Nicht wegducken!

Foto: StockPhotoPro - stock.adobe.com

Es ist weit mehr als ein Gefühl, die Zeiten werden rauher: zunehmender Antisemitismus, Homophobie, religiöse Intoleranz, Querdenker, Fake News…  Die Gesellschaft ist nicht zuletzt durch die Corona-Krise mit sich verschärfenden Konflikten konfrontiert – und damit auch die Bibliotheken. Deren Medienangebot wird in der Öffentlichkeit zusehends kritischer wahrgenommen. Hinzu kommt: Die Zahl der Medien mit zweifelhaftem Inhalt wächst, entsprechend die Unsicherheit in den Bibliotheken. Welche Titel mit extremen Inhalten sollen angeschafft werden? Im schwierigen Spannungsverhältnis zwischen Neutralität, freier Meinungsäußerung und Zensurvorwürfen fordert Beate Meinck vom Expert:innenzirkel zum Umgang mit »Medien an den Rändern« der Lektoratskooperation in einer Informationsveranstaltung im Rahmen des Deutschen Bibliothekartags eine klare Positionierung der Bibliotheken: »Wegducken hilft nicht weiter!«

Der Umgang mit "Medien an den Rändern" beschäftigt den Berufsstand schon seit Jahren. Um die Herausforderung konsequenter anzugehen, hat die Lektoratskooperation, die vom Berufsverband Information Bibliothek (BIB), dem Deutschen Bibliotheksverband (dbv) und der ekz.bibliotheksservice GmbH getragen wird, Ende vergangenen Jahres einen Expert:innenzirkel gegründet, der zweifelhafte Medien unter die Lupe nimmt. Auf der zugehörigen Webseite finden sich weitere Informationen und auch schon erste Beurteilungen einiger weniger Titel. Das Besondere: Die jeweiligen »Medien an den Rändern« werden nicht von einer Person alleine rezensiert. Vielmehr enthalten die kleinen Dossiers zu den einzelnen Titeln eine Sammlung von unterschiedlichen Besprechungen und Kommentaren, ergänzt mit Informationen zu Autor/-in und Umfeld. Auf diese Weise entsteht – ohne konkrete Empfehlung – ein breites Informationsspektrum, das in Bibliotheken als Grundlage für die Entscheidung über Anschaffung oder Nichtanschaffung herangezogen werden kann.

Häufig ist es freilich mit dem Kauf eines umstrittenen Mediums nicht getan. Entscheidend ist, wie der Titel in der Bibliothek kontextualisiert wird, d.h. welche Titel, die dasselbe Thema aus einem anderen Blickwinkel beleuchten, vorhanden sind oder ob es gar die Möglichkeit zur Durchführung von Veranstaltungen und  Diskussionen mit Erläuterungen zum umstrittenen Thema in der Bibliothek gibt. Auch dazu enthalten die Beurteilungen des Expert:innenzirkels wertvolle Hinweise.

Sie denken, dass sich ein Titel am Rande des zulässigen Spektrums befindet, können ihn aber auf der Webseite des Expert:innenzirkels nicht entdecken? Das ist kein Problem: Dann schlagen Sie das Medium einfach über die Kontakte auf der Webseite zur Begutachtung vor. Tom Becker vom Expert:innenzirkel erklärt: »Wir sind auf die Mitarbeit der Kolleginnen und Kollegen angewiesen und darauf, was uns aus der Community gemeldet wird.«
 

Meitstreiter/-innen gesucht!

Denn der Expert:innenzirkel befindet sich noch in der Aufbauphase und ist über Tipps und Anregungen, vor allem aber auch über die Mitarbeit von weiteren Bibliothekarinnen und Bibliothekaren dankbar. Mitmachen kann jede/r, der/die sich für diesen spannenden Bereich des Bestandsaufbaus interessiert. Becker stellt dazu klar: »Expertinnen und Experten im eigentlichen Sinn – Politikwissenschaftler oder Historiker – sind wir alle nicht. Es geht darum, das Thema im Berufsstand zu problematisieren und praktische Hilfe zu bieten.« Immerhin, so sehen es jedenfalls die Mitarbeiter/-innen des Expert:innenzirkels, gehört der Bestandsaufbau zu den Kerngebieten der bibliothekarischen Tätigkeit.

Außerdem, so betont Beate Meinck in der Online-Veranstaltung, können sich Bibliotheken mit einer klaren Haltung beim Bestandsaufbau in der Öffentlichkeit profilieren. Unabdingbare Voraussetzung dafür sei jedoch absolute Transparenz beim Medienerwerb. Meinck erklärt: »Man muss auch gut begründen können, wieso man ein Buch nicht kauft.« Wichtige Grundlagen dafür können die Berufsethiken der Bibliothekare liefern, aber eben auch die Beurteilungen des Expert:innenzirkels.

An der digitalen Präsentation des Expert:innenzirkels nahmen 150 interessierte Kolleginnen und Kollegen teil. Im zugehörigen Chat gab es großes Lob für die Initiative und ihre Mitarbeiter/-innen. Die Veranstaltung fand im Rahmen des 109. Deutschen Bibliothekartags (16. bis 18. Juni) statt, der in diesem Jahr aufgrund der Corona-Pandemie in hybrider Form durchgeführt wird, vorwiegend mit Online-Angeboten, aber auch mit einem kleinen Vorort-Programm in Bremen. Insgesamt sind mehr als 2.200 Teilnehmer/-innen aus über 20 Nationen angemeldet.

In der Eröffnungsrede zum Bibliothekartag wies die Vorsitzende des mitveranstaltenden Berufsverbandes Information Bibliothek (BIB) Ute Engelkenmeier an diesem Mittwoch ebenfalls auf die Rolle der Bibliotheken als verlässliche und objektive Informationsquellen hin. Sie sagte: »Wir erleben gerade in jüngster Zeit, dass Informationen immer weiter gedehnt werden.« Es sei eine der zentralen Aufgaben von Bibliotheken, Fake News und der damit verbundenen Desinformation entgegenzutreten. Der Expert:innenzirkel der Lektoratskooperation leistet dazu einen wichtigen Beitrag.

 

Interessantes Thema?

Teilen Sie diesen Artikel mit Kolleginnen und Kollegen:

Nach oben