Von Leuchttürmen und Geheimtipps

Die Szene der Museumsbibliotheken hierzulande ist vielfältig: Die wissenschaftlichen Spezialbibliotheken sind Arbeitsinstrumente und Serviceeinrichtungen zugleich.
Arbeitsmaterialien im Bibliotheksmagazin. Foto: J. Vogel, LVR-Landesmuseum Bonn

 

Die Museumslandschaft in Deutschland ist bunt und vielfältig. Es gibt kaum eine Stadt oder Gemeinde ohne eine museale Sammlung; die Bandbreite reicht vom kleinen, ehrenamtlich geführten Heimatmuseum bis zur Kunstsammlung mit internationaler Bedeutung, von der thematisch konzentrierten Spezialsammlung bis zum Universalmuseum, das kunst-, naturwissenschaftliche und historische Bestände unter einem Dach vereint. Allen gemeinsam sind die vier Prinzipien der Museumsarbeit: Sammeln, Bewahren, Forschen, Vermitteln.

Zur Erfüllung der musealen Aufgaben ist die Forschung unerlässlich: Die Sammlungsobjekte müssen wissenschaftlich bestimmt, Restaurierungsverfahren festgelegt, museumspädagogische Konzepte erarbeitet und Ausstellungsprojekte konzipiert werden. All dies unterstützt im Idealfall eine Museumsbibliothek, deren Sammlungsprofil eng auf die Trägerinstitution bezogen ist. Die Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Bestandsgrößen und Zugangsmodalitäten variieren dabei erheblich. Ob eine Museumsbibliothek ausschließlich museumsintern nutzbar ist oder auch der interessierten (Fach-)Öffentlichkeit zur Verfügung steht, entscheidet das Museum beziehungsweise der Unterhaltsträger. Dies ist in etwa der Hälfte aller deutschen Museen die sogenannte »öffentliche Hand«, also staatliche oder kommunale Institutionen. Etwa 45 Prozent der Museen werden von Privatpersonen, Firmen oder Vereinen getragen.1 Zu beobachten ist eine zunehmende Öffnung der Museumsbibliotheken auch für externe Besucherinnen und Besucher, für Studierende, Schülerinnen und Schüler und – ganz im Sinne der »citizen science« – für interessierte Bürgerinnen und Bürger.

Unterscheidet sich die Arbeit in Museumsbibliotheken von den Tätigkeiten in anderen Bibliotheken? Und falls das so sein sollte: Was macht die Arbeit so speziell? Welche besonderen Services können Museumsbibliotheken anbieten? Über welche Kompetenzen sollten Museumsbibliothearinnen und -bibliothekare verfügen? Diese und andere Fragen möchten wir im folgenden Beitrag klären.

 

Museumsbibliothekar/-in gesucht – flexibel, einfallsreich, leidensfähig

Das Konzept des Embedded Librarian ist eine Analogie zu dem des Embedded Journalist, den US-amerikanischen Journalisten, die im Irak-Krieg mit den Soldaten an die Front gelangten und mitten aus den Kämpfen berichteten. Auch die »embedded librarians« in Museumsbibliotheken befinden sich mitten im turbulenten Geschehen des Museumsalltags: Da steht der Termin der Ausstellungseröffnung bzw. der Pressekonferenz kurz bevor oder der Abgabeschluss für den Sammlungs- oder Ausstellungskatalog droht, welcher nicht nur geschrieben und redigiert, sondern auch Korrektur gelesen werden muss, nicht zu vergessen die Bildbeschaffung und Rechteklärung. Für viele Termine ist die Mitarbeit der Museumsbibliothek gefragt, sei es zum Beginn eines Schuljahres oder Semesters mit Veranstaltungen zur Informationskompetenz, sei es mit besonderen pädagogischen Angeboten in den Ferien oder zu Museumsevents wie der Langen Nacht der Museen, dem Tag des offenen Denkmals oder dem Internationalen Museumstag.2

 
Nur wenige Museumsbibliotheken verfügen über mehrere Personalstellen, die meisten  arbeiten mit zwei bis drei Beschäftigten oder gar als One Person Libraries.

