Eine der diversen demokratie- und dikussionspolitischen Initiativen, die der BIB verstärkt seit letztem Jahr unterstützt bzw. initiiert - sei es beim Tag der offenen Gesellschaft (#tdog19) oder beim Qualifizierungsprogramm von miteinander-reden - ist das Hands-on-Lab zu "Deutschland spricht: Wir möchten, dass Sie schöner streiten!" auf dem Bibliothekskongress in Leipzig gewesen.
"Deutschland spricht" ist eine Initiative, die bereits zum zweiten Mal 2018 stattgefunden hat, an ihr beteiligen sich neben tagesschau.de viele weitere nationale und regionale Medien wie Spiegel, SZ und Zeit. Schirmherr war 2018 Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Intention dieser bundesweiten Aktion, die im September 2018 stattfand, ist es, Menschen mit gegensätzlichen Meinungen zusammenzubringen, damit diese miteinander statt übereinander reden. Direkt, persönlich, zu zweit.
Ein ähnliches Anliegen - Menschen wieder zusammenzubringen und zum Miteinander reden zu bewegen, verfolgt die Chemnitzer Freie Presse mit ihrer Aktion 'Chemnitz diskutiert'. Mandy Fischer, Redakteurin bei der Chemnitzer Freien Presse hat im oben erwähnten Hands-on-Lab die Erfahrungen nach den Unruhen 2018 geschildert, und nun auch in BuB veröffentlicht, wie das von ihrer Zeitung initiierte Debattenformat entstand und welche Lessons learned es daraus zu ziehen gilt.
[caption id="attachment_13233" align="alignnone" width="204"] Beispielhaftes Diskussionsergebnis des Worldcafés auf dem #dbt19[/caption]
(Öffentliche) Bibliotheken sind einerseits ein neutraler Ort, andererseits haben sie die politische Aufgabe, die Debattenkultur zu fördern, Demokratiekompetenz zu vermitteln und sehen sich in hohem Maße als oftmals einzige nicht-kommerzielle öffentliche und sog. Dritte Orte in einer Kommune verpflichtet, für eine offene und pluralistische Gesellschaft aktiv einzutreten.
Das Hands-on-Lab 'Deutschland spricht' ging dieser Intention nach. Fast 30 Teilnehmer/innen diskutierten in 90 Minuten unter den selbstgewählten Motti „Stadtgesellchaft (zurück?) erobern“, „gefährliche Begegnungen“ und „der Andere könnte recht haben“ über Möglichkeiten, hier eigene Formate umzusetzen.
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GLÜCKWUNSCH!
Lokaljournalistenpreis der Konrad-Adenauer Stiftung für "Chemnitz diskutiert!"
BuB und BIB gratulieren herzlichst. Wir freuen uns, das unsere Workshoppartnerin und ihre Redaktion - sprich die "Freie Presse Chemnitz" - für das Leserdebatten-Format "Chemnitz diskutiert" mit dem Deutschen Lokaljournalistenpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung ausgezeichnet worden. Wie die Kolleg*innen selbst schreiben "griff die Diskussionsreihe die Ereignisse nach dem Tod von Daniel H. auf, der am Rande des Stadtfests am 26. August 2018 in der Chemnitzer Innenstadt erstochen worden war. Das Dialog-Format sowie ein großes Leserforum mit Bundeskanzlerin Angela Merkel machte den Menschen laut Jury ein Angebot zu einem offenen, kontroversen und respektvollen Austausch."
Wir freuen uns auf eine weitere Zusammenarbeit - Mandy Fischer berichtet über Chemnitz spricht im aktuellen BuB, wir haben das auch online gestellt. Und wir werden im Kontext von "Miteinander reden" sicher weiter miteinander kooperieren.
Wir freuen uns!
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Ein Summary der andiskutierten Stichworte folgt wie versprochen begleitend zu dem Artikel Mandy Fischers. Das ganze - so die Ergebnisse des WorldCafés - ist als eine Art Bausteinprinzip zu verstehen, nicht alle Antworten sind bei allen Formaten anzuwenden, letztendlich ist es eine Kombination aus vielen Aspekten: Welche Räume habe ich, mit wie vielen Menschen rechne ich, wie diskursiv und wie interaktiv möchte ich das Format gestalten?
Die beantworteten Fragen sollen Anregungen geben - sie streben keine Vollständigkeit an, sondern sind das Ergebnis von spannend-lustigen Diskussionsrunden, die auf die Gegebenheiten vor Ort heruntergebrochen werden müssen.
Frage 1:
Wie kann ich unterschiedliche Meinungen an den Tisch setzen, wen spreche ich da an?
Ziel: repräsentativen Querschnitt der Stadtgesellschaft erreichen (wie sieht der aus, welche Daten bekomme ich von meinem Statistischen Amt?)
