Der Weg in die Zukunft: Sechs Visionen zu Kooperationen von Öffentlichen Bibliotheken

Die Teilnehmer des OCLC Visionärs-Workshops diskutierten im Oktober einen tag lang über die Zukunft von Bibliotheken. Fotos: OCLC

Elf Experten aus dem Bibliothekswesen überlegen, beratschlagen und diskutieren auf dem OCLC Visionärs- Workshop – einen Tag lang. Herausgekommen sind sechs Visionen zur Zukunft der Bibliotheken, vorgestellt am Bibliotheksleitertag im Oktober vergangenen Jahres in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt. Auch die BuB-Redaktion nimmt sich diesem Themenkomplex an. Die Januar-Ausgabe, die in wenigen Tagen erscheint hat die »Zukunft der Bibliotheken« als Schwerpunkt-Thema.

Über 80 für die Zukunft der Bibliotheken relevante Faktoren wurden von den Teilnehmenden in Bezug auf »Zusammenarbeit« und »Kooperation« von Bibliotheken vor dem Workshop anlässlich des Bibliotheksleitertages in Frankfurt zusammengetragen. Über diese gemeinsame Umfeld-Analyse zur Lage der Bibliotheken gelang es, eine gemeinsame Arbeitsbasis zu entwickeln. In fünf verschiedene Themen-Richtungen wurden daraus Visionen formuliert. In einem nächsten Schritt wurden ergänzende erste Schritte erarbeitet, die helfen sollen, die Visionen zu erreichen.

Vor dem Workshop stellten die Teilnehmer eine Vielfalt von Aspekten und Umfeld-Faktoren zusammen und ordneten sie den Bereichen »Gesellschaft und Nutzer«, »Technik«, »Wirtschaft/Personal und Wissen«, »Räume und Selbstverständnis« sowie »Politik und Öffentlichkeitsarbeit« als wichtigste Herausforderungen zu. Nach Sichtung und Bewertung dieser Überlegungen entwickelten die Teilnehmer daraus Visionen für die Möglichkeiten der Zusammenarbeit der Öffentlichen Bibliotheken für das Jahr 2020.

Fünf Oberthemen wurden diskutiert: Verbesserung der Kooperation von Öffentlichen Bibliotheken, Verbesserung von Services, Verbesserung von Abläufen, Verbesserung der Lobbyarbeit und Verbesserung der Kommunikation. Daraus leiteten die Mitwirkenden Strategien und mögliche, machbare Maßnahmen durch eine verbesserte Kooperation der Öffentlichen Bibliotheken für die kommenden fünf Jahre ab. Austausch, Gruppenarbeit sowie Gastbeiträge der externen Experten aus den Benchmark-Bibliotheken führten zu den folgenden Ergebnissen.

Vision 1:  Starke kundenorientierte Services

Es gibt neben den städtischen auch ländliche Bibliotheksbetriebe mit dezentraler Verantwortung und zentraler Administration/Verwaltung und Dienstleistung.

Die öffentliche Bibliothekslandschaft heute setzt sich zusammen aus städtischen und ländlichen Bibliotheksbetrieben mit dezentraler Verantwortung und dezentraler Verwaltung, die es den einzelnen Bibliotheken erschwert, aktuelle, für Kunden wichtige, Dienstleistungen anzubieten. Das zu verändern würde helfen, personelle und finanzielle Ressourcen zu entlasten und die Kundenorientierung auch von kleineren Einrichtungen zu erhöhen.

Vision 2 :  Zentrales E-Book-Handling für alle

Nationale E-Lizenzen für Öffentlichen Bibliotheken und ein zentrales, nutzungsabhängiges Abrechnungs-/Finanzierungssystem über die lokalen Öffentlichen Bibliotheken oder die Verbände  sichern die Zusammenarbeit mit den Verlagen.

Hier könnten zum Beispiel Kooperationen mit Wissenschaftlichen Bibliotheken dabei helfen,  angepassten Nutzungsbedingungen mit den Verlagen zu vereinbaren. Voraussetzung für greifende Verlagsvereinbarungen ist ein einheitliches europäisches Datenschutzrecht, das die bessere Analyse von Nutzeranfragen und -verhalten für zielgerichtete Angebote garantiert.

Arend Flemming, Bibliotheksdirektor der Städtischen Bibliotheken Dresden, hob hervor, dass die für den Erfolg essenziellen E-Lizenzen nur in Kooperation erreicht werden können. Dafür könnten strategische Partnerschaften mit Dienstleistern und Verbänden etabliert werden.

