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Einsatz für den inter- und transkulturellen Austausch

Das Schweizer Kompetenzzentrum für interkulturelle Bibliotheksarbeit »Interbiblio« fördert, berät, informiert, sensibilisiert und vernetzt Bibliotheken.
Interbiblio bietet seinen Mitgliedern Kollektivbestellungen in verschiedenen Sprachen an, hier zum Beispiel Bücher auf Farsi. Foto: Elise Prêtre

Die Schweizer Gesellschaft hat sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend gewandelt. Sie ist postmigrantisch und vielsprachig. Rund 40 Prozent der Bevölkerung hat eine Migrationsgeschichte. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass seit einigen Jahren die Themen rund um Diversität und Migration zunehmend auch in den Fokus der Öffentlichen Bibliotheken gelangen. Vielen Bibliotheken fehlt aber in diesem Bereich die Erfahrung, das nötige Wissen sowie das entsprechende Netzwerk.

Hier setzt die Arbeit von Interbiblio an: Als Schweizer Kompetenzzentrum für interkulturelle Bibliotheksarbeit fördert, berät, informiert, sensibilisiert und vernetzt der Verein Bibliotheken in ihrer inter- und transkulturellen Tätigkeit. Interbiblio bietet entsprechende, niederschwellige Dienstleistungen und initiiert Projekte sowohl für die Öffentlichen Bibliotheken als auch für die erfahrenen interkulturellen Bibliotheken an. Interbiblio agiert in der Schnittstelle zwischen Kultur, Bildung und Integration und wird vom Bundesamt für Kultur (BAK) sowie diversen Stiftungen unterstützt.

Geschichte von Interbiblio

1993 gründeten die drei interkulturellen Bibliotheken Globlivres in Renens (Kanton Waadt), die JUKIBU in Basel und die Kanzbi in Zürich auf Initiative des BAK den Dachverband »Bücher ohne Grenzen Schweiz« – 2012 zu »Interbiblio« umbenannt.

Bis 2020 war Interbiblio primär der Dachverband von über 20 interkulturellen Bibliotheken der Schweiz. Er sorgte für deren Vernetzung, organisierte Tagungen und unterstützte die Bibliotheken in ihrem Alltag. Es wurde aber immer offensichtlicher, dass sich die Arbeit des Vereins nicht nur auf die bestehenden interkulturellen Bibliotheken beschränken darf. Seit rund drei Jahren bietet Interbiblio als Kompetenzzentrum seine Dienstleistungen deshalb nun allen rund 1.000 Öffentlichen und interkulturellen Bibliotheken in den drei Sprachregionen der Schweiz sowie weiteren interessierten Institutionen an.



Auch die Geschäftsstelle ist stetig gewachsen und hat sich weiter professionalisiert: Die beiden Autorinnen dieses Beitrags, Co-Leiterinnen Ilena Spinedi und Cristina Vega, sowie die Kommunikationsverantwortliche Elise Prêtre teilen sich gemeinsam insgesamt 110 Stellenprozente. Die ehemalige Geschäftsleiterin Therese Salzmann unterstützt die Geschäftsstelle auf Mandatsbasis weiterhin tatkräftig sowie punktuell Silvia Heizmann als Fachberaterin. Das strategische Gremium, der Vorstand, besteht aus fünf Mitgliedern.

Interkulturelle Bibliotheken in der Schweiz

Die ersten interkulturellen Bibliotheken in der Schweiz wurden Ende der 1980er- und in den 1990er-Jahren im Zuge der großen Migrationsbewegungen mit persönlichem Engagement von einzelnen Personen gegründet. Ziel war es, Migrantinnen und Migranten sowie ihren Nachkommen Medien in ihren Erstsprachen zur Verfügung zu stellen. Die Öffentlichen Bibliotheken nahmen zu jener Zeit ihre Verantwortung für die migrantischen Bevölkerungsgruppen nur sehr langsam und reduziert wahr.

Interkulturelle Bibliotheken sind niederschwellige Orte der Begegnung und des Austausches, der Bildung und des Lernens, der Information und des Aufenthalts. Sie unterstützen Migrantinnen und Migranten beim Erlernen der Lokalsprache, fördern, insbesondere bei Kindern, ihre Sprach- und Lesekenntnisse in der Erstsprache. Sie bieten Unterstützung bei der Orientierung in der Schweizer Gesellschaft und leisten mit ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Integration von Migrantinnen und Migranten und dem inter- und transkulturellen Dialog.

