Mit speziellen Entschuldungsprogrammen wollen einige Bundesländer klammen Kommunen finanziell unter die Arme greifen. Diese müssen sich im Gegenzug zu strengen Sparauflagen verpflichten: Die Bibliotheken befürchten das Schlimmste. Welche Gefahr für Bibliotheken genau dahintersteckt, beschreibt der aktuelle »Themendienst«* des Deutschen Bibliotheksverbands (dbv):
Ginge es einfach nur um die Gesamtsumme, sollten diese Zahlen die Kämmerer in Bund, Ländern und Gemeinden zu Freudensprüngen animieren: Der Arbeitskreis Steuerschätzung sagte im Herbst vergangenen Jahres voraus, dass die Steuereinnahmen erstmals mehr als 600 Milliarden Euro betragen. In fünf Jahren erwarten die Steuerexperten sogar, dass über 700 Milliarden Euro in die öffentlichen Kassen fließen. Doch wirkliche Freude will in vielen Kommunen nicht aufkommen.
Auf den zweiten Blick nämlich zeigt sich, dass viele Stadtsäckel trotz der Rekordeinnahmen leer sind, mehr noch: Allzu oft drückt eine hohe Schuldenlast. Auch wenn sich die Finanzlage der Kommunen vor allem dank steigender Steuereinnahmen insgesamt verbessert hat, bleibt die Lage angespannt, heißt es beim Deutschen Städtetag. »Einer immer größer werdenden Zahl von Städten gelingt es trotz größter Konsolidierungsanstrengungen nicht, ihre Haushalte auszugleichen.«
Einige Bundesländer haben deshalb spezielle Hilfspakete geschnürt. Entschuldungsprogramme sollen verschuldeten Städten und Gemeinden wieder auf die Beine helfen. Das Grundprinzip ist einfach: Kommunen, die in der Kreide stehen, treten dem Entschuldungsfonds ihres Bundeslandes bei. Daraus wird ein Teil ihrer Schulden getilgt. Im Gegenzug verpflichten sie sich zu Sparmaßnahmen. Die Weichen für eine auskömmliche Zukunft sind gestellt.
Doch diese Idee, steht derzeit in der Kritik. Die Frage ist, wo der Rotstift angesetzt werden soll: bei der Verwaltung, beim öffentlichen Nahverkehr oder der Wirtschaftsförderung? Im Gespräch sind unter anderem die sogenannten freiwilligen Leistungen. Betroffen sind dann beispielsweise Bibliotheken – und die wissen längst nicht mehr, wie sie weitere Streichungen noch verkraften sollen. »Seit Jahren wird bei den Öffentlichen Bibliotheken gespart«, sagt Monika Ziller, die Vorsitzende des dbv. Die Auswirkungen seien bereits gravierend. »Kommen jetzt noch zusätzliche Einsparvorhaben hinzu, ist der Bildungsauftrag der Bibliotheken akut in Gefahr.« Gerade kleinere Bibliotheken seien sogar in ihrer Existenz bedroht.
Kein Geld für elektronische Angebote
In Hessen beispielsweise gibt es insgesamt 431 Büchereien. 93 von ihnen gehören zu Gemeinden, die einen Antrag auf Aufnahme in den Schutzschirm des Landes gestellt haben, weiß Sabine Homilius, die Leiterin der Stadtbücherei Frankfurt am Main. In einigen Büchereien zeigten sich bereits Auswirkungen. »Die Stadtbücherei in Dietzenbach etwa überlegt, nicht an der elektronischen Ausleihe teilzunehmen. In der Stadtbücherei Dillenburg wurden die Öffnungszeiten reduziert«, sagt Homilius. In vielen weiteren Bibliotheken seien ähnliche Maßnahmen vorgesehen.
