BIB veranstaltet dritten Demokratiekurs – Die Themen im Überblick

Der BIB-Demokratiekurs unterstützt Beschäftigte in Kommunen dabei, ihre demokratiepolitische Rolle im öffentlichen Raum aktiver wahrzunehmen.

 

Der dritte BIB-Demokratiekurs knüpft bewusst an die berühmte Regierungserklärung des ersten sozialdemokratischen Bundeskanzlers Willi Brandt an. Damit greift er – ebenso bewusst – die Aufbruchstimmung auf, die auch der aktuelle Koalitionsvertrag des Ampelbündnisses unter der Überschrift »Mehr Fortschritt wagen« propagiert. »Mehr Demokratie wagen« ist aber mehr als ein Appell. Der Online-Kurs findet am 21. und 22. März 2022 statt und unterstützt vor allem Beschäftigte in Kommunen dabei, ihre demokratiepolitische Rolle als Konfliktlots*in und Moderator*in im öffentlichen Raum aktiver wahrzunehmen und lokale Partizipationsprozesse bürgernah zu initiieren.

Der Online-Kurs mit seinen interaktiven Formaten bereitet auf direktes demokratiepolitisches Agieren in der Kommune, sei es am Tag der offenen Gesellschaft (18. Juni 2022) oder am Internationalen Tag der Demokratie (15. September 2020) vor. Wie passend ist es da, auf Ergebnisse eines Projektseminars von Studierenden der TH Köln zurückzugreifen, die verschiedene Aspekte einer pluralistischen, sich verändern Gesellschaft und die Rolle der (öffentlichen) Bibliotheken darin ansprechen.

 

2020 sind wir unterstützt vom Förderprogramm »Miteinander-reden« der Bundeszentrale für politische Bildung gestartet. Auch in diesem dritten Kurs unterstützen wir vor allem Beschäftigte in Kommunen dabei, ihre Rolle als Konfliktlots*in und Moderator*in im öffentlichen Raum aktiver wahrzunehmen und lokale Partizipationsprozesse bürgernah zu initiieren.

Der Online-Kurs besteht aus insgesamt 16 Modulen sowie gemeinsamen Veranstaltungen. Im Preis (BIB-Mitglieder 75 Euro; Nicht-Mitglieder 130 Euro) ist die Teilnahme an den gemeinsamen Veranstaltungen und für vier Module enthalten. Selbstverständlich dürfen Sie noch weitere Module (pro Modul 35 Euro) dazubuchen.

Die technischen Plattformen sind Moodle und Zoom, den Teilnehmenden wird vorab die Möglichkeit gegeben, die Plattformen zu testen. Fragen richten Sie bitte gerne an miteinander-reden@bib-info.de.

Eine Anmeldung ist voraussichtlich ab Mitte Februar möglich.

 

Preview in ausgewählte Programm-Highlights

  • Ein Booster für die Zivilcourage: Volker Siefert, der zu der Szene recherchiert, regt in dieser Veranstaltung zum Reflektieren darüber an, woher die Querdenkerszene ihre Motivation bezieht.

  • #dubisthier. Mit Zivilcourage gegen Hass im Netz: Lydia Roth und Isabel Schlosshauer, Bücherhallen Hamburg, probieren in diesem Workshop gemeinsam mit Ihnen aus, wie aktive Gegenrede funktionieren kann und geben Hintergrundinformationen zum Thema Hate Speech.

  • Eine digitale »Buchhandlungs-Roadshow« hat die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) mit dem Börsenverein des Deutschen Buch­handels entwickelt. »Lässt sich dieses Konzept auch auf Bibliotheken übertragen?« diskutiert mit Ihnen Daniel Kraft, Presssprecher der bpb.

  • Eine spielerische Form, gesellschaftliche Herausforderungen zu begreifen, sind Planspiele. Die Teilnahme an Klimademonstrationen wie Fridays for Future führt zu kontroversen Diskussionen an einer Schule, im fiktiven Dorf Wulnow soll ein leerstehendes Schul­gebäude in ein Kulturzentrum umgewandelt werden. Wie Lösungen entwickelt werden können, erspielen Sie mit Studierenden der TH Köln.

  • Was ist Deutsch? Wer wird als Deutsch wahrgenommen? Innawa Bouba und Yevgen Brukman führen Sie in das Konzept der Generation Postmigration ein.

  • Warum Bibliotheken genau der richtige Ort sind, um in vielfältigsten Formaten über Demokratie zu philosophieren, zu diskutieren und zu slammen, erläutert. Lorenz Semmler (Augsburg) am Beispiel der »Langen Nacht der Demokratie«.

Montag, 21. März

9.30 – 10.15 Mehr Demokratie wagen:
Auftakt mit der Bundeszentrale für politische Bildung
10.30 – 12.30 Klare Haltung im Netz
(Dinah Wiestler und Jörg-René Hundsdorfer, Antonio-Amadeu-Stiftung)

Demokratiearbeit und Demokratiepädagogik. Einführung
(Peter Jobmann, Stadtbibliothek Buxtehude)
Ein Booster für die Zivilcourage
(Volker Siefert, freier Journalist)
13.30 – 15:00

#dubisthier. Mit Zivilcourage gegen Hass im Netz
(Lydia Roth und Isabel Schlosshauer, Bücherhallen Hamburg)

EIN KULTURHAUS FÜR GEFLÜCHTETE. Planspiel - Teil 1
(Maximilian Kirner, Anna-Maria Müller und Niklas Sobotka, Studierende der TH Köln)

Buchhandlungs-Roadshow
(Daniel Kraft, Bundeszentrale für politische Bildung)
15.30 – 18:00

Aktiv gegen FakeNews mit Bibliotheken
(Claudia Holzmann, Fachstelle Hessen)

EIN KULTURHAUS FÜR GEFLÜCHTETE. Planspiel - Teil 2
(Maximilian Kirner, Anna-Maria Müller und Niklas Sobotka, Studierende der TH Köln)

Chemnitz diskutiert. Update
(Mandy Fischer, Chemnitzer Freie Presse)
18.00

Virtuelles Get-together

Dienstag, 22. März

9.30 – 11:00
Bürgerräte in Aktion
(Alexander Trennheuser, mehr Demokratie e.V.)

