Am 4. Juni gab es eine Anhörung zum Bibliotheksstärkungsgesetz im Landtag Nordrhein-Westfalen (NRW), das Gesetz wird voraussichtlich im November 2019 beschlossen. Als Berufsverband wollen wir mit Ihnen – den Mitarbeitenden in den Öffentlichen Bibliotheken Nordrhein-Westfalens – ins Gespräch kommen, um gemeinsam zu überlegen, wie wir die Umsetzung begleiten können, und welche Rahmenbedingungen und unterschiedlichen Positionen – auch bzgl. der angedachten Förderprogramme – wir als Berufsverband in die weitere politische Diskussion einbringen sollen. Gemeinsam mit dem vbnw werden wir am 13. September in einer Expert*innenrunde (mehr dazu an anderer Stelle) hier unsere Positionen konkretisieren.
Der Gesetzentwurf (MMD17-5637) beschreibt sehr zeitgemäß und umfassend die Funktionen Öffentlicher Bibliotheken im 21. Jahrhundert und leitet daraus eine moderne Rollenzuweisung ab; zudem wird ermöglicht, dass Bibliotheken – anders als wie bisher im Bundesarbeitszeitgesetz beschrieben – über eine Modifikation der Bedarfsgewerbeverordnung auch sonntags öffnen können, mit Fachpersonal. Etwas verwunderlich (aber wg. Konnexitätsprinzips dann doch nicht wirklich) sind die Ausführungen zu den finanziellen Rahmenbedingungen: „Durch das Gesetz entstehen unmittelbar keine Kosten. Soweit ein Träger einer öffentlichen Bibliothek von den Möglichkeiten dieses Gesetzes Gebrauch machen will, können für diesen Träger Kosten entstehen. Durch die Änderung des Kulturfördergesetzes wird jedoch die Möglichkeit einer Förderung durch das Land im Rahmen der haushaltsrechtlichen Bestimmungen geschaffen.“ Das sehen wir als Berufsverband Information Bibliothek (BIB) anders, in unserer Stellungnahme (Berufsverband Information Bibliothek. 28.06.2019 MMST17-1683) gehen wir darauf auch dezidiert ein, stimmen jedoch der Möglichkeit zur Sonntagsöffnung zu und würdigen ausdrücklich das zeitgemäße Bild von Öffentlichen Bibliotheken, das im Gesetzentwurf skizziert wird.
Unsere Stellungnahme vom 28.06.2019 beenden wir mit den Worten: „Hier müssen seitens der Politik als Entscheidungsträger und Auftraggeber deutliche Signale kommen, dass nicht nur die Bibliotheken als Ort gestärkt werden sollen, sondern dass diese Stärkung sich auch sichtbar auf die handelnden Personen auswirkt.“ Dies zu erreichen, bleibt unser Ziel.
Alle anderen im Landtag diskutierten Positionen zum Bibliotheksstärkungsgesetz finden Sie auf dem Server der Landesregierung oder können Sie hier downloaden:
- Stellungnahme 17/1651 | Zentral- und Landesbibliothek 24.06.2019 MMST17-1651 Die Stellungnahme referenziert auf den großen Erfolg der Veranstaltungssonntage, die in der Amerika-Gedenkbibliothek (AGB) seit September 2017 durchgeführt werden, unterstützt durch den Kooperationspartner. Ein breit gefächertes Programm läuft quer durch die Bibliotheksflächen, ohne dass (Arbeitszeitgesetz!) Fachpersonal im Einsatz ist.
- Stellungnahme 17/1655 | Katholisches Büro Nordrhein-Westfalen; Der Beauftragte der Evangelischen Kirchen bei Landtag und Landesregierung von Nordrhein-Westfalen 26.06.2019 MMST17-1655 Die kirchlichen öffentlichen Büchereien (KiÖB) bewerten die im Gesetzentwurf vorgesehene Sonntagsöffnung als konsequente Weiterentwicklung der hauptamtlich betriebenen Öffentlichen Bibliotheken als niedrigschwelliger, konsumfreier und öffentlicher Begegnungs- und Kulturraum.
