Reutlingen. Wie sieht die Bibliothek von morgen aus? Eine ganze Fülle neuer Ideen hat die Fachtagung »Inspirationen« der ekz.bibliotheksservice GmbH Mitte Februar in Reutlingen geliefert. Der Bibliothekarische Direktor der ekz, Andreas Mittrowann, begrüßte mehr als 200 Teilnehmer aus ganz unterschiedlichen Berufsgruppen: neben Bibliothekaren auch Architekten, Verlagsexperten, Buchhändler, Informatiker und Hochschullehrer – ein Indiz dafür, dass die großen Herausforderungen der Zukunft nur branchenübergreifend gelöst werden können.
Wichtige Anhaltspunkte für die Bibliothek der Zukunft liefern die Erwartungen und Wünsche der Nutzer. Eine aktuelle Allensbach-Umfrage im Auftrag der ekz aus dem vergangenen Jahr hat folgende Rangliste ergeben: Mit Abstand am wichtigsten ist den Bibliotheksbesuchern ein breites Medienangebot, mehr als drei Viertel der Befragten gaben dies an. Danach folgen eine angenehme Atmosphäre und gut qualifiziertes Personal.
[caption id="attachment_8397" align="aligncenter" width="600"] Wie man die Bibliothek erfolgreich als dritten Ort etabliert, erklärte der niederländische Architekt Aat Voos. Foto: ekz[/caption]
Dass man mit diesen Zutaten erfolgreich Bibliotheken bauen und gestalten kann, demonstrierte der Niederländer Aat Voos eindrücklich in seinem viel beachteten Vortrag. Der Architekt ist kreativer Vordenker und entwirft seit 1990 Bibliotheken, die vielfach ausgezeichnet wurden. Der Kern seiner Philosophie: Der öffentliche Raum wird zusehends zu einer exklusiven Domäne für Menschen, die (viel) Geld besitzen. Hier sieht er eine gute Chance für Bibliotheken, sich als dritter Ort zu positionieren. Ein Ort, an dem Menschen sich wohlfühlen, kommunizieren, ausruhen, unterhalten, arbeiten, informieren können – ohne dafür Geld ausgeben zu müssen.
Die Nachfrage nach diesem dritten Ort jedenfalls, so hat Voos festgestellt, ist gegeben. Immer mehr Menschen wollten oder könnten sich die kommerziellen Angebote im öffentlichen Raum nicht mehr leisten. Voos führte einerseits die zunehmende Zahl an Alleinerziehenden, Migranten und älteren Menschen an, die aus finanziellen Gründen auf frei zugängliche dritte Orte angewiesen seien. Hinzu kämen Freiberufler und digitale Nomaden, die nach einem günstigen Platz zum Arbeiten suchen oder – auch angesichts der zunehmenden Scheidungszahlen – immer mehr Singles und Einsame, die einen Treff- und Kommunikationsort ohne Konsumzwang bevorzugten.
Besser als zu Hause
»Die Menschen«, sagte Voos, »wollen in ihrer Freizeit nicht nur konsumieren, sondern etwas erleben und vor allem auch selbst aktiv werden.« Dazu sei Wissensaustausch genauso notwendig wie eine entsprechende technische Ausstattung – als Makerspace beispielsweise. In einer Zeit, in der alle Produkte in kürzester Zeit per Mausklick ins Haus kämen, sei das Selbermachen attraktiv wie nie. Auch diesem Umstand müsse eine Bibliothek als dritter Ort Rechnung tragen. Für Voos ist klar: »Die Bibliothek muss die digitale und reale Welt zusammenführen.« Doch damit nicht genug, weiter fordert er: »Sie muss offen sein für neue Meinungen, Ideen, Menschen und Innovationen. Sie muss den Besuchern Sicherheit und ein Gefühl der Anerkennung bieten.« Außerdem soll sie fair, persönlich, inspirierend und »besser als Starbucks« sein.« Die Besucher müssten sich wohlfühlen, die Möglichkeit haben zu bleiben, wie lange sie wollten, sie sollten dort Termine abhalten und Besuche empfangen können. Die Idee von Aat Voos: »Es soll in der Bibliothek besser sein als zu Hause.«
Um das in der Praxis umzusetzen, sind laut Voos zwei Dinge unerlässlich: Zum einen spielt das Design eine ganz entscheidende Rolle, nur dann könnten Bibliotheken mit den vielen anderen attraktiven Angeboten im öffentlichen Bereich mithalten. Voos erklärte: »Für das Wohlfühlen ist eine moderne, angenehme Atmosphäre mit gutem Design essenziel. Daran wird leider zu oft gespart.« Außerdem dürfe man das Ganze nicht zu perfekt planen. Voos weiß, dass genau dieser Punkt deutschen Kollegen schwerfällt. Dennoch legte er ihnen nahe: »Der Raum muss eine gewisse Unvollkommenheit und Zwanglosigkeit ausstrahlen. Nur dann können sich die Besucher richtig entspannen, ohne das Gefühl zu haben, selbst perfekt sein zu müssen.«
[caption id="attachment_8398" align="aligncenter" width="600"] Im Rahmen der diesjährigen »Inspirationen-Tagung« feierte die ekz auch ihr 70-jähriges Jubiläum. Die begleitende Hausmesse gab einen Überblick über die Angebotspalette des Reutlinger Bibliotheksdienstleisters von neuen Möbeln über interaktive Spielsysteme bis hin zum gehosteten Bibliotheksmanagementsystem. Foto: ekz[/caption]
Interessante Gedanken – mehr nicht? Keineswegs. Aat Voos belegte seine Vorstellungen von der Bibliothek als idealem drittem Ort anhand ganz unterschiedlicher Beispiele aktueller Bibliotheksneubauten und -umbauten aus Skandinavien. Eines haben diese Projekte gemeinsam: Der Besucherandrang dort ist enorm. Allen voran bei der neuen Jugendbibliothek »Biblo Tøyen« in Oslo. BuB hat darüber bereits im Doppelheft August/September 2016 (Seite 494) ausführlich berichtet, einen virtuellen Rundgang gibt es in der BuB-App.
Auch die weiteren Vorträge der »Inspirationen-Tagung« befassten sich mit den künftigen Aufgaben von Bibliotheken und deren gesellschaftlicher Relevanz. Prof. Manfred Pollanz, Unternehmensberater und Hochschullehrer, beispielsweise warnte angesichts der digitalen Umwälzungen davor, zu eng an den Medien zu bleiben. Pollanz sieht die künftigen Aufgaben von Bibliotheken viel weiter gefasst: »Sie sind kollaborative Foren zur Lösung von Problemen.« Als positives Vorbild für die Transformation nannte er die Automobilindustrie, die es geschafft habe, nicht mehr nur das Thema »Auto«, sondern den viel weiter reichenden und zukunftsträchtigeren Bereich »Mobilität« zu besetzen. Diese Neuausrichtung müsse den Bibliotheken auch gelingen.
Alle Vorträge gibt es zum Nachlesen unter www.ekz.de/seminare-veranstaltungen/veranstaltungen/inspirationen-2017/
(21.3.2017 / Bernd Schleh)