Ob Balkonkonzerte oder MusikGespräche, die Musikbibliothek der Stadtbibliothek Stuttgart bringt mit ihren Veranstaltungsformaten Musik in den Bibliotheksalltag.
Mit circa 100.000 Noten, Büchern, Musikzeitschriften, CDs, Schallplatten, Musik-DVDs, Play-alongs und CD-ROMs ist die Musikbibliothek der Stadtbibliothek Stuttgart die größte ihrer Art in Baden-Württemberg: mit fachlich kuratierten und gepflegten Beständen, laufenden Neuzugängen, Musik aller Epochen, Stilrichtungen und Schwierigkeitsgraden für die unterschiedlichsten Zielgruppen. Unser Ziel ist, Musikgenuss und Musikmachen zu ermöglichen und zu unterstützen. Zudem kann man in der Musikbibliothek selber musizieren: am digitalen Klavier oder im Klangstudio (mit verschiedenen E-Instrumenten, die mit Funkkopfhörern miteinander verbunden sind).
Die Ebene Musik in der Stadtbibliothek Stuttgart
Seit Juni 2022 gibt es Musikinstrumente zum Ausleihen: Gitarre, Oud, Violine, Cajon, Akkordeon, Veeh-Harfe, Banjo, Snare drum, Saz, Cümbüz, Percussionsets und viele andere mehr. Ein gültiger Bibliotheksausweis ermöglicht Menschen ab 14 Jahren das Ausleihen – wie sie es von den Buchbeständen kennen. Ganz einfach – aus dem Regal nehmen, in die verfügbare Tasche einpacken, ausleihen, ausprobieren, Freude haben. Der ausgebaute Notenbestand unterstützt dabei.
Schon immer war die »Musikregion Stuttgart« für unsere Arbeit prägend – was die Bibliotheksbestände, aber auch die Kooperationspartner betrifft. Das »Opernstudiolo« begleitet die Premieren der laufenden Spielzeit der Staatsoper Stuttgart. Gemeinsam mit Stuttgarter Kinderchören und in Kooperation mit dem Carus-Verlag findet jährlich das Mitsingkonzert zum Nikolaustag statt.
Unsere Veranstaltungen docken konzeptionell an die Medienbestände an und machen die Musikregion Stuttgart erleb- und erfahrbar. Speziell für Kinder gibt es Bilderbuchshows und das Mitsingkonzert zum Nikolaustag. Unsere Balkonkonzerte (im Sommer) und die MusikGespräche (im Winter) bringen für alle Musik in den Bibliotheksalltag.
Balkonkonzerte: Positive Unterbrechung im Alltag
Aus der Notlösung während der Pandemie wurde ein erfolgreiches Veranstaltungsformat. Wir erinnern uns, 2021 durften keine Musik-Veranstaltungen in Bibliotheksräumen durchgeführt werden. Es fehlte uns allen sehr, Musik live zu erleben. Gerne hätten wir »wie früher« Veranstaltungen geplant und ebenso gerne besucht, aber das war nicht möglich.
Aus dieser Situation heraus entwickelten wir die Idee, die Fassade der Stadtbibliothek zu bespielen. Die Umläufe wurden zur Bühne, der Mailänder Platz, ein großer Platz auf der Nordseite der Bibliothek hin zu einer Shopping-Mall, wurde zum Publikumsbereich. Genug Abstand und frische Luft!
Wir kontaktierten einzelne Jazz-Musiker/-innen aus dem Stuttgarter Raum und erhielten sehr wohlwollende, interessierte und begeisternde Rückmeldungen. Gerne wollten sie mit uns dieses für uns alle unbekannte Format ausprobieren. Zudem konnten wir so gemeinsam ein Projekt auf den Weg bringen, welches Kulturschaffenden eine Möglichkeit gab, wie sie in der Pandemie aktiv werden konnten. Gelebte »Musikregion Stuttgart«!
Die Idee des Balkonkonzerts: ein einstündiges Konzert unter der Woche, mitten am Tag – rund um die Mittagszeit, wenn viele Menschen bei gutem Wetter ihre Mittagspause auf dem Mailänder Platz verbringen. Solo oder im Duo – am besten mit Blasinstrumenten, die nicht verstärkt werden müssen und dennoch gut hörbar sind. Aber auch Musiker, deren Instrumente verstärkt werden müssen. Sie bringen ihre Ausstattung mit. Manche wechseln im Laufe der Darbietung auch die Ebenen und spielen mal von weiter oben, mal vom Balkon der Ebene Musik im 1. Obergeschoss.
