»Es ist eine große Herausforderung, den digitalen Wandel der Bibliotheken bekannter zu machen«

Ein Gespräch über die digitale Transformation von Bibliotheken und zur Bedeutung des Digitalprogramms »WissensWandel« des Deutschen Bibliotheksverbands.
Lucia Werder (links) und Barbara Schleihagen bei der Diskussionsrunde zur Bedeutung des Digitalprogramms »WissensWandel«.
Lucia Werder (links) und Barbara Schleihagen bei der Diskussionsrunde zur Bedeutung des Digitalprogramms »WissensWandel«. Foto: dbv/Christoph Schieder

 

Im Juni 2023 endet das Förderprogramm »WissensWandel«, das im Jahr 2020 im Rahmen von »NEUSTART KULTUR« der Bundesbeauftragen für Kultur und Medien aufgesetzt wurde. Ziel war es, den pandemiebedingten Digitalisierungsschub in Bibliotheken und Archiven aufzugreifen und digitale Angebote zeitgemäß und nachhaltig auszubauen, um so auch eine kontaktlose Nutzung der Einrichtungen zu ermöglichen. Mit. Mit 26,3 Millionen Euro wurden insgesamt 751 Projekte gefördert, 443 davon in Öffentlichen Bibliotheken. Zeit für ein Gespräch zur Bedeutung des Digitalprogramms mit Dr. Michaela Stoffels, Referentin für Kultur und Bildung beim Deutschen Städtetag, Lucia Werder, stellvertretende Direktorin der Stadtbibliothek Bremen und Barbara Schleihagen, Bundesgeschäftsführerin des Deutschen Bibliotheksverbands (dbv).1 Das Interview führten Kerstin Meyer vom dbv und der Journalist Tobias Asmuth.

Frau Schleihagen, wie sind die Bibliotheken in Deutschland durch die Corona-Krise gekommen?

Schleihagen: Die Bibliotheken sind im großen Ganzen gut durch die Pandemie gekommen. Wir müssen aber unterscheiden zwischen Hochschulbibliotheken und Öffentlichen Bibliotheken. An den Universitäten haben die Studierenden mit den Füßen gescharrt, um endlich wieder in die Bibliotheken zu kommen. Bei den Öffentlichen Bibliotheken ist die Besucherzahl noch nicht ganz so hoch wie vor der Pandemie. Das ist ein Phänomen, das wir in allen Kultur- und Bildungseinrichtungen beobachten.



Mit dem Förderprogramm »WissensWandel« im Rahmen von NEUSTART KULTUR haben Sie Bibliotheken und Archive bei der Digitalisierung unterstützt. Welche Bedeutung hat das Programm?

Schleihagen: Das Programm war ganz klar ein Katalysator. Ich glaube, Bibliotheken waren die ersten, die vor über zwanzig Jahren damit begonnen haben, sich mit der Digitalisierung von Dokumenten zu beschäftigen. Die ersten E-Books wurden schon 2007 ausgeliehen. Dabei liegen große Stadtbibliotheken weit vorne. Sie können Dinge anbieten, die kleine Bibliotheken auf dem Land nicht anbieten können oder nur zeitversetzt. Das Schöne am Bibliothekswesen ist: Wir teilen gerne. Das ist inhärent in unserem Auftrag angelegt. Wir teilen also auch gerne unser Wissen. Das bringt auch kleinere Bibliotheken dazu, Schritte ins Digitale zu gehen. Die Pandemie hat uns aber sicher dazu gezwungen, uns noch mehr mit der Digitalisierung auseinander zu setzen. Was neben all dem Schwierigen und Schweren auch schön war an der Zeit: Wir hatten die Freiheit auszuprobieren. Die Pandemie hat einen Schub an Kreativität freigesetzt. Das war auch sehr befreiend.

Frau Werder, trifft das auf die Stadtbibliothek Bremen auch zu? Warum haben Sie einen Förderantrag bei »WissensWandel« eingereicht?

Werder: Bei uns war es die Chance, neue experimentelle Konzepte zur Medienkompetenzförderung auszuprobieren, die auch unter Pandemie-Einschränkungen realisiert werden können. Wir waren als große Stadtbibliothek schon weit, aber auch wir haben durch Corona gemerkt, dass wirklich alle Mitarbeiter/-innen digital fit sein müssen. Wir waren gezwungen, Dinge auszuprobieren und kreativ zu werden. Die Überzeugung, hybride Formate zu entwickeln, ist dabei in der Pandemie gewachsen.

 

Frau Stoffels, mit dem Förderprogramm NEUSTART KULTUR hat der Bund in der Corona-Krise die deutsche Kulturbranche massiv unterstützt. Was hat diese Förderung in den Städten bewirkt?

