Praxiserfahrung beim Fachaustausch im Ausland sammeln: In Europa gibt es zahlreiche Möglichkeiten. Foto: Denys Rudyi / Fotolia
»Die Reise hat mich persönlich sehr bereichert und mir wertvolle Anregungen und gute Impulse für meine tägliche Arbeit gegeben«, lautet das Fazit einer deutschen Bibliothekarin, die an einer Studienreise in die Niederlande teilnahm. Trotz all der Informationen über unsere europäischen Nachbarbibliotheken und Best-Practice Sammlungen, von denen wir lernen und für die eigenen Bibliotheksentwicklungen nutzen, ist ein persönlicher Auslandsaufenthalt in Europa eine ganz besondere Erfahrung. Was sie für das berufliche und persönliche Weiterkommen bringt und wie die Erfahrungen aus dem Ausland in die deutsche Fachcommunity eingebracht werden, berichten Personen aus deutschen Bibliotheken, die an einer Studienreise, einem individuellen Fachaufenthalt oder einer internationalen Konferenz im Ausland teilgenommen haben. Ihre Reisen wurden von BI-International[1] finanziell gefördert.
»… der Blick über den eigenen Horizont hinaus hilft, Fragestellungen in der eigenen Bibliothek aus neuer beziehungsweise anderer Perspektive zu sehen« – diese Rückmeldung stammt von einer der elf Teilnehmerinnen einer Studienreise in die Niederlande, die eine Gruppe von Mitarbeitenden der Universitätsbibliothek J.C. Senckenberg aus Frankfurt/Main vom 8. bis 10. Juni 2015 unternahm. Zielsetzung der Reise war es, die Entwicklung in der eigenen Einrichtung mit denen in vier Universitätsbibliotheken im Nachbarland (Leiden, Rotterdam, Delft, Wageningen) ins Verhältnis zu setzen.
Anregungen während einer Studienreise und der Austausch mit den Kollegen im Ausland und innerhalb der Reisegruppe werden aufgenommen und diskutiert und geben Denkanstöße für das eigene Umfeld und Tun. In einem anderen Land können sich dabei ganz neue Perspektiven auftun. »Der Gedanke, dass man den Nutzern manchmal stärker ihren Willen lassen sollte, weil sie oft gut wissen, was für ihre Bedürfnisse am besten passt«, ist Angela Hausinger während der Reise gekommen. Auch Neubewertungen des eigenen Tuns werden in einem anderen Umfeld und im Austausch mit Fachkollegen einfacher: »Der Hinweis der niederländischen Kollegen, dass unsere Nutzer erwachsen sind und selbst dafür verantwortlich sind die angebotenen Schulungsinhalte zu nutzen«, wurde Doreen Malitz besonders deutlich, oder die »Experimentierfreude und Flexibilität der holländischen KollegInnen«, die Christiane Schaper in besonderer Erinnerung blieb.
Ideen und Anregungen sind wichtig, aber können drei Tage Studienreise auch bereits ganz Konkretes im eigenen Arbeitsumfeld bewirken? Absolut, wie die Teilnehmer der Gruppe bestätigen. So wurde die Erfahrung der selbsttätigen Schaffung von Lernbereichen durch Nutzer in der UB Leiden zum Anlass genommen, in Frankfurt die studentischen Nutzer stärker in die Raumgestaltung einzubeziehen. Zwischengelagerte Möbel wurden den Studierenden für gemeinsames Arbeiten zur Verfügung gestellt und positiv gestaltete Piktogramme, wie während der Reise gesehen, eingeführt –einfache und flexible Ergebnisse der Reise, die erlebbar machen, dass es nicht unbedingt darauf ankommt, Neues zu bieten, sondern Möglichkeiten zu schaffen, die genutzt werden können.
Praktische und sinnvolle Anregungen
Übergreifende strategische Überlegungen und Vergleiche kommen auf einer Studienreise ebenso in den Fokus wie kleine, praktische und sinnvolle Anregungen, die schnell umgesetzt werden können – beides Sinn und Zweck einer Studienreise. Die Gruppe hat den übrigen Mitarbeitern der UB Frankfurt ihre Erfahrungen und Erlebnisse weitergegeben und sowohl der Fachöffentlichkeit als auch dem universitären Umfeld Bericht erstattet. So werden die Impulse weitergegeben. Berichte über Studienreisen werden auf der BII-Website publiziert. Nach Ländern geordnet bringen sie viele Anregungen für eigene Reisepläne und für Anregungen aus anderen Bibliotheken und Ländern.[2]
In den letzten fünf Jahren, von 2012 bis 2016, fanden 13 Studienreisen mit insgesamt 215 Teilnehmern aus Deutschland ins Ausland statt, die von BII gefördert wurden. Neben den Niederlanden war Dänemark schon immer ein beliebtes Ziel, um Anregungen und Austausch zu suchen. Seit der Eröffnung der neuen Bibliothek Dokk 1 in Arhus ist die Nachfrage nach eigenem Besuch besonders groß. 2016 gab es allein vier Studienreisen zu unserem nördlichen Nachbarn, die von BII gefördert wurden. Eine davon führte 16 Personen aus Öffentlichen Bibliotheken aus ganz Deutschland, die in der Sektion 1 des Deutschen Bibliotheksverbandes organisiert sind, unter dem thematischen Schwerpunkt »Open Library« in drei Tagen zu fünf Bibliotheken in Dänemark.
