Bibliothekarische Fachtagungen wie der Bibliothekartag oder der Bibliothekskongress sind Erfolgsmodelle. Jährlich kommen zwischen 3 000 und 4 000 fortbildungswillige Kolleginnen und Kollegen zu den Mega-Veranstaltungen – und dennoch läuft nicht alles rund. Ein Problem, das sich zusehends verschärft, ist die Rolle der kommerziellen Dienstleister im bibliothekarischen Fachprogramm. Dürfen sie dort auftreten? Wenn ja, alleine oder nur in Kombination mit einer Bibliothek? Manche Dienstleister schaffen es mit ihrem Vortrag ins Programm, andere nicht. Die Situation ist unübersichtlich, die Regeln sind nicht eindeutig. Und auch die bibliothekarischen Fachverbände haben ihre liebe Not mit Dienstleistern. Sollen sie Mitglied im Verband werden können oder nicht? Wenn ja, als ordentliches oder nur als förderndes Mitglied?
Der Berufsverband Information Bibliothek (BIB) hat auf seiner vergangenen Mitgliederversammlung 2015 in Nürnberg die Mitgliedschaft für Dienstleister satzungsmäßig ausgeschlossen. Den Antrag stellte BIB-Mitglied Hans-Joachim Wätjen. Dienstleisterin und Bibliothekarin Julia Bergmann ist im vergangenen Jahr aus dem BIB ausgetreten, weil sie sich als Selbstständige vom Verband nicht mehr vertreten fühlt und weil sie bei großen Fachveranstaltungen nicht mit eigenen Vorträgen auftreten darf. BIB-Vorstand Tom Becker sieht diese Entwicklungen mit Sorge. Im folgenden Streitgespräch, das von BuB-Redakteur Bernd Schleh moderiert wurde, prallen ihre unterschiedlichen Positionen aufeinander.
BuB: Herr Wätjen, Sie haben in der BIB-Mitgliederversammlung 2015 in Nürnberg erfolgreich beantragt, dass bibliothekarische Dienstleister nicht mehr Mitglied im Berufsverband werden dürfen. Warum ist Ihnen das so wichtig?
Hans-Joachim Wätjen: Dienstleister konnten auch nach der alten BIB-Satzung, die bis zur Mitgliederversammlung 2013 in Bremen galt, nicht Mitglied im Verband sein. Meinhard Motzko hat in der Bremer BIB-Mitgliederversammlung, an der ich leider nicht teilnehmen konnte, einen Änderungsantrag zur Satzung in Sachen Dienstleister gestellt. Das fand ich nachvollziehbar und legitim, aber die Begründung, die er anführte, war unlauter und hat mich beim Lesen des Protokolls mehr als empört. Er hat es so dargestellt, dass Nicht-Bibliothekare im BIB nicht Mitglied sein könnten, und das ist falsch. Er hat argumentiert, dass eine Satzung auch immer Ausdruck einer Strategie sei, dass die Mitgliedschaft bisher stark begrenzt werde und inzwischen in den bibliothekarischen und informationswissenschaftlichen Institutionen mehr Berufsgruppen vertreten seien als nur Bibliothekare. Letzteres ist absolut richtig, aber laut Satzung – nach alter wie nach neuer – konnten und können alle Beschäftigten in Bibliotheken und verwandten Informations- und Dokumentationseinrichtungen ordentliches Mitglied im BIB werden – es gab und gibt also gar keine Notwendigkeit, speziell Dienstleistern diese Form der Mitgliedschaft zu ermöglichen.
BuB: Warum sollen auch andere Berufsgruppen als Bibliothekare Mitglied im Berufsverband werden können?
