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Het Eemhuis: Ein modernes Bibliothekskonzept für die nächste Generation

Aus dem Archiv: Die Bibliothek Het Eemhuis in Amersfoort hat nicht mehr die Buchausleihe im Fokus, sondern ist Treffpunkt für die Bürgerinnen und Bürger geworden.
Futuristische Architektur: Die Außenansicht des Gemeinschaftsprojekts Het Eemhuis in Ammersfort in den Niederlanden
Futuristische Architektur: Die Außenansicht des Gemeinschaftsprojekts Het Eemhuis. Fotos: scagliolabrakkee ©neutelings riedijk architects

 

Das Bibliothekssystem Eemland besteht aus sieben Bibliotheken, fünf sogenannten Wohnzimmerbibliotheken, einem Servicepunkt und einer öffentlichen Schulbibliothek. Es versorgt fünf kooperierende Gemeinden im Nordwesten der Provinz Utrecht zwischen Utrecht und Amsterdam. Die Gemeinden gehören zu einer der am schnellsten wachsenden Regionen in der Niederlanden mit einer sehr jungen Bevölkerung und derzeit circa 250.000 Einwohnern (siehe auch: www.bibliotheekeemland.nl/over-ons/wie-zijn-we.html).

Strategische Voraussetzungen

Die Strategie des Bibliothekssystems Eemland verfolgt für die nächsten drei Jahre drei Hauptziele: Entwicklung der Schriftkultur, informierte Bürger, sozialer Zusammenhalt. In der Leseförderung stehen das Lesen mit Kindern schon im Vorschulalter und das Geschichtenerzählen der Eltern auch für größere Kinder im Mittelpunkt. Das Bibliothekssystem hat unter dem Titel »Bibliothek in der Schule« ein sehr effizientes und aus Sicht der Bibliotheken wichtiges Programm für die Grundschulen entwickelt. Die Schriftkultur spielt natürlich auch für alle anderen Literaturliebhaber eine entscheidende Rolle. Dies wird unter anderem durch Leseclubs und Autorentreffen gefördert, die allerdings nicht kostenlos sind. Das Lesen steht im Mittelpunkt.

Die Vermittlung von Informationen ist eine der Hauptfunktionen Öffentlicher Bibliotheken. Die Fülle an Daten und Informationen ist enorm, und immer mehr Menschen fühlen sich angesichts dieser Menge überfordert. In den Niederlanden haben wir zum Beispiel ein Programm für den Umgang mit elektronischen Behördendiensten (E-Government) entwickelt. Wie beantragt man eine Baugenehmigung, ein Zahlungsverfahren oder andere Dienste, die nur digital zur Verfügung stehen? Die Öffentlichen Bibliotheken haben eine Lizenz für die Ausführung dieses Programms.

Dies ist nur ein Beispiel für die neuen Funktionen einer Öffentlichen Bibliothek. Jüngst wurde ein ähnlicher Service für Steuerangelegenheiten eingerichtet. Für lokale Informationen arbeiten wir mit einem regionalen Sender und dem Herausgeber einer Lokalzeitung über deren Internetseiten zusammen. Mit dem »lokalen Medienzentrum« haben die Partner eine Plattform geschaffen, auf der regelmäßig alle zwei Wochen diskutiert wird, welche Themen Medienaufmerksamkeit bekommen und in welcher Form sie präsentiert werden sollen.

 
"Den Medienbestand als Fundament aller Aktivitäten darf man keinesfalls vernachlässigen. Daher sind wir ständig um dessen hohe Qualität bemüht."

 

Die Einbeziehung der Bibliotheken in den sozialen Sektor ist relativ neu. In den Niederlanden erfolgt das durch einen Prozess der Deregulierung. Die Zentralregierung überträgt Aufgaben an die Kommunalverwaltungen. Um diese zu erfüllen, bitten die Gemeinden die Bibliotheken um Unterstützung. Bei diesen Aufgaben geht es zum Beispiel um Seniorenbetreuung, etwa um die Organisation von Kaffeestunden in der Bibliothek, die sowohl als geselliger sozialer Treffpunkt als auch zur Auswahl von Medien genutzt werden können. Auch die Jugendarbeit ist ein wesentlicher Bestandteil der Programmarbeit. Die Bibliotheken bieten Hausaufgabenhilfe und außerschulische Aktivitäten an.

Den Medienbestand als Fundament aller Aktivitäten darf man keinesfalls vernachlässigen. Daher sind wir ständig um dessen hohe Qualität bemüht, zum Beispiel durch die Optimierung der Bestandsvermittlung und dessen attraktive und abwechslungsreiche Präsentation. Angesichts dieser Schwerpunktverlagerungen wird das Gebäude als solches scheinbar immer unwichtiger. Teilweise stimmt das, denn die Bibliothek tritt aus dem Gebäude heraus und geht auf Zielgruppen vor Ort zu, aber nicht in jeder Hinsicht. Daher fiel der Entschluss zum Neubau einer Zentralbibliothek für Amersfoort und die umliegenden Gemeinden.