Freiheitsrechte und Verschwörungserzählungen in Krisenzeiten
(Arnon Hampe, Jüdisches Museum Hohenems)

Tag der Offenen Gesellschaft 2022
(Hannah Göppert und Andreas Meinlschmidt, Initiative Offene Gesellschaft)
11:30 – 13:00
FRIDAYS FOR FUTURE. Planspiel - Teil 1
(Julia Cobanoglu und Suha Hassoun, Studierende der TH Köln)

Generation Postmigration
(Innawa Bouba und Yevgen Brukman, Generation Postmigration, Hannover )

Demokratiearbeit in der Praxis
(Erfahrungsberichte verschiedener Bibliotheken)
14.00 – 15.30
FRIDAYS FOR FUTURE. Planspiel - Teil 2
(Julia Cobanoglu und Suha Hassoun, Studierende der TH Köln)

Antisemitismus verstehen und bekämpfen
(Europäische Janusz Korczak Akademie - angefragt)

Internationaler Tag der Demokratie
(Lorenz Semmler, Bezirksjugendring Augsburg)
15.30

Virtuelles Farewell
(u.a. mit Miteinander Reden, Bonn/Berlin)

Von Steffen Schawe

Lars erzählt von seinen Erfahrungen aus der Arbeit des Stadtschüler*innenrats Osnabrück und die Möglichkeiten, die sich Schülerräten bieten. Auch außerhalb der Schulen können sie die Probleme der Schüler*innen vertreten und versuchen, Veränderungen in der Politik in Gang zu setzen.

Fridays for Future und die unsichere Situation der Schüler in Zeiten der Corona-Pandemie haben dazu geführt, dass die Medien wieder aufmerksamer auf das politische Engagement von Jugendlichen schauen. Auf den diesjährigen Jugendkulturtagen in Osnabrück beantworteten Vertreter von verschiedenen Jugendgruppen, die sich für unterschiedliche Themen engagieren, auf einer Podiumsdiskussion Fragen zu ihren Vereinen und Erfahrungen. Lars ist als Vorsitzender des Stadtschüler*innenrats Osnabrück und Mitglied des Landesschülerrats dort vertreten.

Sowohl in einzelnen Schulen als auch auf regionaler und überregionaler Ebene sollen die Schüler*innenräte Themen besprechen und gegenüber Politikern und anderen Entscheidungsträgern vertreten, die Schüler an sie herantragen. Vor allem innerhalb der Stadtgesellschaft können sich die Schüler so auch untereinander gut vernetzen, da von jeder Schule ein Vertreter im Stadtschülerrat sitzt. Die Themen können direkt in den öffentlichen Sitzungen des Stadtschülerrats vorgetragen werden, oder über die Schülervertretung an den Stadtschülerrat weitergegeben werden.

Lars zeigt Verständnis für die wachsende Politikverdrossenheit der Jugendlichen. Sie fühlen sich von Politikern nicht repräsentiert oder nicht ernst genommen. Seiner Erfahrung nach lassen sich Meinungen nicht durch ein einziges Gespräch verändern. »Klar, meistens ist es ein zäher Prozess, aber im Endeffekt lohnt sich der Aufwand. Alleine für das eigene Gefühl«, sagt er.

Dennoch sieht er in Gesprächen die besten Möglichkeiten, um seine eigene Meinung zu vertreten. Nach eigenen Aussagen hören viele im ersten Gespräch nur zu, ohne viel auf das Gesagte zu reagieren. Wenn man jedoch hartnäckig bleibt und von seiner Meinung überzeugt ist, kann dies ein Anstoß für Veränderungen in der Schule oder der Politik sein.

Die Corona-Pandemie hat im vergangenen Jahr vieles verändert. Auch die Aufgabenbereiche der Schülervertretungen spiegeln dies wieder. Ein Beispiel stellt hier das gewachsene Medieninteresse an der Meinung von Jugendlichen dar. Der Landesschülerrat erhielt deutlich mehr Interviewanfragen zu den wechselnden Szenarien im Schulalltag. Es wurde nicht alles gedruckt, aber aufgrund der steigenden Anfragen hat sich die Gewichtung der Öffentlichkeitsarbeit innerhalb der Schülerräte verändert. Es stellt eine Möglichkeit dar, diese öffentliche Aufmerksamkeit zu nutzen, um Themen zu besprechen, die Schülern wichtig sind.

Bei der Podiumsdiskussion (Veranstaltungsseite: https://www.jugend-kultur-tage.de/) standen neben Lars auch Vertreter von Fridays for Future, BeeHives Matter und der Ökomaile auf der Bühne. Besonderer Fokus lag bei der Diskussion auch auf der Frage der Balance zwischen politischem Engagement, dem Schulalltag und der eigenen Zufriedenheit. Mehrere Vertreter sprachen an, dass sie gerne auch Zeit mit Freunden verbringen, die sich nicht so stark politisch engagieren. Diese Freizeit nutzen sie, um von ihrem eigenen Engagement abzuschalten und sich zu entspannen. Teilweise hätten sie sich in der Vergangenheit schon so in Themen vertieft, dass fehlendes Interesse oder andere Meinungen aus dem eigenen Bekanntenkreis für sie unverständlich gewesen seien.

Ein weiteres Thema war die soziale Ungleichheit und wie sie sich auf das politische Engagement von Jugendlichen auswirkt. Diese Unterschiede starten bei der Frage, wie stark Politik und soziales Engagement im Elternhaus thematisiert werden, und enden beim Bildungsweg des Jugendlichen. Die Gewichtung von politischem Engagement ist daher stark vom sozialen und finanziellen Umfeld der Jugendlichen abhängig. Zudem haben Jugendliche aus privilegierten Familien häufiger das Gefühl auch gehört zu werden.

In einer Sache waren sich die Vertreter der Vereine jedoch einig. Es reicht nicht, selbst von der eigenen Meinung überzeugt zu sein. In einer Gruppe oder einem Verein kann man sich mit Gleichgesinnten austauschen und Ideen sammeln. In der heutigen Zeit kann sich jeder gut über Social Media vernetzen und Gruppen zu eigenen Themen finden oder gründen. Für große Veränderungen braucht es dennoch immer die Politik und daher auch Unterstützung aus der Bevölkerung.

Von Markus Reis

Unter den fünf wichtigsten Werten der Generation Z für das Jahr 2021 steht an erster Stelle Vertrauen. Aber laut der Studie »Junge Deutsche 2021« fehlt der Jugend dieses Vertrauen in Bezug auf ihre Zukunft in die Gesellschaft und die Politik. Doch warum ist dieses Vertrauen abhandengekommen?

