Mal sind es geschwärzte Stempelabdrücke, die Misstrauen wecken, mal herausgeschnittene Buchseiten. »In manchen Fällen sind die Alarmzeichen aber auch überdeutlich. Zum Beispiel, wenn wir wieder einmal die handschriftliche Notiz ‚Ostfeldzug‘ auf einer der ersten Seiten finden. Dann ist klar, dass wir hier dringend weiter recherchieren müssen«, sagt Daniela Mathuber. Die Historikerin bearbeitet am Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung (IOS) in Regensburg ein Projekt zur Provenienzforschung, das solche Verdachtsfälle klären soll: Das Institut durchleuchtet die Bestände seiner Bibliothek nach Raubgut aus der NS-Zeit – Bücher, Zeitschriften, Karten – und wurde bereits fündig.
Am IOS forschen unter anderem Historiker/-innen, Ökonominnen und Ökonomen oder Politikwissenschaftler/-innen zu Ost- und Südosteuropa. Zudem beherbergt das Institut eine der international größten Fachbibliotheken mit Literatur zum östlichen Europa. 20 000 ihrer Medien stammen aus der Zeit vor 1945 und sind nun Gegenstand des Projekts, das auf zwei Jahre angesetzt ist und vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gefördert wird.
»Für uns ist das auch ein weiterer, sehr wichtiger Schritt zur Aufklärung der eigenen Vergangenheit«, erklärt Tillmann Tegeler, der Leiter der Bibliothek. Das IOS entstand 2012 aus der Fusion zweier Forschungseinrichtungen, die teils schon während der NS-Zeit existierten und später von Direktoren geleitet wurden, die im Krieg für den NS-Staat gearbeitet hatten. »Seit Jahren forschen und veröffentlichen wir zu diesen Verstrickungen. Dabei haben sich zuletzt auch ganz klare Hinweise ergeben, dass die früheren Direktoren keine Scheu hatten, Raubgut an sich zu nehmen, das letztlich in unserer Bibliothek untergekommen sein könnte«, sagt Tegeler. »Ohnehin war das östliche Europa – unser Sammlungsgebiet – massiv von nationalsozialistischem Kulturgutraub betroffen. Es gibt Anhaltspunkte, dass über Netzwerke auch nach dem Krieg geraubte Bücher und Karten erworben wurden. Und natürlich ist es möglich, dass betroffene Bestände unwissentlich im antiquarischen Handel gekauft wurden.«