Der Deutsche Kulturrat wurde 1981 als politisch unabhängige Arbeitsgemeinschaft kultur- und medienpolitischer Organisationen und Institutionen von bundesweiter Bedeutung gegründet. Er ist der Ansprechpartner der Politik in allen übergreifenden kulturpolitischen Angelegenheiten. Seit 1996 sind die Bibliothekare über die Mitgliedschaft des Vorgängers des bibliothekarischen Dachverbands BID ebenfalls im Deutschen Kulturrat vertreten. Was die Mitarbeit bisher gebracht hat, erläutert Georg Ruppelt, der über lange Jahre die Bibliotheken im Kulturrat vertreten hat, im folgenden Beitrag. In weiteren Artikeln stellen die derzeit im Kulturrat aktiven Bibliothekarinnen Professorin Gabriele Beger und Barbara Lison ihre Erfahrungen in den Ausschüssen für Urheberecht beziehungsweise Kulturfinanzierung vor.
Um ehrlich zu sein: Bevor der Verfasser dieses Beitrages in den 90er-Jahren Mitglied im Vorstand des Deutschen Bibliotheksverbands (dbv), später dann auch dessen Vorsitzender sowie Sprecher der Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände (BDB), des heutigen Dachverbandes Bibliothek & Information Deutschland (BIB), wurde – bevor also all dies geschah, war ihm der Deutsche Kulturrat Hekuba. Sein Desinteresse und auch seine Ignoranz verringerten sich allerdings rasch, als die BDB 1996 durch ihre Mitgliedschaft in der Deutschen Literaturkonferenz auch indirektes Mitglied des Deutschen Kulturrates und er selbst dann viele Jahre Vizepräsident des Kulturrates und Zweiter Sprecher der Literaturkonferenz wurde. Die BDB war zuvor bereits Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft Literatur im Deutschen Kulturrat gewesen. Birgit Dankert, die damalige BDB-Sprecherin, hat sich in jener Zeit große Verdienste um die Aufnahme der Deutschen Literaturkonferenz in den Deutschen Kulturrat, aber auch um die BDB im Allgemeinen erworben.
Durch die Mitgliedschaft der BDB in der Deutschen Literaturkonferenz und im Deutschen Kulturrat war es den deutschen Bibliotheken mit einem Male möglich, nicht nur gegenüber der Politik und in der Öffentlichkeit als Solisten aufzutreten, sondern sie konnten nunmehr ihre kräftigen Stimmen auch im Chor der Kulturvereinigungen erklingen lassen. Doch um in einem Chor mitzusingen, um jeweils den gleichen Ton zu treffen, bedarf es vieler Übung: Konsensfindung heißt das in demokratisch legitimierten Dachverbänden.
In dieser Hinsicht gibt es manche Ähnlichkeit zwischen BDB/BID und dem Dach der Dächer, dem Deutschen Kulturrat. In beiden Verbänden sind Vereinigungen Mitglieder, die durchaus unterschiedliche Interessen und Ziele vertreten können und auch vertreten müssen. In einigen Fällen kann man gut von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen sprechen. Gegenüber der Politik und der Öffentlichkeit aber versuchen die Dachverbände eine einheitliche Position zu finden, über die vorher in den verschiedenen Verbandsgremien Konsens hergestellt worden sein muss.
Konsensgremien
Diese Aufgabe scheint einer Quadratur des Kreises gleichzukommen, einer Quadratur, die im Deutschen Kulturrat seit über 30 Jahren erstaunlicherweise oft, wenn auch nicht immer gelingt. Außenstehenden mag der Vorgang, wie Beschlüsse in Dachverbänden zustande kommen, äußerst kompliziert erscheinen – und sie sind es auch. Denn meist sind diesen Beschlüssen eine Vielzahl von Diskussionen, Einzelgesprächen, Mails, Briefen, Stellungnahmen, Stellungnahmen zu Stellungnahmen, Entwürfen, sachlichen und polemischen Auseinandersetzungen et cetera, et cetera vorausgegangen.