Stoffels: Die Förderung hat insbesondere den coronabedingt dringend notwendigen Ausbau schon vorhandener digitaler Angebote vorangebracht. Das war eine echte Hilfe in schwieriger Zeit. Einrichtungen konnten digitale Aufbauarbeit leisten und teilweise auch erstmals entsprechende Endgeräte anschaffen. Das heißt aus unserer Sicht aber auch, dass wir jetzt noch einen langen Weg vor uns haben, damit kommunalen Einrichtungen der Schritt in Richtung digitale Transformation wirklich gelingt.

 

Wie beurteilt der Städtetag denn die Lage der Bibliotheken?

Stoffels: Den Bibliotheken geht es nicht so schlecht. Der Besucher/-innenrückgang wurde durch eine rege digitale Nachfrage kompensiert. Wir würden uns von kommunaler Seite wünschen, dass Bibliotheken noch stärker als Dritte Orte wahrgenommen werden, also als Austausch- und Begegnungszentren, die insbesondere den freien Zugang zu Information und Literatur gewährleisten.



Der digitale Wandel ist nicht in ein paar Jahren vorbei. Er kostet fortwährend Geld. Was erwarten Sie von Seiten der Politik?

Schleihagen: Das ist natürlich ein großes Problem und wir sehen ja auch, dass viele Kommunen als Geldgeber der Stadtbibliotheken finanziell nicht auf Rosen gebettet sind. Wir machen einmal im Jahr eine Umfrage zur finanziellen Situation der Öffentlichen Bibliotheken. Wir wissen daher, dass bei 40 Prozent die Mittel für Investitionen gar nicht da sind. Auch deshalb braucht es Förderprogramme wie NEUSTART KULTUR. Bei unserem Programm »WissensWandel« sind schon am ersten Tag mehr Anträge auf Förderung von Projekten eingegangen als Mittel vorhanden waren – und das waren viele Millionen. Das zeigt, wie groß der Bedarf ist. Daher sollten die Mittel von Kommunen und Ländern aufgestockt werden. Gerade für Baumaßnahmen, aber auch für das Personal und Weiterbildung braucht es finanzielle Sicherheit.

 

Frau Stoffels, daran anknüpfend: Was wünschen sich denn die Kommunen vom Bund in Sachen Digitalisierung?

Stoffels: Wir brauchen mehr Nachhaltigkeit in der Digitalisierung. Dies könnte unserer Meinung nach so aussehen, dass der Bund auch in außerschulischen Bildungs- und Kultureinrichtungen wie Bibliotheken, Archiven, Volkshochschulen aber auch Musikschulen für eine digitale Erstausstattung mit den entsprechenden Geräten sorgt. Die Länder könnten die Folgekosten wie Schulungen und Fortbildungen übernehmen und die Kommunen könnten sich um die Wartung kümmern. In diesem Modell eines nachhaltigen Digitalisierungspakts wären alle drei föderalen Ebenen sinnvoll und dauerhaft eingebunden.

Frau Schleihagen, von Rolf Hapel, Direktor der Bibliothek Dokk1 im dänischen Aarhus, stammt das folgende Zitat: »Die Technologie darf nicht unser Maßstab sein – sondern der Mensch.« Wenn man diesem Urteil folgt, was folgt daraus für den digitalen Wandel und die Bibliothek der Zukunft?

Schleihagen: War es früher noch so, dass manche Bibliothekare und Bibliothekarinnen gesagt haben, Hauptsache den Büchern geht es gut und die Besucher/-innen bringen nichts durcheinander, so ist es heute so, dass sie sagen, uns sind die Menschen wichtig, die zu uns kommen. Im besten Fall ist es so, dass man gesellschaftliche Gruppen wie Vereine, Kitas oder Schüler/-innengruppen ins Haus einlädt und zusammen mit ihnen Angebote gestaltet. So kommen auch Menschen in die Bibliothek, die sonst nicht unbedingt eine Bibliothek besuchen würden. Es wird mit der Digitalisierung weitergehen. Aber je digitaler die Gesellschaft wird, desto mehr brauchen wir Orte, wo sich die Menschen real und physisch treffen können.

 

Wie funktioniert das denn in Bremen?

