Bibliotheken als Bildungspartnerinnen

Ein Rückblick auf die gut besuchte Podiumsdiskussion der AG Bibliothekspädagogik im dbv auf der Bibliocon in Hannover.
Aufmerksame Zuhörerinnen und Zuhörer bei der Podiumsdiskussion der AG Bibliothekspädagogik im Deutschen Bibliotheksverband (dbv) auf der Bibliocon in Hannover. Foto: AG Bibliothekspädagogik

 

Auf der BiblioCon 2023 in Hannover sollte die Sichtbarkeit des pädagogischen Handelns in Bibliotheken aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden. Moderiert von Prof. Dr. Bernd Schmid Ruhe (HdM Stuttgart) diskutierten die Podiumsteilnehmenden am 23. Mai 2023 in Anwesenheit von circa 100 Interessierten, wie eine gute und nachhaltige Bildungspartnerschaft umgesetzt werden kann. 

Wenige Tage vor der Veranstaltung wurde die internationale Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU 2021) veröffentlicht, die den Grundschülerinnen und -schülern in Deutschland wieder gesunkene Lesekompetenzen attestiert hatte. 

In diesem Kontext ging die erste Frage des Moderators an Prof. Dr. Richard Stang (HdM Stuttgart): Was ist Lernen im 21. Jahrhundert? Stang konstatierte einerseits, dass in den Bibliotheken sehr viel Veranstaltungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen gemacht werde, aber dass dies in der Vergangenheit häufig ohne erziehungswissenschaftlichen Hintergrund geschehen sei. Gute Veranstaltungsarbeit sei eben nicht automatisch pädagogische Arbeit. Hier müsse man auch die eigenen Grenzen sehen und sich gegebenenfalls pädagogische Kompetenzen hinzuholen oder aufbauen. Dies sei auch in den Bibliotheken mehr und mehr angekommen – was wichtig sei. Denn die pädagogische Arbeit an Bibliotheken sei eine Dimension informellen Lernens. Informelles Lernen wiederum nehme an Bedeutung auch in den Schulen und generell zu. Dr. Christine Ott (Universität Würzburg) schloss hier an und stellte fest, dass in der Öffentlichkeit Bildung und Schule nahezu gleichgesetzt werde. Andere Institutionen seien fast unsichtbar. 

Bildung müsse aber gerade mit Blick auf lebenslanges Lernen breiter gedacht werden. Dabei sind leseanimierende Veranstaltungsformate in Bibliotheken sinnvoll und wichtig, sollten jedoch durch Maßnahmen zur Förderung der Lesekompetenz ergänzt werden. Lesespaß entsteht erst, wenn das Dekodieren der Schriftzeichen so weit automatisiert ist, dass sinnentnehmendes Lesen möglich wird. Wichtig sei, dass mit den bibliothekspädagogischen Maßnahmen in Zusammenarbeit mit anderen Bildungspartnern möglichst viele Kinder erreicht werden. 

Dr. Annette von Stieglitz (Stadt Langenhagen) legte in ihrem Eingangsstatement den Fokus auf die inhaltlichen Synergieeffekte von kommunalen Bildungseinrichtungen wie Volkshochschulen und Öffentlichen Bibliotheken und bestätigte die Aussage von Dr. Ott, dass Bildung auf kommunaler Ebene nahezu ausschließlich mit Schule/-n assoziiert werde. Neben organisatorischen Synergieeffekten bei einer engen Kooperation, seien diese Institutionen quasi inhaltliche Geschwister im Geiste. Sie sollten viel häufiger eng zusammenarbeiten, als dies in der Praxis bisher erfolge. Biete die Bibliothek Lernräume für individuelles, selbstbestimmtes Lernen, ermöglichen die Volkshochschulen komplementär dazu angeleitetes Lernen. Es sei eine Zukunftsaufgabe, neue Berufsbilder zu entwickeln, die flexibel in beiden Institutionen eingesetzt und zum Beispiel als pädagogisch ausgebildete Lernbegleitungen sowohl in Bibliotheken als auch in Volkshochschulen tätig sein können.