Diese oft mühsam zustande gekommenen Beschlüsse sind aber zugleich auch die Stärke von Dachverbänden. Denn die Tatsache, dass es Einzelnen oder Gruppierungen nur durch Argumente und Überzeugungsarbeit gelingen kann, den Gesamtverband von der Qualität des eigenen Vorschlages zu überzeugen, stärkt den Beschluss inhaltlich und sichert ihn argumentativ ab. Dennoch besteht im Deutschen Kulturrat kein Zwang zum Konsens, sondern widerstreitende Interessen werden dort, wo es notwendig ist, auch offen gelegt – Paradebeispiel sind die Auseinandersetzungen um das Urheberrecht.
Gemeinsame Aktionen und Erfolge
Konkret haben die Bibliotheken seit nunmehr 17 Jahren ihre Anliegen an vielen Stellen in die Arbeit des Deutschen Kulturrates einbringen können, etwa beim (erfolglosen) Kampf um die Erhaltung des Deutschen Bibliotheksinstitutes. Auch bei den Aktionen der BDB um die Etatkrise des wissenschaftlichen Bibliothekswesens hat der Deutsche Kulturrat inhaltlich und organisatorisch Hilfestellung gegeben, der es letztendlich zu verdanken ist, dass das Anliegen der Bibliotheken im Deutschen Bundestag im März 2001 letztendlich verhandelt wurde.
Das deutsche Bibliotheks- und Informationswesen hat zweifellos auch von der Mitwirkung in den vom Deutschen Kulturrat organisierten Informationsforen der Bundesregierung profitiert. Ebenso sicher ist aber auch, dass diese Foren und verschiedene andere Gremien die Sachkompetenz der bibliothekarischen Vertreter nutzen konnten. Dasselbe gilt für die umfangreichen und seit weit über einem Jahrzehnt andauernden Diskussionen um das Urheberrecht oder auch für das über den Kulturbereich hinausreichende gesellschaftspolitische Thema »Bürgerschaftliches Engagement«.
Verschiedene Vertreter des Bibliothekswesens hatten auch die Möglichkeit, die Anliegen der Bibliotheken in den Anhörungen der Enquete-Kommission »Kultur in Deutschland« zwischen 2003 und 2007 vorzutragen und so die Leistungen wie die Probleme des Bibliothekswesens in Deutschland der Politik und einer breiten Öffentlichkeit darzustellen.
Erinnert sei an dieser Stelle auch an die pointierte, erfolgreiche Aktion »Verbrannte Bücher«, die 2008 bundesweit mit Plakaten und Veranstaltungen in Buchhandlungen und Bibliotheken an die Bücherverbrennungen vom 10. Mai 1933 erinnerte – einer Kooperation von Deutschem Kulturrat, Deutscher Literaturkonferenz, BID und der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek.
Seit zwei Jahren wirken die, wie von Außenstehenden immer wieder bewundernd festgestellt wird, »hervorragend organisierten und effektiven« Bibliotheksverbände und vor allem ihre Mitglieder neben ihren eigenen Aktionen auch an der bundesweiten Initiative des Deutschen Kulturrates »Kultur gut stärken« mit.
Wer ist Mitglied?
Das hört sich alles gewaltig an und ist es auch. Doch schaut man auf die Mitglieder des Deutschen Kulturrates, so erscheint die Menge ziemlich gering, es sind tatsächlich nur acht:
Deutscher Musikrat, Rat für darstellende Kunst und Tanz, Deutsche Literaturkonferenz, Deutscher Kunstrat, Rat für Baukultur, Sektion Design, Sektion Film und Audiovisuelle Medien, Rat für Soziokultur und kulturelle Bildung.
