Die digitale und soziale Transformation im Fokus

Streben nach Offenheit, Transparenz und Nachhaltigkeit: Ein Portrait des Wissenschaftlichen Bibliothekswesens in Österreich.
Lernzentrum der Johannes Kepler Universität Linz. Foto: Andreas Röbl
Lernzentrum der Johannes Kepler Universität Linz. Foto: Andreas Röbl

 

Für Wissenschaftliche Bibliotheken in Österreich gelten keine einheitlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen, da sie unterschiedlichen Rechtsträgern wie dem Bund oder den Ländern unterstehen, zum Teil aber auch nicht von der öffentlichen Hand finanziert werden. In der Statistik Austria werden für das Jahr 2020 71 Wissenschaftliche Bibliotheken angeführt, davon 20 an öffentlichen Hochschulen, 19 an wissenschaftlichen Institutionen und Museen, zehn an pädagogischen Hochschulen, neun Parlaments-, Behörden- und Gerichtsbibliotheken, sieben Landesbibliotheken, vier Fachhochschulen sowie die Österreichische Nationalbibliothek.

Wissenschaftliche Bibliotheken mit Öffentlichkeitsrecht haben in Österreich an den Universitäten seit dem Mittelalter Tradition. So wurde bereits in der Gründungsurkunde der Universität Wien aus 1365 eine »gemaine[n] půchkamer und libereye« zur Verwahrung der Bücher und Nachlässe der Professoren erwähnt. Nach Jahrhunderten wechselhafter Geschichte der Bibliotheken wurden die Aufgaben der Universitätsbibliotheken in der Universitätsbibliothekenverordnung (UBV)3 geregelt, die bis 2002 galt. Seither sind die Universitätsbibliotheken infolge des Universitätsgesetzes 2002 beziehungsweise des Kunst­universitätengesetzes 1998 und dem damit vollzogenen Außer-Kraft-Setzens der UBV direkt den Universitäten unterstellt und deren Entwicklungsplänen sowie dem gesamtuniversitären Entwicklungsplan (GUEP) verpflichtet. Die drei Schwerpunkte des Zeitraums 2022 bis 2027 werden in sechs Systemzielen kategorisiert, wobei Bibliotheken nicht direkt adressiert werden. Im Fokus stehen digitale Transformation, die UN-Nachhaltigkeitsziele sowie Stärkung der MINT Fächer.

Im vorliegenden Beitrag liegt der Fokus auf den Bibliotheken und Projekten, die sich großteils kooperativ und institutionenübergreifend seit mehr als zehn Jahren für die digitale und soziale Transformation engagieren. Gemeinsam mit Partnerinnen und Partnern an den Universitäten insbesondere Forscherinnen und Forschern sowie den IT-Abteilungen und Forschungsservices, aber auch weiteren Partnern auf europäischer sowie globaler Ebene werden Themen wie Digitalisierung, Open Science, Künstliche Intelligenz und Langzeitarchivierung verfolgt. 

Dieses gemeinsame Streben nach Offenheit, Transparenz und Nachhaltigkeit führt nicht nur dazu, dass Bibliotheken enger denn je mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammenarbeiten, sondern sich auch untereinander in Form von Netzwerken und Projekten unterstützen.

Arbeitsschwerpunkte

Wissenschaftliche Bibliotheken stehen mit ihren analogen und virtuellen Serviceleistungen im Zentrum der heutigen Wissensgesellschaft. Beschleunigt wurden diese Entwicklungen durch die modernen Möglichkeiten des kollaborativen Arbeitens und Kommunizierens. Zum Tagesgeschäft zählen daher die Servicierung und der Ausbau von Angeboten, die sich im Rahmen des Forschungskreislaufs ergeben – also der sich kontinuierlich erneuernden Spirale von Produktion, Publikation, Dokumentation und Wiederverwendung von Forschungsergebnissen.