Der Hauptgrund, den die Studie aufführt, ist, dass sich Jugendliche zu wenig gehört, verstanden und beteiligt fühlen. Dieses Gefühl wurde durch die Corona-Pandemie noch verstärkt, indem schlecht über, aber nicht mit ihnen geredet wurde, wenn es um den Sinn und die Einhaltung der Corona-Schutzmaßnahmen ging. Und genau hier liegt die Ungerechtigkeit aus der Sicht von jungen Menschen. Für 31 Prozent der deutschen Jugendlichen hat sich die schulisch-berufliche Zukunft drastisch verschlechtert. Sitzenbleiben durch mangelhaften Onlineunterricht, geplatzte Ausbildungs- und gekündigte Arbeitsverträge. Des Weiteren wurden durch Corona länger bekannte Missstände wie die schleppende Digitalisierung, soziale Ungleichheit, schlechte Bezahlung wichtiger Jobs sowie ein scheinbar fehlendes Interesse an den Wünschen und Anliegen der jüngeren Generationen wieder sichtbar gemacht. Viele Jugendliche sind durch die Vorstellung, dass sie der Politik nicht wichtig sind, aber später die Last von Entscheidungen trägen müssen zu denen sie nicht befragt worden sind, frustriert.

Nun stellt sich die Frage, was von Seiten der Politik getan werden kann, um das Vertrauen der Jugendlichen zurückzugewinnen. Aus der Studie und Gesprächen des Autors mit Jugendlichen lassen sich drei große Forderungen ableiten:

  • Mehr zuhören

  • Mehr Beteiligung erlauben

  • Mehr kümmern

Themen, die den jüngeren Menschen wichtig sind, werden von den Parteien gar nicht oder nur plakativ vor den Wahlen aufgegriffen. Beispiele sind der Klimawandel und Nachhaltigkeit, bei denen zwar viele Worte aber wenig Taten folgen oder die Digitalisierung an den Schulen, deren Wichtigkeit gerade von konservativen Politikern häufig nicht verstanden wird, wie es scheint. Auch neuere Themen wie die wachsende Diversität oder sexuelle Identität sind nicht auf der Agenda. Dadurch werden mögliche Berührungspunkte mit den jungen Leuten verschenkt.

Im Koalitionsvertrag steht das Bekenntnis »Mehr Fortshritt wagen« von SPD, Grünen und FDP steht das Bekenntnis zum Wahlrecht ab 16 Jahren für Bundestags- und Europawahlen. Das stand schon öfters zur Debatte, wird aber besonders durch CDU und AFD abgelehnt. Das Argument dagegen ist die vermeintliche Anfälligkeit der Jungwähler für Beeinflussung von beiden Seiten des politischen Spektrums. Die Jugendlichen sehen hierbei aber nur einen weiteren Beweis für eine Bevormundung und Unterschätzung durch die Politiker. Die Vertreter für das Wahlrecht ab 16argumentieren, dass sich Jugendliche neben dem Unterrichtsmaterial aus dem Fach Sozialkunde zusätzlich digital umfassend über Politik informieren, weiterbilden und eine eigene Meinung bilden können. Dadurch ist die jüngere Generation vielleicht sogar besser politisch gebildet als ihre Eltern und Großeltern, die ihnen aber oftmals die nötige geistige Reife oder das Verständnis für Politik absprechen.

Zudem sollte die Politik mehr in die Bildung investieren. Angefangen von maroden Schulgebäuden bis hin zu veralteten Lernstoff, der nicht die nötigen Kompetenzen für einen Erfolg im sich stetig wandelnden Wirtschaftsleben vermittelt, muss aus Sicht der Jugendlichen viel am Schulsystem gemacht werden. Darüber hinaus muss die Digitalisierung der Schulen energischer vorangetrieben werden, um die Schüler auf eine digitale Arbeitswelt vorzubereiten sowie eine bessere finanzielle Unterstützung sozial schwächerer Schüler, die sich eine höhere Bildung oft nicht leisten können. Zudem sollen auch Ausbildungen im Bereich von Pflege und Erziehung gefördert werden, finanziell oder durch Vergünstigungen bei Wohnen, Arbeitsweg und Verpflegung.

Zusätzlich werden mehr Ehrlichkeit und Authentizität von den Politikern gefordert. Versprechen sollten auch über Wahlen hinaus gültig sein. Im Bereich des Lobbyismus sollten alle Nebeneinkünfte und Beziehungen zu Firmen und Organisationen offengelegt werden. Entscheidungen sollten mit dem Wohl der Bürger, nicht mit Profilierung und sturen politischen Denken als Ziel getroffen werden.

Für die Zukunft nach Corona wünschen sich die Jugendlichen wieder mehr Zusammenhalt in der Gesellschaft, die durch Rassismus und Demokratieablehnung auseinanderdriftet, mehr Offenheit und Toleranz für andere Lebensstile, persönliche und finanzielle Sicherheit, Glück und Zufriedenheit für sich, die Familie und Freunde. Die Jugendlichen hoffen, dass sich die Gesellschaft von der Pandemie erholt und die Menschen aus der Situation gelernt haben. Mit den vielen jungen Abgeordneten, die nun im Bundestag eingezogen sind, lässt sich hoffen, dass nun die Jugendlichen in den Fokus der Politik gerückt werden.

Von Josephine Heintsch

Hinterwäldlerisch und ignorant? Von wegen! Auch auf dem Land engagieren sich Jugendliche gegen den Klimawandel. In einer Kleinstadt in Niedersachsen können sie sogar auf die Unterstützung der Schule setzen – aber nicht ohne Kritik.

Die Fridays-for-Future-Bewegung ist fast auf der ganzen Welt ein Hype, an dem sich viele Schüler*innen gerne beteiligen. Doch vor allem auf dem Land, wo – so ein Vorurteil – häufig eher konservative Menschen wohnen, seien die Menschen viel zu starrköpfig. Sie beschäftigten sich mehr mit der Landwirtschaft als sich um den Klimawandel zu kümmern. Diese Gedanken haben zumindest viele Menschen im Kopf, wenn sie an die Fridays-for-Future-Bewegung und das Engagement der Jugend auf dem Land denken. Doch ist dem wirklich so?

In der niedersächsischen Kleinstadt Bad Gandersheim sind unter anderem die Schüler*innen der Oberschule freitags im Rahmen der Fridays-for-Future-Proteste demonstrieren gegangen. Sie haben sich auf dem Marktplatz vor der Stiftskirche getroffen und im Chor »starke Sprüche gerufen«, wie ein Schüler der Oberschule Bad Gandersheim sagt, der namentlich nicht genannt werden möchte. Von politischem Desinteresse kann bei diesen Jugendlichen also nicht die Rede sein. Aber wie wird das Ganze von der Schule gesehen?