Han Wätjen: Wir können längst nicht mehr alles selbst leisten. Um unsere Aufgaben als Bibliothek zu erfüllen, brauchen wir Informatiker, wir brauchen Web-Designer, Juristen, Marketing-Fachleute und viele andere Berufsgruppen. Und die können laut Satzung auch alle Mitglieder im BIB sein! Dass nun Herr Motzko, der ja bekanntermaßen ein gut laufendes Praxisinstitut führt und im Bereich Bibliotheken und Informationseinrichtungen Fortbildungen anbietet, das Interesse hat, im BIB als sogenannter Dienstleister ordentliches Mitglied zu sein, kann ich nachvollziehen, aber es widerspricht meinen Interessen als Mitglied. Wir müssen hier klar die unterschiedlichen Interessen voneinander trennen. Wenn ich mir die Satzungszwecke des BIB anschaue, dann gibt es überhaupt keinen Grund, warum Dienstleister, die im Bibliothekssektor tätig sind, im BIB ordentliche Mitglieder sein sollten.
"Die Streichung der Möglichkeit für Dienstleister, im BIB aktiv werden zu können, halte ich für grundsätzlich falsch." (Tom Becker)
BuB: Frau Bergmann, wie sehen Sie das als Bibliothekarin und Dienstleisterin?
Julia Bergmann: Hier haben wir schon ein wesentliches Problem: Ich bin Bibliothekarin und Dienstleisterin – was zählt denn nun? Die Grenzen sind fließend. Ich bin im vergangenen Jahr aus dem BIB ausgetreten und habe in einem offenen Brief meine Gründe dargelegt: Zum einen fühle ich mich als Freiberuflerin im Bibliotheks- und Informationswesen nicht vom BIB vertreten, zum anderen bin ich nicht bereit, das widersprüchliche Verhalten des Verbands mir gegenüber weiter hinzunehmen. Je nach Situation wird meine Selbstständigkeit geschätzt oder aber als Ablehnungsgrund verwendet. Das geht so nicht. Und im Gegensatz zu Herrn Motzko wurde ich explizit vom BIB als Mitglied geworben. Ich wurde sogar in die BIB-Imagebroschüre aufgenommen, weil der BIB mit der Vielfalt seiner Mitgliederstruktur punkten wollte. Ich stellte dann aber schnell fest, dass ich als Selbstständige zwar zur Imageaufbesserung dienen durfte, nicht aber Redebeiträge auf Veranstaltungen wie dem Bibliothekartag beisteuern konnte. Dagegen habe ich mich verwahrt, dass man sozusagen Teile von mir herausschneidet und andere Teile nicht so gern dabei haben möchte.
BuB: Herr Becker, was sagen Sie als BIB-Vorstand dazu?
Tom Becker: Hier fehlt es tatsächlich an einer klaren Regelung. Julia Bergmann hat mit ihrem Austritt aus dem BIB sehr konsequent gehandelt. Ich kann das hundertprozentig nachvollziehen. Die Streichung der Möglichkeit für Dienstleister, im BIB aktiv werden zu können, halte ich für grundsätzlich falsch, weil die Informationsberufe so vielseitig sind und nicht alle unbedingt Angehörige von Bibliotheken sind, die im Bibliothekssektor arbeiten, wie es die Satzung verlangt. Da bin ich als Lehrender an einer Hochschule, der zudem nebenberuflich selbstständig ist, ja ebenfalls betroffen. Nach der neuen Satzungsdefinition ist es fraglich, ob ich überhaupt Mitglied im BIB sein darf. Es ist doch unstrittig, dass diejenigen, die sich dem Verband als Dienstleister oder in sonstigen Funktionen verbunden fühlen, aber nicht direkt in Bibliotheken oder verwandten Informationseinrichtungen arbeiten, mit ihren Erfahrungen und ihrem Wissen den Berufsverband bereichern. Deshalb müssen sie auch Mitglied werden können.
