Die Stadtbücherei Tübingen hat im Rahmen des »Fonds Zero«-Projekts einen vollständig klimaneutralen Jugendbereich geschaffen.
Die Stadtbücherei Tübingen ist eine stark frequentierte Öffentliche Bibliothek. Doch für die Altersgruppe der 13- bis 18-Jährigen fehlte bislang ein eigener, attraktiver Bereich. Das sollte sich ändern – und zwar auf nachhaltige Art und Weise. Als eine von nur 25 geförderten Kultureinrichtungen erhielt die Bibliothek den Zuschlag für das Projekt »Die Jugendbibliothek macht blau« im Rahmen des Förderprojekts »Fonds Zero« der Kulturstiftung des Bundes.1 Ziel war es, einen eigenen Jugendbereich zu schaffen, der den Bedürfnissen dieser Zielgruppe gerecht wird und zugleich Aspekte der Nachhaltigkeit berücksichtigt.
Ausgangslage
Die Stadtbücherei Tübingen ist die Öffentliche Bibliothek einer jungen, akademisch geprägten Stadt, die den Themen Ökologie und Nachhaltigkeit sehr nahesteht. Die Universitätsstadt mit ihren rund 90.000 Einwohnern und etwa 27.000 Studierenden trägt die Auszeichnung »Fairtrade-Stadt«, ist Mitglied im europäischen Klimabündnis und arbeitet daran, im Jahr 2030 klimaneutral zu sein.
»Der Fokus auf Ökologie und Nachhaltigkeit einerseits sowie der fehlende Jugendraum andererseits gaben den Ausschlag, sich für die Projektförderung »Fonds Zero« der Kulturstiftung des Bundes zu bewerben.«
Bestehend aus einer Hauptstelle, zwei Schul- und Stadtteilbibliotheken sowie einem Medienzentrum für Schüler/-innen gehört die Stadtbücherei Tübingen heute zu den am intensivsten genutzten Öffentlichen Bibliotheken Deutschlands. 16 Prozent der Tübinger Bevölkerung nutzen sie aktiv, bei den Kindern und Jugendlichen zwischen 6 und 17 Jahren sind es 60 Prozent. Was trotz dieser intensiven Nutzung über die letzten Jahre hinweg fehlte: ein eigenständiger Bereich für Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren.
Der Fokus auf Ökologie und Nachhaltigkeit einerseits sowie der fehlende Jugendraum andererseits gaben den Ausschlag, sich für die Projektförderung »Fonds Zero« der Kulturstiftung des Bundes zu bewerben. Den Zuschlag erhielt die Stadtbücherei Tübingen als eine von bundesweit 25 geförderten Kultureinrichtungen, darunter nur eine weitere Bibliothek. Der Projekttitel »Die Jugendbibliothek macht blau« verdeutlicht die Verbindung zur städtischen Klimaschutzkampagne »Tübingen macht blau«.
Anforderungen der Jugendlichen
Bis zum Beginn des Projekts befand sich der Bereich für die Altersgruppe zwischen 13 und 18 Jahren inmitten der Abteilung für Erwachsene – irgendwo zwischen Belletristik und Sachbüchern. Eine optische Abgrenzung war nicht vorhanden, ebenso wenig eine akustische. Als Sitzgelegenheit diente lediglich ein Sofa, das auch von Erwachsenen genutzt wurde. Entsprechend besuchten Jugendliche »ihren« Bereich lediglich zur Medienauswahl. Auch hinsichtlich des Veranstaltungsprogramms kommt diese Altersgruppe bis heute zu kurz. Die meisten der Angebote sprechen die Altersspanne Grundschule und jünger an. Auch das ursprünglich für die Zielgruppe Jugendliche eingerichtete Gaming-Angebot wird bisher meist von jüngeren Kindern genutzt.
Um die Jugendlichen für ihren zukünftigen neuen Bereich zu gewinnen, mussten also zuerst deren Bedürfnisse und Wünsche ermittelt werden. Eine große Aufgabe, denn bisher konnten aufgrund der wechselnden Personen an der Auskunft und der – verglichen mit den Zweigstellen – geringeren Anzahl an Klassenführungen nur wenige persönliche Kontakte zwischen den Mitarbeitenden der Stadtbücherei und Jugendlichen entstehen. Schließlich wurden mehrere Methoden gewählt.