Zudem bieten diese meist als Vereine gegründeten Bibliotheken in der ganzen Schweiz Leihbestände für alle Altersgruppen in zahlreichen Sprachen an, darunter auch Sprachen wie Arabisch, Amharisch, Kurmandschi, Sorani, Persisch, Somali, Tigrinya. Es überrascht nicht, dass in den vergangenen Jahren die Nutzung dieses Angebots in Bibliotheken stark zugenommen hat.

 Einige interkulturelle Bibliotheken fusionierten im Laufe des vergangenen Jahrzehnts in Öffentliche Bibliotheken, was diesen mehr Ressourcen und eine bessere Sichtbarkeit und Zugänglichkeit brachte. Interkulturelle Bestände und Veranstaltungen wurden ein Teil eines Ganzen. So wurden beispielsweise der Verein der Kulturen in Frauenfeld in die Kantonsbibliothek Thurgau integriert, die Bibliothek Vossa Lingua in Chur in die Stadtbibliothek Chur und die interkulturelle Bibliothek JUKIBU in die GGG Stadtbibliothek Basel.

Inter- und transkulturelle Bibliotheksarbeit als Querschnittsaufgabe

Grundsätzlich ist heute zu beobachten, dass viele Stadt- und Gemeindebibliotheken bemüht sind, ein migrantisches Publikum anzusprechen. Eine 2021 von Interbiblio durchgeführte Umfrage hat gezeigt, dass die Bibliotheken in allen Sprachregionen in diesem Bereich durchaus aktiv sind, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Eine der wichtigsten Erkenntnisse war jedoch die Diskrepanz zwischen einem mehrsprachigen Medienangebot und wenig ausgebauten Vermittlungsangeboten. Es hat sich auch erwiesen, dass seitens der Bibliotheken das Bedürfnis nach einer wirksamen Beratung, Begleitung und Unterstützung in ihrer inter- und transkulturellen Tätigkeit besteht.



Dieser Handlungsbedarf hat sich im vergangenen Jahr auch bei unserer alltäglichen Tätigkeit eindrücklich bestätigt: Im April 2022 gab es einen Ansturm auf die Kollektivbestellung für Kinder- und Erwachsenenbücher in ukrainischer Sprache – auch von vielen Bibliotheken, die nicht Interbiblio-Mitglied sind. Inter- und transkulturelle Bibliotheksarbeit geht aber über das rein mehrsprachige Medienangebot hinaus. Sie wird von einem diversen Personal gestaltet und stellt unter anderem Kontakte her, baut Barrieren ab oder ermöglicht den inter- und transkulturellen Austausch. Denn das entsprechende Publikum soll auch erreicht werden, kommen und partizipieren dürfen. Es ist eine Querschnittsaufgabe, die sich durch alle relevanten Bereiche einer Institution zieht. In diesem Kontext wird häufig von den »drei P« gesprochen: Personal, Programm und Publikum.

Interbiblio und Bibliotheken I: Dienstleistungen

Interbiblio arbeitet auf verschiedenen Ebenen mit Bibliotheken zusammen. Als Verein haben wir Mitglieder, welche einen jährlichen Beitrag bezahlen und dafür von exklusiven Dienstleistungen profitieren, wie beispielsweise der kostenlosen Teilnahme an der jährlichen Tagung oder dem Zugang zu Netzwerktreffen und Kollektivbestellungen. Die Interbiblio-Mitglieder sind vorwiegend interkulturelle und Öffentliche Bibliotheken – kleinere Vereins- und Gemeindebibliotheken sowie größere Kantons- oder Stadtbibliotheken. Aber nicht nur. Auch Integrationsfachstellen oder Privatpersonen unterstützen unsere Arbeit.

Ein wichtiger Pfeiler von Interbiblio ist die Förderung der Vernetzung der Mitglieder mit der allgemeinen Bibliothekslandschaft. Damit können Synergien geschaffen werden sowie ein Wissensaustausch und -transfer zwischen den Institutionen stattfinden, denn die den Mitgliedsbibliotheken zur Verfügung stehenden finanziellen und zeitlichen Ressourcen in diesem Bereich sind größtenteils limitiert.

Wir sind im stetigen Austausch mit unseren Mitgliedern – sei es in den regelmäßigen Netzwerktreffen, im monatlichen Newsletter, in gemeinsamen Projekten oder auch im Tagesgeschäft. Dadurch sind wir nah dran an ihren Bedürfnissen und Herausforderungen und können entsprechend reagieren.

