Die Frankfurter Buchmesse: Mehr als nur ein gigantischer »Promi-Auflauf«

Buchmesse
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[caption id="attachment_7147" align="alignleft" width="597"]Buchmesse The place to be: Durch schrille Angebote wird die Frankfurter Buchmesse auch für junge Besucher immer interessanter. Foto: Peter Hirth/Frankfurter Buchmesse[/caption]

 

 

 

Die Frankfurter Buchmesse ist eine kaum zu überblickende Großveranstaltung für alle Art von Literatur und Medien. Der Rummel ist enorm – warum ein Besuch für Bibliothekare dennoch lohnt, erklärt Jan-Pieter Barbian:

 

7 100 Aussteller aus rund 100 Ländern, 275 791 Besucher an den fünf Messetagen, rund 9 900 akkreditierte Journalisten und Blogger – mit dieser Bilanz der 67. Frankfurter Buchmesse war der Börsenverein des Deutschen Buchhandels als verantwortlicher Organisator im vergangenen Jahr hochzufrieden. Auch der Ehrengast Indonesien war glücklich über die positive Resonanz, den die Ausstellung auf der Messe und die Lesungen mit 75 indonesischen Autoren, die rund 500 Veranstaltungen im gesamten deutschsprachigen Raum und die 108 übersetzten Neuerscheinungen in deutschen Verlagen erzielt hatten.

 

Soweit das offizielle Marketing zu einer Messe, die seit 1949 im Herbst eines jeden Jahres den Blick auf die Welt der Bücher lenkt und einen spektakulären Medienrummel um die prominenten Autoren mit ihren jeweiligen Bestsellern inszeniert. Die »Messe der herzlichen Treulosigkeiten« hat sie Rudolf Walter Leonhardt (1921-2003) in seiner Bilanz »Die Agenten sind unter uns« vom 10. Oktober 1975 bissig charakterisiert. Damit hat der langjährige Feuilleton-Chef und Mitherausgeber der Wochenzeitung »Die Zeit« deutlich gemacht, dass es hinter den für die Öffentlichkeit sichtbaren Kulissen vor allem um eines geht: um das lukrative Geschäft mit Autorenrechten und Buchlizenzen.

 

[caption id="attachment_7151" align="alignleft" width="300"]Fast die Hälfte der Besucher waren zuletzt Fahbesucher - hier Gäste aus Indonesien, dem Gastland von 2015. Fast die Hälfte der Besucher waren zuletzt Fahbesucher - hier Gäste aus Indonesien, dem Gastland von 2015. Foto: Bernd Hartung / Frankfurter Buchmesse[/caption]

 

In der Tat sind heute knapp die Hälfte der Besucher Fachleute aus dem Verlagswesen, Buchhandel und Druckgewerbe, Literaturagenten, Software- und Multimediaanbieter, Filmproduzenten und Verbandsfunktionäre. Von diesem »closed shop« mögen sich diejenigen, die aus einem reinen Interesse an den Neuheiten des Bücherherbstes oder aufgrund einer schlichten Liebe zum Buch, aus Neugierde auf das Gastland und die Begegnung mit geschätzten Autoren nach Frankfurt kommen, ausgeschlossen fühlen. Aber das ist kein Grund, der Buchmesse fernzubleiben. Denn die Vielfalt an Informationsangeboten, Veranstaltungen und Kontaktmöglichkeiten ist einzigartig und auch für Bibliothekare nach wie vor attraktiv. Die Frankfurter Buchmesse hat sich immer wieder erfolgreich an die im Laufe der Jahrzehnte wechselnden Erwartungen der Öffentlichkeit und die Veränderungen der Medienwelt angepasst.

 

Auf die Kritik an der zunehmenden Kommerzialisierung und inhaltlichen Beliebigkeit reagierte man ab 1976 zunächst mit der Einführung von Themenschwerpunkten. Diese wechselten alle zwei Jahre. Bis 1984 standen die Literatur Lateinamerikas, Kind und Buch, Schwarzafrika, Religionen und George Orwell im Mittelpunkt. Seit 1986 stehen die Gastländer im Mittelpunkt, die sich im Rahmen von Ausstellungen und Lesungen unter einem Motto präsentieren.

Gastland der Buchmesse 2016: Flandern und die Niederlande

Vom 19. bis zum 23. Oktober 2016 werden es unter dem Motto »Dies ist, was wir teilen« Flandern und die Niederlande sein – zum zweiten Mal nach 1993. Auf der Messe lassen sich dann die Geschichte und Gegenwart des Gastlandes, die historische und aktuelle Entwicklung von dessen Literatur und die zahlreichen Neuerscheinungen kennenlernen. Wobei neben den deutschen Verlagen mit ihren Übersetzungen aus dem Niederländischen die wichtigsten Verlage aus den Niederlanden und aus Belgien mit den Originalausgaben vertreten sein werden. Und natürlich auch die niederländischen und flämischen Autoren, die im Rahmen von Lesungen in Frankfurt am Main und in anderen deutschen Städten zu erleben sind. Das wird den Blick auf unsere europäischen Nachbarn schärfen – nicht nur auf deren Literatur, sondern auch auf die politischen und gesellschaftlichen Themen, die die Menschen dort besonders bewegen.

