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Heiter-gescheiter Scheitern in »Fuck-Up-Veranstaltungen«

Wie gehen wir im Arbeitsalltag mit Fehlern um und welche Lehren ziehen wir aus dem Scheitern? Eine kleine Reflexion zur Eventisierung von Fehlerkultur.
Wie kann man eine positive Fehlerkultur etablieren, die mehr ist als nur reine Rhetorik? Sogenannte Fuck-Up-Veranstaltungen könnten ein Weg sein. Foto: Brett Jordan - pexels.com

 

»Wir möchten zur Gestaltung des Wandels fehlerfreundlicher werden«, solche Sätze hören wir heutzutage in vielen Organisationen – doch ernten wir damit mittlerweile höchstens ein müdes Lächeln. Fehlermachen gilt entweder als eher rhetorische Floskel, mit der man seine Glaubwürdigkeit riskiert. Oder aber es wird einem vorgeworfen, leichtfertige Risiken auf Kosten anderer einzugehen, zum Beispiel wenn im Sinne agilerer Projektstrukturen Dinge noch nicht ganz bis zu Ende festgezurrt sind. Fehltritte über die eigene Organisationseinheit zu kommunizieren erleben wir jedenfalls als Rarität – insbesondere, wenn es darum geht, Fehler anzuerkennen um daraus zu lernen und sich selbst entsprechend zu verändern.

Offenbar hat das Reden über eine sogenannte »Fehlerkultur« nach unserem Eindruck einen eigentümlichen Selbstzweck bekommen. In unserem behördlichen Alltag in einer großen Kommune merken wir häufig, dass bei uns diese Fehlerfreundlichkeit stark – fast schon symptomatisch – als Selbstverpflichtung und kollektive Willensbekundung vor uns hergeschoben wird, in vielen Grundsatzpapieren auftaucht, aber in der Praxis wenig erfahrbar ist.

Mit der Idee der Fuck-Up-Events oder des – wie wir es nun nennen – heiter-gescheiteren Scheiterns versuchen wir, diese Lücke zwischen deklaratorischer Anforderung und alltäglicher Umsetzung zu schließen und kreieren damit einen Reflexionsraum in unserer Behörde. Der Artikel skizziert im Folgenden die Grundidee der Fuck-Up-Formate insbesondere vor unserem kommunalen Kontext, zeigt Erfolgsfaktoren für eine gelungene Umsetzung auf und gibt Denkanstöße, wie »heiter Scheitern« auch anderenorts gut umgesetzt werden kann.

Fuck-Up-Events in einer Behörde: Aus dem Frust geboren

Die Grundidee des Fuck-Up-Events stammt der Legende nach aus dem Jahr 2012: Eine Gruppe von mexikanischen Angestellten traf sich regelmäßig nach der Arbeit, um bei einem Bierchen über besonders bedauernswerte eigene Fehler zu sinnieren und sich gegenseitig ein bisschen zu coachen oder zu empowern. Seitdem hat das Format an Beliebtheit gewonnen und ist vielfach – auch modifiziert – eingesetzt worden. Die positiven Erfahrungsberichte – die eher mündlich und in grauer Literatur weitergegeben werden – haben uns ermutigt, das Format auch in Hannover einzusetzen. Bei der Landeshauptstadt – einer über 11.000-köpfigen Behörde – haben wir Fuck-Up-Events aus vielerlei Gründen ausprobiert: Insgesamt wollten wir schon längst agiler arbeiten, also schrittweise und teilweise experimenteller sein im Entwickeln neuer Services. Dabei sollte der informelle Charakter der Grundidee verbunden werden mit dem konstruktiven Austausch über Dinge, die schiefgelaufen sind. Dies sollte institutionalisiert in der Arbeitszeit stattfinden und wurde angeregt durch die Sachgebiete Personal- und Organisationsentwicklung.

