Seit 2007 hat die Stiftung Hamburger Öffentliche Bücherhallen, mit mehr als viereinhalb Millionen Besuchern pro Jahr die publikumsstärkste Kultureinrichtung Hamburgs, ihr Dienstleistungsportfolio erheblich erweitert: Zu den bisherigen vier bibliothekstypischen Kundenbereichen Zentralbibliothek, Stadtteilbibliotheken, Portal/Virtuelle Dienste sowie Fachstelle mit Schulbibliothekarischer Arbeitsstelle kam vor sechs Jahren ein fünfter Kundenbereich ganz neu hinzu: das Bürgerengagement.
Dieser noch junge Kundenbereich ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen und professionalisiert worden. Erstmalig wurde mit den »Medienboten« 2007 ein eigenständiges Ehrenamtsprojekt implementiert (siehe BuB Heft 9/2009, Seite 635 ff.). Zur Abgrenzung vom Hauptamt und für die leichtere Einwerbung von Drittmitteln wurde dafür eigens die Tochtergesellschaft »Bücherhallen Medienprojekte gGmbH« gegründet. Nach und nach wurden mehrere Projekte gestartet. Mittlerweile engagieren sich neben knapp 500 hauptamtlichen Kolleginnen und Kollegen rund 450 Personen ehrenamtlich für die Bücherhallen: in vier stadtweiten Projekten sowie zusätzlich vor Ort in den Stadtteilbibliotheken.
Dabei gilt, das ist sehr wichtig, bei den Bücherhallen immer der Grundsatz: Ehrenamt nur außerhalb des bibliothekarischen Kerngeschäftes und ausschließlich in Dienstleistungen, die anderweitig von der Stadt Hamburg nicht finanzierbar wären.
Die Projektidee
»Dialog in Deutsch«, Anfang 2010 gestartet, wendet sich an Erwachsene mit Migrationshintergrund, die in der Regel am Integrationskurs teilgenommen haben und ihre Deutschkenntnisse im Gespräch anwenden und trainieren sowie zugleich neue Kontakte knüpfen wollen. Gegründet wurde das Projekt aufgrund einer Anfrage der Hamburger Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration, die eine langjährige Lücke im Sprachförderbereich für Zuwanderer in Hamburg schließen wollte, denn vielen Integrationskurs-Absolventen fehlt die Möglichkeit, die erworbenen Sprachkenntnisse im beruflichen oder privaten Umfeld weiter zu vertiefen.
In den vergangenen drei Jahren wurden mehr als 60 Gesprächsgruppen implementiert, die wöchentlich in allen 32 Hamburger Bücherhallen sowie in der Zentralbibliothek (hier jede Woche 20 Gruppen) stattfinden. Diese Treffen werden von je zwei bis drei professionell geschulten Ehrenamtlichen moderiert und geleitet, sind offen, kostenlos und laufen unbefristet. Willkommen ist jede und jeder – über alle Nationalitäten, Ethnien, Religionen, Bildungsabschlüsse, Geschlechter, Berufe, politische Anschauungen und Altersstufen hinweg. Wichtiges Kriterium sind niedrige Zugangshürden: Alles läuft auf freiwilliger Basis sowie unbürokratisch ohne vorherige Anmeldung und ohne Teilnahmekontrolle.
In offener, lockerer Atmosphäre können die Teilnehmer aus aller Welt miteinander sprechen und Erfahrungen austauschen. Die Freude am praktischen Umgang mit der deutschen Sprache steht dabei im Vordergrund – es geht ausdrücklich nicht um Deutschunterricht. Die Zuwanderer gestalten durch ihre Themenvorschläge und ihr aktives Mitwirken die Gruppentreffen so mit, dass zusätzlich zur individuellen Sprachvertiefung auch die Gesprächsinhalte selbst die alltägliche Lebensbewältigung unterstützen können. In den Gruppenstunden werden neue Kontakte geknüpft und Freundschaften aufgebaut. Dadurch wird die soziale Isolation vermindert und die Integration unmittelbar gefördert: einfach hingehen, einfach sprechen, einfach wiederkommen (oder auch nicht) – alles ist möglich.
Über Sprachvertiefung und Kontakte hinaus wird durch den wechselseitigen Austausch zwischen den Zuwanderern und den ehrenamtlichen Gruppenleitungen das Interesse an gesellschaftlichen und kulturellen Themen in Deutschland und in den Herkunftsländern gefördert. Gleichzeitig wird der in den Bücherhallen vorhandene Zugang zu neuen Lernmöglichkeiten und Medien gemeinsam erschlossen.
Und: Die Teilnehmer erleben das bürgerschaftliche Engagement der Gruppenleitungen unmittelbar mit und werden dadurch zu eigenem Ehrenamt motiviert. Da ein Viertel der Ehrenamtlichen selbst einen Migrationshintergrund aufweist, erfahren die Migranten am persönlichen Beispiel ihrer jeweiligen Gruppenleitung, wie Integration gelingen kann. So engagieren sich mittlerweile einige ehemalige Teilnehmerinnen selbst als Gruppenleiterinnen.
