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Themen-Dossiers

Lokalsysteme in der Cloud

Bibliothekssoftware für das Management interner Geschäftsabläufe hat bereits in den vergangenen 20 Jahren durch die Einführung integrierter Geschäftsgänge zu signifikanten Veränderungen in den internen Strukturen der Bibliotheken geführt. Nun steht eine neue Generation von Bibliotheksmanagementsoftware vor der Markteinführung. Diese zeichnet sich durch eine neue technische Architektur auf der Basis von Cloud Computing, medientypunabhängige standardisierte Arbeitsabläufe und neue Nutzungsmodelle aus. Ein kurze Zusammenfassung des aktuellen Angebots und eine Diskussion der wesentlichen Fragestellungen zu den Themen Datenhaltung, Datenschutz und Datensicherheit sowie der Sicherung der dauerhaften Zugänglichkeit von Daten und Systemen sollen hier einen Überblick über den Status Quo bieten.

Die meisten Bibliotheken in Deutschland setzen heute zum Management ihrer internen Geschäftsabläufe ein »integriertes« oder »lokales« Bibliothekssystem ein. Diese Systeme sind zumeist zwischen 5 und 20 Jahre alt, auf die Verwaltung gedruckter Bestände optimiert und technisch häufig veraltet. Es ist absehbar, dass sich in diesem Bereich in den nächsten Jahren ein Wandel vollziehen wird. Kommerzielle Software-Anbieter wie auch Open-Source-Projekte bieten hier bereits einen Ausblick, in welche Richtung sich das Angebot zukünftig bewegen wird.

Zentraler Schwerpunkt ist dabei die Auslagerung des Angebots in die sogenannte »Cloud«. Deutlich wird jedoch, dass die verschiedenen Parteien, wie Bibliotheken, Softwareanbieter und Verbünde, bezogen auf den Begriff »Cloud Computing« häufig recht unterschiedliche Interessen und Vorstellungen hinsichtlich der Ausgestaltung und der Auswirkungen haben. Daher soll hier zu Beginn zunächst ein kurzer Überblick zur Präzisierung der Begrifflichkeiten gegeben werden.

Cloud Computing

Aus technischer Sicht versteht sich »Cloud Computing« als eine dynamische, am aktuellen Bedarf orientierte Bereitstellung von IT-Dienstleistungen. Diese werden innerhalb einer virtualisierten Infrastruktur bereitgestellt und über eine Netzverbindung zugänglich gemacht. Virtualisierung bedeutet in diesem Zusammenhang die Entkopplung von Diensten und Hardware. Als Beispiel hierfür ist der Betrieb virtueller Server auf einer physikalischen Instanz mittels VMware[1] zu nennen.[2]

Die eigentlichen Dienstleistungen, »Services« genannt, unterscheiden sich dabei in verschiedene Klassen. Üblicherweise werden diese mit XaaS (»X« as a Service) bezeichnet.

  • Infrastructure-as-a-service (IaaS): In diesem Modell mietet der Anwender Rechnerleistung, Speicherplatz und Netzwerke vom Anbieter auf virtuellen Servern. Die Hardware steht dabei in verteilten Serverparks. Ein Beispiel für IaaS ist die Anmietung von virtuellen Servern im Netz durch einen Software-Anbieter, der in dieser Umgebung wiederum eigene Cloud Services realisiert. Weitere Beispiele sind Amazon EC2, Hosting von Lokalsystemen (LBS-Host der Verbundzentrale des Gemeinsamen Bibliotheksverbunds (VZG), Sunrise-Host des Bibliotheksverbundes Bayern (BVB)).
  • Software-as-a-service (SaaS): Dieser Service ist vielleicht im Bibliothekswesen schon am weitesten verbreitet. Hier wird vom Anbieter die Software im Netz zur Verfügung gestellt. Der Anwender greift über Webservices auf die Anwendung zu. Die Datenhaltung erfolgt beim Anbieter. Als Beispiele sind die zukünftigen BMS-Installationsangebote WMS von OCLC, Alma von ExLibris und Kuali OLE zu nennen.
  • Platform-as-a-service (PaaS): Dieser Service stellt eine vorkonfigurierte Entwicklungsumgebung im Netz bereit. Eigene Software kann auf der Plattform erstellt und ausgeführt werden. Hier sind die Plattformangebote von OCLC und Ex Libris Beispiele für PaaS. In einer vorkonfigurierten Umgebung sollen innerhalb der Anwendergemeinschaft weitere Services und Funktionalitäten entwickelt und zur Nutzung bereitgestellt werden.

Aus organisatorischer Sicht unterscheidet man nach dem Nutzerkreis der Cloud:

  • Private Cloud: Anbieter und Nutzer arbeiten in einem geschlossenen Vertragsverhältnis. Diese Form des Angebots wird üblicherweise als Auftragsdatenverarbeitung bezeichnet.
  • Community Cloud: Eine geschlossene Gruppe von Anwendern arbeitet mit einem Anbieter zusammen.
  • Public Cloud: Das Cloud-Angebot richtet sich an anonyme Anwender.

Die Idee des Cloud Computing ist, auch wenn die Darstellung unter Marketinggesichtspunkten dies nahelegt, keine neue Idee, sondern greift seit Längerem bestehende Entwicklungen auf und ergänzt sie um aktuelle technischen Möglichkeiten. Mit Bezug auf Bibliothekssysteme kann der Begriff »cloudbasiertes Bibliothekssystem« auch definiert werden als »vollständig mandantenfähiges, zentral betriebenes System mit browserbasiertem Nutzer- und Administrationszugang«. Diese Definition ähnelt zum Beispiel verblüffend dem seit langer Zeit angebotenem Konzept der Datev[3].