 

In Museumsbibliotheken werden die spezifischen bibliothekarischen Aufgaben erledigt. Dazu gehört die Literaturrecherche, die Erwerbung und Katalogisierung neuer Medien, die medientechnische Bearbeitung, Magazintätigkeiten und Nutzerbetreuung. Darüber hinaus muss den speziellen Anforderungen einer hochspezialisierten Nutzergruppe Rechnung getragen werden, indem eine besondere Tiefe der inhaltlichen Erschließung die Verbindung zu den musealen Objekt- und Bilddatenbanken ermöglicht. Diese spezielle Indexierung ergänzt die übliche GND-Verschlagwortung, zum Beispiel durch museumseigene Objektbezeichnungen.3 Eine besondere Herausforderung stellen die Sondersammlungen dar: Künstlerbücher, Ausstellungsflyer, Ansichtskarten und Ausstellungsdokumentationen müssen nach besonderen Regeln erfasst und erschlossen werden. Die genaue Bestandskenntnis ermöglicht es den Museumsbibliothekarinnen und -bibliothekaren, die unterschiedlichsten Anfragen kompetent und umfassend zu beantworten.

Die jährliche Statistik des Instituts für Museumsforschung weist für das Jahr 2020 etwa 7 120 Museen und 528 Ausstellungshäuser nach.¹ Im Deutschen Museumsbund, dem zentralen Interessenverband der Museen, sind etwa tausend Museen organisiert.²
Die größte Gruppe der Museen (43,5 Prozent) bilden die orts- oder regionalgeschichtlichen Museen, zum Beispiel die zahlreichen Landesmuseen, die ihren Sammel- und Ausstellungsschwerpunkt auf die verschiedenen Regionen oder Bundesländer legen. Stadt- und Heimatmuseen sind in noch stärkerem Maße auf die Lokalgeschichte bezogen. Die nächstgrößere Gruppe bilden die kulturgeschichtlichen Museen (15,1 Prozent), dicht gefolgt von den naturwissenschaftlichen und technischen Museen (12,9 Prozent).³ Der Anteil an Kunstmuseen, archäologischen und historischen Museen ist zwar geringer, doch verzeichnen diese Museumsarten die meisten Besucherinnen und Besucher. Für das Jahr 2019 meldet die Statistik des Instituts für Museumsforschung 117 Millionen Besucherinnen und Besucher.

1 Zahlen und Materialien aus dem Institut für Museumsforschung, 75. (2021), online unter journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/ifmzm/issue/view/5496/1014


2 www.museumsbund.de
3 Zahlen und Materialien …, S. 41.

Nur wenige Museumsbibliotheken verfügen über mehrere Personalstellen, die meisten arbeiten mit zwei bis drei Beschäftigten oder gar als One Person Libraries (OPL).4 Eine Trennung der verschiedenen Arbeitsbereiche ist oft gar nicht möglich, und dies ist Fluch und Segen zugleich. Ob es ein Segen ist, sich um IT-Probleme, die Webseite und Social Media-Auftritte selbst kümmern zu dürfen bzw. zu müssen, wird durchaus unterschiedlich beurteilt. Dem trägt das auf die besonderen Fragestellungen in Kunst- und Museumsbibliotheken zugeschnittene Fortbildungsangebot der Initiative Fortbildung5 und der Arbeitsgemeinschaft für Kunst- und Museumsbibliotheken (AKMB)6 mit Workshops, Tagungen und fachlichem Austausch Rechnung.