- Stellungnahme 17/1656 | STB Dortmund 26.06.2019 MMST17-1656 Die Stellungnahme weist auf die Ungleichbehandlungen von Öffentlichen Bibliotheken im Vergleich zu wissenschaftlichen Bibliotheken aber auch zu Kulturinstitutionen wie z. B. Museen und Theater hin, die sonntags öffnen dürfen, konstatiert aber auch, dass solche Öffnung mit erheblichem Mehraufwand verbunden sind und daher eine Förderung durch das Land notwendig sei. Zudem würde so die Möglichkeit gegeben, die Frage der Öffnungszeiten für jede einzelne öffentliche Bibliothek noch einmal neu in den Blick zu nehmen.
- Stellungnahme 17/1658 | Verband der Bibliotheken des Landes Nordrhein-Westfalen 26.06.2019 MMST17-1658 Die Stellungnahme greift einige Punkte der STB Dortmund auf – Dr. Borbach-Jaene ist ja sowohl Dortmunder Bibliotheksdirektor wie auch vbnw-Vorstand. Hier wird zudem noch auf die Erfahrungswerte der Bibliotheken verwiesen, die bisher bereits eine Öffnung an Sonntagen auf alternativen Wegen ausprobieren können bzw. dies bereits ausprobiert haben. Diese erleben, dass das Angebot vor allem von Berufstätigen („lebenslanges Lernen“), Familien (Leseförderung, Erlangen von Medienkompetenz), Flüchtlingen („geschützter Raum“ mit Sprach-Lernangeboten, Integration), Schülerinnen und Schüler sowie Studentinnen und Studenten („Lernort“) intensiv genutzt wird.
- Stellungnahme 17/1663 | Arbeitsgemeinschaft der Kommunalen Spitzenverbände Nordrhein-Westfalen 26.06.2019 MMST17-1663 Grundsätzlich wird begrüßt, dass die kontinuierlich vollziehende Funktionserweiterung der Öffentlichen Bibliotheken gesetzlich anerkannt und künftig in das Förderhandeln des Landes einbezogen werden soll. Bemängelt wird, welche Förderung aufgelegt wird und wie hoch die Fördervolumina sind. Zudem wird auf die unterschiedlichste Ausprägungen hinsichtlich des Spektrums an Angeboten und Dienstleistungen des Bibliothekssektors in Nordrhein-Westfalen hingewiesen und angemahnt, dass sich hier vorhandene Scheren des kulturellen Angebots tendenziell eher weiter öffnen: „[...] Ohne geeignetes Personal werden die gewünschten positiven Effekte der Sonn- und Feiertagsöffnung nicht oder nur eingeschränkt zur Geltung kommen.“ Zudem sieht die Stellungnahme die Gefahr, dass die – teils noch in der Zukunft liegende – Rollenzuschreibung für Bibliotheken zu einer nicht gewollten Verschiebung in der grundsätzlichen Aufgabenverteilung kommunaler Kultureinrichtungen führen könnte.
- Stellungnahme 17/1667 | Prof. Dr. Eric Steinhauer Fernuni Hagen MMST17-1667 Steinhauer thematisiert die seit vielen Jahren zu beobachtende Untätigkeit des Arbeitszeitgesetzgebers im Bund und konstatiert, dass Nordrhein-Westfalen vor dem Hintergrund der ihm zustehenden Kulturhoheit seiner verfassungsmäßigen Verantwortung gerecht wird, einen zeitgemäßen normativen Rahmen für die Kultureinrichtungen im Land zu schaffen, der durch die Erweiterung der Funktionsbeschreibung Öffentlicher Bibliotheken im Kulturfördergesetz noch unterstrichen wird. Zudem führt er aus, dass die gesetzgeberische Maßnahme so zu verstehen sei, dass nicht jede Form von Erwerbsarbeit in der Bibliothek gestattet wird, sondern nur Tätigkeiten im Benutzungsbereich.