Die zukünftigen Systeme, wie zum Beispiel OCLC WorldShare Management System (WMS) und Ex Libris Alma, ersetzen die Anwendungssoftware vollständig durch browserbasierte Zugänge (SaaS) und ergänzen die reine Bereitstellung der Software um die Möglichkeit der Entwicklung eigener Anwendungen (OCLC WorldShare Platform, Ex Libris Open Platform El Commons) (PaaS).

Aber welche Vor- beziehungsweise Nachteile bringt die Verlagerung von Daten, Software und Anwendung in die Cloud mit sich?

Zunächst zu den Vorteilen:

  • Es wird vor Ort keine eigene IT-Infrastruktur mehr benötigt.
  • Die Anwendung ist immer und überall verfügbar.
  • Der Cloud-Anbieter reagiert auf unterschiedliche Anforderungen mit Skalierbarkeit und Flexibilität.
  • Software- und Hardware werden vom Anbieter gewartet und immer auf dem aktuellen Stand vorgehalten (automatische Anpassung an den technischen Fortschritt).
  • Die Abrechnung erfolgt auf Nutzungsbasis anstelle von Lizenzierung.

Allerdings gibt es auch schwerwiegende Einwände, die beachtet werden sollten:

  • Die Integration mit bestehenden Anwendungen (unter anderem Universität, Verbünde, nationale Einrichtungen) ist problematisch. Cloud-Anwendungen sind zwar grundsätzlich modular und offen, oft jedoch nicht »von Cloud zu Cloud«.
  • Aufgrund der internationalen Ausrichtung der globalen Anwendergemeinschaft bleiben der einzelnen Bibliothek nur geringe Einflussmöglichkeiten.
  • Rechtliche Risiken, zum Beispiel in den Bereichen Datenschutz und Datensicherheit, müssen vertraglich tatsächlich abzusichern sein. Das dafür notwendige juristische Know-how wäre erst aufzubauen.
  • Die Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit des Cloud-Anbieters ist in diesem Kontext essenziell.
  • De facto besteht mit dem Software-Einsatz eine absolute Abhängigkeit vom Cloud-Anbieter.

Auch wenn oben genannte Punkte prinzipiell für jede Cloud-Anwendung gelten, müssen sie sorgfältig in dem speziellen Rahmen als Service für Bibliotheken mit ihrem besonderen öffentlichen Auftrag geprüft werden. Gerade der letzte Punkt kann bei Unstimmigkeiten zwischen Cloud-Nutzer und -Anbieter zur existenziellen Bedrohung des Anwenders führen, da der Anbieter unabhängig von vertraglichen Regelungen den physischen Zugang zu kritischen Anwendungen jederzeit sperren kann. Bibliotheksschließungen über einen längeren Zeitraum oder sogar Datenverluste können die Folge sein. Ebenso können die mangelnden Einflussmöglichkeiten der Anwender auf die Ausgestaltung von Funktionalität und Serviceumfang der Software wiederum weitreichende Folgen für deren eigene Funktionsfähigkeit und die Ausgestaltung ihrer Dienstleistungen haben.

Bibliotheken und Cloud

Die Erfahrungen mit der Entwicklung von LBS4 als Nachfolge von LBS3 veranlassten die Gremien des Gemeinsamen Bibliotheksverbunds (GBV), die Entwicklung eines Konzeptes für die Zukunft der lokalen Bibliothekssysteme in die »Strategischen Planungen des GBV 2011 – 2015« aufzunehmen. Verstärkt wurde die Notwendigkeit einer solchen Konzeptentwicklung durch die Ankündigung von cloudbasierten Lokalsystemen durch OCLC und Exlibris. Zur Vorbereitung veranstaltete der Fachbeirat des GBV zusammen mit der VZG am 26./27. März 2012 in Göttingen einen Workshop zum Thema »Zukunft der Lokalsysteme«. Um eine möglichst kreative und konstruktive Arbeitsatmosphäre zu gewährleisten, wurde eine Gruppe von 50 Experten im Bereich lokaler Bibliothekssysteme sowie mit dem Thema vertraute Entscheider aus dem GBV und anderen Verbünden eingeladen.

Der erste Tag des Workshops diente zunächst der Informationsvermittlung und dem gegenseitigen Informationsaustausch. Nach der Begrüßung durch den Direktor der Verbundzentrale, Reiner Diedrichs, und der Vorstellung des Moderators, Andreas Degkwitz, Direktor der Universitätsbibliothek der Humboldt Universität zu Berlin, führte ein kurzer Überblicksvortrag von Kirstin Kemner-Heek (VZG) in die Thematik ein. Danach folgten die Präsentationen[4] der Anbieter aktueller und zukünftig relevanter Bibliothekssysteme, die Firmen aStec, Ex Libris, OCLC sowie die Kuali Foundation.

Die Angebote lassen sich untergliedern in drei kommerzielle und ein Open-Source-System. Dabei repräsentierte »aDIS/BMS« der Firma aStec ein kommerzielles System, welches aus dem bestehenden Produkt heraus auf kontinuierliche Weiterentwicklung in enger Abstimmung mit den Bibliotheken setzt. Obwohl das System auch als gehosteter Service mit voller Mandantenfähigkeit eingesetzt werden kann, hat man sich hier bewusst gegen eine cloudbasierte Lösung entschieden. Der Entwicklungsschwerpunkt liegt auf der umfassenden Unterstützung interner Geschäftsgänge und auf der optimierten und vielfältig ausgestalteten Anbindung des Systems an die bestehende Verbundlandschaft.