Bibliothekspädagogik als fester Fachbegriff

Prof. Dr. Kerstin Keller-Loibl (htwk Leipzig) hob auf den Aspekt der pädagogischen Ausbildung des bibliothekarischen Personals ab und schilderte die in Leipzig etablierten Studieninhalte. Sie verwies dabei auf den Fortschritt, der in diesem Bereich in den letzten 20 Jahren im Hinblick auf die Etablierung pädagogischer Inhalte in der bibliothekarischen Ausbildung erreicht worden sei. Zugleich machte sie deutlich, dass dies noch nicht ausreiche. Im Sinne des Service Learning (Lernen durch Engagement) würden die Studierenden in Leipzig didaktische Konzepte für konkrete Einsatzorte entwickeln und erproben. Dies fördere auch überfachliche Kompetenzen wie Kreativität, Flexibilität, also die sogenannten 21st century skills. Bibliothekspädagogik sei mittlerweile ein fester Fachbegriff. Veranstaltungsarbeit sei in Bibliotheken nicht mehr allein in der Öffentlichkeitsarbeit angesiedelt, sondern liege zunehmend in der Verantwortung von pädagogisch geschulten Teams, vor allem dann, wenn in Workshops oder Schulungen Kompetenzen gefördert werden sollen. Allerdings müsse das bibliotheksspezifische in der eigenen pädagogischen Arbeit geschärft werden sowie die pädagogischen Kompetenzen professionalisiert werden, um Partnerin auf Augenhöhe für andere Bildungsinstitutionen zu sein. 

Auf die Frage, was dazu gehöre, dass eine Partnerschaft zwischen Bibliothek und Schule gelänge, betonte Dr. Ott, dass hier die Schulen häufig nach ihren eigenen Regeln funktionierten und nur in das System gelänge, wer den Perspektivwechsel aus der eigenen Institution schaffe. Das bedeutet für Bibliotheken, dass sie für die Lehrkräfte Angebote schaffen sollten, die eine Entlastung und kein Zusatz im Schulalltag sind, sich auf das stark fächerorientierte Denken in Schulen einlassen und immer wieder auch in die Lehrerkollegien sowie auch in die Lehrkräfteausbildung hineinwirken. Derartige »Öffentlichkeitsarbeit« in Richtung der Schulen sei eine elementare Voraussetzung für die Wahrnehmung bibliothekspädagogischer Angebote.

Prof. Dr. Stang ging im Anschluss noch einmal auf die Rolle der Wissenschaftlichen Bibliotheken ein. Er betonte, dass hier insbesondere die Raumgestaltung pädagogische Wirkung zeige und auch unter dieser Perspektive in der Lernortentwicklung bedacht werden sollte. Die Bibliothek habe die Chance, sich als Raum für selbstgesteuertes Lernen zu profilieren. Er ist der Überzeugung, dass Kreativität nur in Räumen entstehen könne, die auch Chaos zuließen. Bibliotheken sollte also eine Atmosphäre schaffen, die unterschiedliche Bedürfnisse berücksichtige und die Chaos und Zufall zuließen. Dies bedeute zum Beispiel nicht, zuerst an feststehende Regale zu denken, sondern an immer wieder anpassbare Raumkonzepte. In den Wissenschaftlichen Bibliotheken seien weniger pädagogische Konzepte für Gruppen anzutreffen als Beratung und individualisierte Förderung. In diesem Sinne müsse das Personal auch für diese Szenarien ausgebildet werden. Interessant sei es, hier die Freiheiten in der Raumgestaltung, die Bibliotheken zum Beispiel gegenüber Schulen hätten, zu nutzen, um projektartiges, weniger systematisiertes Arbeiten auch von der Raumkonzeption her zu stärken. 

Als Beispiel für ein über mehrere Jahre erprobtes und erfolgreiches Kooperationskonzept einer Stadtbibliothek mit den kommunalen Schulen schilderte Prof. Dr. Keller-Loibl im Anschluss das Veranstaltungskonzept der Leipziger Stadtbibliothek. Dieses wurde in Zusammenarbeit mit der HTWK 2012 auf pädagogischen Grundlagen entwickelt und hatte den Anspruch, die Schulen genau bei ihren Bedürfnissen abzuholen. Als Fazit sei zu ziehen, dass das Konzept immer noch sehr gut funktioniere. In der Praxis erwiesen sich jedoch die Menge an Klassen, sowie die wechselnden Zuständigkeiten an Schulen als Herausforderungen, sodass das Konzept immer wieder neu beworben werden müsse. Eine regelmäßige Evaluation und Flexibilität im Curriculum seien daher vonnöten. 

