Immer öfter sieht man unterwegs, sei es beim Spazierengehen, bei einem Ausflug, irgendwo auf einer Reise oder beim Einkaufen, einen öffentlichen Bücherschrank, meistens geschieht das eher zufällig. Natürlich ist es auch möglich, gezielt nach einem öffentlichen Bücherregal zu suchen, aber das ist eher selten der Fall, erscheint auch als wenig erfolgversprechend. Wenn also unvermutet ein solches Bücherregal am Straßenrand oder auf einem Platz im Stadtzentrum, in einem Stadtteil oder in einer Ortschaft gesichtet wird, lohnt sich meistens ein Blick auf die dort recht ungeordnet versammelten Bücher, aber nicht nur deswegen: Öffentliche Bücherschränke sind vielfach phantasievoll gestaltet, sie fügen sich zwanglos in die jeweilige Umgebung ein und sie wecken Neugier, wie die folgenden Beispiele zeigen sollen.
Öffentliche Bücherschränke werden im Zusammenhang mit stadtplanerischen Reformkonzepten als ein Element der »Straße als gelebtem Raum« thematisiert: »Die Konzepte im Funktionalismus sahen großflächige Räume vor, die dem Verkehr dienen und deshalb nicht von kleinteiligen Strukturen gestört werden sollten. Doch die Planungen heutzutage stellen kleine Bänke in die Straßenräume, Bepflanzungen, Bücherschränke, an denen man sich frei bedienen kann, und vieles andere.«7 Deutlich wird insofern, dass öffentliche Bücherregale eventuell mehr leisten können, als zunächst vermutet, eventuell auch für das informelle (beiläufige) Lernen.
Am Beispiel der Bücherschränke im Einkaufzentrum ZO Freiburg soll veranschaulicht werden, welche Genres in vielen öffentlichen Bücherregalen vertreten sind. Dies hängt im Wesentlichen davon ab, wer Literatur dort hinbringt und welche Erwägungen dem wohl zugrunde liegen könnten. Nach eigenen Beobachtungen sind es vielfach Erwachsene ungefähr vom 50. Lebensjahr aufwärts. Sie bringen einerseits Bücher, die vielleicht ihren (mittlerweile verstorbenen) Eltern gehört haben oder die in den eigenen Regalen zu Hause keinen Platz mehr haben, als entbehrlich erscheinen. Jedoch kann unterstellt werden, dass nicht einfach wahllos alles in das öffentliche Bücherregal getan wird, sondern dass mögliche Leseerwartungen durchaus antizipiert werden. Man macht sich also Gedanken über die potenziellen Zielgruppen, zumal es sein könnte, dass man beim Einstellen der Bücher beobachtet wird. Da wäre es unangenehm, wenn irgendwelcher »Schrott« abgelegt würde.
»Eine Gefahr für Öffentliche Bibliotheken stellen sie nicht dar, zumal sie sich eindeutig dem klassischen gedruckten Buch verpflichtet fühlen.«
Auffallend sind die Genres Krimi und Roman, ferner Lexikon und Wörterbuch, aber auch Ratgeber und Reiseführer, Kinder- und Jugendliteratur. Bei den Krimis handelt es sich häufig um Titel aus der schwarzen Taschenbuchreihe von Rowohlt, bei den Romanen sind es zum einen die vor allem den Nachkriegsjahrgängen noch vertrauten damaligen Lieblingswerke der Elterngeneration (Pearl S. Buck, Cronin und so weiter), zum anderen Bücher, die zur Trivialliteratur gerechnet werden (Caldwell, Danella, Fischer, Golon, Heinrich, Konsalik, Noack, Paretti, Pilcher, Robbins und andere). Aber auch Werke der Klassik (Fontane, Goethe, Schiller…) und der klassischen Moderne (Cormack McCarthy, Faulkner, Hemingway, Pasternak, Remarque, Stevenson, Traven und andere) beziehungsweise der Gegenwartsliteratur (Allende, Gordimer, Vargas Llosa…) mischen sich munter unter die Regalbestände im ZO. Daneben sind Kinder- und Jugendbücher (zum Beispiel Onkel Toms Hütte, die Heidi-Romane von Johanna Spyri, die vielgelesenen Jugendbücher von Enid Blyton), Reisebücher, Lexika, Sprachwörterbücher, Ratgeber für Gesundheit und Ernährung, auch für den Garten, religiöses und erbauliches Schrifttum, Geschichtswerke, politische Darstellungen (vor allem Biografien, beispielsweise zu Brandt und Wehner, aber auch Jahresbände der weißen Chronik-Reihe) und Bände der seinerzeit beliebten Reader’s Digest-Reihe vertreten.
Da nicht alle Menschen, die etwas in ein öffentliches Bücherregal stellen, über ausgeprägte Kenntnisse bezüglich des Werts von Büchern verfügen, können manchmal erstaunliche Funde gemacht werden. Der Verfasser selbst fand in einem öffentlichen Bücherregal kürzlich eine tadellose Ausgabe von Klaus Groths »Quickborn« in der Ausgabe von 1873 mit den wunderbaren plattdeutschen Gedichten, die ihm als geborenem Dithmarscher besonders viel bedeuten. So etwas muss man im äußersten Südwesten erst einmal finden – das öffentliche Bücherregal und die dort herrschenden glücklichen Zufälle machen es möglich.
1 Vgl. Schmittner, Monika: Futterstellen für Leseratten. Offene Bücherschränke sind neue Attraktionen im öffentlichen Raum – Anmerkungen zur fantastischen Welt des geschriebenen Wortes. In: Spessart 114. Jg., April (2020), S. 14-17 (Alltägliches neu entdeckt: Straßenmöbel in Stadt und Land; Teil 7)
2 So bei: Ertl, Jürgen: »Seht her! Da wird gelesen!« – Öffentliche Bücherregale sind groß in Mode. Fördern sie die Leselust? Ein Faktencheck bei zwei Exemplaren in Cham und Deggendorf. In: Lichtung / Bayerwaldforum e. V. 30. Jg. (Okt. 2017) H. 4, S. 14-15
3 Vgl. Steeger, Liss: In Büchern legt die Seele aller gewesenen Zeit: von Mini-Bibliotheken in Weeze, Wemb und Umgebung. In: Weezer Geschichte Okt. 2017, 17 (2017), S. 92-102
4 Siehe dazu: Bornemann, Andrea: Ein Bücherschrank in Wenholthausen. In: Wennetaler, Nr. 13, 2018 (2019), S. 44-46
5 Vgl. Frenzel, Veronica, Nunu Kaller und Agata Szymanska-Medina: Just share it!: Der Guide zum Teilen, Tauschen und Leihen. Die besten Online- und Vor Ort-Initiativen […] . München: Knesebeck 2019
6 Siehe dazu auch: Sträter, Elisabeth: Tausch das Buch! Erster öffentlicher Bücherschrank in Nürnberg. In: Bibliotheksforum Bayern [N. F.] 6. Jg. (2012) H. 3, S. 171
7 Vgl. Schmidt, Irina: Die Straße als gelebter Raum. Wien: Technische Univ., Fak, für Architektur u. Raumplanung, Dipl.-Arb., 2017, S. 60. https://repositum.tuwien.at/handle/20.500.12708/1646 (22.02.2022)