Mit BiblioCon hat der traditionsreiche Deutsche Bibliothekartag einen neuen Namen erhalten. Claudia Frick und Lambert Heller regen in ihrem Diskussionsbeitrag an, dass nun auch neue Inhalte und Formate für die größte bibliothekarische Fortbildungsveranstaltung in Europa folgen sollten.
Wer die Website der BiblioCon öffnet und interessiert genug ist, nach zwei Klicks in der nach Stundenplan aussehenden Tabelle die ersten Inhalte der Veranstaltung zu entdecken, findet in der ersten Tabellenzeile keine Bilder, keine Namen, keine Claims, sondern die drei folgenden Programmpunkte:
- »FDM-Dienste und -Infrastrukturen – Chancen nur im Verbund?
- »Öffentlichkeits- und Marketingstrategien in Bibliotheken
- »Mitgliederversammlung Berufsverband Information Bibliothek e.V. (BIB)«
… und dahinter – wenn man denn so interessiert ist, tatsächlich weiterzulesen – zahllose weitere Programmpunkte, die in kleiner Schriftart in farbig markierte Tabellenspalten geklemmt worden sind (Abbildung 1).1
Nehmen wir nur einige Beispiele. Die Diskussionen über Dall*e und ChatGPT haben uns vor Augen geführt, wie konkret mittlerweile Machine-Learning-basierte Produkte die Erschließung und den Zugriff auf das digitale kulturelle Erbe prägen.2 Der Kurznachrichtendienst Twitter wird von einer Krise geschüttelt, nachdem er von einem Milliardär ohne Distanz zu Hatespeech-Akteur*innen übernommen worden ist,3 und als ein Nebeneffekt davon gibt es eine erneute Welle des Interesses an dezentralen, offenen Alternativen.
In der Europäischen Union wird derweil erneut eine Totalüberwachung des digitalen Nachrichtenaustauschs erwogen, die #Chatkontrolle.4 In den USA lassen Florida und andere Bundesstaaten ihre Schulbibliotheken von allen Büchern räumen; die Bücher sollen nur zurück ins Regal dürfen, wenn zuvor individuell geprüft worden ist, ob darin LGBTQ-Lebensinhalte vorkommen.5 Die Ukraine sieht sich mit dem Angriffskrieg Russlands nach einem Jahr immer noch dem Versuch ausgesetzt, auch ihre kulturelle Identität zu verlieren; Freiwillige hatten sich seit Kriegsbeginn dezentral vernetzt, mit starker Beteiligung von Bibliotheken, um zumindest das digitale Kulturgut zu retten.6
Wir sprechen hier nur über Geschehnisse aus den letzten zwölf Monaten, und doch ließe sich diese Liste noch fortsetzen. Keine Frage, manches davon wird im Programm der BiblioCon aufgegriffen. Doch wir haben den Eindruck, dass hier nicht zeitnah und aktiv ein Programm gestaltet wird, sondern dass ganz klassisch mit vielen Monaten Vorlauf Einreichungen ausgerufen und abgewartet worden sind. Dass es auch etwas anders geht, sieht man am Format #Freiraum, auch wenn es eher ein Neben- als Teil des Hauptprogramms ist.7 Dort zeigt sich, sowie in den Hands-on-Labs und Project Labs, dass es nicht immer der traditionelle Frontalvortrag sein muss, der sonst den überwiegenden Teil des Programmes dominiert.
Wenn wir ehrlich sind, bleibt da Luft nach oben
Relevante Themen mit zugkräftigen Partner*innen besetzen
Wir sollten dazu in der Lage sein, relevante Kernthemen notfalls auch noch in den letzten Monaten, Wochen oder gar Tagen vor dem Event zu identifizieren, sie mit zugkräftigen Partner*innen (auch von jenseits der Grenzen unserer Branche) zu besetzen, in unser Hauptprogramm aufzunehmen und aus der BiblioCon so auch ein stärkeres öffentliches Statement zu machen – von Bibliotheksmenschen und für die Relevanz, Vielfalt und Aktualität von Bibliothek sprechend.
Die Fortbildung, die Kommunikation miteinander, kann und muss einen hohen Stellenwert bei der BiblioCon haben, das steht außer Frage. Aber muss das Hauptprogramm viele Monate voraus detailliert geplant sein und feststehen?