Han Wätjen: Hier möchte ich widersprechen. Ich habe mich nicht dafür ausgesprochen, Freiberufler und Dienstleister aus dem BIB auszuschließen. Es gibt die Möglichkeit – und das sieht die Satzung ausdrücklich vor – der fördernden Mitgliedschaft. Das machen andere Verbände auch. Das ist ein probates Mittel, kommerziellen Dienstleistern die Teilnahme am Vereinsleben zu ermöglichen – aber eben nicht als ordentliche Mitglieder mit passivem und aktivem Wahlrecht. Ich möchte es noch mal ganz deutlich sagen: Private Dienstleister, ganz egal ob es Bibliothekare oder Fachleute aus der IT, dem Marketing oder anderen Bereichen sind, können uns bei der einen oder anderen Aufgabe helfen, aber dazu müssen sie nicht ordentliche Mitglieder im BIB sein. Es ist doch klar und legitim: Dienstleister wollen letztendlich Aufträge akquirieren, und das kann durchaus im Widerspruch stehen, zu dem was der Zweck eines Vereins ist. Auch Vereine müssen sich deshalb künftig mit Compliance-Regeln beschäftigen. Die IFLA ist hier mit gutem Beispiel vorangegangen und hat ein entsprechendes Manifest veröffentlicht. Diese Manifeste sollte man nicht nur mit wohlmeinenden Worten füllen, sondern auch mit praktischem Inhalt. Interessenkonflikte habe ich in diesem Zusammenhang ausreichend selbst erlebt, wenn beispielsweise Elsevier bei Sitzungen der dbv-Sektion 4 anwesend war und wir zugleich über unsere Politik gegenüber den Großverlagen diskutierten. Das ist ein Unding – übrigens genauso, dass die BIB-Kommission für Fortbildung von einer Freiberuflerin geleitet wurde.
"Viele Dienstleister verdienen ganz gut mit Bibliotheken." (Han Wätjen)
BuB: Können die zahlenmäßig geringen Dienstleister in einem Verband mit 6 300 Mitgliedern tatsächlich so viel Einfluss ausüben?
Han Wätjen: Bei einzelnen Themen schon, nehmen wir das Beispiel BIB-Fortbildungsakademie, die ja in der Diskussion ist. Hieran können private Dienstleister selbstverständlich ein manifestes Interesse haben. In der Satzung sind nur drei Vereinszwecke vorgesehen: die Mitglieder fördern sowie ihre Interessen wahrnehmen, die Förderung des bibliothekarischen Nachwuchses und schließlich die Förderung des Bibliotheks- und Informationswesens in der Bundesrepublik Deutschland. Dabei können Dienstleister gerne helfen – aber bitte nicht als ordentliche Mitglieder, sondern als fördernde Mitglieder. Das muss klar getrennt werden.
BuB: Auch in der Höhe der jeweiligen Mitgliedsbeiträge?
Han Wätjen: Viele Dienstleister verdienen ganz gut mit Bibliotheken. Ich würde deshalb den bisher doch eher symbolischen Beitrag für fördernde Mitglieder klar erhöhen, aber gestaffelt nach Unternehmensgröße. Frau Bergmann, ich möchte Ihnen nicht das Wasser abgraben.
Julia Bergmann: Ich mache mir keine Sorgen um mich als Dienstleister. Was mich stört, ist, dass ich vor noch nicht allzu langer Zeit sozusagen als freiberufliches Aushängeschild für den Verband geworben wurde und jetzt nur in ganz ausgewählten Bereichen mitwirken darf.
Tom Becker: Für die Weiterentwicklung des Bibliotheks- und Informationsberufes finde ich stimmberechtigte Impulse extrem wichtig, auch von Seiten der Dienstleister. Die Frage ist, ab wann ist ein Dienstleister ein Dienstleister. Mit welchen Prozentzahlen muss er tatsächlich freiberuflich tätig sein? Eine exakte Definition ist sehr schwierig. In einem Punkt stimme ich Herrn Wätjen aber zu: Es muss Compliance-Richtlinien geben, zumindest für diejenigen, die im Verband aktive Positionen innehaben.