Zu den beliebtesten Zielen für einen europäischen Fachaufenthalt für Bibliothekare gehört Dänemark und dort vor allem die neue Bibliothek Dokk1 in Aarhus.]
Klaus-Peter Böttger, Vorsitzender der Sektion und Direktor der Stadtbibliothek Essen, hatte die Reise für die Gruppe organisiert. Sein Fazit ist deutlich: »Selten hat eine Studienreise so viele Eindrücke hervorgerufen, so viele Impulse, die umsetzbar sind, mit so viel gutem Gefühl.« Besonders in Erinnerung geblieben ist ihm das Bürgerhaus in Jelling in einer Gemeinde von rund 3 000 Einwohnern, wo Bibliothek, Archiv, Kino, Café, Ateliers, Büro des Musikfestivals und die Brauerei unter einem Dach vereint sind, und alles 7 Tage die Woche von 8 bis 22 Uhr geöffnet ist. Und ganz konkret hat er die Anregung mitgenommen, die »Open Library« auch in seiner Bibliothek umzusetzen. Nicht nur Dokk1, sondern viele Bibliotheken in Dänemark sind als Ziele einer Studienreise interessant: »Ausgangspunkt war vor allem Dokk1 in Arhus, aber es stellte sich während der Reise heraus, dass es zwar nicht mehr so bombastische, aber ganz viele tolle Bibliotheken und BibliothekarInnen gibt in Dänemark«, so Böttger.[3]
Wie die beiden Beispiele zeigen, können Studienreisen ins Ausland entweder Personen aus einer Einrichtung zusammenführen oder Kollegen, die beispielsweise in Sektionen und Kommissionen der Verbände zusammenarbeiten oder sich zu einem Thema zusammenfinden. Eine Person jeweils ist für die Antragstellung bei BII verantwortlich und muss auch dafür sorgen, dass der obligatorische Bericht sowie die Abrechnung fristgerecht erfolgen. Und es muss ein engagierter Kollege gefunden werden (beziehungsweise ein Team), der die Organisation der Reise übernimmt, die Kontakte zu den Bibliotheken herstellt, die Reiseroute festlegt, Hotelreservierung, Restaurantbuchung und und und veranlasst. Das ist viel Arbeit, kann aber auch spannend sein und Freude bringen: »Ich war verantwortlich für die Organisation und war sehr beeindruckt, wie unsere Gastgeber nach unseren Wünschen alles ermöglichten, sehr entgegenkommend, flexibel und hilfsbereit waren«, so der Rückblick von Lindsey Fairhurst aus Frankfurt.
Individuelle Planung
Für persönliche Fachaufenthalte, die von BII ebenfalls gefördert werden, muss die Planung individuell vorgenommen werden. Zeitpunkt, Dauer, Ort, die Zusage der aufnehmenden bibliothekarischen Einrichtung müssen dem Antrag hinzugefügt werden, ebenso ein Motivations- und Empfehlungsschreiben. Die Berichte früherer Stipendiaten, ebenfalls auf der Website[4] zu finden, bieten Hilfestellung bei der Suche nach Einrichtungen im Ausland, ebenfalls die Länderberichte, die auf dem Bibliotheksportal[5] zu finden sind.
Zwischen 2012 und 2016 wurden insgesamt 46 individuelle Fachaufenthalte im Ausland von BII gefördert. Dabei sind Nachbarländer wie Österreich, die Niederlande und Dänemark gefragt, aber auch Irland, Großbritannien und die USA und Kanada sind beliebte Ziele. Ingeborg Lederer-Brüchner hat im Rahmen ihres Bibliotheksreferendariats an der Universitätsbibliothek Frankfurt/Main vom 22. August bis 2.September 2016 ein Praktikum in Kopenhagen absolviert und für ihren Themenschwerpunkt »Jüdische Studien« die Umsetzung von Digitalisierungsprojekten an anderen Bibliotheken kennengelernt.