Geleitet wird das Projekt, das sich ein eigenes, von Ehrenamtlichen entwickeltes Leitbild gegeben hat und im »Bundesweiten Integrationsprogramm« des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge als Modellprojekt aufgeführt wird, von einer hauptamtlichen Sozialpädagogin, unterstützt durch zahlreiche Bücherhallen-Kolleginnen und -Kollegen (Geschäftsführung, Referentin Bürgerengagement, Buchhaltung, Grafik ...) sowie zwei Bundesfreiwilligendienstlerinnen.
Durch »Dialog in Deutsch« haben sich die Bücherhallen Hamburg noch intensiver als bisher im Integrationssektor vernetzt: Zahlreiche Kooperationen sind hier mittlerweile entstanden (Integrationskursträger, Türkische Gemeinde, Stadtteilgespräche, Ausschüsse, Arbeitsgemeinschaften, Volkshochschule, lokale Stadtteilakteure und andere) und werden weiter ausgebaut.
Die Ehrenamtlichen
Zentrale Akteure sind die 150 Ehrenamtlichen, die sich als Gruppenleitung, in der Kinderbetreuung, als regionale Koordinatoren für jeweils mehrere Gesprächsgruppen verschiedener Bücherhallen, als Bürokräfte, als Mitglieder im »Dialog in Deutsch«-Beirat oder in der Öffentlichkeitsarbeit engagieren: Es gibt bei diesem Projekt vielfältige Möglichkeiten der Partizipation und Mitgestaltung.
Über einen von einer Ehrenamtlichen betreuten, mittlerweile öffentlich zugänglichen Blog (http://dialogindeutsch.wordpress.com) erhalten alle Zeitspender Informationen zu Integrationsthemen über ihre eigene Tätigkeit hinaus (Literaturhinweise, Links, News, Veranstaltungstipps et cetera), und auch Interessierte können hier vielfältige Informationen zum Thema Integration finden.
Alle Ehrenamtlichen profitieren unmittelbar von ihrem eigenen Engagement, denn sie lernen durch den regelmäßigen Kontakt zu Menschen mit Zuwanderungsgeschichte nicht nur interessante Menschen aus aller Welt kennen, sondern sie können selbst besser nachvollziehen, wie sich die Situation von Migranten in Deutschland tatsächlich gestaltet: Vorurteile und Berührungsängste werden abgebaut, Verständnis und Respekt füreinander gefördert. Aufgrund ihres multinationalen Hintergrundes und eigener Erfahrungen auf dem nicht immer einfachen Weg in der neuen Heimat gelingt es den Gruppenleitungen mit ausländischen Wurzeln dabei in ganz besonderer Weise, den Teilnehmern bedarfsgerecht zu begegnen.
Die Akquise von Ehrenamtlichen, die mit ihrem Blick von außen wertvolle Ideen- und Ratgeber sind und zugleich in der ganzen Stadt als begeisterte Bücherhallen-Botschafter unterwegs sind, gelingt problemlos durch einen Maßnahmen-Mix: Das Projekt wird beworben über Freiwilligenagenturen, eine jährliche Freiwilligenbörse, Online-Portale sowie die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Bücherhallen (eigene Homepage, Medienkontakte, Präsenz auf Veranstaltungen wie Stadtteilfesten). Hinzu kommt, ganz wesentlich, die Mund-zu-Mund-Propaganda durch die Ehrenamtlichen selbst. Einige der Zeitspender engagieren sich sogar parallel in mehreren Bücherhallen-Projekten.
Die Finanzierung
Das Projekt wird zum größten Teil durch die Hamburger Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration finanziert. Der Jahresetat beläuft sich auf eine mittlere fünfstellige Summe. Enthalten sind hier die Personalkosten für die volle Projektleitungsstelle, Fahrtkosten der Ehrenamtlichen, Fortbildungen der Ehrenamtlichen, Sachkosten für Büro, Telefon, Öffentlichkeitsarbeit, kostenlose Kundenkarten der Bücherhallen für die Zeitspender und anderes. Jährlich muss bei der Behörde ein Zuwendungsantrag gestellt werden, um das Projekt ein weiteres Jahr finanziell zu sichern.
Aufgrund behördlicher Absenkung der Zuwendung ab 2013 muss das Projekt nun mit weniger Etat auskommen als bislang. Da dieses Projekt aber eines der öffentlichkeitswirksamsten der Bücherhallen Hamburg und damit ein ideales Marketinginstrument ist – und gleichzeitig die Nachfrage von Menschen mit familiärer Zuwanderungsgeschichte nach dieser Sprachfördermöglichkeit unverändert hoch bleibt – werden die Bücherhallen Hamburg versuchen, dieses Projekt in jedem Fall weiter fortzuführen. Dabei soll die Gruppenzahl aus räumlichen sowie insbesondere finanziellen Gründen bei maximal 65 wöchentlichen Gruppen liegen.