Im Gegensatz dazu handelt es sich bei den ebenfalls kommerziellen Systemen der Firma Ex Libris mit »Alma« und OCLC mit »Worldshare Management System (WMS)« um reine Cloudsysteme, welche von Grund auf neu entwickelt werden. Der Schwerpunkt liegt auf der medientypunabhängigen, standardisierten Unterstützung sämtlicher Geschäftsgänge. Beide Systeme bieten darüber hinaus eine Entwicklerplattform für die funktionale Weiterentwicklung des Systems durch seine Anwender (PaaS). Alma verfügt zudem über umfangreiche Auswertungswerkzeuge für Überwachung und Management interner Abläufe.

Die Datenhaltung beziehungsweise das Datenmanagement erfolgt beim Einsatz von WMS cloudbasiert in Anbindung an den OCLC-eigenen Datenpool »WorldCat« und eine separat gehaltene Knowledge Base für elektronische Ressourcen. Die Einbindung der bestehenden Verbundstrukturen in ein neues Datenhaltungskonzept ist geplant. Dagegen hält Ex Libris die Daten in einer gemeinsamen, Ex Libris-eigenen virtuellen Infrastruktur, der sogenannten »Community Zone« vor, die zukünftig auch die herkömmlichen Services einer Verbundzentrale abdecken kann.

Der technische Betrieb und die Datenhaltung erfolgen im Auftrag von Ex Libris durch einen kommerziellen IT-Dienstleister mit Standort in Amsterdam. OCLC betreibt das System in eigenen Rechenzentren in den USA, Australien und Europa. Weiter sind regionale Betriebszentren bei OCLC-Partnern wie dem BVB oder dem GBV vorgesehen.

Dagegen wird »Kuali Open Library Environment (OLE)« unter dem Dach der Kuali Foundation[5] als ein Modul der »Kuali Open Source Administrative Software for Education« entwickelt. Zu diesem Zweck haben sich amerikanische Universitäten zu einer wachsenden Entwicklungsgemeinschaft zusammengeschlossen. Seit Juni 2012 gehören auch die Villanova University Library und seit November 2012 als erster Partner in Europa das Bloomsbury Library Management System Consortium in London dazu.

Die Architektur des OLE lässt sowohl den lokalen als auch den cloudbasierten Betrieb zu. Eine Nutzung als SaaS-Angebot wird angestrebt. Funktional umfasst OLE die vollständige Funktionalität zum Management medientypunabhängiger interner Geschäftsgänge. Neben der eigentlichen Entwicklung von OLE wird der Aufbau einer eng damit verknüpften Knowledge Base »GOKb«[6] zur Verwaltung elektronischer Ressourcen in Zusammenarbeit mit dem britischen KB+-Projekt der JISC vorangetrieben. Das Katalogdatenmanagement kann sowohl lokal als auch über ein Verbundsystem erfolgen.

Den Abschluss des ersten Tages bildete eine Podiumsdiskussion aller Anbieter unter Einbeziehung von Teilnehmerfragen. Dabei gelang es, trotz vieler Gemeinsamkeiten in der technischen Architektur auch die Unterschiede in den Konzepten und Zielsetzungen der verschiedenen Systeme deutlich herauszuarbeiten. Am zweiten Tag wurden die vorgestellten Präsentationen in drei Arbeitsgruppen unter den Gesichtspunkten »Geschäftsgänge/Anwendungen«, »Datenhaltung/Datenmodelle/Verbundstruktur« und »technische Architektur/Betriebsmodelle« analysiert und diskutiert. Ziel war, die Auswirkungen der unterschiedlichen Strategien auf Bibliotheken und Verbünde zu klären und die Interessen und Bedingungen der Bibliotheken gegenüber den Anbietern zu formulieren. Die im Folgenden erläuterten Ergebnisse bilden die Grundlage für Empfehlungen zum weiteren Vorgehen.

Besonders hervorgehoben wurde das Problem der absoluten Abhängigkeit von einem Anbieter bei Einsatz eines kommerziellen cloudbasierten Systems. Die Sicherung der Datenhoheit durch geeignete Maßnahmen, zum Beispiel durch den Aufbau einer bibliothekarischen, nicht-kommerziellen Cloud und die Vorhaltung der Geschäftsgangsdaten bei den Bibliotheken, muss sichergestellt werden. Die Stärkung der Verhandlungsposition der Bibliotheken gegenüber den kommerziellen Anbietern und eine Kommunikation »auf Augenhöhe« soll, zum Beispiel durch den Betrieb regionaler oder nationaler Cloud-Knoten und durch Übernahme von Entwicklungsaufgaben durch Bibliotheken und Verbünde, erreicht werden. Ergänzend ist eine Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Verbünden und Bibliotheken sowie eine stärkere Beteiligung in internationalen Organisationen und Gremien notwendig.

Kritisch hinterfragt wurden die Aussagen von ExLibris und OCLC nach nicht näher differenzierter »Standardfunktionalität« beziehungsweise »schlanker« Funktionalität. Es wurde befürchtet, dass es zu einem Abbau der funktionalen Differenzierung der aktuellen Systeme und zu einer Verlagerung von Entwicklungsaufgaben auf die Anwender kommt (App-Programmierung). Unklar blieben die Strategien von Ex Libris und OCLC zur Integration bestehender regionaler und nationaler Services, wie zum Beispiel der GND, ZDB oder EZB. Ebenfalls unklar blieb die Frage des bisher arbeitsteilig organisierten Metadatenmanagements, das heißt Sicherung der Datenqualität, kooperative Sacherschließung, Catalogue Enrichment und so weiter. Immerhin wird von OCLC akzeptiert, dass es diese gibt und sie einbezogen werden müssen, während diese bei Ex Libris als externe Quellen außerhalb der Community Zone angesiedelt sind und ihre künftige Rolle hier unklar bleibt.

