Die Arbeit der Gefangenenbüchereien findet häufig abseits der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, aber auch der bibliothekarischen Fachwelt statt. Der Vorsitzende des Fördervereins Gefangenenbüchereien und Experte mit langjähriger Erfahrung in Sachen Medienangebote für Menschen in Haft und Arrest Gerhard Peschers wendet sich deshalb mit folgendem Appell an die Fachöffentlichkeit:
Im UNESCO-Manifest Öffentliche Bibliotheken des bibliothekarischen Weltverbandes IFLA wird das Selbstverständnis der »Öffentlichen Bibliothek« als Garant für den Zugang aller Menschen zu Medien und Informationen klar ausgedrückt und damit die Mitverantwortung Öffentlicher Bibliotheken, spezielle Benutzergruppen wie Menschen im Krankenhaus oder Gefängnis durch besondere Materialien und Dienstleistungen zu beteiligen. Wo geschieht dies in der Praxis?
Der Justizvollzug ist seinerseits mit verantwortlich, Menschen in Haft und Arrest durch Bibliotheken Medien zu vermitteln. Menschen in Haft waren zuvor, sind während der Haft und nach ihrer Entlassung Bürger einer Kommune; hier bleibt eine beiderseitige Verantwortung über die abgrenzende Gefängnismauer und Zuständigkeitsdenken hinaus.
Justizvollzug ist Ländersache, Vollzugsanstalten sind in Trägerschaft der Länder. Die Landesverbände der Bibliotheken rege ich an, dieses Thema aufzugreifen und sich der Medienangebote für Menschen in Haft in Kooperation mit dem Ministerium oder Senat der Justiz des Landes anzunehmen – beispielsweise indem landesweite Dienstbesprechungen für die Bediensteten von Bibliotheken in den Justizvollzugs- und Jugendarrestanstalten angeboten werden und Bibliotheksfachkräfte sich daran beteiligen – zum Beispiel auch durch die Bibliotheksfachstellen der Länder. So ist jüngst im Kulturgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen, Paragraf 54, verankert: »Bibliotheken in Justizvollzugseinrichtungen können mit öffentlichen Bibliotheken kooperieren und dafür auch die Beratungsleistungen der Fachstelle für Öffentliche Bibliotheken in Anspruch nehmen.«
Benutzerquote von nahezu 100 Prozent
Bundesweit werden Bibliotheken im Jugendarrest von fast allen jungen Menschen im Arrest genutzt, sodass sie mit einer Benutzerquote von nahezu 100 Prozent wohl zu den meistgenutzten Bibliotheken gehören. Dies geschieht latent in geschlossenen Räumen und ist doch bemerkenswert für die Öffentlichkeit. Die für jede Kommune kaum erreichte, problematische Zielgruppe junger Menschen entdeckt im handylosen Arrest vielfach neu das Lesen und die Bedeutung einer Bücherei. So sollte jede kommunale Bibliothek und jeder Landesverband der Bibliotheken an einer Kooperation mit dem Jugendarrest interessiert sein, damit junge Menschen im Arrest anschließend den Weg zur jeweiligen Öffentlichen Bibliothek kennen sowie deren Angebot hoffentlich neu entdecken und nutzen.
Ist es zu viel verlangt, dass die kommunale Bibliothek am Ort oder in der Nähe einer Justizvollzugs- der Jugendarrestanstalt Kontakt mit der jeweiligen Anstalt aufnimmt und pflegt sowie einmal im Jahr eine gemeinsame Autorenlesung oder andere Veranstaltung auf beiden Seiten der Gefängnismauer anbietet? Dazu sei jedenfalls angeregt.
Das wäre der Anfang minimaler Kooperation zwischen Bibliotheken im Justizvollzug und Bibliotheken in kommunaler Trägerschaft und eine ausbaufähige Basis, sich künftig bei Online-Verbünden zu ergänzen, wenn vollzuglicherseits die sicherheitsrelevanten und organisatorischen Fragen geklärt sind. Die Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) Berlin praktiziert dies bereits in Kooperation mit dem Justizsenat und den Justizvollzugsanstalten.
Die in den IFLA-Richtlinien Gefängnisbibliotheken neu eingeführten Minimalstandards gehen auf die konstruktive Erfahrung in Nordrhein-Westfalen zurück, dass mangels Bibliotheksfachkräften in jeder einzelnen Anstalt (wie in den Niederlanden oder Skandinavien) wenigstens eine Bibliotheksfachkraft für eine Region vorhanden ist.