In einer offenen Beteiligungsphase konnten im »Freiraum«, dem leerstehenden Raum der künftigen Jugendbibliothek, mittels beschreibbarer Wände individuelle Wünsche sowie Dinge, die nicht gewollt sind, formuliert werden. Nach und nach stellten diese Wände ein aussagekräftiges Bild dar. Zeitgleich wurden im projekteigenen Design Postkarten angefertigt – ein weiterer Kanal für Wünsche und Ideen.
»Bis zum Beginn des Projekts befand sich der Bereich für die Altersgruppe zwischen 13 und 18 Jahren inmitten der Abteilung für Erwachsene – irgendwo zwischen Belletristik und Sachbüchern. Eine optische Abgrenzung war nicht vorhanden, ebenso wenig eine akustische.«
Konkreter und strukturierter waren die Resultate zweier Workshops, die der für den Umbau verantwortliche Raumkünstler Stephan Potengowski für die Zielgruppe durchführte. Im ersten Teil bauten die Jugendlichen ein Modell aus Holz, das ihre Vorstellungen abbildete. In einem zweiten Workshop wurde dieses Modell modifiziert und an die umsetzbaren Gegebenheiten angepasst.
Im Ergebnis war für die Jugendlichen wichtig, dass sich keine Erwachsenen und Kinder in ihrem Bereich aufhalten. Dazu wünschten sie sich eine Möglichkeit zum Laden der Akkus, zwei Ebenen im Raum, die Aufteilung in eine Chill- und eine Kommunikationszone und – erfreulicherweise – Bücherregale.
Klimabilanzierung
Die Förderrichtlinien geben vor, zunächst die eigenen CO2-Emissionen eines Jahres zu ermitteln, wofür das Jahr 2021 festgelegt wurde: ein arbeitsintensives Vorhaben und für uns Bibliothekarinnen und Bibliothekare zugleich eine fachliche Herausforderung. Dankbarerweise erhielten wir für diese Haus- und auch für die nachfolgende Projektbilanz kompetente Unterstützung durch die Münchner Beratungsfirma Arqum und unsere städtische Abteilung für Umwelt- und Klimaschutz. Gemeinsam legten wir zunächst die Systemgrenze »Hauptstelle« fest, listeten vorhandene Emissionsquellen auf, bewerteten diese und teilten sie in »zurechenbar« und »nicht zurechenbar« ein. Danach erfolgte die Erfassung, Messung und Hochrechnung der einzelnen Positionen »Energie«, »Wasser«, »Abfall«, »bezogene Güter«, »MA-Mobilität« sowie »Anreise der Besucher/-innen«. Sämtliche Rechnungen eines ganzen Jahres wurden daraufhin durchgesehen, einzelne Materialien und Abfälle erfasst, gewogen, Mittelwerte gefunden und auf ein Jahr hochgerechnet. Für die Bereiche »Energie« und »Wasser« konnten wir auf Erhebungen der Abteilung für Umwelt und Klimaschutz zurückgreifen, was uns eine große Hilfe war. Die Mobilität der Mitarbeiter/-innen wurde über eine Befragung erfasst, für die der Besucher/-innen dienten Werte des Bibliothekssystems als Grundlage.
»Die Förderrichtlinien geben vor, zunächst die eigenen CO2-Emissionen eines Jahres zu ermitteln: ein arbeitsintensives Vorhaben und für uns Bibliothekarinnen und Bibliothekare zugleich eine fachliche Herausforderung.«
Die Stadtbücherei verursachte im Jahr 2021 138.305,57 Kilogramm CO2 – ein Wert, der, verglichen mit den anderen Teilnehmenden des Programms, relativ niedrig ist. Höchster Emissionsfaktor sind die Anreisewege der Nutzer/-innen sowie die Anschaffung von Printmedien.