Als wesentlicher funktionaler Aspekt wird das Angebot aller Anbieter im Bereich des Managements elektronischer Ressourcen gesehen. Auf diese Erweiterungen wird dringend gewartet. Eine faktenbasierte Beurteilung der Systeme wurde kritisch gesehen, da keine konkreten finanziellen Nutzungsangebote vorlagen und die Evaluation von Produktivsystemen hinsichtlich Betriebsmodell, Schnittstellen zu externen Systemen, Funktionalität und so weiter bisher nicht möglich war.

Unter den Gesichtspunkten der Unabhängigkeitswahrung, der Sicherung von Datenhoheit und eigenem Know-how sowie unter dem Eindruck, dass zukünftig in allen Systemen erhebliches Eigenengagement bei der Entwicklung benötigter Funktionalität notwendig sein wird, wurde die Prüfung von Kuali OLE als Open-Source-Ansatz nachdrücklich empfohlen. Aus den Arbeitsergebnissen des Workshops folgten weitere Schritte. So sollen in Zusammenarbeit der Facharbeitsgruppe lokale Geschäftsgänge (FAG) mit der VZG Bedingungen für einen möglichen Einsatz der vorgestellten Bibliotheksmanagementsysteme formuliert und die eigenen Arbeitsabläufe in den Bibliotheken analysiert werden. Ziel ist hier die Erarbeitung von standardisierten Ergebnissen, die eine faktenbezogene und vergleichende Analyse der zukünftigen Systeme ermöglicht.

Unterstützend wurde eine verbundübergreifende Arbeitsgruppe zur Prüfung von Open-Source-Lösungen gegründet. Daneben vereinbarten VZG und hbz in einer Kooperation die Evaluation von Kuali OLE. Im GBV wird man sich eingehend mit WMS von OCLC auseinandersetzen, da dieses System gemäß dem Partnervertrag mit OCLC das Nachfolgesystem von LBS3/4 ist.

Fazit

Die Nutzung zukünftiger Bibliothekssysteme auf der Basis von Cloud-Technologie ist die konsequente Weiterentwicklung bestehender Ansätze (Hosting, Virtualisierung, Mandantenfähigkeit). Wesentlich wird hierbei sein, wie die Bibliotheken die Ausgestaltung der Cloud-Umgebung beeinflussen und in ihrem Interesse gestalten können. Problematisch ist dabei die Organisation der Cloud (»before you get in: how to get out«[7]) hinsichtlich Datenschutz, Datensicherheit, Verfügbarkeit und Abhängigkeiten, der Stabilität der Strukturen und der Berücksichtigung von (sehr) langen Übergangsphasen und der Koexistenz mit bestehenden Strukturen.

Die kommenden Anwendungsszenarien auf Basis der neuen Technologien sind noch von unterschiedlichen Erwartungen und Interessen der Bibliotheken, Bibliotheksverbünde und Software-Anbieter geprägt. Angesichts dieser Unsicherheiten ist es für die Entwicklung der Informationsinfrastrukturen notwendig, bibliothekssystembezogenes Know-how auch weiterhin in den Bibliotheken und Verbünden auf dem aktuellen Stand der Entwicklungen vorzuhalten. Ein Faktor kann dabei die intensive Beschäftigung mit Open-Source-Initiativen sein, um realistische Alternativen zu von wenigen kommerziellen Anbietern geprägten Szenarien zu gewährleisten.

 

Reiner Diedrichs studierte von 1979 bis 1984 Betriebswirtschaft an der Universität Göttingen (Abschluss Diplom-Kaufmann). Zwischen 1984 und 1989 arbeitete er dort als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl mathematische Verfahrensforschung und Datenverarbeitung in den Wirtschaftswissenschaften. In den Jahren 1990 bis 1995 war er Leiter der Anwendungsentwicklung im Bibliotheksrechenzentrum für Niedersachsen (BRZN). Seit April 1995 ist Diedrichs Direktor der Verbundzentrale des GBV.

 

Kirstin Kemner-Heek, Jahrgang 1970, studierte von 1989 bis 1993 an der FH Hannover Bibliothekswesen und arbeitete danach sechs Jahre als Diplom-Bibliothekarin an der UB Marburg. Seit Ende 1999 hat sie die Tätigkeit als Systemadministratorin in der Verbundzentrale des GBV, Abteilung Lokale Bibliothekssysteme, in Göttingen inne. Von 2009 bis 2011 absolvierte Kemner-Heek das berufsbegleitende Studium der Bibliotheks- und Informationswissenschaften an der FH Köln mit Abschluss MA LIS.