Das Handbuch »Spezialbibliotheken in Deutschland: Kunst, Kultur, Museen«¹ weist etwa 508 Museumsbibliotheken nach. Die Bestände summieren sich auf über zwölf Millionen Bände, diese Zahl dürfte inzwischen erheblich größer geworden sein. Museumsbibliotheken definieren sich als organisatorischer Bestandteil eines Museums oder Ausstellungshauses, das Sammlungsprofil ist am Sammlungs- und Forschungsinteresse der Trägerinstitution ausgerichtet. Neben einigen großen Spezial- und Forschungsbibliotheken mit großem Mitarbeiterstab existieren zahlreiche kleinere Bibliotheken, von denen einige nur für die interne Nutzung bereitstehen. Das Gros der Museumsbibliotheken wird als One Person Library (OPL) geführt.²

¹ Kunst, Kultur, Museen : Verzeichnis der Bibliotheken in Museen, in Stätten der Forschung und Lehre … / Red. Petra Hauke. – Bad Honnef, 1996 (Spezialbibliotheken in Deutschland, 2)
² https://de.wikipedia.org/wiki/Museumsbibliothek

Wo es möglich ist, wird die bibliothekarische Ausbildung und das Berufsbild Museumsbibliothekar/-in durch das Angebot von Praxissemestern, Volontariaten oder Fachpraktika unterstützt. Einzelne Museumsbibliotheken bieten auch eine FaMI-Ausbildung an. Für die Arbeit in Museumsbibliotheken gilt das, was allgemein über die professionelle Arbeit im Museum im Leitfaden des Deutschen Museumsbundes7 ausgeführt wird: große Aufgabenvielfalt, hoher Professionalisierungsgrad, keine strenge Trennung zwischen einzelnen Funktionen und Tätigkeitsprofilen. Die verstärkte interne und externe Vernetzung schafft Synergien und führt zu neuen Ideen und Impulsen, die im gesamten Museum nachwirken können. Neben den bibliothekarischen Kompetenzen und fachlichen Kenntnissen sind Begeisterung für die Museumsarbeit, Neugierde, Offenheit und Flexibilität von großem Vorteil.

 

Vernetzung

Vernetzung hat in Bibliotheken eine lange Tradition: Erste gemeinsame Standards und Katalogisierungsregeln wurden bereits 1899 mit den Preußischen Instruktionen erstellt, die Bereitstellung von Literatur über die Fernleihe ist deutschlandweit seit 1924 geregelt und die wissenschaftlichen Bibliotheksverbünde entstanden in den 1970er-Jahren. Eine Besonderheit ist der Schriftentausch, der in Museumsbibliotheken häufig einen großen Anteil an den Neuerwerbungen ausmacht.

 
Vernetzung hat in Bibliotheken eine lange Tradition: Erste gemeinsame Standards und Katalogisierungsregeln wurden bereits 1899 mit den Preußischen Instruktionen erstellt.

 

Parallel zur Entwicklung von Verbundkatalogen in Wissenschaftlichen Bibliotheken haben auch Museumsbibliotheken schon relativ früh damit begonnen, ihre Bestände gemeinsam zu erfassen und zugänglich zu machen. Ziel solcher Verbundkataloge war und ist es, die häufig einzigartigen historischen und aktuellen Bestände gemeinsam auffindbar und nutzbar zu machen.8 Einige Beispiele für solche Kooperationen seien hier genannt:

Bereits seit den 1980er-Jahren erfassen die Bibliotheken der Düsseldorfer Kulturinstitute ihre Bestände computergestützt in einem lokalen Verbundkatalog – der erste im deutschsprachigen Raum mit heute elf teilnehmenden Einrichtungen. Der Gesamtkatalog der Kulturinstitute (GDK) folgte dem jeweiligen Stand der IT-Technologie und den Regelwerksanforderungen. Zwischen 1993 und 2020 lag die Koordination bei den Stadtbüchereien. Sie wurde nun an eine der bibliothekarischen Stellen innerhalb des Verbundes – als zusätzliche Aufgabe – übertragen.9 Unter dem Motto »Nur was sich ändert, bleibt« stellt sich vor dem Hintergrund dieser organisatorischen Veränderung erneut die Frage nach einem möglichen Beitritt zu einem überregionalen Bibliotheksverbund, um die Bestände sichtbarer zu machen und die Nachhaltigkeit der geleisteten Arbeit zu gewährleisten.