Open Science ist hierbei das Schlagwort, das alle Vorhaben begleitet, beginnend mit dem Verhandeln nationaler transformativer Verlagsverträge im Rahmen des Konsortiums e-Medien Österreich (KEMÖ), dem Aufbau einer offenen Infrastruktur im Umgang mit Forschungsdaten, der Förderung von Open Access und dem Aufbau von entsprechenden Beratungs- und Unterstützungsaktivitäten (sei es über das Verabschieden gemeinsamer Policies, sei es über den Aufbau von Repositorien und Plattformen für elektronisches Publizieren). Durch die vergleichsweise kleinteilige Struktur des österreichischen Bibliothekswesens gelang es bereits sehr früh, wichtige Meilensteine zur Förderung und Umsetzung von Open Access an den wissenschaftlichen Institutionen und Universitäten zu realisieren. 

Ergänzend dazu rücken weitere Themen in den Fokus, wie beispielsweise die langfristige Verfügbarkeit von Daten und Literatur. Hier ist beispielsweise die Initiative »Shared Archiving Austria« zu nennen, die kooperative Archivierungslösungen für gedruckte Zeitschriftenbestände umsetzt. An der Umsetzung von digitalen Langzeitarchivierungsstrategien laufen gegenwärtig bereits einzelne Anwendungen (so unter anderem an der Österreichischen Nationalbibliothek), eine großflächigere Umsetzung ist in den nächsten Jahren zu erwarten. 

Bibliotheken positionieren sich im digitalen Zeitalter sehr erfolgreich als Lernorte und als Aus- und Weiterbildungszentren. Die Angebotspalette reicht hier von umfangreichen, in der Zwischenzeit größtenteils digitalen Lehrinhalten zum wissenschaftlichen Arbeiten und Recherchieren bis zur Vor-Ort-Betreuung von Studierenden im Schreibprozess für Abschlussarbeiten. 

Darüber hinaus engagieren sich Wissenschaftliche Bibliotheken auch in den Aktivitäten der sogenannten »Third Mission«, um die Ergebnisse von Forschung und Lehre verstärkt auch der allgemeinen Öffentlichkeit sicht- und nutzbar zu machen. In diesem Zusammenhang sind in den letzten Jahren umfangreiche Weiterbildungsangebote (insbesondere für Schulen) sowie zahlreiche Citizen Science-Projekte entstanden.

Leitprojekte österreichischer Bibliotheken

Um zu verdeutlichen, wie sehr die institutionenübergreifende Zusammenarbeit die österreichische Bibliothekslandschaft prägt, werden im Folgenden einige Leitprojekte der vergangenen Jahre umrissen.

 

e-Infrastructures Austria (plus)

Das dreijährige Projekt »e-Infrastructures Austria« wurde 2014 als Hochschulraum-Strukturmittelprojekt vom Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) initiiert und mit 25 Projektpartnern durchgeführt, um österreichweit den koordinierten Aufbau sowie die Weiterentwicklung von Repositorieninfrastrukturen zu fördern. Das gemeinsame Projekt schuf gleichzeitig einen Rahmen für Vernetzung von Partnern aus Bibliotheken, IT, Forschungsservices sowie Forscherinnen und Forschern. 

In zwölf Work-Package-Clustern wurde zu Themen wie Repositorien, Open Access, rechtliche sowie ethische Rahmenbedingen, Datenmodellierung, Life Cycle Management und Fragen im Bereich Forschungsdatenmanagement im wissenschaftlichen und künstlerischen Bereich gearbeitet. Eine Umfrage zum Thema Umgang mit Forschungsdaten ermittelte den Status Quo an österreichischen Universitäten sowie extrauniversitären Forschungseinrichtungen und konnte damit Anforderungen der Forschenden an Services österreichischer Universitätsbibliotheken ermitteln.  

Dieses Projekt schuf die Grundlage für weitere gemeinsame Arbeiten und für das Folgeprojekt »e-infrastructures Austria plus« (2017 bis 2019). Im Rahmen von sieben Arbeitspaketen wurde eine Roadmap für Forschungsdaten an den neun Partnerinstitutionen und sieben assoziierten Partnern erarbeitet. Im Fokus standen unter anderem Themen wie die Abbildung von Forschungsprozessen, die Entwicklung von Policies zum Forschungsdatenmanagement, der Aufbau von Kompetenzen zu Datenmanagementplänen, die Zitierbarkeit von Forschenden, Publikationen, Forschungsdaten, der Aufbau von Institutionellen Repositorien und Linked Open Data. Empfohlen wurden der Aufbau einer zentralen Open-Science-Anlaufstelle, die Entwicklung von Data Stewardshipmodellen und die Bereitstellung unterschiedlicher Speichersysteme.

