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»K« für Kunstwerk: Kunst in der Staatsbibliothek zu Berlin

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Kunst in der Staatsbibliothek zu Berlin. Foto: Staatsbibliothek zu Berlin

Die Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz gehört zu den größten Bibliotheken der Welt.[1] Der Name änderte sich vielfach, von der Churfürstlichen zur Königlichen Bibliothek, von der Preußischen Staatsbibliothek zu einer geteilten Institution als Deutsche Staatsbibliothek und Westdeutsche Bibliothek oder Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz. Seit 1992 gibt es die Staatsbibliothek zu Berlin. Sie ist Teil der Stiftung Preußischer Kulturbesitz[2], Deutschlands größter Kultureinrichtung mit Museen, Bibliotheken und wissenschaftlichen Institutionen. Sie hat zwei fulminante Gebäude und vier Standorte, besitzt über 23 Millionen Medieneinheiten – Drucke, Handschriften, Landkarten, Zeitungen und andere Materialien, deren Fülle und Qualität überwältigend sind. In ihrer über 350-jährigen Geschichte konnte die Institution durch Erwerbungen, Schenkungen und Vermächtnisse auf allen Gebieten des geistigen Lebens ihre Bestände stetig erweitern. Deshalb sind die Sammlungen der Staatsbibliothek zu Berlin einzigartig und nationales und Weltkulturerbe[3].

Besucher in meinem Büro in der Potsdamer Straße fordere ich gern auf, die Lessing-Büste auf dem Schreibtisch etwas zur Seite zu schieben, damit wir mehr Platz zum Arbeiten haben. Was folgt, ist eine Überraschung: Die immerhin 52 Zentimeter hohe Büste ist federleicht, weil aus Pappmaché. Der Porträtkopf des großen deutschen Dichters trägt die Inventarnummer »K 1«, und ist also Objekt Nummer 1 der Kunstsammlung der Staatsbibliothek. Diese soll im Mittelpunkt meines Beitrages stehen – steht sie doch im Schatten der bekannten und kostbaren Sammlungen unserer Sonderabteilungen:

Neben Lessings Pappmaché-Büste aus dem Jahr 1781 begleiten mich in meinem Arbeitsalltag drei Gemälde. Diese Bilder und der Kopf des hochverehrten Lessings sollen hier exemplarisch für unseren Kunstbesitz stehen und zeigen, wie die Schätze ins Haus gekommen sind. In einer Bibliothek stehen sie naturgemäß nicht im Mittelpunkt.

Aufklärung bringt ein Blick in die über 350-jährige Geschichte unserer Institution: Kunstwerke gehörten schon zum Gründungsbestand der Bibliothek. Neben der wohlüberlegten Anschaffung von Büchern, der Erwerbung von Handschriften, Karten und Musikalien erhielt die Institution ganze Bibliotheken, Nachlässe und Sondersammlungen geschenkt. Mit solchen Vermächtnissen und dem Ankauf von Nachlässen kamen auch Büsten und Bilder, vor allem Gemälde in unseren Besitz. Es entstand eine beachtliche Sammlung von inzwischen über 400 Objekten.

Der Kunsthistoriker Erich Biehahn(1891-1973) hat die Kunstwerke ab 1957, als das Gebäude Unter den Linden noch schwer von den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs gezeichnet war, im Auftrag des Generaldirektors Horst Kunze zusammengetragen. Ihm gefiel die Büste Lessings anscheinend so gut, dass er ihr völlig willkürlich die Nummer 1 der neu zu begründenden Kunstsammlung gab.

Zunächst wurden unter rein räumlichen Kriterien all jene Kunstobjekte erfasst, die nicht in den Sondersammlungen der Bibliothek verzeichnet und erschlossen wurden. Biehahn begann in der Handschriftenabteilung mit der Inventarisierung der Kunstobjekte und legte fest, dass »sämtlichen Nummern« ein »K vorangestellt« ist. Im »Verzeichnis der 1957 inventarisierten Gemälde, Büsten usw.« erfasste er alle Kunstwerke, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Haus Unter den Linden noch vorhanden waren. Er inventarisierte die Werke im Hauptlesesaal, weiter ging es in den Räumen der Kartenabteilung, der Musikabteilung und der Orientabteilung. Schließlich erfasste der Kunsthistoriker auch noch ohne erkennbares Ordnungsprinzip Bilder aus einigen Sammlungen, wie die Pastelle aus dem Besitz von Karl August Varnhagen von Ense (1785-1858), aber auch Büsten und Totenmasken.

