Das Literaturarchiv und das dazugehörige Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek gehören zu den wichtigsten einschlägigen Institutionen im deutschsprachigen Raum. Anlässlich der Leipziger Buchmesse 2023 mit ihrem Gastland Österreich stellt BuB diese sowie ausgewählte Arbeitsbereiche und Projekte vor. Die April-Ausgabe 2023 von BuB wird einen inhaltlichen Schwerpunkt zur Messe und ihrem Gastland bekommen.
Die enge Verwobenheit von Literatur und Performancekunst, die für die österreichische literarische Tradition charakteristisch ist, zeigt sich einerseits in der lebendigen Kabarettkultur der Vor- wie Nachkriegszeit, die im Archiv mit Beständen von zum Beispiel Karl Farkas, Peter Hammerschlag, Maxi Böhm oder Gerhard Bronner vertreten ist. Dort knüpft andererseits auch die Avantgardebewegung der Wiener Gruppe ab den 1950er-Jahren an, die in ihren Textexperimenten auf die akustische (vor allem in der Lautpoesie) und optische Form (vor allem in der visuellen Lyrik) der Sprache zurückgeht und bekannt dafür geworden ist, ihre Lesungen in den, Ende der 1950er-Jahren veranstalteten »literarischen cabarets« als multimediale Happenings zu gestalteten. Die Bestände der Mitglieder der Wiener Gruppe – H.C. Artmann, Friedrich Achleitner, Konrad Bayer, Gerhard Rühm und Oswald Wiener – sind vollständig oder in Teilen im Literaturarchiv ebenso verwahrt wie die der etwas abseits stehenden, ihren jeweiligen eigenen Schreibstil entwickelnden, der Wiener Gruppe aber stets freundschaftlich verbundenen Schriftsteller/-innen Elfriede Gerstl, Ernst Jandl und Friederike Mayröcker.
Im Zuge der Strategie 2023-2027, die alle Abteilungen der Österreichischen Nationalbibliothek hinsichtlich verschiedenster Innovationen (zum Beispiel Nutzerinnenzentrierung, Nachhaltigkeit, Datenbasierte Services, Objektdigitalisierung, Teaching Library et cetera) beschäftigt, ist das Team des Literaturarchivs maßgeblich in den Entwicklungsprozess von Tools involviert, durch die in naher Zukunft E-Mail-Korrespondenzen oder verschiedene Manuskript-Fassungen als Word-Dokumente et cetera organisiert werden können.
Der digitale Wandel II
Nicht nur in der Beschaffenheit der Vor- und Nachlassmaterialien offenbart sich der digitale Wandel, sondern auch in den Formen des wissenschaftlichen Arbeitens. Neben dem Sammeln und der physischen und digitalen (Langzeit-)Archivierung ist das Literaturarchiv ebenso für die geisteswissenschaftliche Auswertung und Erforschung seiner Bestände verantwortlich. Während das vom Literaturarchiv herausgegebene Magazin »Profile« jährlich in einer hochwertigen Print-Version im Zsolnay-Verlag erscheint, wird der Sammelband »Sichtungen. Archiv, Bibliothek, Wissenschaft« nach dem Relaunch im Frühjahr 2024 im Wallstein-Verlag zweijährlich als Hybridpublikation (Print und Open Access) verlegt.
In einem gemeinsamen mehrjährigen Projekt mit dem Deutschen Literaturarchiv Marbach (DLA) erarbeitet das Literaturarchiv zudem eine Digitale Edition von Peter Handkes Notizbüchern. Die insgesamt 22 Notizbücher des Nobelpreisträgers, die im Zeitraum von 1976 bis 1979 geschrieben wurden und als aussagekräftiger, noch kaum berücksichtigter Werkkomplex aus Traum- und Reisenotizen, Zeichnungen und Skizzen, eingelegten Fundstücken wie getrockneten Pflanzen et cetera gelten, werden kontinuierlich als Faksimiles, mit einer Transkription, einer Lesefassung und einem Stellenkommentar zur Verfügung gestellt und mithilfe von Registern erschlossen.
Da digitale und Born-Digital-Materialien zukünftig nicht nur gesammelt, langzeitarchiviert und zur Verfügung gestellt, sondern auch ansprechend präsentiert werden sollen, bringt sich das Literaturarchiv darüber hinaus in die (Weiter-)Entwicklung von Online-Ausstellungen ein. Neben unter anderen zwei umfassenden Online-Ausstellungen zu den Schriftsteller/-innen Erich Fried und Ruth Klüger wird im Oktober 2023 eine Online-Ausstellung mit begleitender Foyer-Ausstellung im Literaturmuseum zum 100-jährigen Bestehen des österreichischen PEN-Clubs mit einem Schwerpunkt auf das »Writers in Prison«-Komitee, das sich für inhaftierte Autorinnen und Autoren einsetzt, eröffnet.
Als anschließende Wanderausstellung wurde auch die vorhergehende Sonderausstellung »Stefan Zweig. Weltautor« konzipiert, die in Kooperation mit dem Stefan Zweig-Zentrum Salzburg kuratiert und von 2021 bis 2022 im Literaturmuseum zu sehen war. Am 22. Februar wurde die Wanderausstellung in der Stadtbibliothek Salzburg eröffnet, danach wird sie in den nächsten zehn Jahren in Ausstellungsräumen und österreichischen Kulturforen weltweit gezeigt.
»JETZT & ALLES. Österreichische Literatur. Die letzten 50 Jahre«
Anlässlich der Leipziger Buchmesse, die in diesem Jahr ihr Gastland Österreich unter dem Titel »meaoiswiamia« präsentiert, erarbeitete das Literaturmuseum in Kooperation mit dem Deutschen Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek die Wechselausstellung »JETZT & ALLES. Österreichische Literatur. Die letzten 50 Jahre«, die vom 26. April 2023 bis zum 7. Januar 2024 in Leipzig zu besichtigen sein wird. Die Ausstellung stellt die wichtigsten österreichischen Autorinnen und Autoren der letzten 50 Jahren, darunter Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek, Peter Handke, Friederike Mayröcker, Gert Jonke, Ruth Klüger sowie jüngere Stimmen wie unter anderen Arno Geiger, Ann Cotten und Clemens J. Setz einem internationalen Leser/-innenpublikum vor.
Sie erzählt die Entstehungsgeschichten von Texten und inszeniert die Materialität, die Techniken und die Medien des Schreibens: Sichtbar werden so das Formbewusstsein, die Vielstimmigkeit, Musikalität und Mehrsprachigkeit einer gleichermaßen streitbaren wie experimentierfreudigen Literatur. Ein hochkarätig besetztes Symposium und weitere Veranstaltungen werden die Ausstellung inhaltlich fortführen.
In der April-Ausgabe 2023 von BuB widmen wir uns ganz der Leipziger Buchmesse und ihrem diesjährigen Gastland Österreich. Enthalten sind weitere Beiträge über die vielfältige Bibliothekenlandschaft in unserem Nachbarland.