Doch welche Vielfalt und welche Vielzahl verbergen sich hinter diesen wenigen Vereinigungen! Als Beispiel seien hier die Verbände aufgelistet, die in der Deutschen Literaturkonferenz Mitglieder sind:
AG Literaturräte der Bundesrepublik, Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten, Bibliothek & Information Deutschland (BID), Borromäusverein, Bundesverband GEDOK, Börsenverein des Deutschen Buchhandels, BücherFrauen, Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, Deutscher Literaturfonds, Deutscher Übersetzerfonds, Evangelisches Literaturportal, Freier Deutscher Autorenverband, Literarisches Colloquium Berlin, Medibus – Mediengemeinschaft für blinde und sehbehinderte Menschen, P.E.N.-Zentrum Deutschland, Sankt Michaelsbund, Stiftung Lesen, VG WORT, Verband Bildungsmedien, Verband Deutscher Bühnen- und Medienverlage, Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren, Verband deutscher Schriftsteller in ver.di, Verband deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke.
Chancen der Deutschen Literaturkonferenz
In welcher anderen Konstellation ist die Interessenvertretung von Literatur in ausgeprägterer Form en gros und en détail vorhanden und möglich als in der Deutschen Literaturkonferenz, einer Sektion des Deutschen Kulturrates?!
Der Verfasser meint, dass die Deutsche Literaturkonferenz, die die Vergabe der Preusker-Medaille an BID abgegeben und schon seit einiger Zeit keines ihrer hochrangigen Kolloquien mehr abgehalten hat, in Sachen Literatur auch wieder mehr in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten könnte. Die Diskussion um das Urheberrecht ist eine höchst wichtige Angelegenheit, und sie wird von den Mitgliedern der Literaturkonferenz im Kulturrat und anderswo auf die denkbar kompetenteste Weise geführt. Doch zur Auseinandersetzung über Literatur, so dünkt es den Verfasser, gehört weitaus mehr. Es sei erlaubt, an dieser Stelle aus den engagierten und – wie könnte es anders sein? – elegant formulierten »Zielen und Aufgaben«, der Literaturkonferenz zu zitieren, die auch unserer Zeit und vielleicht auch immer noch der einen oder anderen Bibliothek etwas zu sagen hätten:
»Die Deutsche Literaturkonferenz ist gemeinsame Stimme der am literarischen Leben in Deutschland meistbeteiligten Verbände und Institutionen. […]
Die Situation der Literatur ist kompliziert, nicht erst seit heute, aber heute ganz besonders. Es gibt, in Deutschland wie anderswo, eine Entliterarisierung des Lebens, die mit dem technischen und strukturellen Wandel der Medien zusammenhängt. Literatur ist marginal, sucht sich oft durch Sensation, provokantes Gestikulieren, ›Aktualität‹ oder Star-Theater im Gespräch zu halten, weil sie spürt, dass sie nicht mehr Lebens-Mittel eines selbstbewussten Bürgertums ist. Kann sie wieder Lebensmittel werden oder es auch nur für eine Minderheit bleiben?