»Es ist ein zweischneidiges Schwert«, sagt Petra Dröge, Rektorin der Oberschule Bad Gandersheim. Denn wer wirklich hinter der Fridays-for-Future-Bewegung und deren Überzeugungen steht, der könne auch in seiner Freizeit demonstrieren gehen. So gehe keine wertvolle Unterrichtszeit verloren.

Doch auch wenn die Rektorin der Oberschule Bad Gandersheim der Bewegung im Zwiespalt gegenübersteht, unterstützt sie die Jugend in ihrem Engagement für die Nachhaltigkeit und geht sogar auf deren Interesse am Thema ein. Als die Fridays for Future ins Leben gerufen wurde, hat die Schulleitung reagiert und die Schüler*innen mit Projekttagen begeistert, um ein generelles Bewusstsein für das Thema Nachhaltigkeit zu schaffen. An diesen Projekttagen Texte, Songs und Gedichte entstanden. Lehrer*innen, die keine Unterrichtsverpflichtung hatten, sind teilweise aus Interesse, aber auch aus Solidarität den Schülern gegenüber mit demonstrieren gegangen. Auch Klassenarbeiten wurden verschoben oder nachgeschrieben.

In der Politik gibt es Stimmen, die der Fridays for Future eher kritisch gegenüberstehen. Der CDU/CSU-Politiker Manfred Grund bspw. nannte die Fridays for Future in der ZDF-Sendung »Berlin direkt« eine Glaubensgemeinschaft und behauptet, dass man die Mitglieder nicht mit Fakten überzeugen könne. Der zuvor zitierte Schüler der Oberschule Bad Gandersheim ist da anderer Meinung. Er sieht die Bewegung nicht als Glaubensgemeinschaft. Der Klimawandel sei eine Tatsache, gegen die man etwas tun müsse. Doch auch er steht den Demos mit gemischten Gefühlen gegenüber, denn einige Schüler*innen, die sich bei den Lehrern zum Demonstrieren angemeldet haben, waren nicht bei der Demo dabei, sondern haben die Zeit genutzt, um sich etwas zu essen zu holen und nach Hause zu gehen. Seiner Meinung nach schaden die Schulschwänzer dem Ruf der Bewegung im Allgemeinen. Dennoch sei es wichtig, auf die Straße zu gehen und für seine Überzeugungen einzustehen. Vor allem das Gefühl in einer großen Menge für die gleiche Sache zu demonstrieren, habe es für ihn zu etwas ganz Besonderem gemacht.

Schulleiterin Petra Dröge steht dem Einsatz für Fridays for Future nicht im Weg: »Ich finde es schön, dass sich junge Menschen engagieren. Es wird  immer wichtiger, dass diese aufstehen und darauf aufmerksam machen, wie wichtig der Klimawandel ist. So kann es nicht weitergehen. Von daher begrüße ich das natürlich.« Die Schüler*innen werden von der Schulleitung unterstützt. Die Unterstützung der Demos und die Projekttage sind nicht die einzigen Initiativen, mit denen sich die Oberschule Bad Gandersheim für Nachhaltigkeit einsetzt.

Die Schule betreibt seit 2015 einen Schulwald, den die Schüler eigenhändig mit angepflanzt haben. Heute, nach sechs Jahren, ist der Schulwald zu einem großen Projekt mit vielen Kooperationen herangewachsen. Die Schüler*innen engagieren sich in einem Wahlpflichtkurs für den Wald. Mittlerweile sind auch einige ökologisch nachhaltige Besonderheiten mit dazu gekommen, wie zum Beispiel eine Eidechsenmauer, eine Ameisenkolonie, Insektenhotels und vieles mehr. Der Schulwald wird auch Teil der Landesgartenschau sein, die im nächsten Jahr in Bad Gandersheim stattfindet.

In der niedersächsischen Kleinstadt beschäftigen sich die Einwohner*innen intensiv mit dem Klimawandel und Jugendliche, die sich für die Nachhaltigkeit einsetzen, werden von den Schulen unterstützt. Die Oberschule Bad Gandersheim ist nur ein Beispiel. Das Engagement für Nachhaltigkeit ist in den Kleinstädten nicht vernachlässigt, sondern wird oft einfach nur übersehen.

Von Melina Rossmann und Hannah Vehreschild

Der Verein »Allerweltshaus Köln« setzt sich als Ort der Begegnung seit vielen Jahren für Austausch, Vielfalt und Teilhabe ein. Doch wie gelingt das in Zeiten der Pandemie? Was für Wege gibt es, sich zu engagieren – und was, wenn ich selbst einen Verein gründen möchte? Das Allerweltshaus berichtet über die Voraussetzungen und die größten Herausforderungen.

Persönlicher Austausch und Teilhabe: Auf den ersten Blick verhinderten die Pandemie-Maßnahmen und Kontaktbeschränkungen die Ziele des Allerweltshauses Köln. Doch damit wollte man sich nicht geschlagen geben. Schließlich hat die globale Krise die Bedeutung entwicklungspolitischer Bildungsarbeit eindrücklich vorgeführt. Genau für diesen Bereich ist Julia Paffenholz als Vorstandsmitglied beim Allerweltshaus Köln verantwortlich. Die Pandemie hat ihre Arbeit von jetzt auf gleich völlig verändert, doch die Notlage haben sie und ihr Team zu einer Chance gemacht und neue Formate entwickelt. Weiterbildungen, Beratungen, Seminare: Was bisher vor allem analog ablief, ist nun ins Virtuelle umgezogen. »Die Zeitersparnis gegenüber einer Live-Umsetzung ist auf jeden Fall ein Vorteil für uns«, sagt Paffenholz. »Wir erreichen nun auch Zielgruppen außerhalb von Köln und begegnen in unseren Online-Veranstaltungen spannenden Ansprechpartnern, die mir sonst vielleicht nie begegnet wären.«

Das Allerweltshaus Köln denkt schon lange länderübergreifend und bringt Kulturen näher zusammen. Der Schwerpunkt liegt auf dem globalen und interkulturellen Lernen sowie der Menschenrechtsbildung. Dabei orientiert sich die entwicklungspolitische Bildungsarbeit an den Werten der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), um die Menschen zu zukunftsfähigem Denken und Handeln zu befähigen.

