Chance für Neupositionierung und Neustart

Das Projekt »Trendreport Bibliotheken in Deutschland« zeigt die zentralen Herausforderungen für deutsche Bibliotheken auf.
Symbolfoto für den Artikel vom Projekt "Trendreport" der HdM Stuttgart. Autor*innen: Cornelia Vonhof und Tobias Seidl
Foto: REDPIXEL - stock.adobe.com

 

Bibliotheken in Deutschland sehen momentan sehr vielfältige Herausforderungen auf sich zukommen. Diese bewusst wahrzunehmen und zu priorisieren, hilft bei der eigenen Standortbestimmung zum Beispiel im Rahmen einer Strategieentwicklung und bei der Identifikation von zukünftigen Handlungsfeldern. Zudem kann es sinnvoll sein, Herausforderungen, die sich in ähnlicher Weise auch anderen Bibliotheken stellen, nicht alleine, sondern in Kooperation mit anderen (Bibliotheken, Verbänden, Kolleginnen und Kollegen) anzugehen. Um der Praxis dafür eine faktenbasierte Grundlage zu bieten, untersuchen Cornelia Vonhof und Tobias Seidl, beide Professor/-innen an der HdM Stuttgart, im Forschungsprojekt »Trendreport Bibliotheken in Deutschland«, welchen Herausforderungen sich Mitarbeitende in Bibliotheken in Deutschland gegenübersehen.

Das Forschungsprojekt war zweistufig angelegt. Zunächst wurden im November 2021 zufällig ausgewählte Bibliotheksleitungen aus Öffentlichen und Wissenschaftlichen Bibliotheken in Deutschland mit einem qualitativen Fragebogen dazu befragt, welche Herausforderungen sie für die kommenden ein bis zwei Jahre für ihre Bibliotheken sehen. Die rund 170 Herausforderungen, die in der ersten Befragungsrunde als Freitexte benannt wurden, konnten vom Forschungsteam zu 31 zentralen Herausforderungen in acht Themenclustern verdichtet werden.

Diese Herausforderungen waren die Grundlage für eine zweite Befragung im Frühsommer 2022, zu der alle Bibliotheken im deutschsprachigen Raum1 eingeladen waren. Die Teilnehmenden konnten in der Befragung die Relevanz der 31 Herausforderungen (von 1 = keine bis 5 = sehr große) aus ihrer Perspektive bewerten. Das Interesse an der Teilnahme war sehr hoch. Insgesamt konnten die Antworten von 703 Mitarbeitenden und Führungskräften aus Bibliotheken aller Größen und Sparten ausgewertet werden. Die Verteilung der Teilnehmer/-innen nach Sektionen 1 bis 4 des Deutschen Bibliotheksverbands ist in Abbildung 1 dargestellt.

TOP 10 der Herausforderungen

Folgenden zehn Herausforderungen wurde von den Teilnehmenden, unabhängig von Bibliothekssparten und Bibliotheksgrößen, die höchste Relevanz zugesprochen (vgl. Abbilldung 2):

Betrachtet man diese TOP 10-Herausforderungen, dann fällt auf, dass ihre Mittelwerte sehr nahe beieinander liegen. Es lässt sich schließen, dass es ein breit getragenes gemeinsames Verständnis dazu gibt, dass diese Herausforderungen die momentan bestimmenden für den Bibliothekssektor sind.

Die TOP 3 der Herausforderungen – Gemeinsamkeiten und Unterschiede nach Sektionen

Fokussiert man die Ergebnisse auf die TOP 3-Herausforderungen in jeder Sektion und stellt diese gegenüber, so werden jedoch auch Unterschiede zwischen den Bibliothekssparten deutlich (vgl. Abbildung 3).

Das Thema »Dritter Ort« ist für alle Öffentlichen Bibliotheken – unabhängig von ihrer Größe – eine der wichtigsten Herausforderungen – für die Sektionen 2, 3A und 3B sogar die wichtigste Herausforderung.

