In Finnland wurde ein zweijähriges Projekt zur Lizenzierung und Verwendung von E-Books für Öffentliche Bibliotheken auf die Beine gestellt. Die Bibliothek der Stadt Helsinki nahm an dieser international nahezu einzigartigen und weitgefächerten Gemeinschaftsarbeit teil, die in Finnland erstmalig realisiert und von den Akteuren der Buchbranche unterstützt wurde. Finnische Bibliothekare werden die Ergebnisse des Projekts im Rahmen des finnischen Gastlandauftritts auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse ausführlich präsentieren und stehen dort auch für Fragen bereit. Marja Hjelt gibt mit folgendem Beitrag vorab einen Einblick.
Grundlage des Projekts »E-Books für Öffentliche Bibliotheken« war der Bedarf öffentlicher finnischer Bibliotheken an moderner einheimischer Literatur in elektronischer Form für die Kunden. Das Ziel bestand darin, ein Modell zu entwickeln, welches den Verlegern eine rentable Geschäftstätigkeit, den Bibliotheken die vereinbarten Leistungen und den Nutzern der Bibliotheken hochwertige einheimische Literatur in elektronischer Form ermöglicht. In einem kleinen Sprachgebiet ist es äußerst wichtig, dass die Akteure der Buchbranche gemeinsam Funktionsmodelle entwickeln, deren Ziel darin besteht, das Lesen einheimischer Literatur zu fördern.
Das Projekt begann Anfang 2012 mit der Klärung der verschiedenen Lizenzmodelle und deren Bewertung. Die Bewertung erfolgte anfangs über die Simulation der in den verschiedenen Lizenzmodellen entstehenden Kosten und der Zusammensetzung der Erlöse. Auf Basis der Simulationen konnte ein Lizenzmodell gefunden werden, das alle beteiligten Parteien bereit waren, in der ersten Testphase auszuprobieren. Im Rahmen dieses Testmodells wurden die Lizenzen für eine befristete Zeit so an die Bibliotheken verkauft, dass über eine Lizenz jeweils ein Nutzer bedient werden konnte (das heißt, Vorbild war das Modell der Druckausgabe).
Zu Beginn des Projekts wurde außerdem die Technologie für den Austausch der E-Books und der damit verbundenen Dienstleistungen geklärt, um diese an Öffentliche Bibliotheken zu vermieten. Von Anfang an wurde es als wichtig erachtet, dass der E-Book-Service nutzerfreundlich ist und die Entwicklung des Nutzerzugangs einen bedeutenden Aspekt des Projekts darstellt. Die Akzeptanz des neuen Angebots kann massiv leiden, wenn die erste Erfahrung der Nutzer mit der Handhabbarkeit des Services schlecht ist. Vor der Inbetriebnahme der Leihplattform wurde deshalb der Service gemäß den vorher festgelegten Bestimmungen entwickelt und von einer kleinen Nutzergruppe getestet. Die im Vortest aufgetretenen Anwendungsprobleme wurden behoben.
Erst nach der Lösung der Anwendungsprobleme wurde der Service für eine große Testnutzung an den HelMet-Bibliotheken (Helsinki metropolitan area libraries) freigegeben. Der im Rahmen des Projekts entwickelte Ausleihservice Ebib funktionierte die gesamte Testphase über, wobei nur äußerst kurze Unterbrechungen auftraten.
Feedback konsequent berücksichtigt
Über die Nutzung der E-Books wurden in der Testphase vielseitige Nutzungsstatistiken unter anderem zu Buchtiteln, Themenbereichen und Nutzergruppen erstellt. Im Pilotprojekt wurden auch Daten dazu gesammelt, mit welchen Geräten die Kunden die E-Books lasen, und es wurde die Nutzung von E-Books mit den entsprechenden gedruckten Ausgaben verglichen. Daten zur Nutzung der E-Books wurden auch über Kundenfeedbacks und mithilfe von Umfragen sowie über soziale Medien gesammelt. Daten bezüglich des Leseverhaltens wurden im Rahmen der Datenschutzgesetzgebung für die Entwicklung des Services genutzt. Ein aktuelles Kundenfeedback ermöglichte es, den Service schnell in die von den Kunden gewünschte Richtung anzupassen, wenn von mehreren Kunden gleichartige Feedbacks eingingen.
Im Ebib-Service wurden den Kunden zwei Alternativen geboten, E-Books zu lesen: »über den Browser lesen« und »herunterladen«.