Eine gute Mischung aus Neugierde und Erfahrung – beides ist für die Musiker/-innen wichtig. Denn wie es ist, vom Balkon auf den Platz zu spielen, das wusste niemand. Wie verhält es sich mit dem Klang, verliert er sich oder hallt er nach? Wie werden die Menschen auf dem Platz reagieren? Bleiben sie stehen und hören zu, oder gehen sie einfach weiter? Für alle eine spannende Premiere!
Durch Zufall im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein – das war ausreichend. Die freundlichen Gesichter des Publikums, die gezückten Handykameras, das Verweilen und der Applaus haben bestätigt, dass die Idee gut ankommt. Eine positive Unterbrechung im Alltag. Musik erleben, auch wenn man es nicht erwartet, Neues hören und sehen. Musik, die gute Laune macht.
Juni 2021 – eine gelungene Premiere für alle!
Das zehnjährige Bibliotheksjubiläum im Oktober 2021 konnte auch nur unter Einschränkungen gefeiert werden. Deshalb schenkten wir uns und unseren Besucherinnen und Besuchern ein »großes« Balkonkonzert an einem Samstagnachmittag. Mit sieben Musikern – zwei Saxofonen, Posaune und Trompete und einer Rhythmusgruppe auf der Ebene Musik – dieses Mal mit verstärktem Bass, Schlagzeug und E-Gitarre und ein Arrangement speziell für diesen Anlass. Dass die Bläser zum Ende nach unten auf den Platz kamen und dort weitergroovten, hat alle begeistert.
Der Erfolg war so groß, dass wir dieses Veranstaltungskonzept nicht aufgeben wollten – waren die Balkonkonzerte zwar unter eingeschränkten Corona-Bedingungen gestartet, so sind sie doch eine einmalige Chance, gleichzeitig Menschen im öffentlichen Raum anzusprechen und das Stadtbibliothek-Gebäude in diesen Raum hinein zu inszenieren und zu beleben.
Und so wurden die Balkonkonzerte zum festen Bestandteil unserer Veranstaltungsarbeit: In den warmen Monaten von Mai bis September gibt es nun schon im dritten Jahr jeden Monat ein Balkonkonzert. Terminierung, Besetzung und Inszenierung werden in enger Absprache mit den Musikerinnen und Musikern entwickelt und entschieden. Wir versuchen, die Erfahrung und Rückmeldung der vorangegangenen Musiker/-innen mit in diesen Prozess einzubringen. Damit haben wir Erfolg, alle sind begeistert. Und das Konzept spricht sich herum. Vor Kurzem reagierte ein Musiker, er habe davon gehört und freue sich, dass jetzt die Anfrage an ihn gekommen sei. Und die, die da waren, fragen nach, ob sie im nächsten Jahr wiederkommen dürfen. Alles Profis!
Grundlage dieser Arbeit ist das Konzept der »Musikregion Stuttgart«. Sie ist der rote Faden durch alle Aspekte: Bibliotheksbestände, Veranstaltungen, Kooperationen und jetzt auch bei den Balkonkonzerten. Insofern docken auch diese an den realen Bibliotheksbestand an, und vor allem an unser Selbstverständnis, eine öffentliche Musikbibliothek für alle zu sein.
Aus diesen Erfahrungen und in einem Gespräch nach einem Balkonkonzert hat sich überraschend ein weiteres Veranstaltungsformat entwickelt: die MusikGespräche.
MusikGespräche: Raum für Offenheit und Neugierde
In den Wintermonaten – von Oktober bis April – laden wir Gäste zu uns auf die Ebene Musik ins offene Klangstudio ein. Nicht in einen geschlossenen Veranstaltungsraum, sondern in den offenen Publikumsbereich. Durch die Öffnung der Glasfront des Klangstudios, in der normalerweise im geschützten Raum auf elektronischen Instrumenten musiziert werden kann, entsteht eine Bühne. Die Zuhörer/-innen sitzen im Bereich zwischen den Regalen. Während der Öffnungszeiten, ohne Anmeldung und ohne Eintrittsgebühr kommen manche gezielt für die ganze Veranstaltung, andere bleiben kurz stehen und hören zu.
Wir wollen allen Menschen ermöglichen teilzunehmen; die, die sich bewusst entschieden haben, aber auch diejenigen, die durch Zufall »zur richtigen Zeit am richtigen Ort« sind und dazukommen, reinschnuppern, weiterziehen – oder bleiben. Wir stellen den Raum zur Verfügung, wir vernetzen. Das ist uns wichtig: die Bibliothek als konsumfreier Raum für alle, für eine offene Gesellschaft, wir bieten Teilhabe und machen die zivilgesellschaftliche Rolle erfahr- und erlebbar.