Planung und Bauphasen
Nach den Workshops und der Freiraumphase ging es an die bauliche Umsetzung der geäußerten Wünsche. Dafür konnte der Szenograph Stephan Potengowski gewonnen werden, der langjährige Erfahrung aus der Zusammenarbeit mit unterschiedlichsten Kultur- und Bildungseinrichtungen einbrachte. Aus früheren Projekten konnte er in seinem Atelier für Formgebung auf einen reichhaltigen Fundus zurückgreifen, der nun in der Jugendbibliothek auf gewünscht nachhaltige Weise neue Funktionen übernimmt. So wurden zum Beispiel alte Türen zu Tischplatten, die – auf Holzböcke gelegt – schnell auf- und abgebaut werden können und so der Maßgabe für eine möglichst flexible Einrichtung entsprechen. Selbst die ausrangierten Schreibtischplatten aus den Büros der Stadtbücherei fanden als Podest mit Stauraum für temporär nicht benötigtes Mobiliar eine sinnvolle Verwendung. Um die Verbindung von Natur und Kultur zu betonen, stellte der Raumkünstler bei Forstarbeiten angefallene Birkenstämme als Säulen auf.
Die Einrichtung ist sehr bunt; die gewünschte Zonierung in ruhige und kommunikative Bereiche wird durch die Aufstellung der fahrbaren Bücherregale erreicht. Durch den außergewöhnlichen Holzrahmen am Eingang und den Bodenbelag aus Grobspanplatten hebt sich der neue Jugendbereich nachdrücklich vom Rest der Stadtbücherei ab und vermittelt das Gefühl, in eine völlig andere (Bücher-)Welt einzutreten. Der Raum wird bisher von den Jugendlichen gut angenommen zum Reden, Spielen, zur Medienauswahl und -nutzung.
Veranstaltungen und Eröffnung
Neben der Einrichtung eines auf die Bedürfnisse der Zielgruppe zugeschnittenen Raumes soll dieser auch durch Aktionen mit Leben gefüllt werden. Dafür plante das Team während der Projektphase mindestens eine Veranstaltung im Monat. Dazu gehörten oft nach der Trial-and-Error-Methode konzipierte Events wie ein Second-Hand-Wichteln im Dezember 2023, an dem sich nur vier Personen beteiligten. Auf reges Interesse stieß das Format »Green Gaming«, bei dem es neben dem Zocken an den büchereieigenen Spielekonsolen praxisnahe Tipps für eine energiesparende Spielweise gab. Ein im September 2023 durchgeführter Kleiderkreisel mit gebrauchter Kleidung für Jugendliche stieß über die Zielgruppe hinaus auf großes Interesse. Jedoch kamen wir trotz intensiver Werbung während der Projektphase kaum mit Jugendlichen in Kontakt, da nur wenige an den Veranstaltungen teilnahmen.
Nach einer halbjährigen Baustellenzeit, in der die Medien teils im Magazin standen und auf Nachfrage geholt wurden, feierten wir im April 2024 ein zweitägiges Eröffnungsfest. Das Programm war vielfältig: Stephan Potengowski präsentierte seine Arbeit im Hinblick auf Umbau und Gestaltung des Raumes. Dazu gab es eine Autorenlesung mit Franzi Kopka, eine Gaming-Session und einen offenen Manga-Workshop. Zum Ausklang sprachen bei einem sogenannten Romance Talk die Autorinnen Justine Pust und Nina Bilinszki, die spontan für die erkrankte Jennifer Wiley eingesprungen war, über das Genre New Adult und lasen aus ihren neuen Büchern.
Mit einer Nachhaltigkeits-Challenge und anderen Veranstaltungsformaten gehen wir in die Schlussphase des Projekts.
Klimabilanzierung des Projekts
Derzeit beschäftigen wir uns mit der CO2-Bilanzierung des Projekts. Die Richtlinien schreiben eine prozessbezogene Struktur mit den Phasen »Vorbereitung«, »Durchführung« und »Nachbereitung« vor, was hinsichtlich der langen Zeit des Umbaus und der vielen Aktivitäten, Veranstaltungen und Workshops nur schwer umzusetzen ist. In Zusammenarbeit mit Arqum einigten wir uns schließlich auf die Projektphasen »Vorbereitung«, »Umbau« und »Veranstaltungen« und bestimmten die relevanten Emissionsquellen. Erneut müssen nun zahlreiche Rechnungen, Belege und Umfrageergebnisse durchgegangen und die Einzelpositionen in die Bilanz aufgenommen werden. Die Berechnung der Wasser- und Stromverbräuche stellt uns dieses Mal vor eine Herausforderung, denn die Werte müssen vom allgemeinen Bibliotheksbetrieb getrennt werden. Wir haben noch eine Menge Erfassungsarbeit vor uns, da die Projektlaufzeit noch bis Ende des Jahres andauert. Dennoch sind wir gespannt auf die produzierten CO2-Mengen, die am Ende durch entsprechende Zertifikate kompensiert werden müssen. Denn »Fonds Zero« bedeutet am Ende »Null Emissionen«.