Viele der Angebote leben von der Interaktion. »Auch wenn es nicht möglich war, an neue Kooperationspartner heranzutreten und Angebote auf die gewohnte Art zu platzieren, nutzten einige Schulen die Chance, das Allerweltshaus in Projekte miteinzubeziehen«, erzählt Paffenholz. »Wir haben seit Januar das neue Thema Biodiversität im Programm, das gerade besonders nachgefragt wird – und sich trotz Pandemie gut umsetzen lässt.« Das Allerweltshaus führt Hochbeet-Aktionen mit mehreren Schulen durch. Bei diesen Hochbeet-Erstbepflanzungen gibt es auch theoretischen Input für die Schülerinnen und Schüler rund um das Thema Biodiversität. So wird das Klassenzimmer nach draußen verlegt. 

Ein Tipp von Julia Paffenholz zur Entwicklung von neuen Angeboten und Projekten: Weniger ist mehr. »Wir waren früher sehr nachfrageorientiert. Das ist arbeits- und zeitintensiv. Jetzt setzen wir mehr auf die Formate, die sich bereits bewährt habe, entwickeln sie weiter und ergänzen neue Themen. Wir professionalisieren diese einzelnen Module und passen sie flexibel an die Nachfrage an.« Man muss sich also nicht immer wieder neu erfinden. Anregungen, Ideen und gute Materialien finde man bei Germanwatch oder dem Südwind Verein für Entwicklungspolitik und globale Gerechtigkeit.

Auch wenn ihre Arbeit beim Allerweltshaus gerade anders aussieht als sonst, Julia Paffenholz nimmt auch Positives aus dieser Zeit mit: »Wir sind deutschlandweit enger zusammengerückt in der Eine-Welt-Szene. Durch die digitalen Formate entfallen viele Kosten und es gibt tolle technische Möglichkeiten für die Umsetzung von Angeboten. Das war eine interessante Erfahrung, die auf jeden Fall ein Plus ist.«

Und was steht aktuell beim Allerwelthaus an? »Wir haben seit März 2021 eine Multiplikator*innen-Ausbildung für unsere Referent*innen konzipiert, die komplett digital stattfindet. Die Ausbildung setzt sich aus mehreren inhaltlichen Schulungen sowie Multischulungen mit pädagogischem Schwerpunkt zusammen. Themen sind zum Beispiel Biodiversität, Klimagerechtigkeit und Menschenrechte. Wir hoffen, dann bald mit den vielen neuen Referent*innen durchstarten zu können.«

 

Das Allerweltshaus Köln

Das Allerweltshaus Köln tritt für soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte und Verantwortung für die nachkommenden Generationen ein. Der Verein wurde 1987 von sieben Gründungsmitgliedern ins Leben gerufen – zwei sind noch heute Mitglied. Zu diesem Zeitpunkt gab es staatliche Gelder und Maßnahmen für die Integration von Gastarbeiter*innen, jedoch nicht für die Geflüchteten, so Julia Paffenholz. Der Auslöser war also, wie bei vielen Eine-Welt-Vereinen, die Solidarität zu der stetig wachsenden Anzahl an besonders lateinamerikanischen sowie afrikanischen Geflüchteten. Für diese Zielgruppe sollten Gelder akquiriert werden sowie eine Infrastruktur und ein Raum zum Austausch geschaffen werden.

Auch das Allerwelthaus stand im Laufe der Vereinsgeschichte vor großen Herausforderungen: Die Gründung selbst sieht Frau Paffenholz als die kleinste Schwierigkeit. Der bürokratische Aufwand ist jedoch hoch. Und die Vorstandsmitglieder haften bei fahrlässigem Verhalten mit ihrem Privatvermögen. Das schreckt viele Menschen ab. Oftmals besäßen besonders junge Leute wenig Bereitschaft für so viel Kontinuität und seien distanzierter, sich zu verpflichten oder festzulegen, sagt Paffenholz. Dazu gehören die Teilnahme an Sitzungen und eine Menge formaljuristische Bürokratie. Paffenholz betont: »Ehrenamtliches Engagement bei jungen Leuten zu erreichen, finden wir als Allerweltshaus nicht schwer – aber von diesen welche in den Vorstand zu bekommen, ist fast unmöglich.« Auch die Diversität fehlt aus diesen Gründen häufig: Die eigentliche Zielgruppe des Vereins sei ebenfalls schwer für eine Mitgliedschaft zu begeistern, mitunter seien Sprachbarrieren ein Problem.

Besonders in der Entstehungsphase muss sich ein Verein auch finanziellen Herausforderungen stellen. Da Vereine sich vorrangig über – oder Mitgliedsbeiträge und Spenden finanzieren, sind (Förder-)Mitglieder unerlässlich. Das Allerweltshaus verfügt derzeit über 60 Fördermitglieder – die gespendeten Beiträge variieren in der Höhe stark und sind damit schwierig zu kalkulieren. Die Geschäftsführung und der Vereinsalltag seien, so Paffenholz, schwer zu finanzieren: »Obwohl wir ein paar Kampagnen gestartet haben, ist die finanzielle Basis eines Vereins wirklich schwierig. (...) Institutionelle Förderung für die ganz normalen Tätigkeiten eines Vereins gibt es keine.« Bezüglich der Projektfinanzierung sieht sie weniger Probleme. Hier können vielfach Fördermittel beantragt werden. Auch rät sie dazu, Kampagnen zu starten und regelmäßig Anträge bei Institutionen einzureichen. 

Und was sollte man mitbringen, um Vorstandsmitglied eines Vereins zu sein? Natürlich spielt Engagement und Begeisterung für das Thema eine große Rolle, dennoch wird einiges mehr benötigt. Als Vorstandsmitglied sind für Paffenholz weniger das inhaltliche Engagement, sondern die Organisationsfähigkeit relevant. Der Anteil an administrativen Aufgaben sei hoch. »Diese Verantwortung zu übernehmen ist etwas für Menschen, die das Thema wichtig finden, aber nicht nur auf den Inhalt Lust haben – sondern gern organisieren.« Abschließend haben wir Julia Paffenholz gefragt, was sie neuen Vereinsgründer*innen noch mit auf den Weg geben möchte. »Ich würde mir eine Gruppe Menschen suchen, die das Ziel alle gleichstark erreichen wollen«, rät sie. Der Verein sollte von Beginn an nicht vorrangig von einer Person organisiert werden. Die Verantwortung sollte demnach bereits bei der Gründung von keiner Einzelperson getragen werden. »Es sollte auf mehrere Schultern verteilt werden, um zu schauen, ob es tragfähig ist.«

Von Niklas Sobotka

Transsexualität ist mit vielen Mythen verbunden. Doch wie sehen transsexuelle Menschen sich selbst? Pavo Kröger arbeitet für den Verein ABqueer in Berlin. Zusammen mit Stefanie Fichter als Projektleitung geben sie Auskunft, über das, was sie bewegt.