Die Herausforderung »Erhöhung der Sichtbarkeit digitaler Angebote« ist für Wissenschaftliche Bibliotheken von Relevanz. Bei den Öffentliche Bibliotheken wird diese Herausforderung nur von ÖBs der Sektion 2 genannt. In der Reaktivierung von Kooperationen sowie der Rückgewinnung von Kundinnen und Kunden sehen nur die kleinen Öffentlichen Bibliotheken (3B) eine Herausforderung. Management- und vor allem Personalmanagement-Themen (Rekrutierung, Weiterbildung, Modernisierung der Arbeitsabläufe) sind Gemeinsamkeiten, die eine Abhängigkeit von der Größe der Bibliothek zu haben scheinen und von den Sektionen 1 und 4 als TOP 3-Herausforderung genannt werden.

Viele und vielfältige Herausforderungen – Perspektiven und Potenziale

Die Ergebnisse2 zeigen, wie vielfältig die Herausforderungen sind, die Bibliotheken momentan (und vermutlich auch in den kommenden Jahren) auf sich zukommen sehen. Hier werden Energie und Ideenreichtum erforderlich sein, um sich von diesen nicht überrollen und überwältigen zu lassen, sondern sie aktiv anzugehen. Die gute Nachricht: In vielen Herausforderungen steckt die Chance für eine Neupositionierung und einen Neustart. DIE Herausforderung angesichts der oben aufgeführten Herausforderungen wird sein, die Bibliotheken dabei zu unterstützen, diese Chancen auch zu nutzen. Dies kann durch die Gestaltung von Weiterbildungs- und Netzwerkangeboten auf allen Ebenen erfolgen, denn die TOP-Listen lesen sich wie ein Qualifizierungsprogramm für Leitungen und Mitarbeitende. Auch für die Auflage neuer und die Fortführung bestehender Förderprogrammen liefern die Daten wichtige Hinweise auf Schmerzpunkte und Bedarfe.

Wie zu erwarten, zeigt die Studie die Unterschiede, die es zwischen Bibliothekssparten und Bibliotheksgrößen gibt. Zugleich hat die Menge der Herausforderungen, die über Bibliothekssparten und Bibliotheksgrößen hinweg gleichermaßen gesehen werden, das Forschungsteam überrascht. Kollegiales Lernen und die gemeinsame Lösungsfindung – auch und gerade über die Grenzen der eigenen Bibliothekssparte hinaus – scheinen deshalb ein sinnvoller und notwendiger Zukunftsweg zu sein.

 

1 Seidl, Tobias; Vonhof, Cornelia: Vor welchen Herausforderungen stehen die Bibliotheken in den kommenden Jahren? Projekt Trendreport Bibliotheken in Deutschland. In: BuB – Forum Bibliothek und Information 4 (2022) 74, S. 146-147

2 Eine Veröffentlichung aller Ergebnisse des Trendreports ist in »o-bib. Das offene Bibliotheksjournal« geplant.

 

Cornelia Vonhof (Foto: privat) ist Professorin für Public Management und Prodekanin für Weiterbildung an der Hochschule der Medien Stuttgart. Ihr Arbeitsschwerpunkt liegt auf Managementinstrumenten in Bibliotheken und Informationseinrichtungen, insbesondere Qualitätsmanagement, Organisationsentwicklung, Prozessmanagement und strategische Steuerung.  

Dr. Tobias Seidl (Foto: privat) ist Professor für Schlüssel- und Selbstkompetenzen Studierender und Prodekan für Lehre an der Hochschule der Medien Stuttgart. Er ist ausgebildeter LEGO Serious Play-Moderator und systemischer Coach. Zu seinen Lehr- und Forschungsschwerpunkten gehören Kreativität und Innovation, zwischenmenschliche Kommunikation und Hochschuldidaktik.

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