Eine wertvolle finanzielle Quelle des Projektes sind Preisgelder: Im September 2012 gewann »Dialog in Deutsch« den renommierten Max-Brauer-Preis der Hamburger Alfred Toepfer Stiftung F.V.S., und 2013 wird das Projekt beim bundesweiten Wettbewerb »Aktiv für Demokratie und Toleranz« ausgezeichnet – verbunden mit Prämierungen in vier- und in fünfstelliger Höhe.
Aus zahlreichen deutschen Bibliotheken sind mittlerweile Anfragen eingegangen, dieses Hamburger Sprachförderangebot auch in der eigenen Einrichtung zu implementieren. »Dialog in Deutsch« – der Markenschutz für diese Bezeichnung ist beim Register des Deutschen Patent- und Markenamtes beantragt – ist in jeder Stadt (auch in viel kleinerem Rahmen und mit wesentlich weniger finanziellem Aufwand) realisierbar, denn überall wohnen Menschen mit ausländischen Wurzeln, die ein solches Angebot nachfragen und dankend annehmen werden. Und Bibliotheken sind für ein solches Projekt ein idealer und attraktiver Ort der Begegnung, der wichtige Eigenschaften vereint: öffentlich und gleichzeitig geschützt, bildungsnah mit Zugang zu modernsten Medien und doch kein Lehrbetrieb, politisch und religiös neutral.
Bedeutung des Ehrenamts für Bibliotheken
Die Engagementförderung ist für die Bücherhallen, die sich als ein kommunaler Dienstleister für alle Bürgerinnen und Bürger der Metropolregion Hamburg verstehen, mehr als ein optionales Betätigungsfeld. Denn alle Beteiligten profitieren gleichermaßen: der einzelne Kunde, dem die Dienstleistung direkt zugutekommt; die Zeitspender, die sich sinnstiftend mit ihren Talenten zielgerichtet engagieren können; die Bücherhallen selbst, die sich neue Geschäftsfelder aufbauen und neue Zielgruppen erschließen und nicht zuletzt auch die gesamte Gesellschaft, deren Entwicklung durch die interkulturelle Vernetzung befördert wird.
Somit ist für die Bücherhallen Hamburg der fünfte Kundenbereich »Bürgerengagement« mittlerweile ein selbstverständlicher Bestandteil des Dienstleistungsportfolios geworden. Denn freiwilliges Engagement ist nicht nur gesellschaftlich notwendig, sondern professionell organisiertes Ehrenamt (das nicht umsonst zu haben ist!) ermöglicht zugleich zusätzliche Dienstleistungen jenseits des bibliothekarischen Kerngeschäftes, die anderweitig nicht finanzierbar wären. Und: Mit qualitativ hochwertigen Ehrenamtsprojekten lässt sich eine große Medienresonanz erreichen.
Dabei gehört nicht nur die Durchführung eigener Projekte oder Kooperationsprojekte zum Portfolio des Ehrenamtes bei den Bücherhallen, sondern der Kundenbereich »Bürgerengagement« unterstützt zugleich die hamburgweite Vernetzung in der Engagementförderung, ist Ansprechpartner für interessierte Bürgerinnen und Bürger, kooperiert mit zahlreichen anderen Partnern des bürgerschaftlichen Engagements und entwickelt neue Projektideen. Die Bücherhallen Hamburg sind zum Beispiel aktiv im Aktivoli Landesnetzwerk (www.aktivoli.de) mit dem Ziel, das freiwillige Engagement auch auf politischer und institutioneller Ebene zu stärken sowie die Anerkennung ehrenamtlicher Arbeit und die Standards für die Rahmenbedingungen von Bürgerengagement zu verbessern – für ganz Hamburg.
Last but not least: Bevor Kommunalpolitiker aus Kostengründen (erstmals oder zum wiederholten Mal) Ehrenamt in bibliothekarischen Kerntätigkeiten einfordern, sind Bibliotheken gut beraten, hier pro-aktiv zu werden und rechtzeitig gut konzipierte Ehrenamtsprojekte aufzulegen. In Hamburg jedenfalls ist das Thema, hauptamtliche Tätigkeiten in Bibliotheken könne man doch von Ehrenamtlichen erledigen lassen, gänzlich vom Tisch.
Uta Keite, Diplom-Bibliothekarin und Diplom-Kulturmanagerin, seit 2008 Referentin Bürgerengagement und Direktion der Bücherhallen Hamburg. Zuvor jeweils mehrjährige Tätigkeiten als Leiterin der Stadtbibliothek Georgsmarienhütte (Niedersachsen), Korrespondentin einer bundesweiten Fachzeitung für Hotellerie und Gastronomie, Geschäftsführerin von New Generation (gemeinnützige Kultur- und Bildungseinrichtung für Menschen ab 50) sowie Redakteurin und Pressereferentin in einem Hamburger Redaktionsbüro. Uta Keite, Jahrgang 1966, Mutter von vier Töchtern, engagiert sich selbst seit 1980 ehrenamtlich im Sozial-, Bildungs- und Kulturbereich.