»E-Books sollen schlicht wie die gedruckten Exemplare behandelt werden«
Die Auseinandersetzung um das E-Lending wird mit harten Bandagen geführt. Aber auch Autoren unterstützen die Position der Bibliotheken, zum Beispiel Falko Löffler.
Soweit ich es in meiner Social-Media-Blase mitbekomme, stehen die meisten Autorinnen und Autoren der E-Book-Ausleihe kritisch gegenüber, weil die Erlöse darüber gering ausfallen. Als freiberuflicher Autor mag ich es natürlich auch, wenn bei mir mehr Geld statt weniger Geld aufschlägt, und ich habe im Laufe meiner Karriere erlebt, wie Vorschüsse und Tantiemen weniger werden, bei Büchern genauso wie in anderen Medien. Trotzdem würde ich den offenen Brief der »Initiative Fair Lesen« nicht unterzeichnen.
Die Initiative ist ein Bündnis von Autorinnen und Autoren, Urheberverbänden, Verlagen und Buchhandel, das einen Vorschlag des Bundesrats aus März 2021 kritisiert, das Urheberrecht zu modernisieren und unter anderem diesen Paragrafen im Grundgesetz zu ergänzen: »Digitale Leihe. Ist ein Schriftwerk mit Zustimmung des Rechteinhabers als digitale Publikation (E-Book) erschienen und als solche erhältlich, so ist der Verleger dazu verpflichtet, nicht kommerziell tätigen Bibliotheken ein Nutzungsrecht zu angemessenen Bedingungen einzuräumen. Zu den angemessenen Bedingungen zählt insbesondere, dass den Bibliotheken das Recht eingeräumt wird, jeweils ein Vervielfältigungsstück des Werks digital für begrenzte Zeit jeweils einer Person zugänglich zu machen.« Die Initiative befürchtet dadurch »mehr Schaden als Nutzen« und verweist auf eine GfK-Studie, die ergeben soll, dass 46 Prozent der E-Book-Nutzung über die »Onleihe« stattfindet, also die digitale Leihe der Öffentlichen Bibliotheken. Darin sieht sie eine »bedrohliche Lücke im Wertschöpfungssystem«, weil die Lizenzerlöse durch die Onleihe »sehr niedrig« ausfallen.
Zusammengefasst: Politik und Bibliotheken möchten den Verleih von E-Books leichter machen (ich habe erst durch diese Diskussion gelernt, dass Bücher und E-Books noch gar nicht gleichgestellt sind), alle Titel sollen im Rahmen eines geschlossenen Systems zur Verfügung gestellt werden, dafür soll dann auch mehr Geld als früher überwiesen werden, aber die Buchbranche fürchtet, dass das dann im Verhältnis zu wenig Geld ist und dass dann die Verkäufe von E-Books einbrechen.
Es gibt einen riesigen Bedarf an bezahlbaren E-Books
Ich stolpere schon über die Behauptung, dass 46 Prozent der in Deutschland konsumierten E-Books über die Onleihe laufen sollen. Ein »Faktencheck« des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels stellt für 2020 circa 35,8 Millionen verkaufte E-Books und 30,2 Millionen E-Book-Ausleihen gegenüber. Nicht enthalten in der Verkaufszahl sind: »Kostenfreie E-Books / Kostenpflichtige Flatrates/digitale Bezahl-Abos, wie Amazon Prime, Kindle unlimited, Skoobe etc. / Gratis E-Book Zugaben zu Print-Titeln (Freemium-Angebote).« Ob Selfpublisher/-innen einbezogen sind, bleibt offen. Definitiv ist die Behauptung, dass die Onleihe 46 Prozent des GESAMTEN E-Book-Konsums ausmacht, objektiv nicht zu halten.
Schaue ich in die GfK-Studie und ihre Bewertung durch den Börsenverein, finde ich auf der Eingangsseite dies: »Die Nutzer der Onleihe sind im Vergleich zur Gesamtbevölkerung überdurchschnittlich jung. Außerdem sind sie überdurchschnittlich gut situiert und gebildet. Die Zahlen zeigen auch: Die Onleihe schmälert die Kaufbereitschaft buchaffiner und kaufkraftstarker Zielgruppen am Buchmarkt.« Daraus lese ich schon paraphrasiert die Angst: Leute, die sich Bücher leisten können, tun es nicht mehr, weil sie – Gratismentalität! Schmarotzer! – die Bücher einfach in der Onleihe ziehen können. Andererseits verdeutlicht das: Es gibt hierzulande einen riesigen Bedarf an bezahlbaren E-Books. Betonung auf bezahlbar – ich halte die Preise für deutlich zu hoch. Gleichzeitig wird das Flatrate-Angebot »Skoobe« künstlich unattraktiv gehalten, indem aktuelle Bestseller dort zum größten Teil nicht angeboten werden.