Lokal spezifische Lösungen

Ebenfalls Thema war der ab 2026 geltende Rechtsanspruch auf einen Ganztagesplatz an Grundschulen und die daraus sich ergebenden Möglichkeiten und Herausforderungen für Schulen. Dr. Ott betonte, dass die Schulen in der Lösung dieses Anspruchs sehr verschieden seien und damit auch die Bibliotheken lokal spezifische Lösungen finden müssten. Eine Idee sei die Möglichkeit, Personen, die an Schulen Betreuung leisteten, für die Möglichkeiten von Bibliotheken zu sensibilisieren beziehungsweise diese zu qualifizieren, eine weitere die mobilen Angebote von Bibliotheken zu stärken.

Die Öffnung der Diskussionsrunde zeigte, dass es bereits ein hohes Engagement der Community gibt und viele Bibliotheken sich auf den Weg gemacht haben, ihre pädagogische Arbeit weiter zu professionalisieren. Dabei wurde auch betont, dass es in Zukunft notwendig sei, institutionelle Schranken abzubauen und mit anderen Bildungseinrichtungen, zum Beispiel mit den Volkshochschulen, zielorientiert zu arbeiten. Die Teilnehmer/-innen zeigten auf, dass es für den Kontakt mit den Schulen notwendig sei, eine curriculare Verankerung der bibliothekarischen Inhalte zu erreichen, auch um anhand eines gemeinsamen Vokabulars das gegenseitige Verständnis zu fördern.

Gleichzeitig wurde betont, dass der Fachkräftemangel herausforderungsreich sei und es häufig nicht an Ausstattungsfragen läge, ob die pädagogische Arbeit durch und in Bibliotheken gelingt. Hier sei es notwendig, auch Quereinsteiger/-innen die Arbeit in Bibliotheken zu ermöglichen und verstärkt Personen anzuwerben, die bereits pädagogische Kompetenzen mitbringen. Dabei seien auch die Studiengänge aufgerufen, mehr pädagogische Inhalte in den Studien- und Prüfungsordnungen zu verankern. 

Die AG Bibliothekspädagogik hat aktuell sieben Mitglieder und wurde 2020 auf Initiative von Expertinnen und Experten aus der Bibliothekscommunity gegründet. Sie setzt sich zusammen aus Vertretern der Kommission Informationskompetenz, der Fachkommission Bibliothekspädagogik Baden-Württemberg, der Kommission »Bibliothek & Schule«, der Kommission »Kinder- und Jugendbibliotheken« sowie externen Expertinnen und Experten. 

Ziel der AG ist es, die Bibliothekspädagogik als verbindendes Element zwischen den Feldern der Leseförderung sowie der Förderung der Medien- und Informationskompetenz in allen Bibliotheksformen zu stärken. 

2022 hat die AG ein Diskussionspapier veröffentlicht (siehe hierzu auch BuB-Heft 8/9-2021, Seite 490-491), das in der bibliothekarischen Community verbreitet wurde. In einem Arbeitsworkshop 2023 wurden Jahresziele für die weitere Arbeit erarbeitet: 1.) eine Herausgeberschrift zum Thema Bibliothekspädagogik im Sinne einer aktuellen Positionsbestimmung zu veröffentlichen, die für die praktische Arbeit in Bibliotheken sowie als Argumentationshilfe gegenüber Politik und anderen Stakeholdern genutzt werden kann. 2.) ein Curriculum Bibliothekspädagogik entwickeln, das mögliche bibliothekspädagogische Angebote im lebenslangen Lernen aufzeigt. 

Die AG trifft sich regelmäßig zum Austausch. Gerne können Interessierte eigene Themenwünsche oder Anregungen einbringen.

Kontaktadresse:

Anne Wellingerhof (Koordination der AG)

wellingerhof@bibliotheksverband.de

BiblioCON Forum Bibliothekspädagogik

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