 


 

[1] Siehe: www.vmware.com/de/  (zuletzt abgerufen am: 8. November 2012)

[2] Siehe auch de.wikipedia.org/wiki/Virtualisierung_(Informatik)

[3] www.datev.de/portal/ShowPage.do?pid=dpi&nid=302 

[4] Die vollständigen Präsentationen der Anbieter können eingesehen werden unter: www.gbv.de/Termine/2012/gbv-workshop-die-zukunft-der-lokalen-bibliothekssysteme 

[5] Siehe: http://kuali.org/ 

[6] Siehe: http://gokb.org/  und www.jisc-collections.ac.uk/KnowledgeBasePlus/ 

[7] Quelle: Van den Berg, M: Cloud Computing for Libraries, vom 15. April 2012, Folie 17

 






Themen-Dossiers

Lokalsysteme in der Cloud

Bibliothekssoftware für das Management interner Geschäftsabläufe hat bereits in den vergangenen 20 Jahren durch die Einführung integrierter Geschäftsgänge zu signifikanten Veränderungen in den internen Strukturen der Bibliotheken geführt. Nun steht eine neue Generation von Bibliotheksmanagementsoftware vor der Markteinführung. Diese zeichnet sich durch eine neue technische Architektur auf der Basis von Cloud Computing, medientypunabhängige standardisierte Arbeitsabläufe und neue Nutzungsmodelle aus. Ein kurze Zusammenfassung des aktuellen Angebots und eine Diskussion der wesentlichen Fragestellungen zu den Themen Datenhaltung, Datenschutz und Datensicherheit sowie der Sicherung der dauerhaften Zugänglichkeit von Daten und Systemen sollen hier einen Überblick über den Status Quo bieten.

Die meisten Bibliotheken in Deutschland setzen heute zum Management ihrer internen Geschäftsabläufe ein »integriertes« oder »lokales« Bibliothekssystem ein. Diese Systeme sind zumeist zwischen 5 und 20 Jahre alt, auf die Verwaltung gedruckter Bestände optimiert und technisch häufig veraltet. Es ist absehbar, dass sich in diesem Bereich in den nächsten Jahren ein Wandel vollziehen wird. Kommerzielle Software-Anbieter wie auch Open-Source-Projekte bieten hier bereits einen Ausblick, in welche Richtung sich das Angebot zukünftig bewegen wird.

Zentraler Schwerpunkt ist dabei die Auslagerung des Angebots in die sogenannte »Cloud«. Deutlich wird jedoch, dass die verschiedenen Parteien, wie Bibliotheken, Softwareanbieter und Verbünde, bezogen auf den Begriff »Cloud Computing« häufig recht unterschiedliche Interessen und Vorstellungen hinsichtlich der Ausgestaltung und der Auswirkungen haben. Daher soll hier zu Beginn zunächst ein kurzer Überblick zur Präzisierung der Begrifflichkeiten gegeben werden.

Cloud Computing

Aus technischer Sicht versteht sich »Cloud Computing« als eine dynamische, am aktuellen Bedarf orientierte Bereitstellung von IT-Dienstleistungen. Diese werden innerhalb einer virtualisierten Infrastruktur bereitgestellt und über eine Netzverbindung zugänglich gemacht. Virtualisierung bedeutet in diesem Zusammenhang die Entkopplung von Diensten und Hardware. Als Beispiel hierfür ist der Betrieb virtueller Server auf einer physikalischen Instanz mittels VMware[1] zu nennen.[2]

Die eigentlichen Dienstleistungen, »Services« genannt, unterscheiden sich dabei in verschiedene Klassen. Üblicherweise werden diese mit XaaS (»X« as a Service) bezeichnet.

  • Infrastructure-as-a-service (IaaS): In diesem Modell mietet der Anwender Rechnerleistung, Speicherplatz und Netzwerke vom Anbieter auf virtuellen Servern. Die Hardware steht dabei in verteilten Serverparks. Ein Beispiel für IaaS ist die Anmietung von virtuellen Servern im Netz durch einen Software-Anbieter, der in dieser Umgebung wiederum eigene Cloud Services realisiert. Weitere Beispiele sind Amazon EC2, Hosting von Lokalsystemen (LBS-Host der Verbundzentrale des Gemeinsamen Bibliotheksverbunds (VZG), Sunrise-Host des Bibliotheksverbundes Bayern (BVB)).
  • Software-as-a-service (SaaS): Dieser Service ist vielleicht im Bibliothekswesen schon am weitesten verbreitet. Hier wird vom Anbieter die Software im Netz zur Verfügung gestellt. Der Anwender greift über Webservices auf die Anwendung zu. Die Datenhaltung erfolgt beim Anbieter. Als Beispiele sind die zukünftigen BMS-Installationsangebote WMS von OCLC, Alma von ExLibris und Kuali OLE zu nennen.
  • Platform-as-a-service (PaaS): Dieser Service stellt eine vorkonfigurierte Entwicklungsumgebung im Netz bereit. Eigene Software kann auf der Plattform erstellt und ausgeführt werden. Hier sind die Plattformangebote von OCLC und Ex Libris Beispiele für PaaS. In einer vorkonfigurierten Umgebung sollen innerhalb der Anwendergemeinschaft weitere Services und Funktionalitäten entwickelt und zur Nutzung bereitgestellt werden.

Aus organisatorischer Sicht unterscheidet man nach dem Nutzerkreis der Cloud:

  • Private Cloud: Anbieter und Nutzer arbeiten in einem geschlossenen Vertragsverhältnis. Diese Form des Angebots wird üblicherweise als Auftragsdatenverarbeitung bezeichnet.
  • Community Cloud: Eine geschlossene Gruppe von Anwendern arbeitet mit einem Anbieter zusammen.
  • Public Cloud: Das Cloud-Angebot richtet sich an anonyme Anwender.

Die Idee des Cloud Computing ist, auch wenn die Darstellung unter Marketinggesichtspunkten dies nahelegt, keine neue Idee, sondern greift seit Längerem bestehende Entwicklungen auf und ergänzt sie um aktuelle technischen Möglichkeiten. Mit Bezug auf Bibliothekssysteme kann der Begriff »cloudbasiertes Bibliothekssystem« auch definiert werden als »vollständig mandantenfähiges, zentral betriebenes System mit browserbasiertem Nutzer- und Administrationszugang«. Diese Definition ähnelt zum Beispiel verblüffend dem seit langer Zeit angebotenem Konzept der Datev[3].

