Das Thema »Nachhaltigkeit« gehört in jedes Ausbildungsjahr

Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind in der dualen Ausbildung kein Add-on, sondern dringende Notwendigkeit.
FaMI-Workshop zu Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) und Grüne Bibliothek im August 2023 in der Zentralbibliothek der Freien Universität Berlin. Foto: Janet Wagner

Die duale Ausbildung zur/zum Fachangestellte/n für Medien- und Informationsdienste (FaMI) in der Fachrichtung Bibliothek hat einen nicht sehr zugänglichen Wortklang. Mit dieser Berufsbezeichnung erhalten viele junge Menschen keine konkrete Vorstellung über den Beruf des »FaMI«. Ein oft erlebter »Klassiker« ist der Werdegang, wenn junge Menschen ein (Schul-)Praktikum in einer Bibliothek absolvieren und dadurch die Möglichkeiten der Ausbildung und des Berufes kennenlernen. Der Ort Bibliothek wird dabei eng mit den Merkmalen sozial, inklusiv, offen, tolerant, konsumfrei, vielfältig und niedrigschwellig wahrgenommen. Diese Wahrnehmung hilft sicherlich bei der Entscheidungsfindung, ob sich Menschen für einen Beruf in einer Bibliothek entscheiden. Den Ausbildungsberuf des FaMI gibt es seit 1998, dringende Anpassungen in der Ausbildungsordnung werden seit Jahren gefordert und sind längst überfällig. Zeit zu handeln ist jetzt und nicht erst in fünf Jahren. Nachhaltigkeitsthemen gehören fest verankert in die FaMI-Ausbildung.

Doch wie steht es um die Ausbildungsinhalte und die gezielte Vermittlung von Lehrinhalten zu den Themenfeldern Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Bildung für nachhaltige Entwicklung, zukunftsfähiges Handeln? Jede Ausbildung sollte Auszubildende auf die Herausforderungen der nahen Zukunft vorbereiten: innerhalb der planetaren Grenzen für sich und folgende Generationen nachhaltig handeln und vorrangig über Lösungen sprechen, sodass es gelingen kann, ein gutes Leben für alle zu ermöglichen.

Zunächst die gute Nachricht: Auf der BiblioCon 2024 in Hamburg wurde verkündet, dass in der kommenden Neuordnung der Ausbildungsverordnung für die FaMI-Ausbildung Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten in den Bereichen »Nachhaltigkeit und Umweltschutz« vermittelt werden müssen. So steht es aktuell im Eckwertepapier der Neuordnung, die 2026 final in Kraft treten soll.1 

Vielen Ausbilderinnen und Ausbildern in Bibliotheken ist längst bewusst, dass Lern- und Lehrinhalte in der praktischen Ausbildung nah an die Entwicklungen der jetzigen Zeit angepasst werden müssen. Ob Wissenschaftliche, Öffentliche oder Spezialbibliothek: »Grüne Bibliothek«2 – wofür steht dieser Begriff und welche Handlungsszenarien verbinden sich damit? Dies sollte zwingend von Beginn jeden Ausbildungsjahrgangs nicht nur in einem Fachgespräch thematisiert werden, sondern sich in jedem Ausbildungsjahr wiederfinden.

Lösungen sind besser! »Geht nicht« war gestern!

Für die Ausbildung sollte folgendes Credo gelten: Nutzen Sie als Ausbildungsverantwortliche das implizite Wissen, die Neigungen, Erfahrungen und Interessen der Auszubildenden in Bezug auf die gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit! Es bedarf sehr oft nicht mehr der Benennung von Problemlagen (davon haben wir alle genug gehört), meist werden diese von Auszubildenden selbst erkannt.

Nutzen Sie den frischen Blick der neuen Kolleginnen und Kollegen auf den Arbeitsalltag im Bibliotheksteam, die konkreten Fragestellungen an die Auszubildenden könnten sein:

  • Wo wird nachhaltiges Arbeiten für dich sichtbar? Wo wird es nicht sichtbar?

  • Wo siehst du Möglichkeiten, Ressourcen zu schonen, das Team zu sensibilisieren, nachhaltiges Handeln auf anderem Weg umzusetzen, als es bisher erfolgt? (In Neuem liegen oft Chancen!)

  • Welches Verständnis für eine nachhaltige Bibliothek lernst du kenne, wenn du in den einzelnen Abteilungen bist?

  • Von welchen anderen Bildungseinrichtungen kann die Ausbildungsbibliothek etwas in punkto Nachhaltigkeit lernen?

  • Checkliste »Merkmale einer grünen Bibliothek«: Wo stimmt unser Handeln? Wo müssen wir nachsteuern? Welche Optionen gibt es aus deiner Sicht?

  • Was schreibst du auf die »Nachhaltigkeitsagenda« deiner Ausbildungsbibliothek?