Nach dem Düsseldorfer Vorbild wurde der Verbund der Frankfurter Museumsbibliotheken 1997 gegründet. Heute hat dieser 19 Teilnehmer aus Frankfurt und Offenbach am Main.  Hier kooperierten die Museumsbibliotheken mit dem Kulturamt und nutzten eine gemeinsame Software für die Erfassung. Dieser Verbund trat seinerseits 2014 dem Südwestverbund bei und macht seitdem seine Bestände überregional im Kontext von Wissenschaftlichen Bibliotheken sichtbar und zugänglich.10

Ein lokaler Zusammenschluss unterschiedlicher Bibliotheks-typen ist der Verbund »BonnerBibliotheken«11. Er versammelt die Bestände verschiedener Bonner Museen mit denen der Universitätsbibliothek, der Stadtbibliothek, politischer Stiftungen und Forschungseinrichtungen unter einer gemeinsamen Rechercheoberfläche. Allen gemeinsam ist, dass so die teils hochspezialisierten Literaturbestände einer größeren Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden können und einige der Bibliotheken als Arbeitsorte neu entdeckt werden.

Während die genannten Kooperationsbeispiele vor allem neue Recherchemöglichkeiten für Benutzer/-innen eröffnen, dient die Vernetzung in der Arbeitsgemeinschaft der Kunst- und Museumsbibliotheken (AKMB) dem inhaltlich-fachlichen Austausch der Bibliothekarinnen und Bibliothekare. Vor allem kleineren und mittleren Bibliotheken im Themenbereich Kunst, Museum, Bibliothek bietet sie eine Plattform zum Austausch mit den »großen« (Kunst-)Bibliotheken. Die gegenseitige Unterstützung gibt wichtige Impulse und sichert die Qualität und Professionalität der Arbeit.12

Die Fachgruppe Museumsbibliotheken13 in der AKMB richtet sich explizit an Kolleginnen und Kollegen aus Museen und Ausstellungshäusern, um der besonderen Situation dieser Spezialbibliotheken Rechnung zu tragen. Die Fachgruppe bietet die Gelegenheit zur Diskussion aktueller Themen, sei es zum Umgang mit der Pandemie-Situation, zum mobilen Arbeiten oder zu Digitalisierungsprojekten. Der unkomplizierte, schnelle Austausch und der vertrauensvolle Umgang innerhalb dieses Netzwerkes wird von allen Fachgruppenmitgliedern sehr geschätzt.

 
Wenn Museumsbibliotheken nicht nur als Arbeitsinstrument, sondern selbst auch als Teil der musealen Sammlung angelegt sind, findet Forschung auch in der Bibliothek statt.

 

Natürlich sind viele der Museumsbibliotheken auch in anderen Fachverbünden oder Berufsverbänden organisiert. Die Arbeitsgemeinschaft der Spezialbibliotheken (ASpB), die kürzlich ihren 75. Geburtstag feiern konnte, war ursprünglich ausgerichtet auf technisch-wissenschaftliche Bibliotheken. Heute bietet sie die Möglichkeit zum fachlichen Austausch und Fortbildungen, zum Beispiel zum technischen Wandel, an, die auch für Museumsbibliotheken wichtige Anregungen liefern.

Innerhalb der großen Berufsverbände wie dem Berufsverband Information Bibliothek (BIB)14 und dem Verein Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare (VDB)15 sind Museumsbibliothekar/-innen oft eher exotisch. In lokalen OPL-Gruppen dagegen treffen sie auf Allroundtalente anderer Spezialbibliotheken und können dort OPL-spezifische Themen wie Arbeitsorganisation und Bibliotheksmanagement besprechen.

Sammeln, Bewahren, Vermitteln… und Forschen?