Die »K-Nummer« hat bis heute überlebt

Warum Biehahn von dem von ihm selbst aufgestellten Kriterium der Inventarisierung nach Ort der Präsentation abwich, bleibt ungeklärt. Trotzdem ist sein Werk-Verzeichnis bis heute gültig; die »K-Nummer« hat bis heute überlebt und das Verzeichnis wird intern weiter geführt.[4] 1961 erschien der kleine Band »Kunstwerke der Deutschen Staatsbibliothek«, der 238 Nummern nannte und die Objekte kurz beschrieb.[5] Ein Abbildungsteil ergänzt die Auflistung und die Register der Künstler und der Dargestellten. Auf der Grundlage dieses Werkes erreichen uns Anfragen für Ausstellungen und Leihgaben, denen wir gern nachkommen.

Das größte Gemälde in meinem Zimmer ist gerade von einer Ausstellung zurückgekommen. Es ist der Stammbaum der Markgrafen von Brandenburg-Ansbach, gemalt von unbekannter Hand aus den Jahren um 1570.[6] Über 200 verschiedene fein gemalte Gesichter schauen den Betrachter an, Wappenbänder und bunte Kostüme sind ein Blickfang. Das Bild zierte die Wände der Bibliothek, als diese noch im Apothekerflügel des Berliner Schlosses untergebracht war. Das Bild war in einem arg mitgenommenen Zustand, denn es gehörte schon zum Gründungsbesitz der Bibliothek. Wir konnten es 2007 restaurieren lassen.

»Bei der Mehrzahl der vorhandenen und erhalten gebliebenen Kunstwerke handelt es sich um Porträts von Persönlichkeiten, die zu ihrer Zeit bekannt oder berühmt waren.«

Zum ältesten Besitz gehört auch ein Lucas Cranach-Gemälde – das Porträt des Historiographen und Astronomen Johann C. Carion(1499-1537). Der vielseitig gebildete Mann stand in den Diensten des brandenburgischen Kurfürsten, das Bild wurde in der Familie weiter vererbt und kam schließlich in die »churfürstliche Bibliothek«[7]. Johann Carl Conrad Oelrichs beschrieb 1752 in seinem »Entwurf der Geschichte der Königlichen Bibliothek« die Räume: In den Gängen hängen die Bildnisse von »12 heidnische Weltweisen«, also von antiken Denkern, und Bildnisse von Reformatoren und anderen großen Männern aus dem 15.und 16. Jahrhundert. Auch Cranachs Carion-Porträt wird von Oelrichs erwähnt.«[8]

Wie sehr die Bibliothekare schon damals die Kunstwerke zu schätzen wussten, zeigte sich 1805 in ihrem erfolgreichen Widerstand gegen die Aufforderung des übergeordneten Ministeriums, die Bilder an die Museen abzugeben: »...diese Gemälde von Cranach bilden einen besonderen Schmuck der Bibliothek.«[9] Dem bleibt nichts hinzuzufügen.

Bei der Mehrzahl der vorhandenen und erhalten gebliebenen Kunstwerke handelt es sich um Porträts von Persönlichkeiten, die zu ihrer Zeit bekannt oder berühmt waren. Bilder von deutschen und französischen Dichtern, Wissenschaftlern und Musikern dominieren. In den »Utensilien- und Inventarverzeichnissen« der Königlichen Bibliothek werden zahlreiche Bilder, Kupferstiche und Büsten, samt ihren hölzernen Posamenten wie anderes Mobiliar, Kleiderständer und Tischlampen aufgeführt.[10]

Das zweite Bild in meinem Büro, ein goldgerahmtes Porträt eines jungen Mannes, stammt aus dem 17. Jahrhundert. Es zeigt den französischen Dramatiker Jean Baptiste de Racine (1639-1699), sitzend und nach vorn gewandt hält er eine Schriftrolle. Es ist die Kopie eines zeitgenössischen Originals. Bei der Restaurierung des Gemäldes wurde sichtbar, dass der sparsame Maler die Leinwand schon einmal bemalt hatte. Nun sieht man mehrere Bücher verkehrt herum in der oberen linken Ecke.

