Am letzten Sitzungstag des Bundestags vor der Sommerpause und der Bundestagswahl im September verabschiedeten die Abgeordneten das Urheberrechts-Wissensgesellschaft-Gesetz (UrhWissG) mit den Stimmen der Regierungsfraktion aus CDU und SPD. Die Linke stimmten gegen den Regierungsentwurf, die Grünen enthielten sich.
Wie der Deutsche Bundestag auf seiner Internetseite mitteilt, sieht der Gesetzentwurf vor, die gesetzlichen Regeln für die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke in Bildung und Wissenschaft sowie Bibliotheken, Museen und Archiven zu systematisieren und an die Bedingungen des digitalen Zeitalters anzupassen.
Es soll festgelegt werden, inwieweit urheberrechtlich geschützte Werke im Unterricht und in der Forschung frei genutzt werden dürfen und insoweit die Urheberrechte außer Kraft sind – die sogenannte Bildungs- und Wissenschaftsschranke. Außerdem soll sichergestellt werden, dass die Rechteinhaber eine angemessene Vergütung für die Nutzung ihrer Werke erhalten.
So ist in dem Gesetzentwurf vorgesehen, dass Hochschulen und Wissenschaftliche Bibliotheken künftig bis zu 15 Prozent eines urheberrechtlich geschützten Werks Studierenden und Forschern zur Verfügung stellen können, ohne Verlage um Erlaubnis fragen zu müssen.
Abbildungen sowie einzelne Zeitungs- und Zeitschriftenartikel dürfen in vollem Umfang für Unterricht und Lehre vervielfältigt werden. Ähnliche Regelungen sind für die wissenschaftliche Forschung vorgesehen.
Auch die zulässige Herstellung und Verbreitung von Vervielfältigungen durch Bibliotheken und Archive wird in dem Gesetzentwurf geregelt. Neu im Urheberrecht ist eine Regelung für das Text- und Data-Mining, bei dem, wie in der Gesetzesbegründung ausgeführt wird, »eine Vielzahl von Texten, Daten, Bildern und sonstigen Materialien ausgewertet werden, um so neue Erkenntnisse zu gewinnen«.
UrhWissG: Angemessene Vergütung für Urheber
Das Gesetz soll weiterhin regeln, dass ein Urheber »zum Ausgleich für Nutzungen im Bereich der gesetzlichen Schranken grundsätzlich eine angemessene Vergütung« erhält. Diese Vergütung soll ausschließlich pauschal über die Verwertungsgesellschaften erfolgen. Gleichzeitig wird in dem Gesetzentwurf festgelegt, dass Verträge zur Umgehung der Bildungs- und Wissenschaftsschranke unzulässig und damit unwirksam sind.
Die Neuregelung soll erklärtermaßen einen Interessenausgleich leisten zwischen dem Interesse von Wissenschaft und Lehre an ungehindertem Zugang zu Literatur und dem Eigentumsrecht der Urheber und der Fachverlage, ohne deren Zutun es diese Literatur vielfach gar nicht gäbe. Doch ob dieser Interessenausgleich gelungen ist, beurteilten in der Anhörung beide Seiten höchst unterschiedlich.
Änderung des Gesetzes über die Nationalbibliothek
Mit der Verabschiedung UrhWissG wurde auch ein Kritikpunkt am Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek angegangen. Diese hat seit 2006 den Auftrag, das deutschsprachige Internet im periodischen Abständen zu archivieren. Die nötigen Befugnisse im Urheberrecht hatte die Nationalbibliothek bislang jedoch nicht. Das Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz regelt nun, dass die Nationalbibliothek Interentpublikationen »für eigene und fremde Pflichtexemplarbestände vergütungsfrei vervielfältigen und übermitteln« darf – und zwar automatisiert und systematisch. Das gilt aber nur, wenn die Medien ohne Beschränkungen, unentgeltlich und öffentlich zugänglich sind.