Wie geht es weiter?
Die Jugendbibliothek macht blau – mit der Gestaltung und Einrichtung des Raumes ist ein wichtiger Teil des Projektes umgesetzt. Die Auseinandersetzung mit möglichen Emissionsfaktoren wirkt sich inzwischen auch auf den internen Betriebsablauf aus. Als Leuchtturmprojekt innerhalb der Stadtbücherei wird auch in anderen Bereichen ein Umdenken in Gang gesetzt, beispielsweise hinsichtlich der Medienbearbeitung oder beim Einkauf von Einrichtungsgegenständen.
»Wir sind gespannt auf die produzierten CO2-Mengen, die am Ende durch entsprechende Zertifikate kompensiert werden müssen. Denn ›Fonds Zero‹ bedeutet am Ende ›Null Emissionen‹.«
Abgeschlossen und fertig eingerichtet wird die Jugendbibliothek jedoch nie sein. Ihre wandelbare Ausstattung gewährleistet die stetige Anpassung an die Bedürfnisse der Jugendlichen. Die Flexibilität unserer Jugendbibliothek lebt insbesondere von der Kooperation mit anderen Einrichtungen der Stadt, wie Schulen, Jugendhäusern oder Jugendinitiativen. Sie nehmen an Bibliotheksführungen teil, sind Kooperationspartner für einzelne Veranstaltungen und geben wichtige Impulse für weitere Umgestaltungen.
Wir streben an, hinsichtlich der Gestaltung einzelner Bereiche das Thema Nachhaltigkeit immer im Blick zu haben. Unsere Jugendbibliothek soll für möglichst viele Jugendliche ein nachhaltiger und attraktiver Ort bleiben, an dem Informationen und Medien gefunden werden, wo Veranstaltungen inspirieren, wo man sich trifft, lernt oder sich entspannt.
1 Das Projekt »Die Jugendbibliothek macht blau« wird gefördert im Programm Zero – Klimaneutrale Kunst- und Kulturprojekte der Kulturstiftung des Bundes. Gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.
Monika Fridrich: Seit 2001 Veranstaltungsarbeit in der Stadtbücherei Tübingen, 2001-2018 Geschäftsführerin der »Tübinger Kinder- und Jugendbuchwoche«, ab 2019 für den Bereich Grüne Bibliothek zuständig, seit 2022 Klimabeauftragte. 1990-1993 Studium an der Fachhochschule für BIbliothekswesen Stuttgart, Studiengang Öffentliches Bibliothekswesen, 1993-1997 Studium an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, Studiengang Kulturmanagement.
Annette Kreiser-Hild: Seit 2020 Teamleitung der Kinder- und Jugendbibliothek der Stadtbücherei Tübingen, Berufserfahrung in Bibliotheken unterschiedlicher Größe, darunter in einer Zweigstelle mit Bücherbus der Stadtbibliothek Ulm und Leitung der Mediothek Schönaich sowie mehrjährige Fachstellentätigkeit bei der Fachstelle für das öffentliche Bibliothekswesen in Tübingen. Studium an der damaligen HBI Stuttgart 1995-1999, Studiengang Öffentliches Bibliothekswesen.
Sigrid Spieler: Seit 2020 Teamleitung der Kinder- und Jugendbibliothek der Stadtbücherei Tübingen. 2015-2020 Fachstelle für das öffentliche Bibliothekswesen, Stuttgart. 2007-2015 Stadtbücherei Nürtingen. 1996-1998 Fachstelle für Büchereiarbeit im Bistum Limburg. 1992-1995 Studium Öffentliches Bibliothekswesen, FHÖB Bonn. 1988-1990 Ausbildung zur Buchhändlerin im Borromäusverein Bonn.