Im Besitz der Staatsbibliothek befindet sich ein weiteres Porträt Racines. Einst gehörte es zur Sammlung des Prinzen Heinrich von Preußen (1726-1802), der auf Schloss Rheinsberg residierte und das Bibliothekszimmer im Schloss mit 13 Porträts französischer Dichter, einem Porträt des Polyhistors Gottfried Wilhelm Leibniz, dazu Büsten von Jean-Antoine Houdon (1741-1828) schmückte, aber auch Möbel, Bücher und Stiche sammelte. Nach dem Tod des Prinzen kamen diese Dinge per Schiff nach Berlin und wurden dank königlicher Order der Königlichen Bibliothek übereignet. Im Rahmen eines Leihvertrags mit der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten sind alle Gemälde und drei Büsten bis 2025 nach Rheinsberg an ihren ursprünglichen Ort zurückgekehrt.[11]

Das dritte Gemälde in meinem Büro ist ein Jugendporträt des Historien- und Landschaftsmalers Carl Friedrich Lessing(1808-1880), gemalt von Carl Sohn im Jahr 1833. Es zeigt den 25-jährigen Großneffen von Gotthold Ephraim Lessing, der als Begründer der »Düsseldorfer Malerschule« bekannt wurde. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass wir ein zweites Porträt von C.F. Lessing besitzen. Das ebenfalls von Carl Sohn gemalte Porträt zeigt den Achtundvierzigjährigen als gereifte Persönlichkeit. Beide Bilder und 40 weitere Kunstwerke stammen aus dem Besitz des Verlegers Carl Robert Lessing (1827-1911). Der hatte der Bibliothek seine kostbaren Sammlungen an Autographen und Büchern, Kunstwerken und Möbeln samt Gebäude in der Dorotheenstraße 13 testamentarisch vermacht. Das Lessinghaus wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und später abgerissen.

Das schönste aller Lessing-Porträts

Der Kunsthistoriker Erich Biehahn erstellte 1960 auch eine »Liste der noch im Keller (der Staatsbibliothek) befindlichen Gemälde«, die schwer beschädigt waren, und überwiegend aus dem Lessinghaus stammten. Unter diesen Stücken befanden sich mehrere Darstellungen des Dichters G.E. Lessing, auch das Original des »schönsten aller Lessing-Porträts« von Anton Graff, »verteufelt freundlich« gemalt im September 1771.[12] Das populäre, aus Schulbüchern bekannte und oft kopierte Gemälde wurde aufwendig restauriert und seitdem in mehreren Ausstellungen als Leihgabe gezeigt. In der Zukunft wird es einen Platz im neuen Bibliotheksmuseum finden – auch wenn sich Gotthold Ephraim Lessing zu Lebzeiten vergeblich um eine Anstellung in der Königlichen Bibliothek bemühte.

Ein anderes Porträt aus unserem Bestand hat es sogar auf eine Briefmarke der Deutschen Post geschafft: das nur postkartengroße Bildnis Heinrich von Kleists. 2002, im Gedenkjahr zum 225. Geburtstag des Dichters, fand das kleine Gemälde als Postwertzeichen massenhafte Verbreitung.[13]

Eher unbekannt ist dagegen das größte Porträt unserer Kunstsammlung. Dabei ist die Darstellung des Universalgelehrten Alexander von Humboldt gar nicht zu übersehen. Betritt man den neuen Rara- und Musiklesesaal im Haus Unter den Linden, so begegnet man unweigerlich dem von Julius Schrader im Jahr 1858 gemalten überlebensgroßen Porträt des Gelehrten und Weltreisenden. Zwischen restaurierten Säulen hängt das 3,25 Meter mal 2,48 Meter große Bild an exponierter Stelle; so gut wie jetzt wurde das Geschenk des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. an die Bibliothek noch nie präsentiert.