»Anerkennung ist nicht wie ein Lichtschalter, den man an und ausmachen kann«, sagt Pavo Kröger und meint damit die Art und Weise, wie man transsexuellen Menschen im Alltag, auf der Arbeit und privat begegnet. Pavo ist transsexuell, lebt im für Weltoffenheit bekannten Berlin und äußert sich im Gespräch. Es geht um Geschlechtsidentitäten, transsexuelles Leben in Deutschland und um die Arbeit von ABqueer, einem Verein, bei dem Pavo sich engagiert. Stefanie Fichter leitet die Projekte des Vereins. Zusammen mit ihr und Pavo erhalte ich Einblick in einen Bereich, bei dem man die Vielfalt unserer Gesellschaft unmittelbar erlebt.

Transsexuelle Menschen kämpfen seit Jahren für ihre Anerkennung in Deutschland. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung bestätigte die physischen und psychischen Belastungen, denen transsexuelle Menschen in ihrem Leben ausgesetzt sind. Zu den Alltagsbelastungen infolge andauernder Wachsamkeit, trete die unbefriedigende rechtliche Lage. Indem transsexuelle Menschen »nach der heutigen Gesetzeslage eine psychiatrische Diagnose brauchen, um geschlechtsangleichende Maßnahmen ergreifen zu können, wird ihre Identität per se als krank bewertet«, sagt Pavo. Die Abschaffung des Transsexuellengesetzes (TSG) von 1981 scheiterte im Mai 2021. Der Bundestag lehnte die Gesetzesreform zur geschlechtlichen Selbstbestimmung ab. Was aber bedeuten Geschlechtsidentitäten? Was braucht es, um die Menschen für geschlechtliche Vielfalt zu sensibilisieren? Und wie geht es den Betroffenen dabei?

Pavo hat dazu eine klare Meinung. Es geht nicht darum, Unterschiede zwischen Menschen zu betonen, die vermeintlich anders als man selbst sind, sondern Gemeinsamkeiten zu stärken. »Trans-Personen sind halt trans, aber nicht alienhaft besonders«, gibt Pavo zu bedenken. Mit transsexuellen Menschen ließe sich genauso reden wie mit anderen auch. Gleichzeitig sei genau das etwas, was häufig fehle und das Leben von transsexuellen Menschen in Deutschland schwer mache. Der Respekt vor transsexuellen Menschen gebiete es aber auch, sich nicht aufzudrängen, im Alltag und in Konfliktsituationen den Fokus auf die Betroffenen zu lenken und wenn diese keine Hilfe benötigen, sich nicht als Rettungsinstanz aufzuspielen.

Stefanie Fichter sieht das ähnlich. Abqueer ist seit 2004 an Schulen und Bildungseinrichtungen aktiv, um Vorurteile abzubauen. Die Teilnehmenden der Workshops begegnen transsexuellen Menschen und bauen so Verständnis für deren Situation auf. Sowohl Schüler*innen als auch Lehrkräfte sind angesprochen. In vielen Fällen sind Lehrkräfte dankbar, auf die Expertise von ABqueer zurückgreifen zu können. Neben den Schulaufklärungsworkshops, die Pavo mitgestaltet und die auf Schüler*innen zielen, gibt es mit dem Projekt »Teach Out« ein Angebot für Lehrkräfte. Bei allen Bildungsaufgaben komme es darauf an, geschlechtliche Vielfalt als etwas Natürliches zu vermitteln, fernab einer zu diagnostizierenden Krankheit. Sofern Menschen nicht feindlich gegenüber Transsexuellen eingestellt sind, bringt Frau Fichter es auf den Punkt: »Vorurteile sind unser Business.«

Im Gespräch geht es immer wieder darum. Was innerhalb der transsexuellen Szene gilt, ist letztendlich nur ein Abbild einer differenzierten Gesellschaft als Ganzes. Geschlecht und Identität erscheinen als Kategorien, die, wie Pavo sagt, »nicht in Stein gemeißelt sind.« Wie lässt sich so etwas in Sprache umsetzen? Wo sind Räume dafür, unbefangen auszuprobieren, was zu mir als Person passt? Fragen, die auch für nicht transsexuelle Menschen wichtig sind und Vielfalt als Aufgabe an die Gesellschaft formulieren. Menschen konditionieren sich im Laufe ihres Lebens mehrfach und hören damit nie auf. Das gilt sowohl für Transsexuelle als auch für andere.

Im Hinblick darauf, was heterosexuelle, cis-Personen vielleicht von transsexuellen Personen lernen können, ist Pavo vorsichtig. Pavo betont, dass Menschen, die sich von Geburt an einem bestimmten Geschlecht zugehörig fühlen, von transsexuellen Personen genauso ernst genommen werden, wie diese sich das umgekehrt wünschen. Geschlechtsanforderungen betreffen uns alle. Transsexuellen Personen liegt es, so Pavo, »eher nah, sich mit diesen Normen auseinanderzusetzen und Möglichkeiten auszuloten, sich dem zu entziehen«. Darauf aufbauend, sind es bestimmte Rollenbilder, die uns als Menschen auf etwas festlegen, dem auch Heterosexuelle immer weniger entsprechen.

Für Menschen, die transsexuell sind und nach Anlaufstellen suchen, empfiehlt Stefanie Fichter die Internetseite www.regenbogenportal.de, auf der es eine Datenbank mit Postleitzahlensuche gibt. Sowohl die Anerkennung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen als auch die Angebote und Services für transsexuelle Menschen in Deutschland nehmen zu. Die Frage danach, wie wir leben wollen, ist auch im Bereich der Transsexualität akut. Das hat die Politik erkannt. Zu tun bleibt weiterhin viel. Auch wenn institutionelle und strukturelle Hürden bestehen, kann und muss Anerkennung im Alltag stattfinden. Pavo bringt es auf die Formel: »Im Zwischenmenschlichen braucht es mehr Toleranz für das Andere. Mehr Empathie, mehr Informationen, also mehr Wissen.«

Von Julia Cobanoglu

Was bedeutet Heimat in Bezug auf Sprache? Wer sich ein altes Kinderbuch aus seinem Bücherregal raussucht, stellt schnell fest, wie viele Erinnerungen an diesem Kinderbuch hängen und wie oft man es als Kind gelesen hat. Ist Sprache ein Stück Heimat? Eine Sprachreise in die Stadt Duisburg.