Museen forschen! Die Sammlungsbestände der Museen sind nicht nur Exponate für Dauer- und Wechselausstellungen, sondern auch Objekte archäologischer, kunsthistorischer oder naturwissenschaftlicher Forschungen. In Zusammenarbeit mit anderen Museen, mit Universitätsinstituten oder weiteren externen Kooperationspartnern werden die unterschiedlichsten Fragen zum historischen Kontext, zur Materialkunde oder zu museologisch-pädagogischen Aspekten geklärt.

 
Besondere Schätze in Bibliotheken sind stets die historischen Bestände, die sogenannten »libri rari«.

 

Wenn Museumsbibliotheken nicht nur als Arbeitsinstrument, sondern selbst auch als Teil der musealen Sammlung angelegt sind, findet Forschung auch in der Bibliothek statt.

Ausgewählte Bücher sind nicht nur Informationsträger, sondern haben Objektcharakter und werden unter verschiedenen Aspekten betrachtet.

Besondere Schätze in Bibliotheken sind stets die historischen Bestände, die sogenannten »libri rari«. Sie erlauben Einblicke in die Wissenschafts- und Forschungsgeschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit und sind darüber hinaus eng verwoben mit der Sammlungsgeschichte des Museums. Auch in kleineren Museumsbibliotheken mit langer Sammlungstradition finden sich erstaunliche historische Bestände, einige Beispiele dieser verborgenen Schätze seien hier kurz erwähnt:

Die Bibliothek des Naturhistorischen Museums Schleusingen16 hat einen Gesamtbestand von etwa 27.000 Bänden, darunter befindet sich die Hennebergische Gymnasialbibiothek, eine der seltenen weitgehend vollständigen Schulbibliotheken des 16. und 17. Jahrhunderts. Zum Bestand gehören 199 Inkunabeln, 24 Handschriften (darunter ein Brief von Luther) und zahlreiche Fragmente mit Urkunden, Rechts- und Kirchentexten des 10. bis 15. Jahrhunderts. Die Bibliothek des Badischen Landesmuseums entwickelte sich aus der Sammeltätigkeit der badischen Markgrafen seit dem 15. Jahrhundert. Historischen Buchbestand findet man vor allem in der numismatischen Sammlung, so etwa 1124 Titel älterer und seltener Drucke zum Münzrecht, deutsche Münz- und Taxordnungen der Jahre 1620-1624, dazu Sammlungsbeschreibungen und -verzeichnisse. Die Bibliothek des bereits erwähnten MARKK in Hamburg verfügt über einen Bestand von 90.000 Büchern zu außereuropäischen Kulturen und Künsten. Unikal ist sicherlich die Sammlung an Reise- und Expeditionsberichten aus dem 18. und 19. Jahrhundert.

 
Museumsbibliotheken sind inhaltlich eng mit ihrem Träger verbunden. Häufig als Büchersammlung oder Handapparat begonnen, orientieren Museumsbibliotheken ihre Erwerbungsstrategie an der Geschichte, dem Profil und den Projekten des Museums.

 

Diese einzigartigen Sammlungen sind teilweise aus den unterschiedlichsten Gründen nur unvollständig erschlossen. Vielleicht findet sich zukünftig Kooperationsmöglichkeiten und Projektförderungen zur Sichtbarmachung dieses kulturellen Erbes.

Wie dies aussehen könnte, zeigen die großen Museumsbibliotheken wie die des Deutschen Museums in München oder die des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg: Sie weisen ihre Handschriften und Drucke nicht nur in den eigenen Bibliothekskatalogen, sondern auch in den verschiedenen nationalen Verzeichnissen der deutschen Drucke VD16, VD17 und VD18 nach. In Ausstellungen zählen diese Bücher zu den besonders empfindlichen Exponaten, die nur unter besonderen Bedingungen – unter speziellen Lichtverhältnissen und für einen streng begrenzten Zeitraum – präsentiert werden können.