 

FAIR Data Austria

Zahlreiche österreichischer Universitäten haben sich mit den Fördergebern FWF, FFG und WWTF im Cluster »Forschungsdaten« zusammengeschlossen. Das Projekt RIS Synergy schafft eine nachhaltige und zukunftsweisende Basis für die Digitalisierung der österreichischen Forschungslandschaft, erarbeitet offene Zugangs- beziehungsweise Austauschmöglichkeiten für Systeme von Fördergebern, Forschungsstätten und der öffentlichen Verwaltung. Das Projekt Austrian Data-LAB and Services trägt zur Förderung kollaborativer Ansätze zwischen Universitäten in den Bereichen Data Science und High Performance Computing (HPC) bei.

Das Projekt FAIR Data Austria (2020 -2022) ermöglichte die Stärkung des Wissenstransfers zwischen Universitäten, Wirtschaft und Gesellschaft und unterstützte die nachhaltige Implementierung der European Open Science Cloud (EOSC). Dabei spielte die Implementierung der FAIR Prinzipien (»findable«, »accessible«, »interoperable« und »re-usable«) eine große Rolle. Gemeinsam wurden Konzepte für ein gemeinsames Forschungsdatenmanagement, das an die Bedürfnisse der Forschenden angepasst ist, entwickelt. Gemeinsam mit dem Netzwerk für Repositorienmanagerinnen und -manager wurde die Webinarreihe »Forschungsdatenmanagement in Österreich« etabliert. Fortgeführt werden diese Arbeiten zum Teil im Projekt »Shared RDM Services & Infrastructure«. 

Austrian Transition To Open Access

Das vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung 2017 bis 2020 geförderte und mit 21 Partnern durchgeführte Hochschulraumstrukturmittel-Projekt »Austrian Transition to Open Access« (AT2OA) hatte das Ziel, die Transformation von Closed zu Open Access bei wissenschaftlichen Publikationen mitzutragen und unterstützende Maßnahmen zu setzen. Das Ziel war durch die Neugestaltung der Lizenzverträge mit den Anbietern und durch gezielte Publikationsunterstützung der Forschenden eine Steigerung des österreichischen Open Access Publikationsoutputs zu generieren und neue Wege für das Open Access Publizieren zu eröffnen. 

In vier Teilprojekten wurden die Auswirkungen einer Umstellung auf Open Access analysiert, die Finanzierung von Open Access Übergangsmodellen überlegt, Publikationsfonds aufgebaut und die Förderung von OA-Publikationen und alternativen OA-Publikationsmodellen von Universitäten erörtert. Ein Fortsetzungsprojekt, das von 2021 bis 2024 läuft, greift diese Arbeiten auf und möchte mehr transformative Verträge für Österreich schaffen, einen nationalen Datahub entwickeln, die Publikationskosten an Österreichs Universitäten analysieren, eine Sensibilisierungskampagne zum Problemfeld Predatory Publishing durchführen und durch den Einsatz von alternativen Metriken (Altmetrics) die Frage untersuchen, ob Open Access die Sichtbarkeit von wissenschaftlichen Publikationen erhöht.

Vernetzungsinitiativen

Wichtiges Vernetzungsorgan auf Leitungsebene ist seit 2011 das Forum Universitätsbibliotheken (UBIFO), in dem sich die Vertreterinnen und Vertreter der 20 Universitätsbibliotheken, die Österreichische Nationalbibliothek sowie die Universität für Weiterbildung Krems regelmäßig treffen. Projekte wie E-Infrastructures, AT2OA/AT2OA² wurden durch diese enge Vernetzung erst ermöglicht.