Den konkreten Anlass für das erste (gezwungenermaßen online stattfindende) Format gaben Rückmeldungen von Führungskräften Mitte des Jahres 2020. Nach einem guten halben Jahr Pandemie hatten viele »die Schnauze voll« von Personalverantwortung unter Corona-Bedingungen. Den Menschen fehlten Rückkopplungen untereinander und Möglichkeiten zum »Dampfablassen«. Nach dem waghalsigen kollektiven Großexperiment, viele Menschen von heute auf morgen ins Homeoffice zu katapultieren, verlangte es vielen Führungskräften nach Formaten des quasi öffentlichen Lernens. 

Im ersten kleinen Versuchs-Fuck-Up erzählten sechs Teilnehmende einer Führungskräfte-Qualifizierung von ihren schlimmsten Fehltritten und bekamen dafür von den anderen Anerkennung und Feedback. Es folgten zwei weitere Tests (einer im Rahmen eines regelmäßigen Talk-Nachmittags zu Führungsthemen und ein weiterer in einem Theater im Rahmen einer agilen Woche), bis wir uns vor Ort in der Stadtbibliothek schließlich auf eine Bühne trauten vor circa 40 Gästen und mit drei Fallgeberinnen und Fallgebern. Angekündigt haben wir das Ziel des Events mit »ungeschminktem Austauschen, Anerkennen, Schulterklopfen, Lernen«. Der Ablauf ist in Abbildung 1 dargestellt.

Bei den einzelnen Fuck-Ups ist es wichtig, dass die Schilderung kurz ist und die Fallgeber/-innen Applaus und positive Bestätigung bekommen. Einem Selbstfeedback (was habe ich gelernt?) folgt ein Feedback durch die Zuschauenden (Was geben wir Dir als Feedback mit?). Nach einer knappen, eher schlagzeilenhaften Zusammenfassung des Falls seitens der Moderatorinnen und Moderatoren geht es über einen Abschieds-Applaus für die Fallgeber/-in zum nächsten Thema. Mit dem anschließenden optionalen »Murmeln« ist ein Austausch in Dreier-Gruppen gemeint: Welchen Fall könnte ich einbringen? Was ist mir selbst passiert? Diese Murmel-Option eignet sich auch als Lückenfüller, wenn es zum Beispiel keine/-n dritte/-n spontane/-n Fallgeber/-in gibt.

Abgewandelt haben wir diese ursprüngliche Methode, indem wir die Fallgeber/-innen bitten, einen Gegenstand mitzubringen, der ihr Desaster illustriert. Damit können wir den Spannungsbogen noch besser halten. Von den Fallgeberinnen und Fallgebern wurden folgende Themen eingebracht: eine völlig an der Nachfrage vorbei geplante Großveranstaltung, ein nicht enden wollender Rettungsversuch einer Führungskraft in einer schwierigen Personalie und eine durchgängig falsche peinliche Wortverwendung. Diese kleinen, mittleren und größeren Geschichten des Scheiterns regten das Publikum enorm an, darüber nachzudenken, wie es dazu kommen konnte, wie man es in Zukunft anders angehen könne, aber auch, warum man manchmal mit sich so hart ins Gericht geht – und auch deswegen in Fehler tappt. 

Motivation und Erfolgskriterien des gescheiter Scheiterns: Je belehrungsfreier umso besser

Wie erklären wir uns nun die Nachfrage zu den Veranstaltungen und was sind Erfolgskriterien, wenn wir diese fortführen? Worauf empfehlen wir Ihnen zu achten bei der Implementierung ähnlicher Formate?

