Paul Maar wurde 1937 in Schweinfurt geboren und studierte Malerei und Kunstgeschichte. Heute ist er einer der erfolgreichsten Kinder- und Jugendbuchautoren. Maar wurde unter anderem mit dem Deutschen Bücherpreis, dem Brüder-Grimm-Preis, dem Deutschen Jugendliteraturpreis sowie dem Deutschen Vorlesepreis ausgezeichnet. Sein Erstlesebuch »Der Buchstaben-Fresser« gehört zur Schulliteratur, doch vor allem ist Maar durch sein »Sams« bekannt, das erstmals in seinem Theaterstück »Der König in der Kiste« auftauchte und dann zur Hauptfigur einer elfbändigen Kinderbuchreihe wurde. Sie hat in diesem Jahr ihr 50. Jubiläum. Zum 85. Geburtstag von Paul Maar gab es im Januar 2023 eine Festveranstaltung im Hamburger Thalia-Theater, wo ihn BuB-Herausgeber Dirk Wissen zum Interview traf.
Dirk Wissen: Herr Maar, wie können Bibliotheken aus Ihrer Sicht zur Leseförderung beitragen?
Paul Maar: Bibliotheken müssen versuchen, stärker in die Öffentlichkeit zu gehen. Denn die Kinder, die sowieso in die Bibliothek gehen, um etwas auszuleihen, die lesen ja bereits alle. Und die Tatsache, dass es in fast jeder Stadt eine atmosphärisch schöne Bibliothek gibt, die viele Kinderbücher bietet, muss durch Interviews oder durch Werbung verstärkt in die Tageszeitung und andere Medien gebracht werden. Da ich in Bamberg lebe, denke ich da an die Bamberger Stadtbibliothek, die vielleicht auch mal eine Anzeige schalten sollte, nicht nur zu Veranstaltungen wie Lesungen, sondern zum Beispiel indem sie Leseempfehlungen gibt. Voraussetzung ist natürlich, dass es ihr Etat überhaupt erlaubt.
Gibt es Besonderheiten bei Lesungen in einer Bibliothek gegenüber Lesungen an anderen Orten?
Es ist natürlich erst mal etwas anderes, bei einem Literaturfestival zu lesen oder in einer Bibliothek. Und es gibt einen ganz klaren Unterschied, ob ich als Autor in eine Schulklasse komme oder ob es eine öffentliche Veranstaltung in einer Bibliothek ist. Wenn ich in einer Bibliothek bin, kann ich annehmen, dass ich Kinder bei dieser öffentlichen Lese-Veranstaltung antreffe, die das Lesen bereits gewohnt sind und bei denen ich mitten in die Geschichte einsteigen kann, indem ich eine kurze Vorgeschichte erzähle. Wenn ich dagegen in eine Klasse komme, um dort vorzulesen, ist das anders. Vor Kurzem etwa war ich in einer Turnhalle mit über 180 Schülern und habe gefragt: »Wer von euch kennt denn das Buch: ›Eine Woche voller Samstage?‹«. Da hat sich von diesen fast 200 Kindern nur ein Mädchen gemeldet und gesagt: »Das habe ich mal im Fernsehen gesehen.« Als ich dann weiter gefragt habe, welche Bücher sie denn zu Hause haben, da gab es nur ein absolutes Schweigen. Diese Kinder hatten kein einziges Buch zu Hause. Vielleicht war meine Lesung ein kleiner Anstoß, dass eines dieser Kinder doch auch mal in eine Bibliothek gehen wird, um ein Buch auszuleihen. Lesungen sind aus meiner Sicht sehr stark lesefördernd, aber mit Lesungen in den Bibliotheken erreicht man nur Kinder, die bereits lesen. Deswegen finde ich Lesungen in Schulen viel wichtiger.
Haben Sie einen Tipp zum Vorlesen – was kann man dabei genau richtig und was ganz falsch machen?
Autorinnen und Autoren sollten auf die Mienen der Zuhörer achten. Man sieht ja zum Beispiel an den Augen der Kinder, ob diese zuhören oder nicht und ob sie dem Text folgen können. Und dann sollte man immer wieder auch mal das Buch bei Seite legen und mit Blickkontakt einfach den Fortgang der Geschichte weitererzählen. Wenn man dann merkt, dass alle wieder in der Geschichte sind, kann man wieder eine kleine Passage weiterlesen. Ein Wechsel zwischen Erzählen und Vorlesen ist gut.
Wie lässt sich ansonsten bei Menschen Begeisterung erzeugen?
Begeisterung sollte man nicht erzeugen, die sollte einfach entstehen. Ich glaube, wenn man sehr persönlich ist und authentisch bleibt, also keine Rolle spielt, dann weckt man Begeisterung. Zum Beispiel bei Lesungen, wenn man dabei seinen Text nochmal mitdenkt und nicht einfach runterliest, sondern selber vom Text begeistert ist und dabei authentisch bleibt, begeistert das auch andere Menschen.
Und wenn Eltern ihren Kindern vorlesen, um sie für Bücher zu begeistern, was sollten sie beachten?
Bei Kindern kommt es immer gut an, wenn ihre Eltern damit beginnen zu erzählen, wie es war, als sie selbst Kinder waren. Kinder finden es oft unfassbar, dass ihre eigenen Eltern auch mal Kinder waren. Oft haben sich Kinder das noch gar nicht so richtig klargemacht und hören dann mit großen Ohren zu, wie ihre Mutter oder der Vater als Kind auch mal einen Fahrradunfall hatten oder etwas Ähnliches erlebt haben, wie in dem Buch, das sie gerade vorlesen. Es ist immer ein guter Anstoß fürs Vorlesen eines Buchs, wenn den Kindern etwas aus der Kindheit der Eltern erzählt wird.
Gab es in Ihrer Kindheit eine für Sie prägende Bibliothek?
Das war auf jeden Fall das Amerika-Haus in Schweinfurt. In der frühen Nachkriegszeit gab es ja kaum Öffentliche Bibliotheken. Nach 1945 gab es keine Bibliothek in meiner Nähe, die waren alle zerstört. Die Alliierten haben versucht, den Deutschen die englische beziehungsweise angelsächsische Literatur nachzureichen, die die Menschen während des Dritten Reichs nicht lesen durften. Das waren fast ausschließlich amerikanische Autoren wie Ernest Hemingway oder Thornton Wilder. Von Autoren, die ins Deutsche übersetzt waren, habe ich immer meine Büchertasche vollgestopft. Ich habe manches nicht verstanden. Bei Hemingway hat mich sehr gestört, dass seine Texte oft drei, vier Seiten nur aus Dialog bestanden und man dann nicht mehr wusste, wer denn jetzt spricht. Ich habe das manchmal an den Rand geschrieben, damit ich wusste, wer spricht, denn die Dialoge sind ohne Zwischentext. Die Bibliothekarin hatte mir dann gedroht, dass ich keine Bücher mehr ausleihen dürfte, wenn ich nochmal in die Bücher schreibe.
Das gesamte Interview mit Paul Maar ist in der BuB-Doppelausgabe Februar-März 2023 zu lesen.