Besondere zeitgenössische Bestände sind die Sammlungen sogenannter Künstlerbücher17. Diese sind ähnlich wie Graphiken eigene Kunstwerke und werden oftmals separat aufbewahrt und restauratorisch betreut. Künstlerbücher sind gerne Streitobjekte, kontrovers diskutiert wird die Zugehörigkeit zur Bibliothek oder zur Graphiksammlung.

 
Die Bibliothek des  MARKK in Hamburg verfügt über einen Bestand von 90 000 Büchern zu außereuropäischen Kulturen und Künsten. Unikal ist sicherlich die Sammlung an Reise- und Expeditionsberichten aus dem 18. und 19. Jahrhundert.

 

Teil der bibliothekarischen Arbeit mit dem historischen Bestand ist immer auch die Provenienzforschung, also die wissenschaftliche Erforschung der Herkunft und die Klärung der (wechselnden) Vorbesitzer. Mit der Washingtoner Erklärung 1998 verpflichteten sich Kultureinrichtungen, ihre Sammlungsbestände auf NS-Raubgut zu untersuchen. So findet seit vielen Jahren auch in Museumsbibliotheken die systematische Untersuchung des zwischen 1933 und 1945 erworbenen Bestandes statt. Diese Untersuchungen wurden zwischenzeitlich auf antiquarische Erwerbungen der Nachkriegszeit ausgeweitet.

Bibliothek im Museum: getrennte Welten oder Kollaboration?

Museumsbibliotheken sind inhaltlich eng mit ihrem Träger verbunden. Häufig als Büchersammlung oder Handapparat begonnen, orientieren sie ihre Erwerbungsstrategie an der Geschichte, dem Profil und den Projekten des Museums. Ihre Informations- und Serviceangebote sind ausgerichtet auf den Bedarf der internen und externen Mitarbeitenden, den verschiedenen Zielgruppen des Museums sowie den Fachbesucherinnen und -besuchern der Bibliothek.

 
Mit der Verbreitung der Informationstechnologie in den 1990er-Jahren kam die Diskussion auf, ob das bisherige spartenbezogene Denken und Arbeiten in Archiven, Bibliotheken und Museen nicht überholt sei.

 

Neben der Informationsbereitstellung mittels analogen und digitalen Medien haben Museumsbibliotheken häufig eine Archivfunktion. Besonders im Hinblick auf die hauseigene Geschichte sammeln sie Materialien, die in Zuge von Ausstellungsvorbereitungen entstanden sind oder für die Museumspädagogik oder die Öffentlichkeitsarbeit erstellt wurden. Zudem verwalten sie Spezialsammlungen wie Ephemera, Gebrauchsgrafik, Buchkunst, Rara, Widmungsexemplare, Fotosammlungen und Ähnlichem.

Mit der Verbreitung der Informationstechnologie in den 1990er-Jahren kam die Diskussion auf, ob das bisherige spartenbezogene Denken und Arbeiten in Archiven, Bibliotheken und Museen nicht überholt sei. Sollten nicht eher die Nutzer/-innen in den Mittelpunkt rücken und damit die Zugänglichkeit von Informationen im Vordergrund stehen?18 Seit 2004 wurden die RDA (Ressource Description and Access) entwickelt – ein Regelwerk, das international zur Erschließung auch von kulturellen Ressourcen geeignet ist.19 RDA wird seit 2015 in Bibliotheken weltweit angewendet, zur Sammlungsbeschreibung in Museumsdatenbanken hat es sich bislang nicht durchsetzen können.

Die verschiedenen Sparten Archiv, Bibliothek und Museum erlauben unterschiedliche Zugänge zu Forschungsfragen und damit vielfältige Perspektiven auf Sammlungsbestände:

  • In Archiven findet die Recherche provenienzbezogen statt, die die Organisationsstrukturen spiegelt.
  • In Bibliotheken ist das gesammelte Wissen in Form von Literatur und anderen Medien meist nach einer fachlichen Systematik geordnet und erschlossen.
  • In Museen wird das materielle und immaterielle Kulturgut mit sammlungsbezogenen, museumsspezifischen Kategorien erfasst und einem oft nur internen Kreis zugänglich gemacht.