Die zukünftigen Systeme, wie zum Beispiel OCLC WorldShare Management System (WMS) und Ex Libris Alma, ersetzen die Anwendungssoftware vollständig durch browserbasierte Zugänge (SaaS) und ergänzen die reine Bereitstellung der Software um die Möglichkeit der Entwicklung eigener Anwendungen (OCLC WorldShare Platform, Ex Libris Open Platform El Commons) (PaaS).

Aber welche Vor- beziehungsweise Nachteile bringt die Verlagerung von Daten, Software und Anwendung in die Cloud mit sich?

Zunächst zu den Vorteilen:

  • Es wird vor Ort keine eigene IT-Infrastruktur mehr benötigt.
  • Die Anwendung ist immer und überall verfügbar.
  • Der Cloud-Anbieter reagiert auf unterschiedliche Anforderungen mit Skalierbarkeit und Flexibilität.
  • Software- und Hardware werden vom Anbieter gewartet und immer auf dem aktuellen Stand vorgehalten (automatische Anpassung an den technischen Fortschritt).
  • Die Abrechnung erfolgt auf Nutzungsbasis anstelle von Lizenzierung.

Allerdings gibt es auch schwerwiegende Einwände, die beachtet werden sollten:

  • Die Integration mit bestehenden Anwendungen (unter anderem Universität, Verbünde, nationale Einrichtungen) ist problematisch. Cloud-Anwendungen sind zwar grundsätzlich modular und offen, oft jedoch nicht »von Cloud zu Cloud«.
  • Aufgrund der internationalen Ausrichtung der globalen Anwendergemeinschaft bleiben der einzelnen Bibliothek nur geringe Einflussmöglichkeiten.
  • Rechtliche Risiken, zum Beispiel in den Bereichen Datenschutz und Datensicherheit, müssen vertraglich tatsächlich abzusichern sein. Das dafür notwendige juristische Know-how wäre erst aufzubauen.
  • Die Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit des Cloud-Anbieters ist in diesem Kontext essenziell.
  • De facto besteht mit dem Software-Einsatz eine absolute Abhängigkeit vom Cloud-Anbieter.

Auch wenn oben genannte Punkte prinzipiell für jede Cloud-Anwendung gelten, müssen sie sorgfältig in dem speziellen Rahmen als Service für Bibliotheken mit ihrem besonderen öffentlichen Auftrag geprüft werden. Gerade der letzte Punkt kann bei Unstimmigkeiten zwischen Cloud-Nutzer und -Anbieter zur existenziellen Bedrohung des Anwenders führen, da der Anbieter unabhängig von vertraglichen Regelungen den physischen Zugang zu kritischen Anwendungen jederzeit sperren kann. Bibliotheksschließungen über einen längeren Zeitraum oder sogar Datenverluste können die Folge sein. Ebenso können die mangelnden Einflussmöglichkeiten der Anwender auf die Ausgestaltung von Funktionalität und Serviceumfang der Software wiederum weitreichende Folgen für deren eigene Funktionsfähigkeit und die Ausgestaltung ihrer Dienstleistungen haben.

Bibliotheken und Cloud

Die Erfahrungen mit der Entwicklung von LBS4 als Nachfolge von LBS3 veranlassten die Gremien des Gemeinsamen Bibliotheksverbunds (GBV), die Entwicklung eines Konzeptes für die Zukunft der lokalen Bibliothekssysteme in die »Strategischen Planungen des GBV 2011 – 2015« aufzunehmen. Verstärkt wurde die Notwendigkeit einer solchen Konzeptentwicklung durch die Ankündigung von cloudbasierten Lokalsystemen durch OCLC und Exlibris. Zur Vorbereitung veranstaltete der Fachbeirat des GBV zusammen mit der VZG am 26./27. März 2012 in Göttingen einen Workshop zum Thema »Zukunft der Lokalsysteme«. Um eine möglichst kreative und konstruktive Arbeitsatmosphäre zu gewährleisten, wurde eine Gruppe von 50 Experten im Bereich lokaler Bibliothekssysteme sowie mit dem Thema vertraute Entscheider aus dem GBV und anderen Verbünden eingeladen.

Der erste Tag des Workshops diente zunächst der Informationsvermittlung und dem gegenseitigen Informationsaustausch. Nach der Begrüßung durch den Direktor der Verbundzentrale, Reiner Diedrichs, und der Vorstellung des Moderators, Andreas Degkwitz, Direktor der Universitätsbibliothek der Humboldt Universität zu Berlin, führte ein kurzer Überblicksvortrag von Kirstin Kemner-Heek (VZG) in die Thematik ein. Danach folgten die Präsentationen[4] der Anbieter aktueller und zukünftig relevanter Bibliothekssysteme, die Firmen aStec, Ex Libris, OCLC sowie die Kuali Foundation.

Die Angebote lassen sich untergliedern in drei kommerzielle und ein Open-Source-System. Dabei repräsentierte »aDIS/BMS« der Firma aStec ein kommerzielles System, welches aus dem bestehenden Produkt heraus auf kontinuierliche Weiterentwicklung in enger Abstimmung mit den Bibliotheken setzt. Obwohl das System auch als gehosteter Service mit voller Mandantenfähigkeit eingesetzt werden kann, hat man sich hier bewusst gegen eine cloudbasierte Lösung entschieden. Der Entwicklungsschwerpunkt liegt auf der umfassenden Unterstützung interner Geschäftsgänge und auf der optimierten und vielfältig ausgestalteten Anbindung des Systems an die bestehende Verbundlandschaft.