"Für mich kommt eine fördernde Mitgliedschaft nicht infrage. Ich möchte mich aktiv beteiligen." (Julia Bergmann)
BuB: Frau Bergmann, wäre das für Sie in Ordnung, wenn Dienstleister nur fördernde Mitglieder werden könnten?
Julia Bergmann: Da man sich davon offensichtlich verspricht, dass ich diesen Verband gleichzeitig auch mit hohen Summen sponsern soll und ich mir das eigentlich nicht leisten kann und will, ist meine Antwort hier klar nein.
Han Wätjen: Ich habe nicht immens hohe Summen gemeint. Der Verein Deutscher Bibliothekare zum Beispiel nimmt von seinen fördernden Mitgliedern laut Satzung 500 Euro.
Julia Bergmann: Auch das ist für mich ein ganz ordentlicher Betrag.
Han Wätjen: Als Gegenleistung gibt es Kontakte und Networking im Verband.
Julia Bergmann: Networking ist für mich nicht der Grund, im Verband tätig zu sein und auch nicht für meine anderen ehrenamtlichen Tätigkeiten. Das Bibliothekswesen zu promoten, ist für mich eine Herzensangelegenheit aus meinen bibliothekarischen Wurzeln heraus. Mein Networking funktioniert auch ohne den Verband hervorragend. Das ist für mich überhaupt kein Anreiz für eine BIB-Mitgliedschaft.
Tom Becker: Es geht sicher vielen Dienstleistern so. Ich glaube, dass ein ideelles Engagement tatsächlich auch ideell ist und dass die Netzwerke ohnehin bestehen. Gerade so omnipräsente Personen wie Julia Bergmann oder Meinhard Motzko bringen ihr Netzwerk mit und brauchen nicht unbedingt die Kontakte aus dem BIB. Hier dürfen wir uns nicht selbst überschätzen.
BuB: Wie wird der BIB in der Satzungsfrage nun weiter verfahren, vor allem bei der Aufnahme von Dienstleistern?
Tom Becker: Momentan sind wir satzungsmäßig wieder auf dem Stand von vor zwei Jahren, also vor der Änderung in Bremen. Grundsätzlich muss der BIB-Vorstand alle Eintritte in den Verein genehmigen beziehungsweise bestätigen, hierbei muss sich der Vorstand natürlich an die aktuelle Satzung halten.
"Fachliche Vorträge von Selbstständigen sind immer wieder gestrichen worden, um zu verhindern, dass verdecktes Marketing betrieben wird." (Tom Becker)
BuB: Das heißt, die Aufnahme von Dienstleistern und Freiberuflern liegt faktisch im Ermessensspielraum des BIB-Vorstands.
Tom Becker: Ja, in gewissem Maße schon. Und hier lässt natürlich vor allem der in der Satzung verwendete Passus »Beschäftigte in verwandten IuD-Einrichtungen« einen Interpretationsspielraum zu.
BuB: Was passiert mit Dienstleistern, die bereits ordentliche Mitglieder im BIB sind?
Han Wätjen: Ich würde dem BIB raten, die Dienstleister, soweit sie diese Tätigkeit mit mehr als 50 Prozent ausüben, anzusprechen und ihnen anzubieten, künftig als fördernde Mitglieder im Verband aktiv zu sein. Sie mögen doch bitte mitteilen, ob sie mit dieser Umgruppierung einverstanden sind. Im Grunde waren sie vorher auch schon fördernde Mitglieder, nur hat der damalige Vorstand beim Eintritt alle Augen zugedrückt und sie als reguläre Mitglieder aufgenommen – beziehungsweise sogar angeworben, wie Frau Bergmann geschildert hat. Der Vorstand damals hat sich offensichtlich nicht immer an die Satzung gehalten.
Tom Becker: Man hat sie halt großzügig ausgelegt.
Han Wätjen: Ich finde, gerade hier ist die Satzung doch sehr eindeutig.