Eine weitere Stärke des österreichischen wissenschaftlichen Bibliothekswesens ist der österreichische Bibliothekenverbund (OBVSG), dem derzeit 90 Institutionen angehören sowie die Kooperation E-Medien Österreich (KEMÖ) mit 62 Partnerinnen und Partnern, in der seit der Gründung 2005 konsortial Lizenzen für wissenschaftliche Literatur verhandelt sowie Vergabeverfahren durchgeführt werden. Bekannt geworden ist die KEMÖ durch die Förderung der Open Access Transformation, das in den Projekten AT2OA/AT2OA² kulminiert.

 

Das Netzwerk für Repositorienmanagerinnen und -manager (RepManNet)

Das RepManNet wurde 2016 an der Universitätsbibliothek Wien als loses Netzwerk für Personen, die sich mit dem Aufbau oder dem Betrieb von Repositorien beschäftigen, ins Leben gerufen. Derzeit sind 175 Mitglieder aus 51 Institutionen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz dabei. In Arbeitsgruppen, die je nach Bedarf eingerichtet werden, wird unter anderem zu Themen wie Barrierefreiheit und Repositorien, Forschungsdatenmanagement, Hochschulschriften, Zertifizierung von Repositorien, Langzeitarchivierung gearbeitet. Über eine Mailingliste werden Informationen, Stellenausschreibungen und Neuigkeiten geteilt sowie aktuelle Fragen diskutiert. Arbeitsergebnisse werden in Repositorien open access zur Verfügung gestellt.

International ist OpenAIRE (Open Access Infrastructure for Research in Europe) zu nennen, eine paneuropäische Forschungsplattform mit Diensten zum Auffinden, Speichern, Verlinken und Analysieren von Forschungsresultaten über alle Disziplinen hinweg. Neben der technischen Infrastruktur setzt OpenAIRE auf das personelle Netzwerk von über 60 Partnerinstitutionen. COAR (Confederation of Open Access Repositories) bringt einzelne Repositorien und Netzwerke von Repositorien zusammen, um Kapazitäten aufzubauen, Strategien und Praktiken abzustimmen und als globale Stimme der Repositoriengemeinschaft zu fungieren. Die European Open Science Cloud (EOSC) verbindet im Rahmen von EOSC Support Office Austria österreichische Institutionen und Bibliotheken. Auch über Bibliothekssysteme sind Wissenschaftliche Bibliotheken miteinander verbunden, beispielsweise durch ALMA

 

Vereinigung der österreichischen Bibliothekarinnen und Bibliothekare

Die Vereinigung der österreichischen Bibliothekarinnen und Bibliothekare (VÖB) vertritt bereits seit 1946 die Interessen der Bibliothekarinnen und Bibliothekare und hat sich seither der Förderung des BID-Wesens in Österreich verschrieben. Aktuell sind etwa 1.000 Mitglieder in 18 Kommissionen und Arbeitsgruppen aktiv, die inhaltlich den im vorliegenden Beitrag abgehandelten Themen und Projekten verpflichtet sind und eine wichtige Netzwerkfunktion haben. Eine zentrale Aufgabe der VÖB ist das Engagement in Aus- und Fortbildung, wobei die größte Veranstaltung seit Jahrzehnten der Bibliothekartag ist. Anfang Mai 2023 fand in Innsbruck der 1. Österreichische Bibliothekskongress statt, erstmals als gemeinsame Veranstaltung des Büchereiverband Österreich (BVÖ), der die Öffentlichen Bibliotheken vertritt, und der VÖB. 

Susanne Blumesberger: Leitung der Abteilung »Repositorienmanagement PHAIDRA-Services« an der Universitätsbibliothek Wien, Sekretärin der Vereinigung der österreichischen Bibliothekarinnen und Bibliothekare (VÖB). https://orcid.org/0000-0001-9018-623X 

Pamela Stückler: Leiterin der Universitätsbibliothek Graz, 2. Vizepräsidentin der Vereinigung der österreichischen Bibliothekarinnen und Bibliothekare (VÖB). https://orcid.org/0000-0002-2953-2217

Eva Ramminger: Leiterin der Universitäts- und Landesbibliothek Tirol, 1. Vizepräsidentin der Vereinigung der österreichischen Bibliothekarinnen und Bibliothekare (VÖB). https://orcid.org/0000-0002-8942-2247  

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