Im Gegensatz dazu handelt es sich bei den ebenfalls kommerziellen Systemen der Firma Ex Libris mit »Alma« und OCLC mit »Worldshare Management System (WMS)« um reine Cloudsysteme, welche von Grund auf neu entwickelt werden. Der Schwerpunkt liegt auf der medientypunabhängigen, standardisierten Unterstützung sämtlicher Geschäftsgänge. Beide Systeme bieten darüber hinaus eine Entwicklerplattform für die funktionale Weiterentwicklung des Systems durch seine Anwender (PaaS). Alma verfügt zudem über umfangreiche Auswertungswerkzeuge für Überwachung und Management interner Abläufe.

Die Datenhaltung beziehungsweise das Datenmanagement erfolgt beim Einsatz von WMS cloudbasiert in Anbindung an den OCLC-eigenen Datenpool »WorldCat« und eine separat gehaltene Knowledge Base für elektronische Ressourcen. Die Einbindung der bestehenden Verbundstrukturen in ein neues Datenhaltungskonzept ist geplant. Dagegen hält Ex Libris die Daten in einer gemeinsamen, Ex Libris-eigenen virtuellen Infrastruktur, der sogenannten »Community Zone« vor, die zukünftig auch die herkömmlichen Services einer Verbundzentrale abdecken kann.

Der technische Betrieb und die Datenhaltung erfolgen im Auftrag von Ex Libris durch einen kommerziellen IT-Dienstleister mit Standort in Amsterdam. OCLC betreibt das System in eigenen Rechenzentren in den USA, Australien und Europa. Weiter sind regionale Betriebszentren bei OCLC-Partnern wie dem BVB oder dem GBV vorgesehen.

Dagegen wird »Kuali Open Library Environment (OLE)« unter dem Dach der Kuali Foundation[5] als ein Modul der »Kuali Open Source Administrative Software for Education« entwickelt. Zu diesem Zweck haben sich amerikanische Universitäten zu einer wachsenden Entwicklungsgemeinschaft zusammengeschlossen. Seit Juni 2012 gehören auch die Villanova University Library und seit November 2012 als erster Partner in Europa das Bloomsbury Library Management System Consortium in London dazu.

Die Architektur des OLE lässt sowohl den lokalen als auch den cloudbasierten Betrieb zu. Eine Nutzung als SaaS-Angebot wird angestrebt. Funktional umfasst OLE die vollständige Funktionalität zum Management medientypunabhängiger interner Geschäftsgänge. Neben der eigentlichen Entwicklung von OLE wird der Aufbau einer eng damit verknüpften Knowledge Base »GOKb«[6] zur Verwaltung elektronischer Ressourcen in Zusammenarbeit mit dem britischen KB+-Projekt der JISC vorangetrieben. Das Katalogdatenmanagement kann sowohl lokal als auch über ein Verbundsystem erfolgen.

Den Abschluss des ersten Tages bildete eine Podiumsdiskussion aller Anbieter unter Einbeziehung von Teilnehmerfragen. Dabei gelang es, trotz vieler Gemeinsamkeiten in der technischen Architektur auch die Unterschiede in den Konzepten und Zielsetzungen der verschiedenen Systeme deutlich herauszuarbeiten. Am zweiten Tag wurden die vorgestellten Präsentationen in drei Arbeitsgruppen unter den Gesichtspunkten »Geschäftsgänge/Anwendungen«, »Datenhaltung/Datenmodelle/Verbundstruktur« und »technische Architektur/Betriebsmodelle« analysiert und diskutiert. Ziel war, die Auswirkungen der unterschiedlichen Strategien auf Bibliotheken und Verbünde zu klären und die Interessen und Bedingungen der Bibliotheken gegenüber den Anbietern zu formulieren. Die im Folgenden erläuterten Ergebnisse bilden die Grundlage für Empfehlungen zum weiteren Vorgehen.

Besonders hervorgehoben wurde das Problem der absoluten Abhängigkeit von einem Anbieter bei Einsatz eines kommerziellen cloudbasierten Systems. Die Sicherung der Datenhoheit durch geeignete Maßnahmen, zum Beispiel durch den Aufbau einer bibliothekarischen, nicht-kommerziellen Cloud und die Vorhaltung der Geschäftsgangsdaten bei den Bibliotheken, muss sichergestellt werden. Die Stärkung der Verhandlungsposition der Bibliotheken gegenüber den kommerziellen Anbietern und eine Kommunikation »auf Augenhöhe« soll, zum Beispiel durch den Betrieb regionaler oder nationaler Cloud-Knoten und durch Übernahme von Entwicklungsaufgaben durch Bibliotheken und Verbünde, erreicht werden. Ergänzend ist eine Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Verbünden und Bibliotheken sowie eine stärkere Beteiligung in internationalen Organisationen und Gremien notwendig.

Kritisch hinterfragt wurden die Aussagen von ExLibris und OCLC nach nicht näher differenzierter »Standardfunktionalität« beziehungsweise »schlanker« Funktionalität. Es wurde befürchtet, dass es zu einem Abbau der funktionalen Differenzierung der aktuellen Systeme und zu einer Verlagerung von Entwicklungsaufgaben auf die Anwender kommt (App-Programmierung). Unklar blieben die Strategien von Ex Libris und OCLC zur Integration bestehender regionaler und nationaler Services, wie zum Beispiel der GND, ZDB oder EZB. Ebenfalls unklar blieb die Frage des bisher arbeitsteilig organisierten Metadatenmanagements, das heißt Sicherung der Datenqualität, kooperative Sacherschließung, Catalogue Enrichment und so weiter. Immerhin wird von OCLC akzeptiert, dass es diese gibt und sie einbezogen werden müssen, während diese bei Ex Libris als externe Quellen außerhalb der Community Zone angesiedelt sind und ihre künftige Rolle hier unklar bleibt.