- Stellungnahme 17/1673 | ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft - Landesbezirk Nordrhein-Westfalen 28.06.2019 MMST17-1673 ver.di positioniert sich eindeutig dagegen, die Sonntagsruhe der Beschäftigten zur Disposition zu stellen: „Die Erweiterung der Öffnungszeiten kann kurzfristig nicht durch zusätzliches Fachpersonal kompensiert werden. [...] Ohne Not soll den Beschäftigten ihr Anspruch auf einen arbeitsfreien Sonntag streitig gemacht werden. Das ist in einer Zeit, in der Druck und psychische Erkrankungen in der Arbeitswelt auf dem Vormarsch sind, völlig kontraproduktiv.“ Die Entstehung eines Bibliotheksstärkungsgesetzes, insbesondere die Erfassung des sich stetig verbreiternden Spektrums der bibliothekarischen Tätigkeiten und die in Aussicht gestellten Landesmittel werden grundsätzlich begrüßt, allerdings nenne das Gesetz kaum Rahmenbedingungen, welche die Attraktivität und Leistungskraft der Bibliotheken konkret landesweit verbessern könnten.
- Stellungnahme 17/1694 | Stadtbibliothek Mönchengladbach 04.07.2019 MMST17-1694 Diese mit differenzierteste Stellungnahme nimmt Bezug auf die Erfahrungen mit der „Interkulturellen Familienbibliothek“, die seit Ende 2011 in Mönchengladbach-Rheydt regelmäßig am Sonntagnachmittag ihre Türen öffnet. Die Stellungnahme begrüßt die besondere Bedeutung, die im Gesetzentwurf der kompetenten Beratung und des fachlich kuratierten Angebotes zukommt. Der Einsatz von bibliothekarischem Fachpersonal am Sonntag sei nicht nur in diesem Kontext unverzichtbar. Sei aber - wie die Erfahrungen der langjährigen Samstagsdienste zeige - auf freiwilliger Basis personalreduziert leistbar. Zudem wird darauf verwiesen, dass Beschäftigte zunehmend Arbeit zu Sonderzeiten, wie etwa am Sonntag, als Chance sähen, sowohl im Hinblick auf flexiblere Arbeits- und Lebensplanungen als auch im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Voraussetzung dafür seien faire und zukunftsfähige Rahmenbedingungen, wie z.B. Arbeitszeitkonten und Lebensarbeitszeitmodelle. Zudem erlaubt sich die Stellungnahme den Hinweis, dass Öffentliche Bibliotheken die Informationsfreiheit im Bereich der elektronischen Medien durch die gegenwärtige rechtliche Situation nur eingeschränkt garantieren können und den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger in unserer Informationsgesellschaft nicht umfassend genügen können und fordert die Möglichkeit, grundsätzlich jedes in der EU erhältliche E-Medium zu erwerben – zum Zeitpunkt des Erscheinens und zu fairen Bedingungen – und zur Nutzung zur Verfügung stellen zu können.
Ein breites, aber nicht unkritisches Bild, welches sich in den vielfältigen Stellungnahmen aber auch in den zahlreichen bisher geführten persönlichen Diskussionen widerspiegelt.
Am 5. August 2019 hat nun die erste Diskussionsrunde des BIB im Rahmen seiner Sommertour zum Bibliotheksstärkungsgesetz in Krefeld stattgefunden, und mit 15 Kolleginnen und Kollegen wurde kritisch-konstruktiv diskutiert. Die wesentlichen Ergebnisse aus dieser Diskussion ergeben folgendes Bild, in erster Linie gilt es:
- die Rahmenbedingungen für gut ausgestattete Öffentliche Bibliotheken landesweit so zu schaffen, dass die dort beschriebenen Funktionen unabhängig von den sehr heterogenen Finanzsituationen der doch oft sehr prekären Kommunen und auch unabhängig von einer möglichen Sonntagsöffnung erfüllt werden können.
- Bibliotheken in unterschiedlicher Größenordnung in NRW zu finden, die Interesse an einer mit Fachpersonal durchgeführten Sonntagsöffnung hätten, um zu durchdenken, welche Rahmenbedingungen, welcher Ressourcenbedarf und welche mögliche Dienstvereinbarungs-Regelungen notwendig wären. Die bisherigen Diskussionen haben gezeigt, dass die Situationen in einzelnen Bibliotheken so unterschiedlich sind, dass wir hier auch bzgl. Förderprogrammen nicht eine simple Faktorisierung von Ressourcen erstellen können, und auch Bibliotheken unterstützt werden können, die weder Zeit noch Ressourcen haben, um die doch oft wirklich ‚verkopften’ Förderanträge auszufüllen.