Bibliotheken begrüßen Urheberrechtsreform
Die Vertreter der deutschen Bibliotheken, Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen begrüßten den Gesetzentwurf, bei aller Kritik in Einzelfragen, zumindest als Fortschritt gegenüber der geltenden Rechtslage. Überwiegend gaben sie dem ursprünglichen Referentenentwurf des Justizministeriums den Vorzug gegenüber dem schließlich vom Kabinett beschlossenen, Bedenken der Verlegerschaft teilweise entgegenkommenden Regierungsentwurf.
Wie der Deutsche Bibliotheksverband (dbv) mitteilt, wird damit die dringend notwendige Rechtssicherheit für Lehrende, Studierende, Universitäten und Bibliotheken geschaffen. Er regele deutlich klarer als bisher, welche urheberrechtlich geschützten Werke an Universitäten und Bildungseinrichtungen ohne Erlaubnis genutzt werden dürfen. Bei den in der Praxis sehr wichtigen digitalen Semesterapparaten wird es keinen Lizenzvorrang geben, so dass Dozenten nicht aufwändig prüfen müssen, ob ein »angemessenes Lizenzangebot« vorliegt.
Eine Reihe von Detailregelungen erlaube es nach Einschätzung des dbv den Bibliotheken, künftig noch effizienter und nutzerfreundlicher zu arbeiten. »Fernleihen und Kopienversand sind endlich in praktikabler Form lizenzfrei auch per E-Mail möglich und nicht mehr nur ›per Post oder Fax‹ wie es im alten Gesetz hieß«, erläutert Petra Hätscher, Direktorin des Kommunikations-, Informations-, Medienzentrums der Universität Konstanz und Mitglied im Bundesvorstand des dbv. »Auch die immer wichtiger werdende Langzeitarchivierung von digitalen Medien wurde auf die notwendige gesetzliche Grundlage gestellt. Es ist jetzt erstmalig klar bestimmt, dass zum Bestand einer Bibliothek auch die Medien gehören, die die Bibliothek lizenziert hat.«
Der dbv begrüßen ausdrücklich, dass die zusätzlichen Rechte nicht einseitig zu Lasten der Autoren und Verlage eingeräumt werden. Jede zusätzliche Nutzung wird den Urhebern angemessen über Verwertungsgesellschaften vergütet, um ein für alle Beteiligten fairen Ausgleich zu ermöglichen.
Bei aller grundsätzlichen Freude bedauert der dbv aber auch, dass die Möglichkeiten der überregionalen Literaturversorgung teilweise deutlich eingeschränkt werden. Ein Dokumentenversand zu gewerblichen Zwecken ist künftig nur noch erlaubt, wenn es eine passende Lizenz dafür gibt. Lehre aus und Forschung mit Tageszeitungen und Publikumszeitschriften, zu denen es keine Lizenzangebote gibt, werden sogar drastisch eingeschränkt: Ganze Artikel dürfen hier nicht mehr genutzt oder verschickt werden. »Das dürfte insbesondere die Geschichts-, Sozial- und Medienwissenschaften sehr treffen«, sagt Armin Talke, Vorsitzender der Rechtskommission des Bibliotheksverbands.
»Die Reform ermöglicht, dass in Deutschland Bildung, Forschung, Lehre und Unterricht auch zukünftig ihren gesicherten Platz in der modernen Wissensgesellschaft haben«, ergänzt die Bundesvorsitzende des dbv, Barbara Lison. »Wie bei jedem mühsam gefundenen Kompromiss hätten wir aber auch einige Punkte aus unserer Perspektive gerne anders geregelt gesehen. Insgesamt jedoch gibt es deutlich mehr Licht als Schatten.«
Das Gesetz wurde zunächst auf fünf Jahre befristet beschlossen und läuft danach aus. Anfang der Woche sah es noch so aus, als würde das UrhWissG nicht mehr vor der Sommerpause verabschiedet werden. Es stand nicht auf der Tagesordnung der letzten Sitzungswoche Ende Juni.
red / 30.6.2017