Die kleine Raupe Nimmersatt. Ein Kinderbuch das jeder kennt. Die Bilder wecken Erinnerung und Nostalgie. Es ist die Geschichte der kleinen Raupe, die jeden Tag mehr isst und sich am Ende zu einem Schmetterling entpuppt. Die kleine Raupe Nimmersatt ist auch eines der ersten Bücher, dass man als Kind hört, nacherzählt und liest, das prägt, da es nicht weit entfernt von der sprachlichen Entwicklung eines Kindes ist. Ein Kind versucht jeden Tag neue Wörter zu lernen und auszusprechen. Es wird nie satt, die Sprache zu lernen, bis es sie fließend beherrscht. Ein Kind, das anstrebt, eins mit der Sprache zu sein – gleichsam einer Raupe, die eins mit der Luft sein möchte.

Kinderbücher sind die ersten Mittel, mit der man der Sprache sehr nah kommt. Das kann zuhause passieren und in der Schule. In Duisburg ist es zudem die interkulturelle Kinder- und Jugendbibliothek, die die verschiedenen Aspekte von Sprache erlebbar macht: Der internationale Kinderbestand wurde erstmals 2012 unter dem Namen »interkulturelle Kinderbibliothek« eröffnet und 2021 wurde die Interkulturelle Kinderbibliothek zur »interkulturelle Kinder- und Jugendbibliothek« erweitert.

In einem Gespräch mit Kenan Eren, einem Mitarbeiter der Stadtbibliothek Duisburg, stellt dieser die vielfältigen Projekte und Angebote der interkulturellen Kinder- und Jugendbibliothek vor. Er ist in der Abteilung interkulturelle Bibliotheksarbeit tätig und zuständig für den fremdsprachigen Bereich für Kinder und Erwachsene. Der Medienbestand verläuft sich auf über 15 Sprachen, davon sind die Kinderbücher hauptsächlich zweisprachig aufgestellt, die die Bürger*innen nutzen, um sich beispielsweise selbst Sprachen beizubringen. Kenan Eren spricht vor allem davon, dass die Stadt Duisburg als Vorbild für Mehrsprachigkeit gilt und viele Bibliotheken sich an ihr orientiert, um den Nutzer*innen in anderen Regionen das gleiche bieten zu können.

Die Stadt Duisburg hat neben ihrer interkulturellen Kinder- und Jugendbibliothek eine türkischsprachige Bibliothek, die aktiv genutzt wird und nunmehr Medien unterschiedlicher Sprachen in ihrem Bestand hat.

Das Angebot wird neben Einwanderern und Flüchtlingen auch aktiv von Deutschen genutzt, die durch die hohe Einwanderungsrate der türkischstämmigen Bürger*innen Türkisch lernen möchten und sich alternativ von Grammatik- und Wörterbüchern, zweisprachige Bilderbücher ausleihen und so versuchen, sich eine neue Sprache anzueignen. Das gilt jedoch nicht nur für den türkischsprachigen Bereich. Dieses Entgegenkommen der deutschen Einwohner*innen Duisburgs in Bezug auf Sprache ist nicht nur vorbildlich, sondern zeigt auch die Offenheit gegenüber anderen Kulturen. Das kann den Menschen die Angst vor Fremdheit nehmen und Sprache kann eingesetzt werden, um Communitys zu bilden. Es zeigt, dass man sich auch als Erwachsener als Schmetterling entpuppen kann und Kindern somit ein Vorbild sein, sich nicht in einem Kokon zu verstecken.

Die Ausleihen sind besonders hoch in den meistgesprochenen Sprachen der Welt, wie Englisch, Französisch und Italienisch. Nutzer*innen sind hier neben Schüler*innen und Student*innen viele verschiedene Bürger*innen aus verschiedenen Lebensbereichen. Auch zählen Pädagog*innen zu den weiteren Bibliotheksnutzern des Kinderbereichs. Für die Medienkompetenz und Medienbildung erstellt die Bibliothek Medienpakete in verschiedenen Sprachen für Schüler*innen verschiedener Nationalitäten, die von Pädagog*innen ausgeliehen und in den Schulalltag integriert werden.

Mit der zunehmenden Migration im vergangenen Jahrzehnt hat das für eine vertiefte Zusammenarbeit mit Flüchtlingsheimen gesorgt. Für Flüchtlinge und Eingewanderte Bürger*innen ist die Gründung des separaten Bestandes »Ankommen in Deutschland« als erste Anlaufstelle für viele verschiedene Medien, die bei einer ersten Orientierung und beim Erlernen der Sprache unterstützen.

Eine von vielen Veranstaltungen der Interkulturellen Bibliothek ist das Café Deutsch – eine offene Veranstaltung, in der Bürger*innen einmal im Monat ohne Anmeldung ins Café kommen können. Kenan Eren berichtet darüber, dass die Teilnehmer*innen in ihrer Muttersprache miteinander sprechen oder es in einem gebrochenen Deutsch versuchen. Man hat sich über die Herkunft und Hobbys ausgetauscht, wie lange man schon in Deutschland ist und was man früher in der Heimat gemacht hat. Auch wenn das Deutsch noch nicht so gut ist, versucht man sich zu verständigen. Denn die Menschen wollen neue Kontakte knüpfen und vor allem die Sprache lernen.

Die Verbindung zwischen Heimat und Sprache erklärt Wilhelm von Humboldt, indem er die Heimat an der Sprache festmacht: »Die wahre Heimat ist eigentlich die Sprache. Sie bestimmt die Sehnsucht danach, und die Entfernung von Heimischen geht immer durch die Sprache am schnellsten und leichtesten, wenn auch am leisesten von sich«. Und das ist auch die Aufgabe der interkulturellen Bibliothek in Duisburg. Sie ist ein Ort, an dem alle Menschen zusammenkommen können. Sie bietet einen Ort für jeden der sich nach seiner oder einer Heimat sehnt.

Von Eva Murmann

Ein neues Land, eine neue Kultur, ein neuer Wohnraum. Das Einleben in Deutschland, ist eine echte Herausforderung. Auch für Obada. Zusammen mit dem Team vom Projekt »Zusammenleben Willkommen«, das sich für geflüchtete Menschen einsetzt und bei der WG-Zimmersuche unterstützt, konnte Obada eine passende Wohngemeinschaft finden.