Tom Becker: Noch kurz zum weiteren Fortgang: Für den Bibliothekskongress in Leipzig sind erst mal keine Satzungsänderungen vorgesehen. Es wird aber für alle Interessierten die Möglichkeit geben, an einem Satzungs-Workshop teilzunehmen, bei dem die virulenten Fragen diskutiert werden, um dann bei der darauf folgenden Mitgliederversammlung in Frankfurt 2017 sämtliche offenen Satzungsfragen auf einen Schlag zu erledigen. Zu diesem Workshop beim Bibliothekskongress in Leipzig am Mittwoch, 16. März, von 14 bis 15.30 Uhr in Seminarraum 13 möchte ich herzlich einladen.
Julia Bergmann: Wie bereits gesagt: Für mich kommt eine fördernde Mitgliedschaft nicht infrage. Ich möchte mich aktiv beteiligen. Dann muss ich mich jetzt eben außerhalb des Verbandes engagieren.
Han Wätjen: Aber Sie haben doch auch bei einer fördernden Mitgliedschaft aktive Beteiligungsrechte. Das einzige, was Sie nicht können, ist das passive und aktive Wahlrecht wahrnehmen.
Julia Bergmann: Das sehe ich anders. Ich kann ja beispielsweise auch nicht beim Bibliothekartag, der vom BIB mitveranstaltet wird, als Referentin im Fachprogramm auftreten. Ich glaube, dass Dienstleister wie ich, aber auch andere Einzelpersonen, die Schulungen und Weiterbildungen im Bibliotheksbereich anbieten, durchaus fachlich etwas beizutragen haben und für die fachliche Diskussion wertvoll sein können. Wir werden auch immer wieder von Teilnehmern um Beiträge für die Bibliothekartage gebeten. Die wundern sich sehr, dass wir das gar nicht dürfen.
BuB: Heikel ist das Miteinander von Bibliothekaren und Dienstleistern also nicht nur in den Berufsverbänden, sondern auch beim Bibliothekartag und ähnlichen Fortbildungsveranstaltungen. Sollten kommerzielle Dienstleister hier ins Vortragsprogramm aufgenommen werden?
Tom Becker: Ich finde schon, und da hat Frau Bergmann leider Recht mit ihrer Kritik. Der BIB versucht das auch schon seit Längerem zu modifizieren. Wir haben beispielsweise die Zukunftswerkstatt stark unterstützt, also ein Format, das von mehreren Selbstständigen und Teilselbstständigen nicht nur aus Eigeninteresse heraus auf die Beine gestellt wurde. Es ist schwierig, als Mitveranstalter eines Bibliothekartags hier die Grenzen zu ziehen. Wir wollen und wir müssen bei einer Veranstaltung, die immens hohe Kosten verursacht, wirtschaftlich arbeiten. Aus diesem Grund bieten wir unter anderem Firmenvorträge an, die vor allem von größeren Dienstleistern und Unternehmen im Rahmen von deren Selbstmarketing auch gebucht werden. Momentan ist es so, dass alles was Dienstleister heißt, nicht ohne Mitwirkung von Bibliotheken im Fachprogramm erscheinen soll. Fachliche Vorträge von Selbstständigen sind immer wieder gestrichen worden, um zu verhindern, dass verdecktes Marketing betrieben wird.
Julia Bergmann: Zunächst kurz eine Klarstellung zur Zukunftswerkstatt. Hier sind von 20 aktiven Vereinsmitgliedern nur zwei freiberuflich tätig. Zu den Vorträgen: Es sind auch Veranstaltungen gestrichen worden, die Dienstleister im Kontext mit Bibliotheken angeboten haben. Was mich stört, ist einfach der krasse Gegensatz: Einerseits meine Anwerbung als Verbandsmitglied um die Diversität des BIB aufzuzeigen, andererseits dann das Verbot, am Fachprogramm mitzuwirken. Hier gibt es keine verlässliche Linie, das ist alles sehr intransparent.
BuB: Es gibt immer wieder den Vorwurf, dass Freiberufler mit zweierlei Maß gemessen werden. Manche dürfen ins Fachprogramm, andere nicht. Wie könnten hier klare Regeln aussehen?
