugang zu Information bieten, Teilhabe für alle Bürger/-innen ermöglichen und Medienkompetenz sowie kritische Reflexion fördern. Fachleute in der Bibliothekspraxis sind auf diesen Arbeitsgebieten aktiv. Darüber berichteten bisher viele Artikel in BuB.
Bibliotheken als Partnerinnen für Freies Wissen
Offene Bildungsmaterialien bzw. Open Educational Ressources (OER) scheinen dazu gut zu passen, spielen in der bibliothekarischen Fachwelt bisher jedoch keine große Rolle. Dabei könnten Bibliotheken als solche mit ihrer Zugänglichkeit und ihren gesammelten erschlossenen Informationsmitteln für alle Menschen im Prinzip als eine offene Bildungsressource gesehen werden. Mit kosten- und barrierefreien Hilfestellungen beim Finden von Informationen – von Bibliotheksrallye bis Recherchetutorial – stellen Bibliotheken oft OER her, sind sich dessen jedoch kaum bewusst und kennzeichnen diese nicht als solche. Bibliotheken könnten als Förderinnen von OER gelten. Die Unterstützung beim Publizieren ist bereits ein Arbeitsfeld Wissenschaftlicher Bibliotheken. Öffentliche Bibliotheken sind mitunter Treffpunkt für Wikipedia-Editathons, helfen bei Facharbeiten von Schüler/-innen und unterstützen Lehrkräfte bei der Erstellung von Lehrmaterialien. Das Verzeichnen bzw. Finden von OER-Publikationen über die Discovery-Systeme hat mit dem Anzeigen von Wikipedia-Artikeln begonnen und könnte weiter ausgebaut werden.
Bibliotheken als Demokratieförderinnen
Vor diesem Hintergrund und mit ihrem Raumangebot ist die Öffentliche Bibliothek die ideale Unterstützung des selbstgesteuerten lebenslangen Lernens und der Demokratieförderung in der Kommune. Öffentliche Bibliotheken bieten neben einem Ort der Zusammenkunft und des Austauschs den freien Zugang zu Information für alle – denn auch ohne Ausweis ist das Lesen und die Mediennutzung vor Ort möglich. Über diesen Zugang ermöglichen Bibliotheken die Teilhabe aller an gesellschaftspolitischen Diskursen. Darüber hinaus stärkt die Förderung der Medienkompetenz die Fähigkeit der kritischen Reflexion und motiviert zur aktiven Einbringung von Meinungen und Wissen.
Die Schulbibliothek kann wie die Öffentliche Bibliothek als modernes Medienzentrum fungieren und zu einem zentralen Ort innerhalb der modernen Schule werden.
Bibliotheken für Chancengleichheit
Im Rahmen des virtuellen Forum Open Education 2020 diskutierte eine Fachgruppe in mehreren Meetings zum Thema »OER und Chancengleichheit«. Die Expertinnen und Experten, die sich in der Fachgruppe zusammengefunden hatten, kamen aus verschiedenen Bereichen von Bildungspolitik und Bildungsforschung bis zu Medienberatung und Bibliothek. Im ersten Meeting fokussierte sich die Diskussion bald auf Schulbibliotheken. Für alle Anwesenden waren Schulbibliotheken als Einrichtungen vorstellbar, die alle Potenziale haben, um die angestrebten Ziele der Chancengleichheit im Bildungsprozess wirkungsvoll unterstützen zu können.
Um soziale Ungleichheiten zu beseitigen, so war sich die Fachgruppe einig, muss auf Anschlussfähigkeit gesetzt und für die Nutzenden müssen möglichst kostenlose Angebote geschaffen werden. Der freie Zugang zu Information und die Verwendung von freien Tools und Open Educational Resources sind insbesondere vor dem Hintergrund des selbstgesteuerten und binnendifferenzierten Lernens ein wichtiges Hilfsmittel. Außerdem kann die gemeinsame Produktion, Nutzung und Verbreitung von Open Educational Resources bestehende Ungleichheitsstrukturen aufbrechen. Einerseits, weil sich die Kosten für Lernende verringern, aber auch, weil die offenen Bildungsmaterialien – angeboten auf dezentralen Plattformen – barrierefrei zugänglich sind.
