Kontroverse um die Bibliothek eines Sklavenbesitzers

Prächtiges Gebäude mit unheilvoller Vergangenheit: das All Souls College mit der Codrington Library im englischen Oxford. Foto: www.figurniy.com
Prächtiges Gebäude mit unheilvoller Vergangenheit: das All Souls College mit der Codrington Library im englischen Oxford. Foto: www.figurniy.com - stock.adobe.com

Die vielen Proteste nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd haben weltweit das Thema Rassismus in die Schlagzeilen gebracht und über den aktuellen Anlass hinaus Forderungen nach einschlägigen Reformen lauter werden lassen. In Großbritannien hat der Rückblick auf die eigene Geschichte nun einen Bewusstseinswandel dahingehend ausgelöst, eine weitgehende Abschaffung von anstößigen Relikten aus der kolonialen Epoche vorzunehmen und insbesondere die Personen und Institutionen in den Fokus zu rücken, die in den Sklavenhandel verwickelt waren – betroffen davon ist aktuell auch eine angesehene Bibliothek des Landes.

Als spektakuläre Aktionen wurden zum Beispiel in Bristol der Abriss des Standbilds von Edward Colston (einem Sklavenhändler) und dessen Versenkung im Hafenbecken und in London die Demontage der Statue des Sklavenhalters Robert Milligan lauthals gefeiert. Leitende Politiker aus mehreren Großstädten des Landes haben eine kritische Revision aller Denkmäler angekündigt, um eventuelle Bezüge zu Verstrickungen während der britischen Kolonialzeit aufzudecken. In Oxford richten sich die Proteste vornehmlich gegen Cecil Rhodes, den südafrikanischen Minenbesitzer und Politiker, der als Erzimperialist schon lange in der Kritik stand. Die Aktivistengruppe »Rhodes Must Fall«, deren Kampagne auf die Entfernung der Rhodes-Statue über dem Eingang des Oriol College abzielt, hat ihre Aktion auch auf die Codrington Library des All Souls College in Oxford ausgeweitet.

Das College wurde 1438 von König Heinrich VI. und dem Erzbischof von Canterbury gegründet. Es ist Teil der Universität Oxford und stellt insofern eine Besonderheit dar, dass es keine Studenten aufnimmt, sondern als Mitglieder nur ausgebildete Akademiker (Fellows). Die Mitgliedschaft gilt aufgrund der strengen Auswahlkriterien als äußerst prestigeträchtig und wird pro Jahr nur wenigen gewährt.

Gelder aus dem Sklavenhandel

Das Gebäudeensemble reflektiert den hohen Rang der Stifterpersonen: Das Portal im Stil der Spätgotik war bereits 1443 fertiggestellt, der um einen geräumigen Innenhof gruppierte Komplex mit seinen Doppeltürmen erst 1733. All Souls gilt, dank vieler vermögender Mäzene, als das zweitreichste College der Universität; das Stiftungsvermögen beläuft sich derzeit auf (geschätzte) 400 Millionen Pfund.

Wegen ihres Stiftungskapitals aus Geldern des Sklavenhandels geriet die Bibliothek schon mehrmals in die Kritik, aber erst in den letzten Jahren war sie Ziel öffentlicher Demonstrationen. Seitens der Protestierenden wird argumentiert, die in der Vergangenheit geführten Debatten seien ausgesprochen einseitig gewesen, weil man nur die wohltätigen Handlungen der Mäzene zelebrierte, aber deren aus dem Sklavenhandel gewonnenen Reichtum verschwieg. Es sei nun an der Zeit, sich der vollen Wahrheit zu stellen und daraus Konsequenzen zu ziehen.

Die College-Leitung hat sich bislang geweigert, die ihr vermachten Stiftungsgelder als negativ belastet einzustufen, sondern stets die positiven Aspekte wissenschaftlicher und kultureller Förderung hervorgehoben. Aber der öffentliche Druck nahm zu, nachdem sich 2016 ein Student mit entblößtem Oberkörper, auf dem in roter Farbe die Worte »All Slaves College« standen, in Ketten vor dem Collegeportal aufgestellt hatte. Die Protestbewegung »Rhodes Must Fall« hat die Bibliothek nun erneut ins Visier genommen und fordert zum einen, die Codrington Library umzubenennen und die Statue des Stifters, Christopher Codrington mit unheilvoller Vergangenheit in der Sklavenausbeutung, zu entfernen. Zudem müsse man öffentlich bekunden, dass dem College aus der langjährigen Sklavenausbeutung erhebliche Finanzmittel zugeflossen sind.

Den vollständigen Beitrag von Gernot Gabel können Sie in der aktuellen BuB-Ausgabe (August 2020) lesen, die am 7. August erscheint.

Gernot Gabel / 30.7.2020

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