Es wäre möglich, in wenigen Monaten auf Basis der aktuellen Technik-Infrastruktur ein einheitliches Abrechnungssystem und Geschäftsmodell für die Verlage zu konzipieren. Dazu müssten von den Partnern gemeinsame Verhandlungen mit den Verlagen geführt werden,  eine neue technische Infrastruktur entwickelt werden und diese in die Bibliotheksmanagement-Systeme integriert werden. Nachdem die Funktion in einem Pilottest geprüft worden ist,  könnte ein Roll-out schon zur Buchmesse 2016 stattfinden.

Vision 3 : Stets sichtbar und verfügbar

Die Bibliothek ist als Ort sichtbar und liefert 24 Stunden Services: In digitaler Form und als physischer Raum.

Um die Bibliotheksservices zu verbessern, sahen es die Experten als essentiell an, grundsätzlich die Sichtbarkeit der Bibliotheken für die Nutzer und potentiellen Kunden zu verbessern.

Die Bibliothek ­­­­– sowohl als realer Ort, als auch als digitaler und physischer Raum mit 24-Stunden-Service – muss in zeitgemäßer Form in den Fokus und das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt werden. Helmut Windinger, Leiter der Stadtbibliothek Salzburg, unterstrich, dass die Sichtbarkeit durch erfolgreiche Kommunikation und Kooperation entscheidend vorangetrieben werden kann.

Konkret kann beispielhaft die Sichtbarkeit von »Bibliothek online« mit durchgängig zugänglichen Services und einer gut gerankten Position bei Suchmaschinenanfragen erhöht werden. Dafür müssten die Öffentlichen Bibliotheken innerhalb der kommenden fünf Jahre ihre IT- und Marketing-Kompetenz stärken. Außerdem könnten Kooperationen untereinander sowie mit Verbands- und Dienstleistungspartnern ausgebaut werden. Die Einspielung der Bestände in die bibliografische Datenbank »WorldCat« wäre hier ein Mittel, die Bibliotheken und die bei ihnen erhältlichen Medien bei den Suchmaschinen gut zu positionieren. Idealerweise würde dieses Ziel nicht nur auf die Bestände reduziert umgesetzt, sondern auch auf alle Veranstaltungen angewendet werden.

»Es gibt viele Gemeinsamkeiten zwischen Öffentlichen und Wissenschaftlichen Bibliotheken, die es zu nutzen gilt«, resümierte   Peter Kostädt von der Universitäts- und Stadtbibliothek zu Köln.

Vision 4 :  Einfacher Zugang und spezialisiertere Beratung

Jeder kann mit seinem Personalausweis, der EC-Karte oder seiner Smartphone-ID jede Bibliothek nutzen. Wir haben spezialisierteres Personal. Unsere Geschäftsvorgänge sind standardisiert.

Wie wäre es, wenn Bibliotheken den neuen Anforderungen der Nutzer mit spezialisiertem Personal und mit standardisierten Geschäftsvorgängen begegnen würden? Wie wäre es, wenn auch Öffentliche Bibliotheken ausgedehnt zeitlich und physisch verfügbar sind? Wenn alle Services bei Suchanfragen sichtbar werden? Wenn alle Menschen die Möglichkeit hätten, alle Bibliotheken mit dem Personalausweis, der EC-Karte oder Smartphone-ID zu nutzen?

Um diese Vision(en) zu realisieren, ist zum einen ein stärker spezialisiertes Personal notwendig, das in Informationstechnologie und Medienpädagogik fortgebildet werden müsste. Das wäre nur mit Hilfe der Berufsverbände BIB und dbv sowie der Fachstellen machbar. Die Standardisierung der Geschäftsvorgänge könnte weiter erhöht und die IT- und Suchmaschinentechnologie optimiert werden, indem die Bibliotheken mittelfristig den Austausch untereinander intensivieren, Schnittstellenprogrammierung erfolgt und sie Unterstützung vom dbv, Fachstellen sowie IT-Systemanbietern wie OCLC erhalten.

Gleichzeitig müssen gesetzliche Regelungen zu Gunsten einer besseren Verfügbarkeit verändert werden. »Quelle des Erfolgs ist nicht nur die enge Kooperation unter uns Bibliotheken, sondern auch die mit Verbänden und Trägern«, sagte Jens Geißler, Leiter der Bibliothek Bad Oldesloe.

»Besonders hilfreich ist der Austausch mit den Kollegen hier in Anbetracht der anstehenden Veränderungen. Jeder weiß, dass wir bei der Einführung von Veränderungen immer wieder auf Vorbehalte stoßen. Veranstaltungen wie diese, aber auch die Rotation von Mitarbeitern oder gemeinsame Projekte sind ein Beitrag, dem zu begegnen«, ergänzte Markus Feigl von den Büchereien Wien. »Unsere Mitarbeiter lernen von Kollegen anderer Bibliotheken, dass Abläufe dort anders und effizienter laufen als in der eigenen Bibliothek. Das schwächt die Gegenargumente langsam ab.«

Vision 5:  Freie Informationen sind garantiert

Bibliotheken sind eine reale und virtuell sichtbare Plattform mit klarer Strategie, die politisch, wirtschaftlich und sozial gut vernetzt ist und freien Zugang zu Informationen garantiert. Durch Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit bringen sie Menschen zusammen und leisten einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des Einzelnen und der Gesellschaft.