Het Eemhuis

Die neue Zentralbibliothek wurde 2014 nach zehnjähriger Planung und Bauzeit eröffnet. Sie befindet sich im »Het Eemhuis«, einem Gebäude mit einer Grundfläche von 16.000 Quadratmetern, das auch eine Kunstschule, ein Museum für moderne Kunst und ein Archiv sowie ein Restaurant, einen Museumsshop und die Büros von vier Organisationen beherbergt. Entworfen wurde das Gebäude von dem Architekten Michiel Riedijk des Architekturbüros Neutelings Riedijk aus Rotterdam. Bei unserem Bibliothekskonzept haben wir unsere Zielgruppen in den Mittelpunkt gestellt.

Die Bibliothek soll ein Zentrum für informelles Lernen, gemeinsame Aktivitäten sowie sozialer Treffpunkt sein. Der Bestand wird nach den Grundsätzen des Einzelhandels präsentiert. Durch ihre Gestaltung steht der Besucher im Mittelpunkt. Beim Betreten des Gebäudes soll man sich sofort willkommen fühlen in einer Umgebung des Lesens, Lernens und Studierens, in der man sich gerne aufhält.

 
"Das Zentrum der Stadt Amersfoort wächst und gedeiht, und dieses Projekt ist Bestandteil der Stadtentwicklung."

 

Die Bibliothek ist etwa 5 000 Quadratmeter groß. Planmäßig beantragten wir damals 200 Nutzerarbeitsplätze, aber das war vor der Einführung von WLAN. Laptops waren zu jener Zeit sehr teuer und Tablets waren noch nicht serienreif. Im Laufe der Jahre passten wir uns den Neuerungen an: weniger PC-Arbeitsplätze (circa 60), dafür aber sehr schnelles WLAN im ganzen Gebäude. Jeder Arbeitsplatz hat einen eigenen 220V-Anschluss – genau das, was Lernende brauchen.

Auf Wunsch der Bibliothek befinden sich die zentralen Funktionsbereiche wie Abholung vorgemerkter Medien, Medienrückgabe und Selbstverbuchung im Eingangsbereich der Bibliothek im Erdgeschoss. Dies geschah insbesondere unter dem Aspekt der Zugänglichkeit.

Kooperation mit den Architekten

Der Entwurf für Het Eemhuis stammt von dem Architekturbüro Neutelings Riedijk. Das Rotterdamer Büro genießt insbesondere in den Niederlanden ein hohes Ansehen unter anderem für Entwürfe und Bauten aus dem Kultur- und Bildungsbereich. Amersfoort war allerdings die erste Bibliothek, die sie gestalten sollten, also wurden in vielen Gesprächen die Aufgaben und die Funktionen einer Öffentlichen Bibliothek thematisiert und andere, bereits fertiggestellte Bibliotheken wurden gemeinsam besucht. In jenen Jahren von 2005 bis 2008 waren die Öffentliche Bibliothek in Amsterdam und die des niederländischen Architekten Rem Koolhaas (OMA) in Seattle Beispiele für eine neue Denkweise. Anschließend entwarfen Neutelings Riedijk auch die Bibliothek in Arnheim. Heute sind sie weltbekannt, das renommierte Magazin El Croquis gab zwei Sonderausgaben zu ihren Bauwerken heraus.

 
"Wir können 1,5 Millionen Buchrückgaben pro Jahr mit relativ geringem Personaleinsatz abwickeln."

 

Das Büro musste vier verschiedene Funktionen und einen allgemein zugänglichen Bereich miteinander in Einklang bringen. Nicht ganz einfach war auch die Tatsache, dass die Kommune Kunde und Bauherr war. So waren mindestens fünf Parteien involviert. Het Eemhuis ist auch Teil eines neuen urbanen Platzes. Das Zentrum der Stadt Amersfoort wächst und gedeiht, und dieses Projekt ist Bestandteil der Stadtentwicklung. So nahm nicht zuletzt die Leitung der Stadtentwicklung gewissen Einfluss auf Planung und Ausführung.