- dass wir einheitlich der Meinung sind (unabhängig zur persönlichen Position zu Sonntagsöffnung), dass wir eine Deprofessionalisierung bibliothekarischer Dienstleitung durch eine reine Verlagerung auf Wachpersonal, OpenLibrary und/oder Ehrenamtliche nicht unterstützen können und wollen - das können begleitende Elemente sein, nicht aber solitäre Lösungen während hoch frequentierter Besuchszeiten.
- dass wir sehr unterscheiden müssen zwischen der professionell-fachlichen Sicht auf die Diskussion („Ja, wir wollen als Bibliotheken mehr und anders öffnen und unsere Dienstleistungen auch zu anderen Zeiten anbieten ...“) und der persönlichen Meinung bzw. Situation („Wir arbeiten oft eh schon am Limit, soziales Leben muss weiterhin gewährleistet bleiben und auf Sonntagsarbeit haben wir nicht wirklich gewartet ...“). Das wird schwierig, hier gilt es, den Dialog weiter zu führen, v.a. auch mit den jeweiligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort.
- dass zwischen Bibliotheken, die in finanziell solide ausgestatteten Kommunen viel umsetzen können und solchen, die aufgrund von Haushaltssicherungskonzepten gerade mal die Routinedienstleistungen anbieten können, unterschieden werden muss: Einem besonders in NRW bereits schon existierendem Zweiklassenbibliothekssystem muss v.a. im Kontext des Bibliotheksstärkungsgesetzes gegengesteuert werden - insbesondere auch hinsichtlich der Forderungen/des Aufgabenprofils, die im Bibliotheksstärkungsgesetz festgeschrieben sind. Gerade Bibliotheken in prekären Kommunen benötigen eine überproportionale Unterstützung.
Letztendlich stehen wir - wie auch die betroffenen Bibliotheken - vor einem (nicht neuen) Dilemma:
Fachlich halten wir den Vorstoß der FDP-CDU-Fraktion für weitestgehend begrüßenswert, allerdings ist klar, dass sowohl die inhaltlichen Forderungen im Bibliotheksstärkungsgesetz wie auch die Sonntags- und Mehröffnungen für die wenigsten Bibliotheken als 'ad on' einfach so 'on top' realisiert werden können: Verweigern wollen 'wir' uns nicht, einfach so umsetzen können 'wir' vor Ort nicht.
Wie eingangs erwähnt, diskutieren Mitte September vbnw und BIB mit ausgewählten Expertinnen und Experten aus Bibliotheken, Politik und ver.di in Köln, um hier für die konkretere operative Umsetzung Lösungen zu finden. Wir werden sicher im Rahmen des BIBcamps in Köln am 15./16.November Gelegenheit haben, weiter zu informieren und auch ausführlicher zu diskutieren.
Eine Online-Diskussion, die gefordert wird, halten wir bei der Komplexität der Dinge für nicht einfach, haben aber auch noch nicht die Idee für die ‚richtige’ Plattform. Konkrete Vorschläge nehmen wir gerne an!
Derweil möchten wir Sie erneut – ob BIB-Mitglied oder nicht – einladen, an einer der beiden verbleibenden Diskussionsrunden teilzunehmen:
- UB Münster | Regierungsbezirk Münster August, 16.30 bis 19.00h Moderation: Tom Becker, BIB Bundesvorstand
- Stadtbibliothek Bonn | Regierungsbezirk Köln September, 16.30 bis 19.00h Moderation: Tom Becker, BIB Bundesvorstand und Maik Schild-Steiniger, BIB Landesvorstand NRW
Um Anmeldung wird gebeten unter https://terminplaner4.dfn.de/A2sWI3KoRdJchkqi.
Bei weiteren Fragen und für weitere Gesprächen sind wir im Bundesvorstand und auch in der BIB-Landesgruppe NRW jederzeit für Sie ansprechbar!
Gastbeitrag des BIB-Bundesvorstandsmitglieds Tom Becker | 9. August 2019
Anmerkung:
Der Autor hat sich seit mehreren Jahren klar zur Änderung des Bundesarbeitszeitgesetzes positioniert und unterstützt nachdrücklich die Möglichkeit zur Sonntagsöffnung in Öffentlichen Bibliotheken, nicht nur in NRW.