 

a) Motivation der Fallgeber/-innen

Erstaunlicherweise war es nicht schwer, Fallgeber/-innen zu finden. Wir haben uns an Personen gewandt, die wir in Sitzungen oder Seminaren als »open-minded« kennengelernt haben. Oft war die Reaktion »dazu wollte ich eigentlich immer schon mal was machen, das kommt mir jetzt genau richtig!« oder »so einen Ansatz muss man einfach unterstützen, ich werde auf jeden Fall was bei mir finden«

Wichtig bleibt, dass die Moderation des Fuck-Ups im Vorfeld sicherstellt, wen sie als Fallgeber/-in auswählt und sich im Gespräch rückversichert, ob ein Fall – unabhängig von der Motivation des Einzelnen – auch für das Format geeignet ist. Das ist nicht immer möglich – oftmals bietet es sich an, vor Ort einen Fallgebenden aus dem Publikum zu gewinnen.1

Die Teilnahme von Führungskräften ist wichtig, um glaubhaft zu zeigen, dass Organisationskultur sich weniger durch verschriftlichte Konzepte und laute Appelle verändert, sondern ein Wandel auch durch Vorbildfunktionen vorgelebt werden muss. So konnten ein Fachbereichsleiter und der Vorsitzende des Gesamtpersonalrats gewonnen werden. Dies motiviert weitere Vertreter/-innen aus der Stadtspitze. 

Dennoch haben wir noch »Luft nach oben«: Immer noch fehlt es in der Breite an Beschäftigten, die bereit sind, sich mit ihren Misserfolgen zu exponieren. Manche äußerten auch Hemmungen, ihre Scheiter-Geschichte zu erzählen, weil sie sich noch in der Probezeit befinden – die Angst, für Fehler »bestraft« zu werden, sitzt vielerorts noch zu tief.

 

b) Motivation der zuhörenden Gäste

Wir haben die Motivation der Gäste nicht systematisch erhoben und können daher nur die häufigsten O-Töne im Feedback wiedergeben. Allein schon der Ausdruck Fuck-Up hat die Veranstaltung zu einem Publikumsmagneten gemacht, weil es Neugierde geweckt hat, indem es komplett aus der Behördensprache ausbrach. »So was brauchen wir hier viel öfter!«, war ein häufiges Lob, gefolgt von Missmut über die Verwendung von »Gossensprache« – ein Moment der Irritation, den wir bewusst schaffen. Viele kamen offenbar auch aus der Sehnsucht nach einer Fehlerkultur und aus einer Suche nach einer Alternative zum häufigen Lästern darüber, was wieder alles nicht geklappt hat. Manche kamen einfach aus einem kathartischen Impuls heraus, um die Schwere des Alltags abzuschütteln.

Gemeinsames Lachen tut ungeheuer gut, dadurch entstehen Verbundenheit und Vertrautheit. Der (methodisch gestützte) Austausch über Scheitern in lockerer, aber institutionalisierter Atmosphäre bietet offenbar einen bedeutsamen sozialen Kitt und sichert die Leistungsbereitschaft. Es geht hierbei um den von Amy Edmondson Ende der 90er-Jahre als »psychologische Sicherheit« formulierten Erfolgsfaktor für eine gute Organisationskultur: Je offener und damit besser ich über meine Fehler reden darf, um so (krisen-)sicherer fühle ich mich.2 Diese Einsicht ist also nicht neu, umso schöner war das Feedback von einigen Teilnehmenden: »Egal was das bringt, ich will das auch in unserem Fachbereich haben, alleine, um ein Zeichen zu setzen!« Und genau um dieses konkrete organisationale Lernen geht es uns.

 

c) Erfolgskriterien

Folgende Aspekte, die zum Erfolg der Veranstaltung beigetragen haben, können aus unserer Sicht nicht oft genug betont werden:

Im methodischen Setting sollte sorgsam gewährleistet werden, dass in einem geschützten Rahmen agiert wird, vor allem für die Fallgeber/-innen. Wichtig ist, dass jede/-r Fallgeber/-in respektvoll anmoderiert wird, dass es Applaus gibt, selbst oder erst recht in eher empfindsamen Phasen. Das kollegiale Feedback durch die Zuhörer/-innen sollte von der Moderation gut strukturiert, zusammengefasst und honoriert werden. Je spürbarer wird, dass wir uns hier in einer nahezu belehrungsfreien Zone befinden und es ums kollektive Lernen geht, desto erfolgreicher ist die Veranstaltung. Kaffee, Wasser und was Süßes für Zwischendurch unterstützen ein solches Setting sehr.