Han Wätjen: Ich glaube, dass wir beim Punkt Dienstleister bei Bibliothekartagen und entsprechenden Veranstaltungen gar nicht weit auseinanderliegen. Im Programm sollte klar ersichtlich sein, was angeboten wird: ein werbender Vortrag, in dem ein Dienstleister seine Produkte vorstellt, oder ein Vortrag eines Berufskollegen, der einen Peer-Review-Prozess durchlaufen hat und aufgrund seiner fachlichen Qualität ausgewählt wurde – auch wenn diese dann nicht immer erreicht wird. Ich will auf Firmen und Dienstleister bei unseren Tagungen nicht verzichten. Ich habe schon Bibliothekartage erlebt, da habe ich nicht einen einzigen Vortrag aus dem Fachprogramm gehört und mich nur in der Firmenausstellung rumgetrieben und an informellen Gesprächen teilgenommen. Dabei habe ich mehr mit nach Hause genommen, als wenn ich in die Vorträge gegangen wäre.
"Es kann doch nicht sein, dass ein kleiner Dienstleister genauso viel bezahlt wie ein großer Konzern." (Han Wätjen)
BuB: Firmenvorträge sollten also im Programm bleiben?
Han Wätjen: Die Firmenvorträge, die ja auch zur Finanzierung des Bibliothekartags beitragen, müssen beibehalten werden. Allerdings sollte man über nach Größe gestaffelte Preise nachdenken, um die Eintrittsbarriere für Ein-Personen-Unternehmen, wie beispielsweise das von Frau Bergman, zu senken. Das würde ich den veranstaltenden Verbänden dringend empfehlen. Es kann doch nicht sein, dass ein kleiner Dienstleister genauso viel bezahlt wie ein großer Konzern. Beim Programm selbst bin ich nach wie vor für einen Peer-Review-Prozess, der Freiberufler oder Firmenvertreter nicht diskriminieren darf. Auch sollten sie weiterhin zu entsprechenden Vortragsveranstaltungen im regulären Programm eingeladen werden. Ich habe beim vergangenen Bibliothekartag in Nürnberg eine Podiumsdiskussion zum Thema Datenschutz in der Cloud besucht und anschließend mitdiskutiert, da saßen neben dem obersten Hamburger Datenschützer auch Manager von Ex Libris und OCLC auf dem Podium – völlig zurecht. Das ist wichtig, und das muss auch Platz im Fachprogramm des Bibliothekartags finden. Letztlich darf nur eines zählen: die Qualität!
Julia Bergmann: Das würde ich mir auch wünschen. Ich kenne es aus anderen Ländern, zum Beispiel Dänemark und Niederlande. Bei Konferenzen dort interessiert es nicht, ob ich selbstständig bin oder nicht. Das Kriterium ist schlicht, ob etwas inhaltlich Interessantes beigetragen werden kann. Nur das zählt. Und man muss dann auch nicht für den Vortrag bezahlen.
Tom Becker: Genau so muss es sein. Um die Qualität zu erhalten, gibt es einerseits die Gutachter, zweitens die Programmkommission und drittens die teilnehmenden Kolleginnen und Kollegen. Die sind ja nicht entmündigt, wenn sie zum Bibliothekartag fahren, sondern können durchaus zwischen Werbung und Fachbeitrag unterscheiden. Den Kolleginnen und Kollegen fällt schnell auf, wenn jemand unter dem Mantel der Fachkompetenz seine eigenen Produkte und Dienstleistungen vertreibt. In unserer kleinen Community spricht sich das herum, sodass man dem im Folgejahr einen Riegel vorschieben kann.
Han Wätjen: Werden eigentlich beim Auswahlprozess der Programmkommission die eingereichten Beiträge anonymisiert?