Die Wahrnehmung der Potenziale der Bibliotheken durch diejenigen in der Gruppe, die selbst nicht in Bibliotheken arbeiten, war sehr positiv und vor allem geprägt durch das öffentlich weithin sichtbare Bild der Stadtbibliotheken. Einer Bibliothek und ihrem Fachpersonal wird hohe Organisationsfähigkeit, Kommunikationsbereitschaft und Kooperationsmotivation zugesprochen. Auch wenn Schulbibliotheken nicht derart öffentlich bekannt sind und hauptsächlich innerhalb der Schule sowie gegebenenfalls der angehörigen Elternschaft als Dritte Orte wirken, wird ihnen eine ähnliche Funktion und Transformationsfähigkeit zugetraut.
Bibliotheken als Moderatorinnen des Wandels
Als Medienzentren und Moderatorinnen des Wandels könnten sie innerhalb der Schule zeitgemäße und gerechte Bildung sichern helfen. »Im Hinblick auf die Chancengleichheit ist vor allem die Beschaffung, Ausleihe und Wartung von Geräten sowie sonstiger IT-Infrastruktur notwendig, aber auch die Weiterbildung von Multiplikator*innen an Schulen, um Open Educational Resources (OER) zu erstellen, speichern, bearbeiten und zu verbreiten«, hielten die Diskutierenden nach weiteren Treffen zum Schluss in ihrem Positionspapier fest.
Das Genannte spiegelt die seit Jahren bekannten offenen Baustellen an Schulen wider. Bis jetzt gibt es keine mustergültigen Konzepte für den Umgang mit mobilen Endgeräten im schulischen Alltag. Traditionelle Weiterbildungsformate für Lehrkräfte versagen in Hinblick auf die notwendige Digitalität des heutigen Schulalltags. In den Gesprächen der Meetings über Bedarfe, reale Situationen und gute Beispiele aus der Praxis wurde deutlich, dass die Schulbibliothek für alle drei Punkte ein Zentrum sein kann.
Bibliotheken als Medienzentren
Die Bundesregierung plant für dieses Jahr die Entwicklung einer nationalen digitalen Bildungsplattform und die Einrichtung von Medien- und Kompetenzzentren[3]. Wie die Politik dieses Vorhaben umsetzen möchte, ist noch unklar.[4] Eines ist jedoch sicher: Wir sollten das Rad nicht neu erfinden.
Da, wo eine Schulbibliothek vorhanden ist, kann sie das von Bildungsfachleuten vorgeschlagene Medienzentrum innerhalb der Schule sein – oder werden. Viele Schulbibliotheken sind bereits auf einem guten Weg dahin, viele weitere können sich transformieren. Die notwendigen Medienzentren wurden von den Expertinnen und Experten dieser Gesprächsrunde als offene Lernorte innerhalb der Schule gesehen. Die moderne Schulbibliothek sei »Aufenthalts-, Arbeits- und Kommunikationsraum für Lernende wie für Lehrende. Sie bietet Platz und Material zum selbstständigen Lernen, für neue kollaborative Unterrichtsformen und für die Freizeit«. Vor allem im Ganztagsschulbetrieb könne hier sowohl innerhalb des Unterrichts als auch in den unterrichtsfreien Zeiten auf vielfältige Weise Partizipation und Selbstständigkeit gelebt und Zugang zu Information mit möglicher Begleitung und Erwerb von Medienkompetenz durch eigenes Handeln gewährleistet werden.
Zum Betrieb einer Schulbibliothek gehören auch die Technik und Routine des Verwaltens und Ausleihens von Medien – nicht nur Büchern, sondern eben auch aller anderer Lehr- und Lernmaterialien wie Kamera, Laptop et cetera. Hier könnte auch die Begleitung der Ausleihe durch inhaltliche und anwendungsbezogene Beratung stattfinden, wobei nicht eine Person alles können müsse. Als Netzwerkerin könne sie aber die Koordinierung und Zusammenarbeit mit weiteren Expertinnen und Experten übernehmen.
Schulbibliotheken könnten »Katalysatoren für Open Educational Ressources« innerhalb der Schule werden, denn »Hauptamtliche Mitarbeiter*innen in Schulbibliotheken wären die idealen Ansprechpartner*innen, um offene Bildungsmaterialien sowohl bei Lehrkräften als auch bei den Lernenden bekannt zu machen.«
Im Detail wäre es vorstellbar, dass eine Fachkraft in der Schulbibliothek »zum Wissensaufbau bei den Lehrkräften beitragen, aktuelle Themen sondieren und bei der Erstellung von OER unterstützen (z. B. in Form von Workshops und Coachings) [... kann]«. Das umfasst unter anderem die:
- Unterstützung der Lernenden durch Beratung zu Fundstellen von OER (zum Beispiel laufend gepflegte Linklisten auf Startseite der Bibliotheksrechner oder des OPAC)
- Redaktionelle Betreuung der in der Schule entstehenden Bildungsmaterialien (zum Beispiel Lizenzcheck)
- Dissemination der in der Schule entstandenen Bildungsmaterialien (zum Beispiel Einspeisen in Repositorien und Lernplattformen)
Es wäre also eine Person als fachliche und soziale Netzwerkerin gefragt, eine Art Wissensmanagerin im »Unternehmen Schule«, die den Dritten Ort Schulbibliothek als modernes Medienzentrum innerhalb der Schule lebendig zu gestalten weiß.