Die zentrale Rolle der Moderation ist bereits betont worden – sie ist entscheidend für ein erfolgreiches Setting, modifiziert situativ den Ablauf und achtet darauf, dass stets das positive »Learning« am Ende steht. Die Moderation sorgt für frischen kommunikativen Wind im Event, steht dabei den Fallgeber/-innen zur Seite und bildet das verbindende Scharnier zwischen Publikum und Fallgeber/-innen. 

Sowohl bei der Ankündigung vorab als auch vor Ort sollte immer wieder das organisationale Lernen als Zweck der Veranstaltung betont werden. Dies dient nicht nur dem »standing« der Veranstalter/-innen und der Fallgeber/-innen, sondern vor allem auch der zuhörenden Gäste, die immerhin während der Dienstzeit teilnehmen und sich manchmal auch irritierende Kommentare von Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzten anhören mussten. Die Moderation sollte wachsam darauf bedacht sein, dass ein Lernen über Selbstreflexion und kollegiales Feedback im Fokus steht. 

Reden über Fehler ist ein sensibles und ein sehr weites Thema. Erwartungen an die eigene Perfektion spielen eine große Rolle, diese gilt es (»spielerisch« im Setting) zu minimieren beziehungsweise in einen realistischen Rahmen zu setzen. Hohe Zuschreibungen von außen an ein Leistungspensum, das immer qualitativ hochwertig zu sein hat und in dem (immer noch) Fehler als unnötiger, hinderlicher Sand im Getriebe gesehen werden, sollten thematisiert werden. In den Events geht es ja gerade auch um das Anerkennen von Grenzen des Machbaren, von systemischen aber auch von individuellen Grenzen, die ausgesprochen werden sollten. Hier ist es sehr zu empfehlen, dass man zu zweit moderiert. So kann immer eine/-r in die beobachtende Perspektive gehen, und aus dieser heraus Reaktionen aus der Gruppe anders wahrnehmen beziehungsweise einbauen.

Durch ein Timeboxing sollte gewährleistet werden, dass die Fallgeber/-innen einen begrenzten Zeitkorridor zur Verfügung bekommen, der vorab angekündigt und durch die Moderatorinnen und Moderatoren eingehalten wird. So kann der Spannungsbogen gehalten und Fallgeber/-innen davor geschützt werden, sich zu verlieren. Diese Gefahr ist nicht zu unterschätzen, weil es den Leuten wirklich um etwas sehr Wichtiges geht.

Gut gewählte Orte, die dem Charakter des Formats entsprechen: Fuck-Up ist ein erfrischendes Format, das aus der Reihe des gewöhnlichen Verwaltungsalltags tanzt. Entsprechend bieten sich Räume an, die Nähe zulassen und eine kreative Arbeitsumgebung ermöglichen. Ein Fuck-Up in einer riesigen Turnhalle oder einem zugeknöpften und viel zu großen Konferenzraum würden der Veranstaltung nicht gut zu Gesicht stehen. Ausgefallene Orte gibt es in allen Stadtverwaltungen zur Genüge, gegebenenfalls bietet es sich an, eben diese zweckzuentfremden. Zum Beispiel könnte ein Fuck-Up in einem leeren Schwimmbecken, in der Stadtbibliothek zwischen den Bücherregalen oder aber auf dem Betriebshof des Tiefbaus stattfinden – sprich überall, wo der innovative Charakter unterstützt wird und das Event passend »inszeniert« werden kann.

 

d) Fortführung der Veranstaltung und Lessons Learned

Auch wir als Veranstalter/-innen haben gelernt. Wir werden das Format fortsetzen, allerdings mit einem veränderten Titel: »gescheiter Scheitern«. Der Spaß an dem Event, das Zwanglose soll bleiben, »heiter« rückt aber aus dem Vordergrund. Mit der zurückliegenden Veranstaltung in der Stadtbibliothek Hannover haben wir zudem eine weitere Methoden-Variation entwickelt: Wir setzen das Format zu unterschiedlichen Tageszeiten fort, mal am Nachmittag, mal als Frühstück und geplant ist nun auch ein Fuck-Up-Lunch. 