»Die Vielfalt der deutschsprachigen Literatur, die in Deutschland, Österreich und der Schweiz erscheint, ist an zahlreichen Verlagsständen vertreten.«

Dies gilt aber auch für zahlreiche andere Länder, die auf der Buchmesse in einer eigenen Halle vertreten sind. Nirgendwo sonst kann man sich einen besseren Überblick über die internationale Literatur verschaffen, auch wenn sich nicht alle Verlage aus allen Ländern präsentieren können und längst nicht immer die Freiheit der politischen Meinung und kulturellen Entfaltung respektiert wird, wie die Beispiele der Gastländer Russland (2003), Arabische Welt (2004) und Volksrepublik China (2009) gezeigt haben. Spannend wird sein, wie sich die Türkei, das Gastland des Jahres 2008, vor dem Hintergrund der besorgniserregenden politischen Entwicklungen in diesem Jahr auf der Buchmesse darstellen wird. Die demokratischen Grund- und Menschenrechte, die der Nährboden für eine politisch unabhängige und lebendige Literatur und Kultur sind, auch die Freiheit der Wissenschaft, werden unter dem präsidialen Diktator Recep Tayyip Erdoğan jedenfalls nicht mehr respektiert.

 

[caption id="attachment_7149" align="alignleft" width="300"]Mehr als 275.000 Besucher zählten die Veranstalter der Frankfurter Buchmesse im vergangenen Jahr. Mehr als 275.000 Besucher zählten die Veranstalter der Frankfurter Buchmesse im vergangenen Jahr. Foto: Alexander Heimann / Frankfurter Buchmesse[/caption]

 

Doch nicht allein fremde Länder und ihre Literaturen lassen sich auf der Frankfurter Buchmesse entdecken. Die Vielfalt der deutschsprachigen Literatur, die in Deutschland, Österreich und der Schweiz erscheint, ist an zahlreichen Verlagsständen vertreten. Neben den großen, bekannten Verlagen und Medienkonzernen lassen sich auch kleinere Verlagshäuser und Spezialverlage aus Deutschland, Österreich und der Schweiz finden. Mitten im Trubel der Messehallen stehen Buchpräsentationen, Autorenlesungen, Gesprächsrunden, Diskussionsforen und Preisverleihungen auf dem Programm. Die Verkündung des Gewinners des Nobelpreises für Literatur durch die schwedische Akademie in Stockholm erfolgt jeweils zur Buchmesse und beschert dem Stand seiner heimischen oder deutschen Verlage eine erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit.

Buchpreise werden verliehen

Seit 2005 verleiht der Börsenverein zum Auftakt der Buchmesse den Deutschen Buchpreis für den besten deutschsprachigen Roman. In diesem Jahr haben sich insgesamt 98 Verlage mit 156 Romantiteln beworben, von denen die Jury 20 auf die Longlist und 6 auf die Shortlist setzen wird.

 

Die Preisverleihung erfolgt am 17. Oktober. Der 1950 vom Börsenverein gestiftete Friedenspreis des deutschen Buchhandels wird traditionell am Abschlusstag der Buchmesse in der Paulskirche verliehen und sorgt für eine große mediale Aufmerksamkeit. Nach Navid Kermani im vergangenen wird in diesem Jahr die 1967 in Mülheim an der Ruhr geborene Journalistin und Publizistin Carolin Emcke ausgezeichnet, die mit ihren Publikationen »einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Dialog und zum Frieden leistet«, wie es in der Begründung der Jury heißt.

 

Die Bühne der Buchmesse nutzt auch der Arbeitskreis für Jugendliteratur aus München. Er zeichnet mit dem seit 1956 verliehenen Deutschen Jugendliteraturpreis Autoren von Bilderbüchern, Kinderbüchern, Jugendbüchern und Sachbüchern aus – in diesem Jahr am 21. Oktober im Saal Harmonie des Congress Centers. Den Paul-Celan-Preis, mit dem der Deutsche Literaturfonds aus Darmstadt seit 1988 herausragende Übersetzungen ins Deutsche würdigt, erhält am 20. Oktober im Lesezelt der Frankfurter Buchmesse die 1961 in Essen geborene Anne Birkenhauer für das Gesamtwerk ihrer Übersetzungen aus dem Hebräischen, vor allem für den Roman »Kommt ein Pferd in die Bar« von David Grossman (Hanser Verlag, München 2016).