Und dann? Die Beobachtungen und Antworten sind der Anfang für das Lernfeld »Nachhaltigkeit & Umweltschutz«. Anschließende Fachgespräche über die Ergebnisse der Beobachtungen und im praktischen Ausbildungsplan festgelegte Zeiträume ermöglichen Handlungsszenarien, die Veränderungen hervorrufen können. Jahrgangsübergreifend ist denkbar, dass Ausbildungsjahrgänge zusammen ein Nachhaltigkeitsprojekt verwirklichen. Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)3 steht für Gestaltungs- und Handlungskompetenzen: (Problem-) Bewusstsein, intrinsische Motivation und Emotionalität spielen bei der Umsetzung eine große Rolle.

Ausbilder/-innen brauchen Offenheit, Vertrauen und Mut, bereits im ersten Ausbildungsjahr mit den Beobachtungen und Lösungsideen der Auszubildenden zu arbeiten und ihnen die notwendigen Voraussetzungen zu geben: Zeit, personelle Ressourcen und die angemessene Portion Eigenständigkeit und Verantwortungsbewusstsein. Projektbasiertes Arbeiten bringen die Auszubildenden aus der Schuldbildung mit, im besten Fall wird BNE zudem in der Berufsschule vermittelt. Mit kleinen ersten Projektideen und dem Leitsatz »Nachhaltig ist, alles nicht Nachhaltige zu betrachten« soll mehr herauskommen als ein Buch »Upcycling-Workshop mit Kindern« oder eine einmalige Unterweisung über die Mülltrennung in der Bibliothek. BNE in die duale FaMI-Ausbildung zu übertragen ist eine Herausforderung, denn nachhaltigkeitsorientiertes Handeln erfordert Zusammenhänge zu erkennen, zu reflektieren und dauerhafte Veränderungen zu ermöglichen, die einen Beitrag für eine zukunftsfähige und gute Umwelt für alle leisten.

Ermöglichen, erleben und sich gemeinsam für Veränderungen engagieren

Seien Sie als Ausbilder/-innen in Bibliotheken mutig, neugierig und offen. Nehmen Sie sich die Spielräume für neue Methoden, Projektzeiträume und hören Sie den Auszubildenden zu, wo es nicht-nachhaltige Prozesse und Abläufe gibt. BNE soll befähigen, nicht diktieren. Sie müssen dafür kein ausgeprägtes BNE-Studium haben. Bei einer wirksamen Beteiligung des Berufsnachwuchses und entsprechendem Freiraum für Ideen und Umsetzung kann ein dynamisches Aktionsfeld für nachhaltiges Handeln entstehen, dem nicht viel Theorie vorausgehen muss.

Das eigene Entdecken und Experimentieren, die Realisierung eigener Projekte für Umwelt- und Klimaschutz zusammen mit dem Bibliotheksteam oder mit mehreren Auszubildenden entspricht dem Leitbild von BNE. Fangen Sie damit bereits in der Willkommenswoche an!

Es gibt unzählige Publikationen, Quellen und Handlungsleitfäden zum Thema »Bildung für nachhaltige Entwicklung«. Sehr praxisorientiert ist die Handreichung »Einführung von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) im öffentlichen Bibliothekswesen in Sachsen«4, herausgegeben von der Sächsischen Landesfachstelle für Bibliotheken und dem Verein »arche noVa«. Neben vielen Best-Practice-Beispielen lässt sich gut erfassen, wie BNE in und durch Bibliotheken gelingen kann.

 

1 Vgl. dazu Vortrag auf der BiblioCon2024 »Warum dauert das eigentlich so lange? FaMI: Neuordung des Berufsbildes«, verfügbar hier.

2 Die Sektion »ENSULIB« definierte 2022 Merkmale zum Begriff »Grüne Bibliothek«, verfügbar hier.

3 Im weiteren Verlauf wird diese Abkürzung verwendet.

4 https://arche-nova.org/sites/default/files/content/dokumente/BNE_Bibos_Materlsmmlg_arche_noVa.pdf

 

Janet Wagner ist seit 2013 Bibliotheksbeschäftigte an der Philologischen Bibliothek der Freien Universität Berlin, zurzeit arbeitet sie als interne Koordinatorin zwischen Stabsstelle Nachhaltigkeit der FU und den FU-Bibliotheken. Seit 2018 Gründungsmitglied und Co-Vorsitzende im »Netzwerk Grüne Bibliothek«; seit 2019 Mitinitiatorin von »Libraries4Future«; von 2014 bis 2019 berufsbegleitendes Studium zum B.A. für Bibliotheksmanagement an der FH Potsdam; von September 2019 bis 2020 Modulbelegung im Masterstudiengang zum »Strategischen Nachhaltigkeitsmanagement« an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde; seit September 2020 berufsbegleitender Masterstudiengang »Bildung – Nachhaltigkeit – Transformation« an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde.

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