»In einem Leitfaden für die hessischen Kommunen sind Spartipps zu finden, die die Bibliotheken konkret betreffen«, sagt Sabine Homilius. Dort werde beispielsweise vorgeschlagen, saisonal zu schließen, Fahrbüchereien abzuschaffen, Angebote zentral zusammenzulegen oder Anschaffungsetats zu kürzen. »Das sind Maßnahmen, die fachlich oft nicht gerechtfertigt sind. Es besteht nun die Gefahr, dass aufgrund der Entschuldungsfonds an der falschen Stelle gespart und langfristig großer Schaden angerichtet wird.«
In anderen Bundesländern ist die Situation ähnlich. »In Nordrhein-Westfalen erhalten überschuldete Städte einen Landeszuschuss je nach Schuldenstand. Dafür müssen sie zeigen, wie sie die Differenz zur Neuverschuldung einsparen wollen, erklärt Jan-Pieter Barbian, der Leiter der Stadtbibliothek Duisburg. Duisburg habe eine jährliche Neuverschuldung von rund 130 bis 150 Millionen Euro. Aus dem sogenannten Stärkungspakt Stadtfinanzen würden für Duisburg 52 Millionen Euro vom Land kommen. »Rund 80 Millionen Euro muss die Stadt also selbst einsparen.« Dazu habe sie einen Sanierungsplan vorgelegt. So sollten unter anderem 680 von insgesamt 7 000 Stellen im öffentlichen Dienst gestrichen werden, sagt Barbian. In der Stadtbibliothek sind deshalb 38 von 131 Stellen bedroht, die bis zum Jahr 2022 abgebaut werden könnten.
Einige Kilometer weiter sind die Folgen des NRW-Entschuldungsfonds drastischer. »In der Stadtbibliothek Essen müssen wir bis 2015 insgesamt knapp 16 von 111 Stellen einsparen«, klagt Klaus-Peter Böttger, der Leiter der Stadtbibliothek Essen. Schon jetzt seien nur 85 der 111 Stellen im Stellenplan besetzt – etwa wegen Altersteilzeit, Elternzeit oder Langzeiterkrankung. »Selbst wenn ich also die Stelleneinsparung erbringe, ist faktisch immer noch eine Unterbesetzung von rund zehn Stellen gegeben«, so Böttger.
Einsparungen verursachen Kosten an anderer Stelle
Sabine Homilius aus Frankfurt am Main sieht in Kürzungen bei Bibliotheken ohnehin keine vernünftigen Sparmöglichkeiten: »Der Büchereietat macht 0,4 Prozent der Gesamtaufwendungen der Stadt Frankfurt aus. 80 Prozent des Büchereietats sind durch Personal und Miete fest gebunden«, sagt sie. Die Einsparmöglichkeiten für die Stadt wären im Bibliotheksbereich also verschwindend gering. Im Gegenzug jedoch wäre der Schaden, der durch die Kürzungen droht, immens. »Die Auswirkungen im Bildungsbereich könnten gravierend sein«, meint Homilius.
Diese Einschätzung teilt Jürgen Seefeldt. Er ist der Geschäftsführer des Landesverbands Rheinland-Pfalz im dbv und meint, dass weitere Einsparungen bei den Bibliotheken fatal seien, weil damit wichtige Bildungsaufgaben untergraben würden. »Mit ihrem niederschwelligen Medien- und Informationsangebot tragen Bibliotheken entscheidend zur Sprach- und Leseförderung von Kindern und Jugendlichen bei«, weiß Seefeldt. »Sie fördern die Integration vieler Menschen mit Migrationshintergrund.« Sie dienten der Aus- und Weiterbildung von Erwachsenen, dem lebenslangen Lernen und vielem mehr.
»Ohne das Netzwerk von gut 800 Bibliotheken, die in den 2 300 Gemeinden in Rheinland-Pfalz vorhanden sind, könnten diese gesellschaftlich wichtigen Aufgaben nicht mehr oder nur noch in geringerem Umfang wahrgenommen werden.« In Rheinland-Pfalz heißt das Sparprogramm Kommunaler Entschuldungsfonds (KEF). Das Innenministerium des Landes erwartet, dass bis Ende des Jahres knapp 750 Städte und Gemeinden Konsolidierungsverträge abgeschlossen haben.
Den Entschuldungsfonds stellt Seefeldt nicht grundsätzlich infrage. »Er ist sicherlich eine sinnvolle Möglichkeit, die Schuldenlast vieler Kommunen zu reduzieren«, sagt er. Öffentliche Bibliotheken sowie andere Bildungseinrichtungen sollten jedoch von den Sparauflagen ausgenommen werden.
dbv (aus BuB Heft 3/2013)