Zentrale und gemeinsame Einstiegspunkte für die Recherche sind häufig Namen von Personen, Gruppen und Institutionen, Produktbezeichnungen, Geographika, historische Ereignisse oder zahlreiche weitere Sachbegriffe. Hier können gemeinsame Normdateien wie die der GND und Standards für die Erfassung und Identifizierung (Thesaurus) genutzt werden. Dies ermöglicht die weitere Vernetzung bis hin zur maschinellen Durchsuchbarkeit und Auswertung der verschiedenen Datenbanken in Museen. So können die in den verschiedenen Abteilungen erarbeiteten Informationen über ein gemeinsames Portal auffindbar gemacht20 und in einen fachlichen Kontext eingebunden werden21.

Die strategische Ausrichtung einer Museumsbibliothek in diesem Sinne entspricht dem Konzept der »Embedded Library«: Die Bibliothekarinnen und Bibliothekare sind mit ihren bibliothekarischen und informationswissenschaftlichen Kenntnissen und Kompetenzen Teil des Museumsteams und fördern so proaktiv die tägliche Arbeit ihrer Institution.22

  1. Zahlen und Materialien aus dem Institut für Museumsforschung, 75. (2021) journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/ifmzm/issue/view/5496/1014, S. 64 f.
  2. Zum Konzept des Embedded Librarian s. https://www.dasbibliothekswissen.de/Der-Embedded-Librarian-Ein-neues-Berufsbild-f%C3%BCr-Bibliothekare.html.
  3. Beispiele dafür sind Objektnamen von Exponaten, die als interne Schlagworte in den verschiedenen Museumsdatenbanken verwendet werden.
  4. Ein Beispiel für den vielfältigen Arbeitsalltag in OPLs (darunter mehrere Museumsbibliotheken) s. Karin Aleksander, Christina Beckmann, Ute Czerwinski, Corinna Haas, Jana Haase, Max Hallmann, Claudia Loest, Iris Schewe, Pamela Schmidt, Katja Schöppe-Carstensen, »Alltag in Berliner One-Person Libraries — ein kollektives Tagebuch«. LIBREAS. Library Ideas, 33 (2018). https://libreas.eu/ausgabe33/opl/
  5. https://www.initiativefortbildung.de/html/home/aktuell.html
  6. https://www.arthistoricum.net/netzwerke/akmb/fortbildung
  7. Leitfaden Professionell arbeiten im Museum, herausgegeben vom Deutschen Museumsbund. Berlin, 2019. Als PDF online verfügbar: https://www.museumsbund.de/wp-content/uploads/2020/01/dmb-leitfaden-professionell-arbeiten-online.pdf.
  8. Zur Frage des Verbundbeitritts allgemein s. Wimmer, Ulla: Verbund oder nicht Verbund – ist das die Frage? In: AKMB-news Jg. 25 (2019), Nr. 2, S. 28-32. – Online verfügbar unter: https://doi.org/10.11588/akmb.2019.2.72580
  9. Zu den Vernetzungsstrategien in Düsseldorf s. Schild, Margret: Im Fokus: Kunst- und Museumsbibliotheken in Düsseldorf und darüber hinaus. In: ProLibris 2020, H. 1, S. 34-38. Online verfügbar unter: https://www.bibliotheken-nrw.de/fileadmin/Dateien/Bilder/ProLibris/2020-1_ProLibris-1_DS_web_-_tw._geschwaerzt.pdf
  10. Informationen zum Frankfurter Verbund s. https://www.museumsbibliotheken.de/index.html
  11. https://www.bonnerbibliotheken.de/
  12. S. Artikel über die AKMB in dieser BuB-Ausgabe, S. 698 f.
  13. https://www.arthistoricum.net/netzwerke/akmb/fachgruppen/museumsbibliotheken
  14. https://www.bib-info.de
  15. https://www.vdb-online.org/
  16. https://www.museum-schleusingen.de/seite/338044/bibliotheken.html
  17. https://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%BCnstlerbuch
  18. Ein frühes Beispiel dafür ist das BAM-Portal in Baden-Württemberg (2001 – 2015), das auch als Vorbild für die Deutsche Digitale Bibliothek diente ( https://kulturerbe-digital.de/de/projekte/projekt/list-p/all/show/portal-fuer-bibliotheken-archive-museen/def_back/1/).
  19. In Deutschland werden die RDA für Normdaten seit Mitte 2014, für bibliografische Daten seit Oktober 2015 angewendet. Die Deutsche Nationalbibliothek zu RDA s. www.dnb.de/DE/Professionell/Standardisierung/Standards/standards_node.html). Zur möglichen Nutzung der RDA in Archiven, Bibliotheken und Museen s. zum Beispiel die Masterarbeit von Vera Binz: RDA:  Archiv,  Museum  &  Bibliothek  auf  einem  Nenner?. – Berlin, 2011. – (Berliner Handreichungen zur Bibliotheks- und Informationswissenschaft; 302). – Online-Version: http://edoc.hu-berlin.de/series/berliner-handreichungen/2011-302
  20. S. zum Beispiel das Portal Deutsches Museum digital des Deutschen Museums München, wo sowohl thematisch wie auch spartenspezifisch gesucht werden kann: https://digital.deutsches-museum.de/
  21. S. zum Beispiel Fachinformationsdienst Darstellende Kunst, wo das gesamte Spektrum fachwissenschaftlicher Dienstleistungen abgebildet werden soll: https://www.performing-arts.eu/
  22. Zum Konzept des Embedded Librarian s. a. Checkliste 38 »Embedded Librarian« der OPL-Kommission im BIB s. www.bib-info.de/fileadmin/public/Dokumente_und_Bilder/Komm_OPL/Checklisten/check38.pdf