Tom Becker: Nein. Darüber haben wir zwar diskutiert, aber wenn man die Abstracts liest und einigermaßen gut in der Community unterwegs ist, dann weiß man sehr schnell, wer dahintersteckt. Aus diesem Grund haben wir darauf verzichtet, es macht keinen Sinn.
Julia Bergmann: Einfach noch mal ein Beispiel aus den Niederlanden. Dort ist gerade Erik Boekesteijn zum Bibliothekar des Jahres gewählt worden – und der ist Dienstleister. Wichtig für die Auswahl war allein, ob er inhaltlich Interessantes zum Bibliotheks- und Informationswesen beigetragen hat.
Tom Becker: Genau dieses Selbstverständnis hätte ich hierzulande – bei uns – gerne auch, bei den Verbänden und bei den Organisatoren der Bibliothekartage und anderer Fachkonferenzen. Im Übrigen haben wir in der letzten Vorstandssitzung mit dem VDB eine Übereinkunft getroffen, die dann hoffentlich zum nächsten Bibliothekartag in Frankfurt am Main 2017 in Kraft tritt. Dabei wird die Idee einer Compliance-Regelung verknüpft mit einer noch zu modifizierenden transparenten Kommunikation, wie mit Firmen sowie teilselbstständigen und selbstständigen Dienstleistern umzugehen ist.
BuB: Lässt sich das schon etwas konkreter beschreiben?
Tom Becker: Leider nein. Bisher gibt es eine eher informelle Abmachung die sagt, wenn Dienstleister mit Bibliotheken zusammen einen fachlich passenden Vortrag einreichen, dann ist es möglich, diesen anzunehmen. Mich wundert, dass das häufiger nicht so geschehen sein soll, wie Julia Bergmann anmerkt. Man muss aber bedenken: Auch hier kann es natürlich zu Ablehnungen durch die Programmkommission kommen, wenn die Inhalte fachlich oder programmseitig nicht passen – ganz unabhängig davon, ob ein Dienstleister beteiligt ist oder nicht.
Han Wätjen: Aber es kann doch nicht wahr sein, dass es ein Auftrittsverbot für Frau Bergmann gibt, bloß weil sie alleine einen Vortrag halten will. Es soll doch auf die Inhalte ankommen.
Tom Becker: Tja, so ist die derzeitige Regelung allerdings. Hier hatten bisher diejenigen, die Ihrer Meinung sind, und da zähle ich mich dazu, leider nicht die Mehrheit.
Zu den Personen
Julia Bergmann ist freiberufliche Trainerin für Informationskompetenz und seit 2003 als Trainerin, Vortragende und Beraterin im Bereich Bibliotheken und Bildungseinrichtungen national und international tätig. Sie ist Gründungsmitglied des Vereins Zukunftswerkstatt Kultur- und Wissensvermittlung e.V. und Mitglied des EU Think Tanks Library Avengers.
Professor Dr. Tom Becker hat nach mehrjähriger Tätigkeit auch in Führungspositionen in der Münchner Stadtbibliothek sowie als Leiter der Zentralbibliothek in Mannheim vielschichtige Erfahrungen in der beruflichen Praxis gesammelt. Er hat über Wissensmanagement in Öffentlichen Bibliotheken an der HU zu Berlin promoviert und unterrichtet seit 2011 an der TH Köln im Bereich »Medienmanagement und Medienvermittlung in Bibliotheken«. Seit 2011 ist er auch im Bundesvorstand des Berufsverbandes Information Bibliothek (BIB) aktiv.
Hans-Joachim Wätjen, Studium der Politik- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bremen (1971-1976), Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien (1976), Bibliotheksreferendariat an der UB Bremen und Bibliotheksschule Frankfurt/Main (1978-1979), Bibliotheks- und Informationssystem der Uni Oldenburg: Abteilungsleiter und Fachreferent (1980-2000), Stellvertretender Direktor (1983-2000), Direktor (seit 2000), Mitarbeit in diversen Arbeitsgruppen und Gremien (DFG, WR, Bertelsmann Stiftung, DINI).