Die selbstständige Suche nach einem passenden Platz zum Leben gestaltet sich schwierig. Obada ist vor sechs Jahren aus seiner Heimat in Syrien vor dem Krieg geflohen. Ein Land, aus dem neben Venezuela und Afghanistan mit die meisten Geflüchteten stammen.1 Im Jahr der Willkommenskultur 2015 flüchteten rund 890.000 Menschen nach Deutschland.2 Doch die Realität von »Wir schaffen das« sah im Nachhinein für viele anders aus: Wenn Geflüchtete es nach Deutschland geschafft haben, erwartet sie ein Marathon an Antragsstellungen und Unterbringungen in isolierenden und desolaten (Sammel-)Unterkünften. Die Annahme von einem vorrübergehenden Aufenthalt entwickelt sich oft zu einem mehrjährigen Verbleib. Zwangsgemeinschaften auf engstem Raum, schlechte und unzureichende Sanitäranlagen und keine Privatsphäre.

Die Aufnahme und Versorgung von Geflüchteten stellt die Bundesländer und Kommunen weiterhin vor eine große Herausforderung. Trotz der über die Jahre fallenden Einwanderungszahlen, sind 2021 laut Angaben des Bundesamtes für Migration und Flucht, bereits 56.687 Asylanträge gestellt worden.3 Neben den Abhängigkeiten von bundesgesetzlichen und föderalen Vorgaben, ist daher auch Hilfe durch zivilgesellschaftliches Engagement gefragt.

Das Team des Projekts »Zusammenleben Willkommen« des Vereins »Mensch Mensch Mensch«, setzt sich seit 2014 für geflüchtete Menschen ein und bringt Wohnraumgebende und -suchende zusammen. Dabei setzen sich die Mitarbeiter*innen nicht nur für bessere Wohnverhältnisse ein, sondern versuchen damit gleichzeitig, den Menschen aus den (Geflüchteten-)Lagern eine Perspektive und einen Zugang in die gesellschaftliche Mitte zu bieten.

»Im Grunde geht es darum zu empowern. Um den Leuten Fähigkeiten mit an die Hand zu geben, sich auf dem deutschen Wohnungsmarkt und in den WG-Konstellationen zurechtzufinden«, sagt Jonas Kakoschke, Co-Gründer des Projekts.

Die Wohnsituation in den Lagern hat sich nochmal nachteilig für alle Beteiligten, seit Beginn der Corona-Pandemie, verschlechtert und wird zunehmend gesundheitsgefährdend bis lebensgefährlich. So leben in den (Sammel-)Unterkünften, unter den Wartenden für eine Aufenthaltserlaubnis, auch viele die eine solche Erlaubnis bereits bekommen haben. Der prekäre Wohnungsmarkt erschwert zusätzlich durch steigende Mieten, hohe Konkurrenz und rassistische Vergabepraxen einen Aus- und Umzug.4 Heißt man mit Nachnamen nicht bspw. Müller, Meier oder Schmitz, so hat man, trotz stabiler Finanzlage, eine erheblich geringere Chance, auch nur in die engere Auswahl als Nachmieter*in zu kommen.

Durch die Organisation des Projekts hatte Obada die Möglichkeit bei seiner späteren WG zu Anfang erstmal reinzuschnuppern und festzustellen, ob ein Zusammenleben für alle vorstellbar ist. Obada erinnert sich: »Wir hatten einen gemütlichen Abend zusammen und konnten uns frei austauschen.« So sollte ein Kennenlernen stattfinden, findet Obada. »Wir sind alle Menschen«, sagt der junge Mann frei heraus und stellt somit klar, jeder sollte die Chance, auf einen sicheren Wohnraum haben.

Soziale Distanzen überwinden und den Menschen, hinter dem (Nach-)Namen erstmal kennenlernen: Eine bedingte Hürde fängt bei der Sprache an. Doch Obada macht seinen Freunden im Alltag Mut: »Man darf keine Angst haben zu sprechen. Grammatikalische Fehler machen alle, auch die Deutschen. Nur wenn man übt und viel spricht, kann man besser werden und es ist ein guter Weg in die deutsche Kultur.« Obada hat durch das Projekt den Halt bekommen, den er noch brauchte. Jetzt ist er nicht mehr der Flüchtling, der Ausländer, der Sprachschüler. Er ist jetzt Teil einer WG.

Eine offenere Willkommenskultur in Deutschland und mehr persönlichen Austausch auf Augenhöhe, das sind ein paar der Ziele, die Jonas Kakoschke und sein Team gern erreichen würden. Im Gespräch wird deutlich, dass es dazu mehr Know-how benötigt, denn sich auf dem deutschen Wohnungsmarkt zu etablieren, ist schwer. Durch Beratungstermine und Videotutorials vermittelt der Verein »Mensch Mensch Mensch« Informationen rund um die WG-Zimmersuche. Ihre Hilfsangebote findet man auf YouTube, Facebook und Instagram. Die Facetten eines Bewerbungsprozesses und das Konzept einer Wohngemeinschaft werden den Interessierten in Deutsch, Englisch und Arabisch zur Verfügung gestellt.

Die Freude am Helfen ist ansteckend und Obada wird sich nun auch selbst, gemeinsam mit dem Projektteam von »Zusammenleben Willkommen«“, um andere Geflüchtete kümmern und ihnen bei der WG-Zimmersuche und dem Ankommen in Deutschland helfen.

 

[1] Statista Research Department (2020): Größte Herkunftsländer von Flüchtlingen (Stand Ende 2019). URL: de.statista.com/statistik/daten/studie/186108/umfrage/herkunftslaender-von-fluechtlingen/.

[2] Zusammenleben Willkommen (2020): Pilotstudie Geflüchtete in WGs! Einleitung. URL: zusammenleben-willkommen.de/wp-content/uploads/2020/09/unterbringungsstudie-2020-zusammenlebenwillkommen.pdf. S.7.

[3] Statista Research Department (2021): Asylanträge in Deutschland bis 2021. URL: de.statista.com/statistik/daten/studie/76095/umfrage/asylantraege-insgesamt-in-deutschland-seit-1995/.

[4] Vgl. Zusammenleben Willkommen (2020): Pilotstudie Geflüchtete in WGs! Vorwort. URL: zusammenleben-willkommen.de/wp-content/uploads/2020/09/unterbringungsstudie-2020-zusammenlebenwillkommen.pdf. S.3.

 

 

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