Unsere Arbeit beschränkt sich aber nicht nur auf unsere Mitgliedsbibliotheken. Über diverse Projekte und als Fach- und Beratungsstelle sind wir auch im Austausch mit Nichtmitglieds-Bibliotheken und Organisationen aus den Bereichen Migration, Bildung, Kultur, Rassismusbekämpfung, Mehrsprachigkeit oder Diversität. Außerdem sind wir Teil der Kommission »Bibliotheken und Diversität« vom Schweizer Bibliotheksverband Bibliosuisse.

Interbiblio und Bibliotheken II: Projekte

Bei Interbiblio-Projekten stehen die Förderung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt, der inter- und transkulturelle Austausch, die Erstsprache und das Lesen sowie integrative und inklusive Angebote in Bibliotheken im Zentrum. Wir haben Projekte initiiert, umgesetzt oder mitgetragen wie Leseanimationen in Asylzentren, Wanderausstellungen zu verschiedenen Schriftsystemen oder das Projekt Buchstart Schweiz für die Förderung der Sprachentwicklung von Kindern im frühen Alter. Zwei größere und aktuelle Projekte möchten wir speziell hervorheben:

Von 2021 bis 2023 arbeiteten wir gemeinsam mit den interkulturellen Bibliotheken MultiMondo/LibriMondo (Biel) und Bibliobaobab (Bellinzona) und dem Verein La Red (Freiburg) an einem intensiven partizipativen Projekt mit dem Ziel, ein Gesellschaftsspiel zu entwickeln. Das Ergebnis ist »PareAnaga«, ein spielerisches Mittel zur Entdeckung und Würdigung der in der Schweiz gesprochenen Sprachen und gelebten Kulturen: Ein Spiel, sechs Illustrationen, 35 Sprachen, 226 Karten, die mithilfe von mehr als 70 Personen entstanden sind. Das Spiel kann bei Interbiblio bestellt werden.



Zudem haben wir dieses Jahr im März zu unserem 30-Jahr-Jubiläum eine zweisprachige Lesereise (Farsi-Deutsch/Farsi-Französisch) mit der international mehrfach ausgezeichneten iranischen Autorin Fariba Vafi mit dem Titel »Unsettled, Unbound: Frauen auf der Suche nach Unabhängigkeit in der zeitgenössischen iranischen Literatur« durch neun Mitgliedsbibliotheken organisiert.

Projekte entstehen bei uns oftmals auch durch die Bedürfnisse unserer Mitglieder. Dank der flachen Strukturen bei Interbiblio können wir flexibel darauf reagieren. So haben wir beispielsweise, nachdem die Nachfrage nach Wörterbüchern auf Tigrinya, Persisch und Somali in den interkulturellen Bibliotheken stark gestiegen ist, selber solche Wörterbücher auf Italienisch und Französisch geschaffen und produziert, da es in diesen Sprachkombinationen kaum entsprechende Angebote auf dem Markt gab.

Finanzierung von Interbiblio

Interbiblio wird, wie eingangs erwähnt, vom Bundesamt für Kultur aktuell mit einem jährlichen Beitrag von 100.000 Schweizer Franken unterstützt. Diese Unterstützung ist an Auflagen gebunden: Wir müssen den Gegenwert zu dieser Unterstützung selber beschaffen. Das ist sehr herausfordernd, denn es ist schwierig, Mittel für die laufenden Betriebskosten zu erhalten. Die meisten privaten oder öffentlichen Förderinstitutionen unterstützen nur konkrete Projekte und nicht die Strukturen einer Organisation. Somit verbringen wir einen großen Teil unserer Arbeitszeit mit der Eingabe von Finanzierungsgesuchen für einzelne Projekte. Dadurch gehen leider viele Ressourcen alleine für die Mittelbeschaffung verloren, die eigentlich in die konkrete Umsetzung von Projekten und Dienstleistungen eingesetzt werden könnten.

Erschwerend kommt hinzu, dass Interbiblio sehr bemüht ist, die Kosten für die Angebote und Dienstleistungen so niedrig wie möglich zu halten, denn die Erfahrung zeigt, dass die Mittel, die den Bibliotheken in diesem Bereich zur Verfügung stehen, sehr beschränkt sind. Deshalb ist die Finanzierung von Interbiblio über die Dienstleistungen nur bedingt möglich. Zudem bieten wir aus demselben Grund unseren Mitgliedern finanzielle Unterstützung für diverse Aktivitäten (Weiterbildungen im inter- und transkulturellen Bereich, Übersetzungen von Kinderbüchern et cetera) an.