Die Geschichte des Gemäldes ist so außergewöhnlich wie der Porträtierte. Nach Streitereien zwischen Auftraggeber und Maler erwarb das Preußische Kultusministerium im Auftrag des Königs das Gemälde; schließlich war Humboldt nicht irgendwer. Friedrich Wilhelm IV. schenkte es 1860 der Bibliothek, die eine so honorige Gabe natürlich annehmen und aufhängen musste. Eine alte Fotografie zeigt, wie es im Konferenzraum der Königlichen Bibliothek, zwischen Fuß- und Deckenleiste eingezwängt, jegliche Wirkung verliert. Mit der Hängung im internen Bereich der Bibliothek verschwand das Gemälde für viele Jahre aus der Öffentlichkeit. Es wurde auch nicht, wie geplant, auf der Weltausstellung in Paris 1867 präsentiert, es taucht in keinem bekannten Lexikon auf. Selbst im Werkverzeichnis von Julius Schrader wird es nicht genannt.[14]

Nach der Übergabe eines weiteren restaurierten Gebäudeabschnitts des Hauses Unter den Linden im Jahr 2017 befindet sich dort im Adolf von Harnack-Saal eine besondere Gemäldesammlung: Hier werden die Porträts der früheren Generaldirektoren präsentiert. Dazu gehören als Auftragswerke ein Porträt des Historikers Georg Heinrich Pertz, des Ägyptologen Richard Lepsius und natürlich ein Porträt des Theologen Adolf von Harnack, das von Fritz Rhein gemalt wurde.[15]

Doch zurück in mein Büro in der Staatsbibliothek in der Potsdamer Straße[16]. Schon auf dem Weg dorthin begegne ich der Kunst auf Schritt und Tritt, und das im wahrsten Sinne des Wortes: Der Fußboden der Eingangshalle ist ein Kunstwerk von Erich Reuter (1911-1997), rechts steht als Leihgabe die Büste von Dietrich Bonhoeffer, geschaffen von Alfred Hrdlicka(1928-2009). Sanftes Licht fällt durch die bunten Glasbausteine von Alexander Camaro (1901-1992) Auf dem Weg in den Lesesaal begegnet mir auf der rechten Seite Matthias Koeppels (*1937) großformatiges Gemälde »Grundsteinlegung am Potsdamer Platz«[17].

Das Gebäude als Gegenstand der Kunst

Der »Kunst am Bau«, dieser pragmatischen Möglichkeit, Kunstwerke in neuen und restaurierten Gebäuden zu präsentieren, verdanken wir diese, und noch weitere zeittypischen Objekte, die der Architekt Hans Scharoun (1893-1972) von Anfang an in die Planung der Staatsbibliothek am Potsdamer Platz einbezog. Kein Wunder, dass das Gebäude selbst zum Gegenstand der Kunst wurde: In Wim Wenders filmischen Meisterwerk »Der Himmel über Berlin« (1987) sitzen die Engel Damiel und Cassiel auf der Galerie und beobachten die Menschen in den großzügigen Leselandschaften der Bibliothek.

Ganz andere Gestalten stehen auf dem Gebäude der Staatsbibliothek Unter den Linden. 33 steinerne Statuen, überlebensgroße allegorische Figuren, schmücken das Gebäude im Stil der Zeit, der wilhelminischen Ära[18]. Dies allerdings in einer solchen Höhe, dass sie für Passanten nicht sichtbar sind. Schade eigentlich – aber dann doch nicht so schlimm.