Zum anderen wechseln wir die Standorte und machen einen städtischen Wanderzirkus zur Methode. Dies ermöglicht uns, bei 27 Fachbereichen, zu ermutigen, dass jeder mal dran ist, offen über Fehler zu sprechen. Ein wichtiges Feedback aus dem letzten Event ist der Wunsch nach mehr Zeit zum Austausch in kleinen Runden. So können Ansätze aus »gescheiter Scheitern« besser in den Arbeitsalltag integriert werden, in Teamsitzungen, Projektreviews, Mitarbeiter/-innengesprächen. Erst wenn neben dem Event-Format der Transfer in die Organisationsroutinen gelingt, ist der anfangs angesprochene Gap zwischen Anspruch und Wirklichkeit gemindert. Aber bis dahin werden wohl noch einige Fuck-up-Events stattfinden dürfen…

Resümee: Die Imitation einer besseren Welt

Resümierend möchten wir noch einmal über die hier beschriebene Eventisierung von Fehlerkultur nachdenken. Einerseits haben wir den Eindruck, mit den Fuck-Up-Events zu einer verbesserten Unternehmenskultur beizutragen. Andererseits beschleicht uns der Gedanke, dass wir durch die Eventisierung des Lernens aus Fehlern genau das Gegenteil erreichen: Inszenieren wir Fehlerkultur nicht nur punktuell, statt sie in der alltäglichen Praxis zu kultivieren? Betreiben wir lediglich unterhaltsames Business-Theater oder kommt da auch was ins »doing«, wie man heute sagt? 

Dieses Dilemma gut gemeinter Veränderung hat der schwedische Ökonom Nils Brunsson ganz wertfrei als »Die Organisation der Scheinheiligkeit« beschrieben: Organisationales Handeln wird durch Reden legitimiert, statt durch Praxis. Dieses »talk« statt »act« ist der Versuch, komplexen (Außen-)Anforderungen an eine Organisation gerecht zu werden – mit der Betonung auf »Versuch« und ohne Urteil über dessen Erfolgswahrscheinlichkeit. Wir haben es also mit einem gesellschaftlich notwendigen Symbol-Handeln zu tun. Aber hat nicht gerade dieses symbolhafte Inszenieren oder Eventisieren von Tugenden wie Fehlerfreundlichkeit etwas konkret Wohltuendes? Schafft es nicht eine spielerische Leichtigkeit innerhalb eines fundierten methodischen Settings, sowohl für den oder die Einzelnen aber auch für das betriebliche Kollektiv, an denen es uns im behördlichen Alltag sonst oft fehlt? 

»Let’s just imitate the real, until we find a better one«3: Solange wir keine Lösung für unsere Probleme finden, wiederholen wir in unterschiedlichen Kontexten und Methoden-Variationen, wie die Welt besser sein könnte. »Heiter und gescheiter scheitern« ist somit nichts anderes als ein Prototyping in eigener Sache, auf dem holprigen Weg zur agilen und lernenden Organisation.

Mit unserem Erfahrungsbericht möchten wir dazu ermutigen, Fuck-Up-Events selbst auszuprobieren. Zur Erhöhung des organisationalen Lernens und der Fehlerkultur sind sie allerdings nur ein Baustein aktueller Change-Prozesse im Kontext von New Work, Future Skills, Agilität und damit zusammenhängenden neuen Führungskonzepten. Unsere Erfahrungen mit den Fuck-Up-Events geben Aufschluss darüber, welche Bedeutung heiter-gescheiteres Scheitern für Transformationsprozesse haben kann. Wir haben versucht, die Ambivalenzen des Themas zu benennen. Viele Kolleginnen und Kollegen befinden sich in einer kollektiven Anpassungsstörung zu neuen Arbeitsformen. Wir wissen, dass wir anders arbeiten müssen, manche von uns sehnen sich nach einem anderen Arbeiten. Vielfach schaffen wir es aber (noch) nicht, aus überkommenen Strukturen mit Stechuhren und kleinteiligen Dienstanweisungen auszubrechen. Mit alten Denkweisen, Haltungen und Methoden eine neue Arbeitswelt erschaffen, geht das? Sicherlich nicht im Hauruck-Verfahren, sicher auch nicht, indem wir Veränderungen ausweichen oder sie prokrastinieren. 