Neben den fachlichen Erfahrungen ist ihr insbesondere die »außerordentliche Willkommenskultur, die ich erfahren durfte«, in Erinnerung geblieben. »Es war sehr beeindruckend, über Ländergrenzen hinweg Einblick zu erhalten und andernorts den Umgang mit ähnlichen Herausforderungen wie in der eigenen Bibliothek wiederzufinden«.[6] Auch Felix Schneider hat im Rahmen seiner Weiterbildung an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung und Rechtspflege in Bayern die Gelegenheit genutzt, vom 2. bis 27.März 2015 ein Auslandspraktikum an der Universitätsbibliothek der University of Strathclyde, Glasgow, zu absolvieren. Er bestätigt: »Eine sehr eindrucksvolle und persönlich wie fachlich bereichernde Erfahrung.«
Wenn auch viel über Bibliotheksentwicklungen im Ausland nachzulesen und zu recherchieren ist – einiges muss man selbst erfahren und erleben, um es zu verstehen und zu verinnerlichen. Dies ist auch die Erfahrung von Felix Schneider nach seinem Auslandsaufenthalt: »Mich hat besonders beeindruckt, welch außergewöhnliche Motivation und welch hoher persönlicher Einsatz den Studenten und deren Wünschen seitens der Bibliotheksmitarbeiter entgegengebracht wird.« Ganz konkret hat er für sich eine »Grundeinstellung« mitgenommen, »die ich bewundere und seitdem selbst anzuwenden versuche: Ich hatte den Eindruck, dass Problemen in Strathclyde sehr pragmatisch begegnet wird und man zwar einerseits langfristige Pläne gezielt verfolgt, andererseits aber auch sehr offen ist für kurzfristig umsetzbare Lösungen.«[7]
Zahlreiche neue Impulse
Neben der Förderung von Gruppen-Studienreisen und individuellen Fachaufenthalten fördert BII in seiner dritten Programmlinie die aktive Teilnahme an internationalen Kongressen, wobei aktiv bedeutet, mit einem Vortrag, einer Poster-Präsentation oder als Funktionär in einem Gremium dabei zu sein. Zwischen 2012 und 2016 wurden insgesamt 222 persönliche Kongressteilnahmen Deutscher ins Ausland gefördert. Ein deutlicher Schwerpunkt mit insgesamt 136 Personen liegt auf der Förderung der aktiven Kongressteilnahme des internationalen Bibliotheksverbandes IFLA. Wenn auch die finanziellen Möglichkeiten von BII, die vom Goethe-Institut bereitgestellt werden, nie ausreichen, um den Bedarf zu decken, so unterstützen diese Förderungen das starke Engagement von deutscher Seite im internationalen Verband doch deutlich und sorgen nachhaltig für einen Wissenstransfer zurück in die deutschen Fachkreise. Die Förderungen von BII umfassen immer nur Teilbeträge der Gesamtkosten. Die Summe variiert nach Länge des Aufenthalts und Reisekosten, aber ein Eigenanteil muss immer aufgebracht werden.
Fabian Franke, Direktor der UB Bamberg, hat vom 10. bis 13.Oktober 2016 nicht am IFLA-Kongress, sondern an der European Conference on Information Literacy (ECIL) in Prag teilgenommen. Sein Gesamteindruck ist eindeutig: »Die European Conference ist eine großartige Möglichkeit zum internationalen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen und gibt zahlreiche Impulse für unsere bibliothekarische Arbeit in Deutschland.«
Wie kommen diese wichtigen Rückmeldungen in die deutsche Fachcommunity? Denn Sinn eines Auslandsaufenthalts ist es sicherlich zum einen, sich fachlich und auch persönlich weiterzubilden. Zum anderen aber soll und muss die Fachöffentlichkeit Kenntnis erhalten, damit sie in unseren Bibliotheken insgesamt von den internationalen Erfahrungen und Entwicklungen profitiert. In diesem Fall hat Fabian Franke intensiv auf dem Blog BII Stories[8] vom Kongress gebloggt. Er hat darüber hinaus Fachgremien in Deutschland wie die dbv/VDB-Kommission Informationskompetenz sowie die Arbeitsgruppe Informationskompetenz des Bibliotheksverbunds Bayern informiert. Außerdem ist ein Vortrag auf dem Bibliothekartag 2017 geplant – auf diese Weise kommen die Erkenntnisse aus den internationalen Diskussionen in die deutsche Fachgemeinde. Das sieht auch Fabian Franke: »Das Networking mit den internationalen Kolleginnen und Kollegen ist eminent wichtig und fruchtbar für unsere bibliothekarische Arbeit in Deutschland.«
»Das Stipendium ist eine fabelhafte Sache und eine Bewerbung jeder Kollegin und jedem Kollegen zu empfehlen!«, so das Fazit von Jürgen Grzondziel, dem Leiter der Mediathek der SLUB in Dresden. Und Fabian Franke ergänzt: »Es wäre dringend zu wünschen, dass mehr Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland sich international engagieren, an internationalen Konferenzen teilnehmen und Studienaufenthalte im Ausland verbringen.« Dem ist nichts hinzufügen – außer dem Link zu den Antragsformularen auf der Website von BI-International: www.bi-international.de/deutsch/antraege