Bibliotheken als Orte der Inklusion
Eine sehr interessante und auch kontroverse Diskussion war die der soziokulturellen Sicht auf die Bibliotheksnutzung: Wie kann erreicht werden, dass alle Schüler/-innen die Schulbibliothek als Medienzentrum für alle sehen? Besteht die Gefahr, dass sie entweder als »Ort für die, die sich selbst keine Technik leisten können« oder aber als »Ort der Bildungsbürgerlichen« gilt und damit Gräben verstärkt?
Hier käme es wesentlich auf das Konzept und die Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit des Personals an. Eine Schulbibliothek funktioniert als Medienzentrum für digitale Technologien nur, wenn sie ins Schul- und Unterrichtskonzept integriert ist, vom Kollegium selbstverständlich genutzt und in die eigene Arbeit einbezogen wird und wirklich immer modernste Technik bereitstellt. Eine Idee der Fachgruppe war es, dass Bibliotheken fest in den Unterricht integriert werden sollten. Nur wenn sie von allen Schüler/-innen gern genutzt werden, können soziale Unterschiede überwunden werden und dem Narrativ, dass nur eine bestimmte Gruppe die Bibliotheken besucht, Abhilfe geleistet werden.
Gemeinsam für mehr Teilhabe und das Lernen in Gemeinschaft
Die erarbeiteten Leitgedanken und die Forderungen an Politik und Verwaltung bilden die Basis für die politische Arbeit und Gespräche des Bündnis Freie Bildung. Die Ergebnisse der Fachgruppe und Handlungsempfehlungen zur Umsetzung der Forderungen in die Realität wurden in einem Papier[5] formuliert.
Die Förderprogramme »Kultur macht stark«, »Schule macht stark« und »Total digital« des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und des Deutschen Bibliotheksverbandes haben bereits gute Ideen, Projekte und Kooperationen von Bibliotheken, Schulen und Einrichtungen der Medienbildung entstehen lassen und unterstützt. Die explizite Einbeziehung der Schulbibliotheken in solche Förderungen kann sehr hilfreich auf dem Weg der Schulbibliotheken hin zu solchen modernen Medienzentren sein.
Die Autorin und der Autor
Jana Haase ist Bibliothekarin in Jugendarbeit und Schule seit 1987 und engagiert sich als Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Schulbibliotheken Berlin Brandenburg im Bündnis Freie Bildung.
Dominik Theis ist Koordinator des Bündnis Freie Bildung und Projektmanager für Bildungspolitik bei Wikimedia Deutschland, setzt sich für die Öffnung von Lehren, Lernen und Bildung sowie die Förderung freien Wissens ein und engagiert sich für einen politischen Wandel mit dem Ziel der zeitgemäßen Bildung in einer offenen, digitalen Gesellschaft.
Jana Haase und Dominik Theis unter Mitarbeit von Anja Lorenz, Charlotte Echterhoff, Gabi Fahrenkrog
[1] https://events.tib.eu/vbib20/
[2] https://events.tib.eu/vbib20/programm/detail/wir-koennen-mehr-wie-bibliotheken-teilhabe-und-das-lernen-in-gemeinschaften-aktiv-foerdern-koennen/ ; https://docs.google.com/presentation/d/1PWZ9E_W_JZlofGpoH0W7mW7k7lgYyHu0clRLq_z0A9A/edit#slide=id.g572e568c0d_2_0
[3] https://www.bmbf.de/de/karliczek-bund-und-laender-bringen-gemeinsam-digitalisierung-der-schulen-voran-12563.html
[4] https://netzpolitik.org/2020/haushalt-2021-zwoelf-millionen-euro-fuer-open-educational-ressources-ein-tropfen-auf-dem-heissen-stein/
[5] https://education.forum-open.de/assets/data/FOE20_Fachgruppe%201_Konzeptpapier.pdf