Fuck-up – gescheiter Scheitern –, so unser Fazit, trägt seinen Teil als »eventisiertes Empowerment« im Kleinen zu einem »ehrlichen« Change in der Verwaltung erfolgreich bei. Sind Sie neugierig geworden und möchten das Format auch mal ausprobieren? Dann gilt: »Nicht lästern, nicht jammern, versuchen, das Positive hinter allem erkennen. Los, geben Sie sich einen Ruck. Es kann ja nicht mehr als schiefgehen!«
 

Literatur

Brunsson, Nils (1989): The Organization of Hypocrisy: Talk, Decisions and Actions in Organizations. Hoboken: John Wiley & Sons.

Busch, Christian (2020): The Serendipity Mindset: The Art and Science of Creating Good Luck, Penguin Random House Ltd.

Edmondson, Amy C. (1999): Psychological Safety and Learning Behavior in Work Teams, Administrative Science Quarterly, Vol. 44, No. 2 (Jun., 1999), pp. 350-383 Published by: Sage Publications, Inc. on behalf of the Johnson Graduate School of Management, Cornell University.

Edmondson, Amy C., & Lei, Zhike (2014): Psychological safety: The history, renaissance, and future of an interpersonal construct. Annual Review of Organizational Psychology and Organizational Behavior. 1(1), pp. 23-43.

Edmondson, Amy C. (2020): Die angstfreie Organisation: Wie Sie psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz für mehr Entwicklung, Lernen und Innovation schaffen, Vahlen.

Sun, Tianjun, Schilpzand, Pauline, Liu, Yihao (2022): Workplace Gossip: An Integrative Review of its Antecedents, Functions, and Consequences, Journal of Organizational Behavior.

The Notwist (2008): Good lies. Song veröffentlicht auf dem Album The Devil, You + Me.

1 Auch hier haben wir ein positives Beispiel einer spontanen Schilderung: Ein Fallgeber hatte ein ganzes Haus bis auf den letzten Zentimeter vermessen und stellte am Abend fest, dass er das Nachbarhaus hätte vermessen sollen. Über diese Schmach und die »kollegiale Häme« hinwegzukommen, war sein großes »Learning«.
2 Es existieren eine Reihe von Studien zur Funktion des Lästerns in Organisationen, vgl. u.a. Sun 2022, Edmondson et al 2014 und Busch 2020: 250; 265.
3 The Notwist (2008)

Seit September 2021 leitet Prof. Dr. Tom Becker (Foto: Stadtbibliothek Hannover) die Stadtbibliothek Hannover, nachdem er zehn Jahre lang an der TH Köln eine Professur inne hatte. Vorherige Stationen in München und Mannheim bei den dortigen Öffentlichen Bibliotheken haben ihn ebenso geprägt wie jahrelanges parteipolitisches Engagement auf kommunal- und bundespolitischer Ebene sowie seine Funktionen im Berufsverband Information Bibliothek (BIB).

Dr. Christine Schwarz (Foto: Patricia Kühfuss) ist Soziologin und Führungskräfte-Coach. Wer viele Häfen anläuft, setzt gut haltende Anker: Deswegen tourt Christine seit bald 30 Jahren durch viele Organisationstypen wie Hochschulen, Unternehmen, Krankenhäuser, soziale Bewegungen, Parteien und Behörden. Im Moment gefällt es ihr am besten als Coach bei der Landeshauptstadt Hannover sowie freiberuflich als Moderatorin für Großgruppen-Kommunikation, vor allem zu (umwelt-)politischen Konflikten.

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