Die Generalsanierung des Gebäudes ist Anlass zur umfassenden Restaurierung vorhandener Kunstschätze, wie der monumentalen Figurengruppe »Gottvater haucht Adam den Odem ein« von 1898. Zu finden ist die von Gustav Eberlein (1847-1926) geschaffene Bronze in der zweiten Etage des Gebäudes, direkt vor dem Wilhelm v. Humboldt-Saal. Obwohl wirklich nicht zu übersehen, vergaß Erich Biehahn in den Fünfzigerjahren, das Kunstwerk zu inventarisieren. Es war die ganze Zeit anwesend, ebenso wie das gewaltige Humboldt-Bild, wurde es im Zweiten Weltkrieg nicht ausgelagert.

Abwesend ist dagegen zurzeit noch die 2,20 Meter hohe Bronzestatue mit dem Titel »Fragen eines Lesenden Arbeiters« von 1961. Auch sie wird gegenwärtig restauriert und soll mit der Öffnung des Brunnenhofes im nächsten Jahr wieder aufgestellt werden. Die Skulptur eines Arbeiters mit einem Buch in der Hand ist ganz eindeutig ein zeittypisches Werk der DDR-Kunst. Bildhauer Werner Stötzer (1931-2010) konterkarierte sein »sozialistisches Arbeiterstandbild« mit dem Text des Brecht-Gedichtes »Fragen eines lesenden Arbeiters«, dessen letzte Zeilen (ganz dialektisch) lauten: »So viele Berichte. / So viele Fragen«.

»Noch Fragen?« heißt dagegen ein luftiges Objekt von Olaf Metzel (*1966), das unter der Decke des neuen Lesesaals hängt.[19] Die Wolke aus bedruckten und zerknüllten Aluminiumplatten aus dem Jahr 2011 stellt auf ganz andere, aber wieder zeitgenössische Art Fragen zum Thema Lesen.

Im nächsten Jahr wird die Generalsanierung des Hauses Unter den Linden abgeschlossen sein. Zurzeit arbeiten wir an einem Konzept für die Präsentation weiterer Kunstwerke in den neuen Räumlichkeiten. Und es gibt in unserer, so zufällig entstandenen Kunstsammlung noch einiges zu entdecken und zu erforschen. Nun – die Zeit wird vergehen, wie all die Jahre zuvor, und die Stunden und Minuten zeigen uns als »Kunst am Bau« die vier abstrakten Uhrenobjekte von Tobias Rehberger (*1966). Im Rara-Lesesaal ist die Uhr schon zu sehen, im Handschriftenlesesaal, der im nächsten Jahr eröffnet wird, erwartet uns ein Objekt, das schon jetzt in Grün und Orange leuchtet.

Ein Bibliotheksbesuch in der Staatsbibliothek zu Berlin kann also auch immer ein Besuch bei zeitgenössischen und historischen Kunstobjekten sein. Eigentlich braucht man dafür noch nicht einmal seine Wohnung zu verlassen: Viele Kunstwerke wie das Porträt Voltaires aus Rheinsberg[20], besonders Porträts, auch als Stiche und Fotografien, sind schon jetzt in den digitalen Sammlungen unter dem Stichpunkt »Porträts, Bildmaterialien« zu sehen.

Gabriele Kaiser / 13.2.2018

Der Beitrag ist zuerst erschienen in BuB 01/2018, Seite 47-51.

 

Die Autorin

Dr. Gabriele Kaiser  ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Handschriftenabteilung im Referat Nachlässe und Autographen. Sie arbeitete auch als Baureferentin im Haus Unter den Linden, als persönliche Referentin für zwei Generaldirektoren und im Fundraising in Zusammenarbeit mit dem Verein der Freunde der Staatsbibliothek zu Berlin. Sie kuratierte mehrere Ausstellungen, veröffentlichte zuletzt, mit Diethelm Eikermann, »Die Pest in Berlin 1576«.

[1.] staatsbibliothek-berlin.de/die-staatsbibliothek/zahlen-und-fakten/

[2.] www.preussischer-kulturbesitz.de abgerufen am 8. 9.2017

[3.] Alle Informationen auch online im Bibliotheksmagazin der Staatsbibliotheken in Berlin und München. staatsbibliothek-berlin.de/die-staatsbibliothek/publikationen-der-staatsbibibliothek/bibliotheksmagazin/

[4.] Porträts als Stiche oder Fotografien wurden ab 1925 für die Porträtsammlung auch noch mit einer eigenen Signatur nach Formaten erfasst.