Beim Medienbestand freuen wir uns, wenn Menschen mit Titeln in Berührung kommen, die sie gar nicht gesucht haben. Das gilt nun auch für die MusikGespräche: zuhören und teilnehmen an etwas, das man nicht kennt oder das man nicht erwartet hat. Horizonterweiterung. Raum für Offenheit und Neugierde.
Ein weiteres Charakteristikum der MusikGespräche ist die Gleichwertigkeit von Musik und Gespräch. Ein Gast aus dem weiten Feld der Musik, sei es jemand, der auf der Bühne als Künstler/-in arbeitet oder Menschen, die Musik ermöglichen – aus der Kulturszene, Musikverlag, Verwaltung, Organisationen – und als dritte Variante: Personen, für die Musik ein wichtiger Bestandteil in ihrem Leben ist, die aber beruflich etwas ganz Anderes machen. Die Bandbreite ist vielfältig und gibt einen Einblick in unterschiedlichste Genres, Musikwelten und Lebenserfahrungen. Gleichzeitig entscheidet der Gast welche Musik live gespielt wird.
Ein Gespräch, kein Interview, eher ein Plaudern. Dem Gast gegenüber: Lorenzo Petrocca, ein Profi-Musiker, und die Autorin dieses Beitrags und Leiterin der Ebene Musik, die sich zusammen mit dem Gast unterhalten. Lorenzo Petrocca ist ein weit über die Grenzen bekannter Stuttgarter Jazz-Gitarrist. Wie besonders es sei, Musiker miteinander sprechen zu erleben, wurde gleich beim ersten Termin zurückgemeldet. Gemeinsam kommen die beiden mit dem Gast ins Gespräch – darüber, was Musik für ihn/sie bedeutet, über Träume, Ideen, persönliche Einblicke in die Musik-Liebe. Über Musik und die Welt! Die Idee, die dahintersteckt ist in erster Linie, den Gast persönlich kennenzulernen.
Der erste Gast war im Dezember 2022 der junge Jakob Manz, der kurz davor mit dem Jazzpreis des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet worden war. Dass er mehr aufgeregt sei als bei der Preisverleihung, hat man ihm nicht angemerkt. Eben auch hier – zwar kein Balkon, aber eine ungewohnte Bühne, keine Scheinwerfer, kein gewohntes Setting. Im Januar 2023 war dann der 60 Jahre ältere Ron Williams zu Gast – sein Leben in Deutschland hatte vor vielen Jahrzehnten in Stuttgart begonnen. Als dritter Gast in der »ersten Saison« kam im April Gabriele Zerweck. Sie ist zweite Geschäftsführerin der Ludwigsburger Schlossfestspiele und versteht sich als eine Musik-Ermöglicherin.
Und die Musik? Darüber wird nicht nur geredet, sondern vor allem auch zusammen Musik gemacht. Der Gast wählt im Vorfeld drei Stücke aus, die ihm/ihr wichtig sind. Im Laufe des Gesprächs spielen die beiden Musiker live und (fast) unplugged. So wird das hörbar, worüber gesprochen wird.
Wenn der Gast kein/-e aktive/-r Musiker/-in ist, spielt Petrocca eine Art Live-Playlist – Titel, die sich der Gast wünscht und für ihn/sie prägend sind.
Die Atmosphäre soll so sein, wie wenn man sich zuhause mit einem Gast unterhält – persönlich, intim und wie im geschützten Raum. Und das war an allen Abenden spürbar, denn im Laufe des Abends öffnete sich das circa 90-minütige Gespräch hin aufs Publikum und es kamen Fragen oder Kommentare, die die Unterhaltung erweiterten.
Mit dem MusikGespräch wird einer unserer Visionen Wirklichkeit. Die Gespräche erwecken das zum Leben, was die Ebene Musik ausmachen soll. Live, hör- und sichtbar. Wohnzimmeratmosphäre im öffentlichen Raum.
Beate Straka, Studium an der FHB Stuttgart, im Anschluss musikbibliothekarisches Zusatzstudium mit Praktikum in der Musikbücherei Stuttgart, ab 1988 Bibliothekarin in der Stadtbibliothek Stuttgart, 1992 Teilnahme am Bertelsmann-Management-Seminar, Lehrauftrag an der HdM Stuttgart, seit 2010 Leitung der Ebene Musik – mit den Schwerpunkten Konzeption, Tonträgerlektorat und Veranstaltungen. (Foto: Diana Balser-Steck)