Die leicht anzuwendende Variante »über den Browser lesen« setzt voraus, dass das Gerät des Nutzers mit dem Internet verbunden ist. Bei dieser Variante wird der Inhalt des Buches in kleinen Teilen in den Zwischenspeicher des Geräts des Kunden geladen und automatisch gelöscht, nachdem er gelesen wurde. Der Inhalt wird nicht dauerhaft auf dem Gerät des Kunden gespeichert, weshalb der Schutz des Buches über den Server realisiert werden kann. In der Testphase sind keine technischen Probleme mit dem Ausleihservice »über den Browser lesen«, der auf HTML5 basiert, aufgetreten.
Die Alternative »herunterladen« setzt voraus, dass der Nutzer ein Adobe-Konto eröffnet und das Leseprogramm auf seinem eigenen Gerät installiert. Als Schutzvorrichtung wird die Technik Adobe DRM genutzt. Es wurden eine Instruktion und finnische Anpassungen erstellt, auch dank dessen sind mit Adobe DRM nicht so große Nutzungsprobleme aufgetreten, wie aufgrund der Vortestphase des Ebib-Services befürchtet wurde. Hier wirkte sich vor allem positiv aus, dass die Kunden, die sich in der Testphase E-Books ausliehen, anders als die Vortester, bereits mit dem Lesen von E-Books vertraut waren.
Die erste umfangreiche Testphase in den HelMet-Bibliotheken in der Hauptstadtregion begann am 15. Oktober 2012. In der ersten Phase konnten im Ebib-Service 36 Titel in elektronischer Form geliehen werden, für die 490 Lizenzen verfügbar waren. In der zweiten Testphase konnten ab dem 5. Juni .2013 102 Titel geliehen werden, für die es insgesamt 1 000 Lizenzen gab. Über die Erweiterung des Angebots konnte nachgewiesen werden, dass die Sammlung genügend Bücher enthalten muss, um das Interesse der Kunden der Bibliothek zu wecken und längerfristig zu halten.
In der ersten Testphase betrugen die Leihperioden ein Tag und sieben Tage. Waren alle betreffenden Lizenzen vergeben, konnten die Bücher reserviert werden. Neu herausgekommene Belletristik weckte das größte Interesse. Das Wichtigste hinsichtlich der Entwicklung des Services war das Feedback, dass die Leihperiode von sieben Tagen nicht ausreichte. Anfang 2013 wurde die Leihperiode auf Basis des Feedbacks auf zwei Wochen verlängert. In der zweiten Testphase wurden als durchschnittliche tatsächliche Leihperiode acht Tage und 23 Stunden festgestellt, wodurch nachgewiesen wurde, dass eine Leihperiode von sieben Tagen nicht ausreichte. Die Bewertung der Nachfrage nach entsprechenden Lizenzmengen gestaltete sich schwierig, und der Nutzungsgrad der Lizenzen lag unter den Erwartungen.
Neue Lizenzmodelle
In der zweiten Testphase wurden ab dem 5. Juni 2013 neben der Erweiterung der Sammlung und der entwickelten Eigenschaften des Nutzerzugangs auch neue Lizenzmodelle getestet. Die getesteten Lizenzmodelle waren eine Jahreslizenz für 20 Nutzer gleichzeitig sowie ein Pool-Modell. Außerdem wurden 2013 die Voraussetzungen für den Übergang von der Testnutzung auf einen konstanten Betrieb geschaffen, welcher elektronische Bestell- und Berichterstattungsprozesse, weitgehend automatisiertes E-Book-Material und die Übertragung der damit verbundenen Metadaten erforderte.
Insgesamt wurde über den Ebib-Service in der Testphase mehr als 18 000 Mal ausgeliehen, und es registrierten sich insgesamt 12 000 Nutzer der Bibliothek. Frauen waren etwas aktivere Nutzer als Männer und tätigten 56 Prozent der Verleihungen. Das beliebteste Gerät zum Lesen von E-Books war ein Tablet-PC, den 55 bis 65 Prozent der Kunden nutzten. Das Feedback bezüglich der Testnutzung fiel insgesamt äußerst positiv aus. Die wichtigsten Entwicklungsbereiche aufgrund des Feedbacks waren eine kompaktere Integration des Ebib-Services in das HelMet-Bibliothekssystem, die Verwaltung des eigenen Bücherregals des Nutzers und vielseitigere Browser-Lesemöglichkeiten. Über das Feedback wurde auch eine erweiterte Auswahl gewünscht.