Wir sehen, wie es anders geht, zum Beispiel bei manchen Communitys, die an der Digitalisierung des Bildungswesens arbeiten. Für deren interne und externe Kommunikation spielen Barcamps wie die EduCamps und das OER-Camp mittlerweile eine entscheidende Rolle.8
Aktive, partizipative Formate
Mit den Hands-on-Labs, Project Labs und #Freiraum haben solche aktiven, partizipativen Formate bei der BiblioCon zwar glücklicherweise nun auch schon seit Jahren ihren Ort gefunden,9 aber wir könnten diesen Formaten einen noch größeren Platz einräumen und ihnen ein größeres Gewicht geben. Frontalvorträge und Panels sollen nicht abgelöst werden, sondern neben ihnen sollen gleichwertig andere Formate im Hauptprogramm stehen. In den Call for Papers könnte man dies einfach und klar kommunizieren, ebenso wie multiple Deadlines für jene Beiträge mit lang geplanten Vorhaben und jene für aktuelle Ereignisse und Kurzentschlossene. Mehr Zeit und Räume für gemeinsames Arbeiten, Ausprobieren, Diskutieren und Spontanes können unserem gemeinsamen Treffen mehr Tiefe und Relevanz verleihen – nach innen und nach außen.
Wenn wir als Branche überzeugend nach außen zeigen wollen, dass wir verstehen, wie sich Wissen heute bewegt, dann müssen wir das auf unserem Vorzeigeevent auch selbst leben. Da sind wir noch (zu) weit am Beginn einer gemeinsamen Lernreise. Am Ende könnte diese Reise nicht zuletzt auch ein agileres gemeinsames Kommunizieren und Arbeiten an den Bibliotheken vor Ort inspirieren, ein bibliothekarisches Arbeiten prägen mit mehr Flexibilität, und weniger Behördenartigkeit, Zuständigkeiten und Hierarchie.
Neben Programmelementen wie den Hands-On-Labs ist nicht zuletzt auch die Umbenennung des vormaligen »Bibliothekartags« in BiblioCon ein Signal für die Vielfältigkeit und Offenheit von Bibliotheken und Bibliotheksmenschen.10 Wir müssen uns jetzt nur noch trauen, diesen Anspruch durch eine mutige, klare und flexiblere Programmplanung der BiblioCon in die Tat umzusetzen.
Mehr Gestaltungsspielraum
Ein Anfang könnte sein, dass das Programmkomitee der nächsten BiblioCon mehr Gestaltungsspielraum bekommt, um unter anderem Zeitslots freizuhalten und sie auch kurzfristig setzen und gezielt besetzen zu können, wo es passt, auch mit Leuten von außerhalb der Bibliotheksbranche oder mit ungewöhnlichen Formaten. Wir müssen uns mehr trauen zu experimentieren. Auch die Kommunikation des Events und dessen Standing nach außen können so gewinnen. Eine Darstellung des Programms, das auch für Nicht-Branchen-Insider*innen leicht zu navigieren, zu durchschauen und aussagekräftig ist, kann Bibliotheken zu noch mehr Sichtbarkeit und Standing verhelfen. Damit dürfte auch die Kommunikation des BiblioCon über weitere Kanäle leichter fallen.
Auch nach innen blickend kann die BiblioCon durch mehr Aktualität, Formatvielfalt und Flexibilität gewinnen. Nicht nur die Neuen in der Branche blicken manchmal mit Erstaunen auf unsere Traditionen und wie langsam sie sich doch ändern.
Wir können den großen bibliothekarischen Berufsverbänden nichts vorschreiben, und wollen das auch nicht versuchen. Ganz im Gegenteil, möchten wir hier nur einen Impuls und einen Blick aus Praxis, Forschung und Lehre anbieten, den die Verbände aufgreifen können oder auch nicht. Egal ob interne Diskussion oder offenes Format unter Beteiligung aller Interessierten, wir freuen uns über die Gedanken und Ideen der Verbände. Vielleicht finden wir gemeinsam heraus, wie man strategisch nachsteuern kann. Von uns aus könnte das passenderweise bereits während der BiblioCon23 in Hannover losgehen. Vor allem jedoch, lasst uns bitte mutig und kreativ sein – damit beginnend, uns einzugestehen, dass unsere BiblioCon sowohl nach innen als auch nach außen einfach »mehr« sein könnte.