Revolutionärer Medienwandel

Der geradezu revolutionäre Medienwandel der vergangenen drei Jahrzehnte spiegelt sich auch in der Entwicklung der Frankfurter Buchmesse wieder. 1983 wurden erstmals Ton-, Bild- und Datenträger präsentiert, wobei das Schwerpunktthema »Orwell 2000« im Jahr 1984 noch die großen Vorbehalte der eher konservativen Branche zum Ausdruck brachte. Heute gehören Musik-CDs, Hörbücher, DVDs und Blu-Rays selbstverständlich dazu und sind im Zeitalter der Streaming-Dienste schon wieder zu Auslaufmodellen geworden.

 

[caption id="attachment_7152" align="alignleft" width="300"]Buchmesse In den vergangenen Jahren hat sich der Medienwandel in den Messehallen deutlich bemerkbar gemacht. Foto: Alexander Heimann / Frankfurter Buchmesse[/caption]

 

Seit 1993 wurde unter dem saloppen Motto »Frankfurt goes electronic« der Bereich der Online-Medien auf- und zunehmend ausgebaut. Inzwischen informiert eine eigene Halle über die aktuellen Trends der digital oder virtuell verfügbaren Technologien und Inhalte. Die E-Books, E-Papers, E-Audios und E-Videos stehen heute wie selbstverständlich neben den traditionellen Printausgaben. Daher können sich auch Bibliothekare einen ausgezeichneten Überblick über und detaillierten Einblick in den aktuellen Markt der Anbieterfirmen und ihrer neuesten Produkte verschaffen. Nach Herzenslust ausprobieren und sich kompetent beraten lassen, ohne den kritischen Blick auf die jeweiligen Geschäftsmodelle zu verlieren – hier ist es möglich.

»In der Halle 4.2 stellen Dienstleister für Bibliotheken, Wissenschaft und Fachinformation, Universitätsverlage, Geisteswissenschaftliche Verlage, Spezialverlage für Recht, Wirtschaft, Medizin und Technologie aus.«

Unbedingt sehenswert ist das Internationale Bibliothekszentrum (ILC), das die Frankfurter Buchmesse zusammen mit dem Berufsverband Information Bibliothek (BIB) organisiert. In der Halle 4.2 stellen Dienstleister für Bibliotheken, Wissenschaft und Fachinformation, Universitätsverlage, Geisteswissenschaftliche Verlage, Spezialverlage für Recht, Wirtschaft, Medizin und Technologie aus. Zum Veranstaltungsangebot gehören das Forum »Wissenschaft und Bildung«, die »LIS-Corner«, die Informationen zu den Studiengängen und Berufsperspektiven für Bibliothekare gibt, das BIB-Symposium für »Young Professionals« und der »FAMI-Treff«, der zum Erfahrungs- und Meinungsaustausch unter den Auszubildenden mit Berufspraktikern einlädt. Neben dem BIB sind auch der Deutsche Bibliotheksverband (dbv), die Deutsche Nationalbibliothek und das Goethe-Institut auf der Buchmesse mit eigenen Ständen vertreten und freuen sich über einen Besuch.

 

Wem das alles noch nicht genügt, kann auf der Antiquariatsmesse, die seit 2005 Bestandteil des Messeprogramms ist, in historischen Kostbarkeiten stöbern und dabei die Liebe zum Buch in besonderer Weise genießen: real und eben nicht virtuell. Allerdings fragt man sich spätestens dann, was bei allem sportlichen Elan, den das riesige Messegelände voraussetzt, an einem Tag als Besucher geistig zu verkraften ist, zumal nicht nur das lange Gehen, sondern auch die nicht immer optimale Luft in den Hallen für die allmähliche Ermüdung sorgen. Da Hotels in Frankfurt für eine Übernachtung zur Messezeit horrende Prohibitionspreise verlangen und lange Zeit im Voraus gebucht sein müssen, empfiehlt es sich, die Buchmesse nur mit einem klar strukturierten Programm aufzusuchen. Dann wird man zwar nicht alles gesehen und sicherlich auch einiges übersehen haben, aber man nimmt zumindest das nach Hause mit, was für den bibliothekarischen Berufsalltag wichtig sein oder werden könnte. Viel Spaß dabei!

Jan-Pieter Barbian, 23.9.2016

 

Der Autor

BuchmesseDr. Jan-Pieter Barbian (Foto: Krischerfotografie) ist seit 1999 Direktor der Stadtbibliothek Duis­burg und nebenberuflicher Geschäftsführer des Vereins für Literatur und Kunst sowie der Duisburger Bürgerstiftung Bibliothek. Er hat zahlreiche Publikationen zur Literatur- und Kulturpolitik der NS-Zeit,  zu Film und Politik in der Weimarer Republik sowie zur Geschichte des Ruhrgebiets nach 1945 veröffentlicht. – Kontakt: J.Barbian@Stadt-Duisburg.de

 

 

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