Nachdem in den vergangenen Jahren die Entwicklung und der Ausbau des Kompetenzzentrums Interbiblio im Fokus standen, konzentriert sich das Engagement des Vereins – auch angelehnt an die Resultate der Umfrage – in der nächsten Periode auf die Entwicklung und Durchführung von Weiterbildungen zur Sensibilisierung des Personals, Förderung der Netzwerkarbeit und Vermittlungsangeboten sowie auf den Ausbau der bestehenden Interbiblio-Informationsplattform.

Die Vision von Interbiblio ist, dass jede Öffentliche Bibliothek auch eine inter- und transkulturelle Bibliothek ist. Wir wollen Bibliotheken, die die Gesellschaft mit ihrer offenen Haltung aktiv mitgestalten, die offen für alle sind und in denen sich die diverse Zusammensetzung der Schweizer Gesellschaft widerspiegelt.

Fach- und Beratungsstelle

Individuelle Beratung von Bibliotheken, Institutionen, Behörden, Fachpersonen und interessierten Privatpersonen rund um inter- und transkulturelle Bibliotheksarbeit.

Öffentlichkeitsarbeit, Vernetzung und Zusammenarbeit

Vertretung der Interessen der inter- und transkulturellen Bibliotheksarbeit auf nationaler, kantonaler und kommunaler Ebene sowie Vernetzung und enge Zusammenarbeit mit relevanten Akteurinnen und Akteuren sowie Partnerinstitutionen.

Projekte

Entwicklung und Umsetzung von Projekten für ein breites Publikum in den Bereichen Leseförderung, sprachliche und kulturelle Vielfalt, Inklusion/Integration et cetera.

Netzwerktreffen, Weiterbildungen und Tagungen

Organisation von mehreren Netzwerktreffen im Jahr für unsere Mitglieder sowie eine für alle interessierten (Fach-)Personen geöffnete Tagung zu einem aktuellen Thema. Zudem bieten wir Weiterbildungen im Bereich der inter- und transkulturellen Öffnung von Bibliotheken an.

Informationsplattform und Newsletter

Auf der Informationsplattform werden themenspezifische Informationen aller Art (Vorlagen, Werkzeuge, Literaturhinweise, Best Practice-Beispiele) für alle zur Verfügung gestellt.

Monatlicher Newsletter auf Deutsch, Französisch und Italienisch mit Medienempfehlungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene sowie aktuelle Informationen zu Mehrsprachigkeit und sprachlicher Vielfalt, Integration/Inklusion und Veranstaltungen.

Kollektivbestellungen

Der Bestandsaufbau ist für alle Bibliotheken zentral, kann sich aber oft schwierig gestalten, da Medien in bestimmten Sprachen wie etwa Tigrinya oder Persisch schwer erhältlich sind. Interbiblio hat die entsprechenden Kontakte und bietet seinen Mitgliedern Kollektivbestellungen in verschiedenen Sprachen an.

Übersetzungen von Kinderbüchern

Organisation von Übersetzungen von Kinderbüchern in verschiedene Migrationssprachen sowie finanzielle Unterstützung von Mitgliedsbibliotheken, die selber Kinderbücher übersetzen lassen möchten.

Ilena Spinedi (Co-Leiterin Interbiblio; rechts) hat den Master in Sozialarbeit und Sozialpolitik an der Universität Fribourg absolviert. Neben ihrer Stelle als Co-Leiterin von Interbiblio – Kompetenzzentrum für interkulturelle Bibliotheksarbeit – arbeitet Ilena Spinedi als soziokulturelle Animatorin mit verschiedenen Zielgruppen (insbesondere Frauen und Personen mit Migrationsgeschichte) und ist im Bereich Asyl und Menschenrechte aktiv. Ihr Fokus liegt auf der Förderung der gesellschaftlichen Partizipation und Inklusion aller Menschen.

Cristina Vega (links), Co-Leiterin Interbiblio: Die studierte Kulturpublizistin (MA, Zürcher Hochschule der Künste ZHDK) und mehrsprachige Kommunikatorin (BA, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW) betreut Projekte an den Schnittstellen zwischen (Post-)Migration, Inklusion und Kulturschaffen – immer aus einer intersektionalen Perspektive. Sie legt ihren Fokus darauf, gesellschaftliche Transformationsprojekte zu begleiten: unter anderem als Co-Leiterin von Interbiblio – Kompetenzzentrum für interkulturelle Bibliotheksarbeit, als Vorstandsmitglied des Instituts Neue Schweiz INES sowie als Gründungsmitglied vom zemib – Zentrum für Migration und Behinderung. Foto: Interbiblio

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