Player, über die eingeladen werden kann: VHS, Parteien, Freundeskreis, Studierende, Kirchen & Religionsgemeinschaften, Verbände/Vereine, Geflüchteten- und Migranteninitiativen, Nutzer/innen/Kund/innen
Begleitende Maßnahmen: Social-Media-Kommunikation, Ausstellung über thematisch passende Themen, Flyer mit Einladungen, Medienpräsentationen in der Bibliothek=> viele Kanäle wählen, allgemeine und zielgruppenspezifische
Mitarbeiter integrieren... über frühzeitige Information und über Schulungen (hier ist der BIB in der Pflicht), aber auch Mitarbeiter/innen motivieren, ihre eigenen Netzwerke und privaten Kontakte einzubringen und selber aktiv mitzumachen
Niedrigschwellige, einladende Formate offerieren und in entsprechender Sprache werben
Frage 2:
Welche Inhalte und Themen kann ich setzen?
Themen, die zur Ausrichtung der Bibliothek passen (nicht unumstritten)
Lokale (Streit-)Themen
#fridaysforfuture; Zertifikat ‚sichere Orte für Kinder/Zufluchtsorte=> in wieweit ist die Bibliothek ein neutraler Ort für politische Themen?=> wie kann ich als Bibliothek (strittige) Themen plausibel setzen=> darf ich alle Themen setzen und wenn ja, wie (was ist Neutralität im Dissens?)
Ziele, die ich erreichen will, klar formulieren=> zuhören lernen=> verschiedene Standpunkte akzeptieren (das ist eine 9 – das ist eine 6 => beide könnten recht haben!=> nicht (auch nicht in eigener Sache) missionieren=> vielleicht voneinander lernen
Globale Themen wie Umwelt, Verkehr, Europa...
Frage 3:
Welche Partner beziehe ich in die Planung ein?
Parteien und religiöse Verbände => nicht unumstritten
Vereine, Verbände, Autor/innen, Community-Vertretungen, Meinungsbildner, Multiplikator/innen, Schulen, Partnerstädte, Gemeinderat, Verwaltung, Jugendsprecher/innen/Jugendrat ; Seniorenbeirat, Ausländerbeirat, IHK, HKK City-Verbände, lokale Wirtschaft/Betriebe....
Ggf. für finanziell-ideelle Unterstützung: Stiftungen, Sponsoren (Rotarier etc.) Förderprogramme, BPB, LPB, (lokale) Presse/Medien/Funk & Fernsehen
Frage 4
Welche Formate mache ich?
Deutschland spricht/Chemnitz diskutiert
Improtheater | offene Bühne, ggf. mit Slam-Charakter
Offene Bühnen immer zulassen; kontinuierlicher inszenierter OpenSpace (Bsp. aus Finnland: Kund/innen als Veranstalter/innen) | Kontrolle abgeben
PodCast & Youtbe
Living Books/Lebendige Bücher
Werkstattgespräche
Debattierclub (https://cologne-toastmasters.de)
Speaddating
HateSlam
Impulsvortrag mit Diskussion
RiffReporter klären auf
Fishbowl
Mit VHS Workshops zu ‚gewaltfreier Kommunikation’
WUNSCH:
- Fortbildungen/Workshops zu den Formaten und zum Umgang mit hier schwierigen Mitspieler/innen
- Erklärvideos zu unterschiedlichen Formaten
Frage 6
Welche Spielregeln gebe ich vor (oder: Welche Spielregeln handle ich aus)?
Unkommentiertes, zeitlich beschränktes Anfangsstatement von jedem am Tisch/im Raum als ’Eisbrecher’
Blitzlichtrunden ohne Kommentar
Gruppengröße (max. und min. definieren)
Zuhören
Nicht unterbrechen
Rote Karten einführen
Frage: Wo sind die Grenzen?
wertschätzend/respektvoll <===========================> rassistisch /diskriminierend
- keine pesönlichen Angriffe
- keine ‚political Correctness’ einfordern
- was ist ‚gute/angemessene’ Sprache?
- keine Verurteilung bei Pauschalisierungen und unkorrektem Wording
Zwei Minuten für alle ohne Unterbrechung (liegt aber auch am Format und an der Gruppengröße)
Frühwarnsystem implementieren
Grundsätzlicher & gegenseitiger Respekt
Moderator/innen regulieren
Faktencheck integrieren
‚Denkumgebung’ als Diskussionstechnik nehmen (ähnlich wie aktives Zuhören)
Rund um den #tdog19 wurden bereits erste Formate zu Aktionskarten von Studierenden der TH Köln zum Download und Nachmachen erarbeitet:
[caption id="attachment_13213" align="alignnone" width="300"] 13 Aktionsformate zum Download unter TDOG_Karten_20190524, erarbeitet von Studierenden der TH Köln[/caption]
Sie haben andere Ideen und eigene Erfahrungen gemacht? Schreiben Sie uns - wir würden uns sehr freuen, von Ihnen zu hören!
Tom Becker, BIB Bundesvorstand | 14. Juni 2019