Susanne Haendschke (Foto: Jürgen Vogel, LVR-Landesmuseum) studierte Germanistik und Musikwissenschaften (M.A.) in Köln und Bonn und arbeitete als Bibliothekarin im Rheinischen Landesmuseum Bonn. Berufsbegleitend studierte sie 1999-2001 Bibliothekswissenschaften an der HU Berlin. Anschließend arbeitete sie am Deutschen Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften, seit 2005 leitet sie die Bibliothek im LVR-Landesmuseum Bonn. Sie ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der Kunst- und Museumsbibliotheken (AKMB), war im Vorstand aktiv und ist zurzeit Sprecherin der Fachgruppe Museumsbibliotheken.

Claudia Loest (Foto: Kai Herschelmann) begann vor 40 Jahren ihre Ausbildung in einer Berliner Stadteilbibliothek. Nach Stationen in anderen Bibliotheken seit 2008 Bibliotheksleiterin im Museum für Kommunikation Berlin. Seit circa zehn Jahren Sprecherin der Berlin-Brandenburger OPL’s. Die Geschichte »ihrer«
Bibliothek erforschte sie für ihre Masterarbeit.

Margret Schild, Abschluss als Diplom-Dokumentarin an der Fachhochschule für Bibliotheks- und Dokumentationswesen in Köln (1986), als Bibliothekarin tätig für die Bibliotheksstelle der Düsseldorfer Kulturinstitute (1986-1992), Leiterin der Bibliotheken des Theatermuseums und des Filmmuseums in Düsseldorf (seit 1993) sowie zuständig für die Koordination des Sammlungsmanagements (seit 2005) und Digitalisierungsfragen (seit 2021). Gründungsmitglied der AKMB, ehrenamtlich aktiv im Vorstand, der Redaktion der AKMB-news sowie in verschiedenen Fachgruppen. Ferner aktiv in der Fachgruppe Dokumentation des Deutschen Museumsbundes (seit 1995).

 

                                    

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