Ich glaube, nicht die Abrechnung digitaler Bücher wird mittelfristig das größte Problem, sondern die Leserschaft. Ich verweise uf die Studie »Aktuelle Bestandsaufnahme und Bedarfsanalyse im Bereich der Förderung verlegerischer Vielfalt auf dem Buchmarkt in Deutschland«, durchgeführt von DIW-ECON im Auftrag der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Allein die erste Zahl, die der Bericht präsentiert, sollte doch jede Person in der Buchbranche wie ein Hammerschlag treffen: »Zwischen 2012 und 2019 ist die Käufer*innenreichweite um 8,1 Mio. Buchkäufer*innen geschrumpft, von 36,9 auf 28,8 Mio. Käufer*innen pro Jahr.« Dazu kommt, dass im Schnitt weniger als früher gelesen wird, weil die gesamte Medienlandschaft sich ändert.
Wie könnte man Leute zum Lesen bewegen?
Die Herausforderung ist nicht, genug Geld mit Büchern umzusetzen, die Herausforderung ist, dass Leute nicht vergessen, dass es Bücher gibt. Nicht die Onleihe ist eine Gefahr für den Buchmarkt, sondern die ganze Welt außerhalb des Buchmarkts.
Wie könnte man Leute zum Lesen bewegen? Nun … vielleicht auch mit Öffentlichen Bibliotheken? Wenn die GfK-Studie zeigt, dass gerade junge Menschen die Onleihe verstärkt nutzen– wäre es nicht in aller Interesse, diese noch attraktiver zu machen? Und wenn die Studie zeigt, dass es primär gebildete, gut situierte Leute sind, die die Onleihe nutzen, ist das dann ins eigene Fleisch geschnitten? Klar, es WIRD die Schmarotzer geben, die drei Mal im Jahr in Urlaub fahren, in ihrer Villa sitzen und lachend mit dem Tablet ein Fast-Gratis-E-Book ausleihen und nicht mal bereit sind, einen Zehner für ein E-Book lockerzumachen. Sollen wir uns über diese Leute ärgern und deswegen das Prinzip der Öffentlichen Bibliotheken kritisieren? Oder uns lieber darüber freuen, dass es auch Menschen gibt, für die tatsächlich der Bibliotheksausweis einen bezahlbaren Zugang zu Kultur ermöglicht? Von denen einige zu lebenslangen Leserinnen und Lesern werden?
Onleihe ist kein freies Raubkopiersystem
Die Unterstützer/-innen der Initiative betonen, dass es nicht darum geht, diesen Zugang zur Kultur zu behindern, sondern um die »angemessene Bezahlung«, die bei der Onleihe nicht stattfindet. In meinen Augen ist 20 Euro für ein E-Book auch keine angemessene Bezahlung, nur am anderen Ende der Skala. Es wird der Eindruck erweckt, Onleihe sei so etwas wie Napster, wo Medieninhalte frei und unbeschränkt verteilt werden können. Nein, und das kann man nicht genug betonen: Das E-Book wird sogar aufgewertet, und es unterliegt dann immer noch den Mengen- und Lizenzbeschränkungen wie vorher. Onleihe ist kein freies Raubkopiersystem, sondern ein geschlossenes System mit klaren Regeln. Soweit ich das sehe, verlangt niemand, dass wirklich alles für ein paar Euro Jahresbetrag uneingeschränkt zur Verfügung steht – nein, E-Books sollen schlicht wie die gedruckten Exemplare behandelt werden: eingekauft, lizenziert, bezahlt. Durch Beschränkungen bei der Leihdauer ist die Reichweite eines Onleihe-Buchs automatisch stark eingeschränkt.
Es wirkt auf mich, als werde der kommerzielle E-Book-Markt hierzulande bewusst unattraktiv gehalten, bloß damit man dann sagen kann: Offensichtlich interessiert sich niemand für E-Books. Die Onleihe zeigt, dass es anders ist, die Nachfrage ist da, aber die Rahmenbedingungen müssen gestaltet werden, statt den Status Quo zu verteidigen. Ich hoffe sehr, dass die Verlags- und die Bibliotheksseite gemeinsam Hürden abbauen, Bücher breiter verfügbar machen und gleichzeitig alle in der Verwertungskette fair bezahlt werden. Diese Initiative hilft in meinen Augen dabei nicht.
Wenn Leute ein gutes Buch gelesen haben, wollen sie vor allem eins: noch ein gutes Buch. Dann besorgen sie sich Nachschub. Sie erzählen anderen Leuten davon. Andere Leute leihen es vielleicht in der Bibliothek aus, einige kaufen es digital, einige das Hardcover, andere warten bis zum Taschenbuch.
Aber: Die Leute, die all das tun, werden immer weniger.
Falko Löffler
Über den Autor:
Falko Löffler ist Autor, Übersetzer und Podcaster.
Weitere Informationen zum Thema:
Der Kommentar von Falko Löffler ist eine Vorabveröffenlichung aus dem BuB-Doppelheft Februar/März 2022. Im dortigen Themenschwerpunkt »Streitfall E-Book-Ausleihe« wird die Auseindersetzung um das E-Lending in Bibliotheken aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet. Neben Bibliothekarinnen und Bibliothekaren kommen auch Autorinnen und Autoren sowie eine Verlegerin zu Wort. Ein Überblicksartikel zeigt den Verlauf der jahrelangen Diskussionen und erklärt die politischen und rechtlichen Hintergründe. Das gedruckte Heft erscheint am 15. Februar 2022 und ist wenige Tage zuvor bereits über die BuB-App abrufbar.