Um das Lobbying zu verbessern, ist zum ersten die Regulierung der Verfügbarkeit von E-Books notwendig. Dabei ist das Copyright von vorrangiger Bedeutung für die Öffentlichen Bibliotheken. Politiker, Abgeordnete, Verbände und eventuell Verlage sowie Anbieter wie Amazon sollten stärker involviert werden.

Ein zweiter Aspekt der Vision ist die Entwicklung und Implementierung von Visionen und Strategien in Bibliotheken, die ebenfalls durch Lobbying und Zusammenarbeit erreicht werden kann. Die Bibliotheksführung kann dazu beispielsweise in Seminaren befähigt werden, die durch die Verbände angeboten werden. Zudem sollen Mitarbeiter zur Unterstützung dieser strategischen Aktivitäten eingesetzt werden. Zusätzlich würde ein zukunftsorientiertes Reporting automatisiert messbare Daten über Zielgruppen, Besucherzahlen und die Nutzung von Inhouse-Angeboten erzeugen. Kurzfristig könnten dazu die Bibliotheken, die darin Erfahrung haben, ihren Umgang mit diesen Kennzahlen als »Best Practice« teilen.

Eine weitere Aufgabe für den dbv und andere Partner sahen die Workshop-Teilnehmer in einer Erweiterung und dadurch aktuelleren Nutzung des Bibliotheksindex (BIX), »die Wiederbelebung des BIX« etwa durch »Business Analytics« beziehungsweise Nutzer- und Anwenderanalysen.

Die Teilnehmer wünschten sich zusätzlich eine durch den dbv unterstützte »Crowd-Funding Plattform«, die alle Bibliothekare, die innovativ sein wollen, und Nutzer, die Ideen für Projekte haben sowie Partner miteinander verbindet. Arend Flemming hat hierzu die Möglichkeiten bereits ausgelotet und setzt sich auf Verbandsebene dafür ein.

Über Kooperation und den Erfahrungsaustausch mit den Besten der Branche – auch interaktiv mit Bibliothek 2.0 – sowie durch Aus- und Weiterbildung von aktuellen und zukünftigen Mitarbeitern soll das Image der Öffentlichen Bibliotheken als »trusted resource of information« (vertrauenswürdige Informationsquelle) geschärft werden.

Für Hannelore Vogt, Bibliotheksdirektorin der Stadtbibliothek Köln, sind viele der Diskussionspunkte bereits Realität. »Wir nutzen das vielschichtige Wissen unser Nutzer und Partner. Wir laden sie ein, ihre besonderen Kenntnisse in die Bibliothek einzubringen. Sie stehen als Botschafter und Experten für ihre Themen und bereichern dadurch den Wissenstransfer an andere über den Ort Bibliothek. Ein Beispiel ist die Präsentation von 3-D-Technologie in unserem Empfangsbereich.«

Gerhard Matter, Bibliotheksdirektor von der Kantonsbibliothek Baselland in Liestal, Schweiz, brachte die inhaltlichen Schnittmengen zwischen den fünf Themenfeldern und die vielen Anregungen auf den Punkt: »Beim Lobbying wollen wir einerseits inhaltliche Themen, wie die Verfügbarkeit von E-Books oder die Regulierung des Copyrights, ansprechen. Andererseits brauchen wir ein zukunftsorientiertes Reporting, um unsere Leistungen besser verkaufen zu können. Wir müssen aber auch bei uns selbst anfangen und in den Ausbau unserer Fähigkeiten investieren.«

Die nächsten Schritte

»Der aufregende Wert des Workshops sind die Ergebnisse und wie es damit weiter gehen wird«, sagt Volker König, Leiter der Stadtbibliothek Würzburg. Die Ergebnisse des Workshops der Bibliotheksleiter und Verbandsvertreter aus Deutschland, Österreich und der Schweiz und des OCLC-Teams trug Dirk Wissen bereits auf dem Bibliotheksleitertag im Oktober 2014 vor. Die 190 Teilnehmer diskutierten mit regem und kontroversem Interesse über die Visionen und deren Umsetzung.