Das Ergebnis dieses Prozesses beschreiben die Architekten wie folgt:

»Das Gebäude ist wie ein vertikaler Stapel der einzelnen Funktionen konzipiert, das öffentliche Leben wird scheinbar übergangslos in das Gebäude integriert. Im Erdgeschoss wird der städtische Platz zu einer überdachten Plaza, die sich zu einer stufenförmig angelegten Bibliothek erweitert. Oben mündet der Raum in eine offene Galerie mit Blick über die Stadt. Darüber befindet sich das Archiv, das die scheinbar schwebende Raumdecke bildet. Im Dachgeschoss des Gebäudes ist die Kunstschule untergebracht. Die drei separaten Kunstabteilungen finden Ausdruck in den drei würfelförmigen Vorbauten, die über dem Komplex thronen.«

Einrichtung

Der Architekt sollte sich nach Vorgabe der Kommune auch um das Innendesign kümmern. Es ist nicht selbstverständlich, dass der Architekt eines Gebäudes auch alles über die zweckmäßige Innengestaltung von Bibliotheken weiß. Wir beschlossen daher, einen Experten für Bibliotheksdesign und -technik zur Unterstützung des Architekten zu beauftragen. Eine gute Entscheidung, denn in vielen Fragen spielte dieser Berater eine wichtige Rolle. Dennoch mussten wir später noch einige Probleme lösen. Die Sammlung ist nach Interessenkreisen geordnet. Wichtig bei der Präsentation sind die sogenannten Ausstellungstische, allerdings waren diese für eine gute Präsentation zu hoch. Die Bücherregale hingegen waren zu niedrig. Da die gesamte Innenausstattung aus Holz ist, konnten wir die Probleme aber lösen.

Ein besonders wichtiger Teil der Bibliothek ist die Buchsortieranlage. Sie muss in der Lage sein, 17 verschiedene Gruppen auf drei Ebenen zu sortieren. Folglich waren in dieser Anlage sowohl ein horizontaler als auch ein vertikaler Transport vorzusehen. Die Konstruktionsfirma musste daher eine Spezialanlage anfertigen und eine ganz neue Technologie einsetzen. Das ist ihnen gut gelungen: Wir können 1,5 Millionen Rückgaben pro Jahr mit relativ geringem Personaleinsatz abwickeln.

Zusammenarbeiten

Het Eemhuis soll ein kultureller Hotspot sein. Daher sind gemeinsame Planung und Öffentlichkeitsarbeit notwendig. Ein schwieriges Unterfangen, da die vier beteiligten Institutionen unterschiedliche Zielgruppen und Interessen haben. Diese Herausforderung wurde durch die Erarbeitung eines gemeinsamen Leitbildes gelöst, das von allen mitgetragen wird. So konnten die einzelnen Beteiligten mit der Zusammenarbeit beginnen. Wir kooperieren bei der Planung, bei Ausstellungen, im Marketing und Kommunikationsbereich, in Personalfragen und in vielen anderen Dingen. Das Ergebnis ist ein Joint Venture, dessen Führung die vier Leiter in einem monatlichen Meeting übernehmen.

 
"Seit der Eröffnung im Mai 2014 besuchten mehr als zwei Millionen Menschen die Bibliothek im Het Eemhuis. Das Gebäude ist das Aushängeschild und von großer Bedeutung für den Erfolg der Bibliothek."

 

Planung und Konstruktion des Gebäudes waren für die vier beteiligten Institutionen sehr aufwendig. Sie mussten sich über viele Punkte einigen, und die Interessen stimmten nicht immer überein. Durch ihre Lage im Erdgeschoss liegt die Bibliothek im Fokus der Aufmerksamkeit der Besucher, aber andere wollten ebenfalls ins Blickfeld geraten. Es gab einige Meinungsverschiedenheiten über die Räumlichkeiten für allgemeine Zwecke und natürlich über die Finanzierung. Mit der Budgetplanung für das Nutzungsmanagement (Energieversorgung, Steuern, Versicherungen, Reinigung, Gebäudemanagement und so weiter) wurde eine spezielle Beratungsfirma beauftragt. Das Budget musste aufgeteilt werden; ein Schlüssel für die Verteilung ist die Raumnutzung. Die Bibliothek nimmt etwa 36 Prozent des Gebäudes in Anspruch. Dies alles kostete viel Zeit. Die größten Probleme stellten die Raumaufteilung und die Finanzierung dar.

Epilog

Seit der Eröffnung im Mai 2014 besuchten mehr als zwei Millionen Menschen die Bibliothek im Het Eemhuis. Eine Million pro Jahr. Das Feedback ist positiv, das Publikum begeistert. Seit die Bibliothek im Het Eemhuis eröffnet hat, ist sie in das Blickfeld vieler Organisationen geraten, die die Zusammenarbeit bei Projekten suchen. Das Gebäude ist das Aushängeschild und von großer Bedeutung für den Erfolg der Bibliothek.

Erno de Groot ist seit 1982 auf verschiedenen Positionen im Bibliothekswesen tätig. Von 1998 bis 2002 war er für die Öffentlichen Bibliotheken der Provinz Nord-Brabant zuständig. 2002 bis 2007 war er Direktor der Bibliothek Amersfoort. Seit 2008 leitet er das Bibliothekssystem Eemland und ist in dieser Position seit 2014 Direktor der Bibliothek in Het Eemhuis.

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