Werder: Den Weg zu einem Dritten Ort haben wir schon vor Jahren genommen. Wir investieren viel dafür, dass sich die Menschen bei uns in schönen attraktiven Räumen wohl fühlen. Unsere Bibliothek soll ein Ort sein, von dem man im besten Fall sagen kann: Das ist für mich wie ein zweites Wohnzimmer. Wir haben in einer Experimentierphase mit Sonntagsöffnungen auch erlebt, dass viele Menschen kamen und sagten, sie sind auch gekommen, weil sie sonst allein daheimsitzen würden. Und das waren nicht nur ältere, sondern auch jüngere Menschen, die vielleicht kein starkes soziales Umfeld haben. Bibliotheken sind für sie Orte, wo sie unter Menschen sein können, ohne eine Verpflichtung zu haben. Vielleicht ergibt sich ein Gespräch, aber ich kann auch einfach in einem Buch stöbern, einen Kaffee trinken oder mit einem Laptop Filme schauen. Wir merken auch, dass viele Studierende in unsere Bibliothek kommen, weil sie sagen, dass sie bei uns besser lernen können als zuhause. Auch wenn bei uns der Lärmpegel höher ist als in der Bibliothek der Universität. Bei uns rennen auch mal Kinder durch die Bibliothek oder es gibt eine Führung. Der Ort ist wichtig, um aus seiner Bubble herauszukommen.

Gestalten, Diskutieren, Mitmachen

Sich die Köpfe heiß reden, Bananen verkabeln oder auf einem Bildschirm seine eigene Geschichte zeichnen. All das geht im FR3IRAUM, dem Kreativangebot der Stadtbibliothek Bremen, mit dem sie digitale und analoge Formate verknüpft. FR3IRAUM sind eigentlich drei Räume oder noch besser drei Ideen: Im Diskursraum debattieren Schüler/innen mit Journalistinnen und Journalisten und blicken hinter die Kulissen aktueller Reportagen. Im Makey-Raum basteln Kinder und verwandeln Alltagsgegenstände wie Knete, Alufolie oder Bananen in Gaming-Controller. Im TagTool-Raum können Teilnehmer/-innen zusammen mit Künstler/innen auf Tablets und einem großen animierbaren Bildschirm zeichnen, malen und Geschichten zum Leben erwecken.

Die Workshops können nicht nur im Internet oder der Stadtbibliothek stattfinden, sondern auch in Schulen oder kleineren Bibliotheken in Bremen. »Wir wollten mit den Workshops den Seminarraum verlassen. Aber die Kinder können auch direkt bei uns in der Mitte der Bibliothek basteln, zeichnen und malen. Die Leute sollen ruhig sehen, was bei uns alles passiert«, sagt Daniel Tepe von der Bremer Stadtbibliothek. »Von dem Projekt FR3IRAUM profitiert die Bibliothek, die dadurch Angebote auch für neue Besucher/innen machen -kann. Es profitieren aber auch ganz sicher die beteiligten Journalisten, Künstler/innen oder Medienpädagoginnen, die positive Eindrücke und viel Energie mit nach Hause nehmen«, so Tepe weiter.

Stabü-Mobil: digital-nachhaltig-nah

Bücher, Tablets und Spiele hat der knallgrüne Froschtransporter geladen. Überall dort, wo das Stabü-Mobil seit dem vergangenen Sommer anhält - ob auf dem Pausenhof, auf einer Wiese vor dem Waldkindergarten oder auf einem Straßenfest zwischen Fachwerkhäusern - können Kinder und Jugendliche entweder analoge, hybride und digitale Medien entleihen, in Vermittlungsangeboten digitale Medien kennenlernen oder an Workshops teilnehmen, in denen sie Trickfilme drehen, Bilderbücher vertonen oder den Umgang mit Robotern erlernen.

Hinter der Anschaffung des kleinen Elektromobils steht die Idee der Stadtbücherei in der MAG in Geislingen an der Steige, das erfolgreiche Angebot der Sprach- und Leseförderung und der digitalen Medienbildung auch in Kindertagesstätten, Schulen und andere Jugendeinrichtungen zu bringen. Um den Lieferdienst passgenau zu gestalten, wurden diese zunächst in einer Online-Umfrage befragt, welche Workshops sich die Verantwortlichen wünschten und wann und wie oft das Stabü-Mobil die Einrichtungen besuchen sollte.

»Mit unserem Frosch-Transporter können wir digitale Medien und passende Veranstaltungen auch außerhalb unseres Hauses anbieten, um möglichst viele Kinder beim sinnvollen Umgang mit digitalen und analogen Medien zu unterstützen«, sagt Benjamin Decker, der Leiter der Bücherei. »Damit festigen wir unsere Partnerschaften mit Schulen und Kindergärten und bauen sie nachhaltig aus.«

In den Köpfen der Leute findet sich häufig noch ein verstaubtes oder auch romantisierendes Bild von Bibliotheken voller Bücher. Wie versuchen Sie nach außen sichtbar zu machen, dass die Häuser den digitalen Wandel kreativ angehen und schon lange nicht mehr Orte sind, an denen man nur Bücher entleiht?