Es werden nun Gespräche geführt, um die strategischen Partnerschaften in den angedachten Formen weiter auszubauen und hier eine Grundlage zur Realisierung zu schaffen. Detailaspekte werden von OCLC themenorientiert mit Bibliothekaren in weiteren Gremien diskutiert, um die Ergebnisse zu verfeinern und – sobald möglich – auch in die technische Weiterentwicklung relevanter Bibliotheks-Services einfließen zu lassen.

Die Ergebnisse des Visionärs-Workshops stehen den Verbänden als Report und Dokumentation zur Verfügung. Die daraus resultierenden politischen Aufträge und Aufgaben können nun in die Verbandsarbeit einfließen, damit hier die Grundlage für die Umsetzung der Visionen geschaffen wird. »Als Verbandvertreter war es interessant zu hören, dass überall die Verbände gefragt sind«, sagt Herbert Staub, Präsident des schweizer Bibliotheksverbandes »Bibliothek Information Schweiz« (BIS).

Für die Zusammenarbeit zwischen Bibliotheken, Institutionen und der Industrie wird OCLC weiterhin Kooperationen und Modelle im Austausch mit den Partner-Institutionen andenken. Wenn bei den Überlegungen weitere Bibliotheken und Institutionen in die Visionsentwicklung und Umsetzungsplanung einbezogen werden, können die vielversprechenden Potenziale der Zusammenarbeit zur Erreichung dieser Visionen erfolgreich umgesetzt werden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Elisabeth Denk, OCLC (3.1.2015)

 

 

Vision 6: Kommunikation erreicht Nutzer jederzeit

Bibliotheken kommunizieren professionell über verschiedene Kanäle an verschiedene Zielgruppen. Die lokale Kommunikationsarbeit wird von zentralen Serviceinstitutionen unterstützt. Es existiert ein größeres Selbstbewusstsein für den eigenen Stellenwert in der Gesellschaft.

 

Dazu sind ein erheblicher Kraftakt und eine Reihe von Maßnahmen erforderlich: Bibliotheken kommunizieren dann professionell über Service-, Kultur- und Bildungsinhalte, wenn sie verschiedene Kanäle wie die Netzwerke von Social Media, ihre persönliche Kommunikation oder auch klassische Printmedien parallel und regelmäßig nutzen.

Ziel dieser Vision zur Kommunikation ist es, mit den verschiedenen Zielgruppen wie Politikern, Trägern, Stakeholdern, Multiplikatoren beispielsweise in Schulen, Medien sowie potenziellen und Bestandskunden zu kommunizieren. In der Kooperation von zentralen Service-Institutionen könnte die lokale Kommunikation Unterstützung erhalten.

 

»Es ist wichtig, dass wir mehr Selbstbewusstsein für den Stellenwert unseren Bibliotheken in der Gesellschaft erlangen«, sagt Dirk Wissen, Direktor der Stadt- und Regionalbibliothek Frankfurt (Oder). »Wir benötigen mehr Mut, uns öffentlich zu äußern.« Das bedeutet unter anderem, selbstbewusst und permanent Position zu ergreifen und sich als »größter Bildungs- und Kulturanbieter«, »bürgernahes Wohnzimmer der Stadt«, »werbefreier Raum« und »Treffpunkt für Bürger und Gäste der Stadt« in der Öffentlichkeit zu präsentieren.

 

Mehr Marketing-Know-how würde den Aspekt stützen, beispielsweise bei der Nutzung von Crowd-Funding in Bibliotheken für nicht öffentlich finanzierte Projektideen. Beispielgebend ist der dbv, der ein mit gesammelten Geldern finanziertes Bibliotheksnetzwerk unterstützt, das innovative Bibliothekare, Nutzer mit Projektideen in Bibliotheken und Partner zusammenführt.

 

Zudem sollten Bibliotheken den Mut haben, Neues auszuprobieren. Exemplarisch dafür ist die Schweizer Praxis, Experten aus anderen Bibliotheken, Prüfungen in der Bibliothek abnehmen zu lassen und Personal auszutauschen.

 

Alwin Müller-Jerina, Direktor der Stadtbibliothek Neuss unterstrich: »Wir sehen, dass wir  strategische Weichenstellungen und unsere Haltung im Umgang mit Innovationen ausbauen müssen. Wir sollten auch Mut zum Risiko zeigen, um Theorien in der Praxis zu testen.« Nächster Schritt könnte es sein, nach Best-Practices in anderen Bibliotheken zu suchen und diese zu übernehmen. Zudem wurde angeregt, dass sich Öffentliche Bibliotheken mit Bildungseinrichtungen wie zum Beispiel Schulen noch besser vernetzen könnten. Warum sollten sie keine Kooperationsverträge abschließen und außerschulischer Lernort sein, der mindestens einmal pro Schuljahr von jedem Schüler besucht wird?

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