Die Frage erschiene neben drängenden ökonomischen und sozialen Fragen zweitrangig, ginge es nur ums Geschäft einer Branche. Aber es geht um erzählerische und dichterische Verarbeitung gemachter Erfahrungen, Traum und Ahnung, warnende und hoffnungsvolle Vorgefühle für Kommendes. Es hängt sehr mit dem zusammen, worin derzeit die Politik in den Augen vieler zu versagen scheint: dem Entwickeln von Perspektiven […]
Die Deutsche Literaturkonferenz hat sich in ihrer Satzung folgende Ziele und Aufgaben gegeben: Einwirken auf öffentliche Meinung, Erziehung, Gesetzgebung, um der Literatur die ihrer gesellschaftlichen Bedeutung entsprechende Stellung zu gewährleisten und Beiträge für ihre Weiterentwicklung zu leisten. Dabei besonders wichtig: die Wahrung der Literaturfreiheit (hier ist sie nötigenfalls die gemeinsame ›Alarmglocke‹), Weiterentwicklung des Urheberrechts (und dabei die europäische Perspektive!), Förderung der zeitgenössischen Literatur und ihrer Verbreitung, Übersetzungsförderung, Verbesserung der sozialen Situation von Autoren und Autorinnen einschließlich der Übersetzer und Übersetzerinnen.«
Bibliotheken aus der Sicht des Deutschen Kulturrates
Wie werden die Bibliotheken nun vom Kulturrat im Rahmen der gemeinsamen Arbeit gesehen? Der Verfasser hat in einem langen Gespräch die Stellvertretende Geschäftsführerin des Kulturrates, Gabriele Schulz, befragt; sie ist seit 1992 dabei. Hier eine kurze Zusammenfassung in Stichworten:
- Bibliotheken sind verlässlich und hilfsbereit;
- sie arbeiten schnell und effektiv;
- sie sind unprätentiös, und man arbeitet gern mit ihnen zusammen;
- auch bei Personalwechsel in den Verbänden wird eine erstaunliche Kontinuität in der Sache gewahrt;
- auch in erregten Diskussionen bewahren ihre Vertreter die Contenance und sind bereit, auf eine sachliche Ebene zurückzukehren, auf die Kernfragen, »auf den Boden der Tatsachen« und die Hauptfrage »worum geht es eigentlich?«;
- Bibliotheken denken in der gesamten überschaubaren Zeit: in der Vergangenheit, in der Gegenwart, in der Zukunft. Sie sehen sich als Erben einer langen Tradition, fragen nach dem gegenwärtigen Stand und diskutieren Zukunftspositionen;
- sie sind eine Berufsgruppe, die viel über ihre Arbeit reflektiert;
- sie denken an die Gesamtheit der Kultur, während etwa der Künstler sein eigenes Produkt absolut im Vordergrund sieht;
sie sind insofern ideale Vermittler und in dieser Hinsicht auf vielfältige Weise und an vielen Orten erfolgreich.
Sail on!
Der Verfasser hat in seiner ehrenamtlichen Verbandstätigkeit die Geschäftsführung des Deutschen Kulturrates, also Olaf Zimmermann und Gabriele Schulz, aber auch die kleine Truppe der Mitarbeiter ebenso wie das Präsidium als verlässliche, kompetente und höchst effektive Kollegen kennen und schätzen gelernt. Sie haben alle überdies immer (das sind in diesem Fall elf Jahre) einen belebenden Sinn für Humor auch in schwierigen Lagen gezeigt.
Der Deutsche Kulturrat ist ein wichtiger Partner für die Bibliotheken, nicht nur wegen seiner politischen Aktivitäten und seiner erfolgreichen Lobbyarbeit, sondern auch, weil er unterschiedlichen kulturpolitischen Vorstellungen ein Forum gibt und so zur inhaltlichen Diskussion Wesentliches beiträgt. Wenn der Deutsche Kulturrat auch nicht in all seinen Aktionen ans Ziel gelangt ist, wenn die von ihm vorgetragenen Beschlüsse manchmal auch auf Kritik stießen, so steht doch fest, dass die Kultur eine starke und unabhängige Vertretung und eine kräftige Stimme braucht – beides besitzt der Kulturrat, und er hat sie ständig und meistens mit Erfolg für die Kultur und damit auch für die Bibliotheken erhoben.
Möge er sie weiter erheben, denn eines ist sicher: Es bleibt notwendig!
Dr. Georg Ruppelt, Direktor der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek in Hannover seit 2002. Geboren am 3. Oktober 1947 in Salzgitter. Studium: Geschichte, Literaturwissenschaft; Doktorarbeit über »Schiller im nationalsozialistischen Deutschland«. Führungspositionen an wissenschaftlichen Bibliotheken in Hamburg und Wolfenbüttel. Berufs- und kulturpolitische Ämter, unter anderen dbv-Vorsitzender, BID-Sprecher, Vorsitzender der Stiftung Lesen. Bundesverdienstkreuz 2005. Zahlreiche Aufsätze und Monografien zu buch- und kulturhistorischen Themen sowie journalistische und literarische Texte.