Schleihagen: Ja, dieses Bild gibt es noch. Es ist eine große Herausforderung, den digitalen Wandel der Bibliotheken bekannter zu machen. Sie ist deshalb so groß, weil wir gegen Bilder arbeiten müssen, die bei vielen in der Kindheit entstanden sind. Dagegen versuchen wir auf vielen Wegen den digitalen Wandel zu beschreiben: Wir arbeiten mit den sozialen Medien wie Twitter, Facebook und Instagram. Wir nutzen den Tag der Bibliotheken, an denen wir die Preise »Bibliothek des Jahres« und »Bibliothek des Jahres in kleinen Kommunen und Regionen« vergeben. Da können wir ganz explizit zeigen: Das ist Bibliothek heute. Darüber berichten dann auch die Medien. Wir setzen auch auf Berichte in Zeitungen, überregional, regional und lokal. Und wir nutzen den Bundesweiten Vorlesetag oder den Welttag des Buches. Das ist ein stetiges Geschäft, denn die Bilder in den Köpfen sind hartnäckig.

Frau Stoffels, wie optimistisch sind Sie, dass der digitale Wandel von Bibliotheken weiter Thema sein wird?

Stoffels: Ich denke, dass das digitale Angebot der Bibliotheken von den Besucher/-innen gewollt wird. Die Menschen vor Ort fordern es explizit ein. Das zeigen auch die wachsenden Zahlen der E-Ausleihe. Dies ist ein zentraler Grund, warum der digitale Wandel aus unserer Sicht unumkehrbar ist.

 

Frau Werder, wie sähe Ihre ideale Bibliothek aus?

Werder: Das ist ein Ort, den die Menschen, die in die Bibliothek kommen und diese nutzen, selbst mitgestalten können und von dem sie am Ende sagen: Das ist meine Bibliothek, wo ich Dinge entdecken und ich anderen Menschen begegnen kann. Ein Ort, an dem auch neues Wissen entsteht.



Welche Rolle spielt in solch einer Bibliothek das Digitale?

Werder: Im Idealfall schaffen wir es, den Raum, den wir jetzt haben, in das Digitale zu erweitern. Es ist dann egal, ob ich mich mal in der Bibliothek oder in einem digitalen Raum treffe, wo ich ein Angebot lese oder höre, wo ich etwas Neues lerne. Unsere Aufgabe wird immer sein, dass wir das Lesen fördern. Wenn ich nicht lese, nicht verstehe, kann ich mir nichts erschließen. Egal, ob in der analogen oder digitalen Welt. Wenn wir dann noch tolle Orte haben, neue Bibliotheken, die einfach als Magnete wirken, dann haben wir eine Kombination von schönen Räumen und Möglichkeiten. Dann werden Bibliotheken – wie bisher schon auch – weiterhin Orte der Stadtgesellschaft sein: nichtkommerzielle Orte für alle Menschen einer Stadt. Orte der Vielfalt, an denen niemand ausgegrenzt oder diskriminiert wird und die alle gerne besuchen.

Schleihagen: Was ich mir für die Zukunft wünschen würde, wäre mehr Vernetzung, und zwar auf der kommunalen Ebene. Bereits jetzt sind teilweise schon Volkshochschulen, Museen und Bibliotheken unter einem Dach. Aber natürlich würden auch Archive sehr gut unter ein solches gemeinsames Dach passen. Für mich ist daher gar nicht so entscheidend, was in zehn Jahren für neue digitale Trends da sind, sondern die Frage, was können wir als Kulturinstitutionen den Menschen gemeinsam noch bieten. Und deshalb finde ich Vernetzung und die Verschränkung der Angebote verschiedener Kultureinrichtungen in einer Stadt ein so wichtiges Thema. Und damit meine ich nicht nur die digitale Verschränkung, aber die natürlich auch.

1 Das Gespräch fand am 07. Dezember 2022 in der Geschäftsstelle des dbv statt. An dem Gespräch nahm außerdem Dr. Michael Ruprecht, Direktor des Stadtarchivs Leipzig, teil. Aus Platzgründen wurde auf die Darstellung der Inhalte aus dem Archivbereich verzichtet. Das vollständige Gespräch können Sie im Abschlussbericht des Förderprogramms »WissensWandel« nachlesen, zu finden auf der Internetseite des dbv.

Kerstin Meyer, Kommunikations- und Medienwissenschaftlerin, leitet seit 2020 das Förderprogramm »WissensWandel« beim dbv. Zuvor war sie als Projektmanagerin im Bildungsbereich tätig.

Tobias Asmuth ist ein Journalist aus Berlin. Er unterstützt den dbv bei der Erstellung der Abschlusspublikation des Förderprogramms und moderierte das Gespräch.

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