Im Rahmen des Projekts wurden auch Seminare für verschiedene Interessengruppen wie zum Beispiel Schriftstellerverbände und Nutzungsrechteorganisationen durchgeführt. Das Ziel der Seminare bestand darin, über das Projekt und die darin gesammelten Erfahrung zu diskutieren. Die Bibliothek vermarktete den Ebib-Service aktiv.
Im Projekt wurde auch das soziale Lesen untersucht, wobei man zu einem webbasierten Lese-Event gelangt und so insgesamt das Lesen der Literatur fördert.
Der Ebib-Service entwickelte sich 2013 zu einem hervorragenden Service und wurde im Januar 2014 in Betrieb genommen. Das Pilotprojekt an den Bibliotheken zeigte, dass der Verkauf von E-Books an Bibliotheken und die Nutzung von E-Books in Bibliotheken möglich ist. Das subtile Ökosystem der E-Books (mehrere Verkaufsorte, Lese- und Schutzprogramme sowie Lesegeräte) setzt voraus, dass der Kunde die Möglichkeit hat, E-Books auf seinen eigenen Geräten auszuprobieren. Die Nutzung der Bibliothek bietet hierfür eine ausgezeichnete Möglichkeit. Der Vormarsch von E-Books verlangt auch die Vermarktung durch und die Bereitschaft von Bibliotheken, auf zukünftige Fragen von Kunden zu antworten.
Die Verleger im Projekt wurden durch die großen finnischen Verlagsgesellschaften Otava, Tammi und WSOY sowie durch den Finnischen Verlegerverband und den Zentralverband für Kommunikation vertreten. Die Bibliotheken wurden durch die Bibliothek der Stadt Helsinki und die Nationalbibliothek vertreten, als Technologieunternehmen nahmen Ellibs und Kirjavälitys teil. Die wissenschaftliche Begleitung wurde an der Hochschule für Kunst und Planung der Aalto-Universität, am staatlichen Institut für Technik (VTT) und an der Berufshochschule Metropolia durchgeführt.
Infos und Präsentationen
Das Projekt wird im Oktober auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt. In Halle 8, im Bereich »Digital Innovation«, finden zwei Präsentationen statt. In einer Präsentation wird erklärt, wie das Projekt von der schnellen Entwicklung profitiert, und in der zweiten Präsentation werden die Ergebnisse der »metadata work flows« vorgestellt. In Halle 4 (»Education«) finden ebenfalls zwei Präsentationen statt, in denen erklärt wird, wie die branchenübergreifende Zusammenarbeit zustande kam und wie davon profitiert wurde.
Im Finnland-Pavillon wird eine Podiumsdiskussion organisiert, an welcher die beteiligten Bibliotheken, Verleger, Technologieunternehmen und Schriftsteller teilnehmen. Außerdem wird sich im Suomi-Pavillon ein Demo-Punkt befinden, an dem man sich über das Projekt informieren kann.
Das Ziel des Auftritts der finnischen Bibliotheken auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse besteht darin, über die guten Erfahrungen bei der Zusammenarbeit und die erfolgreiche praktische Durchführung des Projekts zu berichten. In diesem Zusammenhang werden wir gerne andere Bibliotheken unterstützen und sind auch für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit aufgeschlossen, denn nur in Kooperation können beständige Modelle für den Vertrieb digitaler Inhalte an Bibliotheken geschaffen werden.
Über das Projekt liegen verschiedene Berichte in englischer Sprache vor, die ebenfalls in Frankfurt erhältlich sein werden: »Ebib – E-Books für Öffentliche Bibliotheken«, »Ebib und die Metadatenprozesse« sowie »Ebib und das soziale Lesen«.
[caption id="attachment_2462" align="alignleft" width="305"] Foto: Jonas Tana[/caption]
Marja Hjelt arbeitet als Fachdokumentarin in der Bibliothek der Stadt Helsinki. Zu ihrem Verantwortungsbereich gehört es, das digitale Material für die regionalen Bibliotheken von HelMet (Bereich Helsinki Metropolitan) anzuschaffen, in Betrieb zu nehmen und zur Nutzung anzubieten. Marja Helt ist Magister der Philosophie, ihr Hauptfach war Informationsforschung. Sie ist bereits seit über 20 Jahren in der Bibliotheksbranche tätig. – Kontakt: Marja.Hjelt@hel.fi