Als wesentlicher funktionaler Aspekt wird das Angebot aller Anbieter im Bereich des Managements elektronischer Ressourcen gesehen. Auf diese Erweiterungen wird dringend gewartet. Eine faktenbasierte Beurteilung der Systeme wurde kritisch gesehen, da keine konkreten finanziellen Nutzungsangebote vorlagen und die Evaluation von Produktivsystemen hinsichtlich Betriebsmodell, Schnittstellen zu externen Systemen, Funktionalität und so weiter bisher nicht möglich war.

Unter den Gesichtspunkten der Unabhängigkeitswahrung, der Sicherung von Datenhoheit und eigenem Know-how sowie unter dem Eindruck, dass zukünftig in allen Systemen erhebliches Eigenengagement bei der Entwicklung benötigter Funktionalität notwendig sein wird, wurde die Prüfung von Kuali OLE als Open-Source-Ansatz nachdrücklich empfohlen. Aus den Arbeitsergebnissen des Workshops folgten weitere Schritte. So sollen in Zusammenarbeit der Facharbeitsgruppe lokale Geschäftsgänge (FAG) mit der VZG Bedingungen für einen möglichen Einsatz der vorgestellten Bibliotheksmanagementsysteme formuliert und die eigenen Arbeitsabläufe in den Bibliotheken analysiert werden. Ziel ist hier die Erarbeitung von standardisierten Ergebnissen, die eine faktenbezogene und vergleichende Analyse der zukünftigen Systeme ermöglicht.

Unterstützend wurde eine verbundübergreifende Arbeitsgruppe zur Prüfung von Open-Source-Lösungen gegründet. Daneben vereinbarten VZG und hbz in einer Kooperation die Evaluation von Kuali OLE. Im GBV wird man sich eingehend mit WMS von OCLC auseinandersetzen, da dieses System gemäß dem Partnervertrag mit OCLC das Nachfolgesystem von LBS3/4 ist.

Fazit

Die Nutzung zukünftiger Bibliothekssysteme auf der Basis von Cloud-Technologie ist die konsequente Weiterentwicklung bestehender Ansätze (Hosting, Virtualisierung, Mandantenfähigkeit). Wesentlich wird hierbei sein, wie die Bibliotheken die Ausgestaltung der Cloud-Umgebung beeinflussen und in ihrem Interesse gestalten können. Problematisch ist dabei die Organisation der Cloud (»before you get in: how to get out«[7]) hinsichtlich Datenschutz, Datensicherheit, Verfügbarkeit und Abhängigkeiten, der Stabilität der Strukturen und der Berücksichtigung von (sehr) langen Übergangsphasen und der Koexistenz mit bestehenden Strukturen.

Die kommenden Anwendungsszenarien auf Basis der neuen Technologien sind noch von unterschiedlichen Erwartungen und Interessen der Bibliotheken, Bibliotheksverbünde und Software-Anbieter geprägt. Angesichts dieser Unsicherheiten ist es für die Entwicklung der Informationsinfrastrukturen notwendig, bibliothekssystembezogenes Know-how auch weiterhin in den Bibliotheken und Verbünden auf dem aktuellen Stand der Entwicklungen vorzuhalten. Ein Faktor kann dabei die intensive Beschäftigung mit Open-Source-Initiativen sein, um realistische Alternativen zu von wenigen kommerziellen Anbietern geprägten Szenarien zu gewährleisten.

 

Reiner Diedrichs studierte von 1979 bis 1984 Betriebswirtschaft an der Universität Göttingen (Abschluss Diplom-Kaufmann). Zwischen 1984 und 1989 arbeitete er dort als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl mathematische Verfahrensforschung und Datenverarbeitung in den Wirtschaftswissenschaften. In den Jahren 1990 bis 1995 war er Leiter der Anwendungsentwicklung im Bibliotheksrechenzentrum für Niedersachsen (BRZN). Seit April 1995 ist Diedrichs Direktor der Verbundzentrale des GBV.

 

Kirstin Kemner-Heek, Jahrgang 1970, studierte von 1989 bis 1993 an der FH Hannover Bibliothekswesen und arbeitete danach sechs Jahre als Diplom-Bibliothekarin an der UB Marburg. Seit Ende 1999 hat sie die Tätigkeit als Systemadministratorin in der Verbundzentrale des GBV, Abteilung Lokale Bibliothekssysteme, in Göttingen inne. Von 2009 bis 2011 absolvierte Kemner-Heek das berufsbegleitende Studium der Bibliotheks- und Informationswissenschaften an der FH Köln mit Abschluss MA LIS.

 


 

[1] Siehe: www.vmware.com/de/  (zuletzt abgerufen am: 8. November 2012)

[2] Siehe auch de.wikipedia.org/wiki/Virtualisierung_(Informatik)

[3] www.datev.de/portal/ShowPage.do?pid=dpi&nid=302 

[4] Die vollständigen Präsentationen der Anbieter können eingesehen werden unter: www.gbv.de/Termine/2012/gbv-workshop-die-zukunft-der-lokalen-bibliothekssysteme 

[5] Siehe: http://kuali.org/ 

[6] Siehe: http://gokb.org/  und www.jisc-collections.ac.uk/KnowledgeBasePlus/ 

[7] Quelle: Van den Berg, M: Cloud Computing for Libraries, vom 15. April 2012, Folie 17

 



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