Göttingen. Mit dem Evangelischen Buchpreis 2015 wird die Schriftstellerin Nina Jäckle für ihren Roman „Der lange Atem“ (Tübingen: Klöpfer & Meyer 2014) ausgezeichnet. Diese Entscheidung gab der Vorsitzende des Evangelischen Literaturportals Bischof Jan Janssen, Oldenburg, bekannt und dankte der Jury, die das Buch aus über 100 Vorschlägen von Leserinnen und Lesern ausgewählt hat: „Der lange Atem zieht in den Bann – nicht einfach weiterleben, sondern tun, was zu tun ist.“
In der Begründung der Jury heißt es:
Nina Jäckle führt uns Lesende in das Japan des Jahres 2011 an die Küste in der Nähe von Fukushima. Der namenlose Ich-Erzähler ist Phantombildzeichner. Er hat nach der Fukushima-Tsunami-Katastrophe den Auftrag, anhand von Fotos entstellter Opfer des Tsunamis Zeichnungen anzufertigen, die es den Hinterbliebenen ermöglichen, ihre Verstorbenen zu identifizieren.
Wie können Menschen nach einer Katastrophe mit den Folgen, mit dem Verlust, dem Schmerz und der Trauer weiterleben? Diesen Fragen nähert sich Nina Jäckle ganz behutsam. Mit ihrem herausragenden Buch bringt uns die Autorin das Ereignis erneut zu Bewusstsein und die Frage der Haltung dazu, die sich auch nach anderen Katastrophen stellt. In einer Sprache, die sich am Rhythmus von Wellenbewegungen orientiert, erzählt sie, wie der Zeichner, seine Frau und andere Zurückbleibende ganz unterschiedliche Wege gehen, nach dem Erleiden zu leben.
Nina Jäckle hinterlässt mit ihrem kleinen Roman „Der lange Atem“ großen Eindruck. In dem literarisch klar durchkomponierten Werk schafft sie Bilder von bleibender Intensität. Mit ihrer vorsichtigen, taktvollen Erzählweise gelingt es ihr, Unfassbares in Worte zu fassen und anzudeuten, wie ein Weiterleben möglich ist.
Die Arbeit des Zeichners wirkt dabei wie eine Metapher. Die anonymen Opfer bekommen Gesicht und am Ende wieder Namen. Fast ist es so, als erwachten sie in den Bildern des Zeichners zu neuem Leben in Würde und Unversehrtheit.
(red. / 03.06.2015)