Gabel, Gernot: Bibliotheken in Großbritannien: Beiträge zur Bibliotheksgeschichte; Festgabe zum 80. Geburtstag überreicht von Gisela Gabel-Jahns. First Edition. Hürth: Edition Gemini, 2021. 176 Seiten: Illustrationen. ISBN 978-3-92233-57-5. – Festeinband: EUR 18,–
In dreißig Beiträgen werden Themen zum britischen Bibliothekswesen, die der Verfasser zwischen 1994 und 2017 geschrieben hat, behandelt. Es werden National-, Universitäts- und Spezialbibliotheken sowie Öffentliche Bibliotheken beschrieben (jeweils ihre Geschichte, Entwicklung, Bestände, bekannte Bibliothekarinnen und Bibliothekare und auch Unterstützer und Unterstützerinnen in diesem Bereich). Zusätzlich wird in separaten Kapiteln auf das Umfeld, zum Beispiel Kürzungen in Öffentlichen Bibliotheken oder die Finanzlage der britischen Hochschulbibliotheken und die Förderung der nationalen Forschungsbibliotheken eingegangen. Das Buch ist sehr aktuell durch das Eingehen auf die Problemfelder Brexit, Corona und »Black Lives Matter«.
Mehrere größere Spezialbibliotheken werden beschrieben (zum Beispiel The Polish Library, The Women‘s Library, The British Film Institute, The National Art Library, Lambeth Palace Library, British Architectural Library – oft mit langer Tradition und bedeutenden Beständen). Die »Wiener Library« in London hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Sie ist nach Alfred Wiener benannt (1885 Potsdam – 1964 London), Sohn jüdischer Eltern.
»In dreißig Beiträgen werden Themen zum britischen Bibliothekswesen, die der Verfasser zwischen 1994 und 2017 geschrieben hat, behandelt.«
Seit 1933 beobachtete er argwöhnisch die Propaganda und die Erfolge der Nazi-Partei. Nach seiner Flucht aus Deutschland gründete er in Amsterdam mit dem »Jewish Central Information Office« (JCIO) eine Dokumentationseinrichtung, in der aus Deutschland bezogene Zeitschriften und Bücher ausgewertet wurden. Wiener legte Wert darauf, keine Propagandastelle zu führen, sondern sachlich zu dokumentieren; er ließ sich auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft nicht instrumentalisieren. Der damalige Bestand umfasste 8.000 Bücher sowie tausende von Presseausschnitten.
»Um Finanzmittel muss oft gekämpft werden.«
1939 wurde die gesamte JCIO nach London gebracht, wo der Wert der Dokumentationsstelle von entscheidenden Regierungskreisen erkannt und unterstützt wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es Konkurrenz für die Wiener Library und weniger finanzielle Unterstützung; sie hatte ihr Alleinstellungsmerkmal verloren. Ein »Finanzierungsmarathon« begann, um die Bibliothek am Laufen zu halten. Dem Nachfolger von Alfred Wiener (Walter Laqueur) gelang es, durch Veränderung federführend das Überleben zu sichern (nicht mehr passives Sammeln, Umwandlung in ein Zentrum für historische Forschung, Veranstalten von Seminaren, Workshops und Konferenzen). Dieses Konzept hat Geldgeber überzeugt. Die Einrichtung wurde finanziell langfristig gesichert. Heute besitzt sie 60.000 Bände, 2.000 Zeitschriften, 200 davon laufend, Fotos, Broschüren, Zeitungsausschnitte, Handschriftliches.
Die Öffentlichen Bibliotheken in Großbritannien haben eine lange Tradition. Der Einfluss der Mittelklasse im Unterhaus führte zum Public Library Act (1850, 1853 ausgedehnt auf Schottland und Irland und 1919 und 1964 erweitert), dessen Umsetzung aber mühevoll war.
»In jeder vierten Public Library ist keine ausgebildete Fachkraft mehr angestellt.«
Der Anspruch war hoch (Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern in England und Wales sollten mit Zustimmung des Stadtrates eine steuerfinanzierte Öffentliche Bibliothek einrichten und unterhalten können) und es dauerte lange, bis – auch durch Unterstützung privater Spender und Geldern der Carnegie-Stiftung – von einer stolzen Bilanz gesprochen werden konnte: 4.160 Zentral- und Zweigbibliotheken, 663 Bücherbusse, 26.000 Mitarbeiter, Bestand von 127 Millionen Bänden.
Die sehr erfolgreiche und neu erbaute »Jubilee Library« in Brighton und Bibliotheken an sich wurden zurzeit Tony Blairs als Teil von »Cool Britannia« gesehen. Aber dunkle Wolken zogen auf. Mit dem Brexit und bereits vorherigen Kürzungen sah sich der größte Bibliotheksverband CILIP (Chartered Institute of Library and Information Professionals) gezwungen, vehement beim zuständigen Minister um Unterstützung zu intervenieren. Der Hinweis, dass in jeder vierten Public Library keine ausgebildete Fachkraft mehr angestellt sei und dass eine »Amateurisierung« des Berufes nicht nützlich sei, fand wenig Gehör.
Einige grundsätzliche Dinge sind allen Artikeln gemein: Viele Organisationen benötigen ab einer bestimmten Größe eine Ressourcenquelle, um fachlich ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu haben, ebenso den benötigten Platz und die Mittel zu haben, durch Zukäufe und Vergrößerungen, Umzüge und nötige Veränderungen zu finanzieren, ebenso in Kriegszeiten Auslagerungen zum Schutz zu finanzieren, um dann anschließend – manchmal mit finanziellen Einschnitten – wieder guten Service anzubieten. Um diese Finanzmittel muss oft gekämpft werden und einflussreiche Geldgeber und Unterstützer aus Kultur und Politik können sehr hilfreich sein. Hierfür sind Bibliothekarinnen und Bibliothekare nötig, die in der Lage sind, vorausschauend zu agieren. Das ist bei vielen der hier erwähnten Bibliotheken gelungen. Mehrfach lag das daran, indem eine Bibliothek in eine Forschungsbibliothek verändert wurde, die durch ihre Bestände zu einem Zentrum für Forschung wird und dadurch praktische Nutzendarstellung demonstriert.
Die einzelnen Beiträge sind sehr interessant, mit vielen Fakten versehen und kenntnisreich geschrieben. Wenn das Buch ein Register gehabt hätte, dann wären etliche Fundstellen unter Begriffen wie Nationalbibliothek, Spezialbibliothek, Öffentliche Bibliothek, Forschungsbibliothek, Zeitungsausschnittsammlungen, Katalogformen, Retrokatalogisierung, Library Association, CILIP (Chartered Institute of Library and Information Professionals), Marketing, Aktive Information mehrfach vorgekommen. Durch die stabile Bindung kann das Buch gut benutzt werden. Silbentrennung und Formatierung sind an manchen Stellen nicht berücksichtigt worden.