[5.] Kunstwerke der Deutschen Staatsbibliothek. Im Auftrag der Hauptdirektion. bearbeitet von Erich Biehahn. Henschelverlag Berlin 1961 - 136 S.

[6.] Eef Overgaauw: Gemalte Markgrafen. In: Bibliotheksmagazin, 3, 2010, S. 48-53

[7.] Es ist gegenwärtig in der Alten Nationalgalerie der Staatlichen Museen Berlin zu sehen. Martin Hollender: Lucas Cranachs Porträt des Astrologen Johannes Carion. In: Bibliotheksmagazin 2015,1, S. 44

[8.] Johann Carl Conrad Oelrichs: Entwurf einer Geschichte der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Neudruck der Ausgabe von Haude u. Spener, Berlin 1752. Nachwort von Friedhilde Krause…, Zentralantiquariat der DDR, 1986, S. 15-16

[9.] Archiv der Staatsbibliothek. Acta VI.17, 1798- , Bl. 101-103 und meine Handakte zur Kunstsammlung

[10.] Aufzeichnungen dazu im Nachlass Emil Jacobs, Mp. 602-605., meiner Kollegin i.R. Dr. Ursula Winter danke ich für unsere »Kunst- Gespräche«.

[11.] Gabriele Kaiser: Voltaire und die anderen… In: Bibliotheksmagazin, 3,2010, S. 24-28

[12.] Birka Siwczyk: »Doch wer ihn kennt, erkennt ihn im Bilde.« Lessing im Porträt. Kamenz 2012, S. 34

[13.] Handschriftenabteilung, Nachlass Heinrich von Kleist, K. 1

[14.] Gabriele Kaiser: »Portrait des Freiherrn Alexander von Humboldt….«. In: Bibliotheksmagazin 2014,3, S. 30-34

[15.] Friedhilde Krause: Bemerkungen zu den Ölgemälden im Rudolf-Hoecker-Saal der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. In: Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät, 59(2003)3, S. 65–87

[16.] Eine virtuelle Ausstellung gibt es unter blog.sbb.berlin/buecherschiff/

[17.] Martin Hollender: Matthias Koeppels »Grundsteinlegung am Potsdamer Platz«. In: Bibliotheksmagazin 2009,2, S. 71-75

[18.] Die gesamte Baugeschichte der Häuser in: Gerhard Ihlow: Die Gebäude der Kurfürstlichen Bibliothek, der Königlichen Bibliothek sowie der Preussischen Staatsbibliothek zu Berlin im Spiegel ihrer Zeit 1652-1940. Staatsbibliothek zu Berlin. 2013, 409 S.

[19.] Der neue Lesesaal der Staatsbibliothek zu Berlin, Nicolaische Verlagsbuchhandlung, 2013, S. 40-45

[20.] resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB0001AFBC00000000






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»K« für Kunstwerk: Kunst in der Staatsbibliothek zu Berlin

Abbildung-7-Harnack-Saal-im-Geb--ude-Unter-den-Linden.jpg
Kunst in der Staatsbibliothek zu Berlin. Foto: Staatsbibliothek zu Berlin

Die Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz gehört zu den größten Bibliotheken der Welt.[1] Der Name änderte sich vielfach, von der Churfürstlichen zur Königlichen Bibliothek, von der Preußischen Staatsbibliothek zu einer geteilten Institution als Deutsche Staatsbibliothek und Westdeutsche Bibliothek oder Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz. Seit 1992 gibt es die Staatsbibliothek zu Berlin. Sie ist Teil der Stiftung Preußischer Kulturbesitz[2], Deutschlands größter Kultureinrichtung mit Museen, Bibliotheken und wissenschaftlichen Institutionen. Sie hat zwei fulminante Gebäude und vier Standorte, besitzt über 23 Millionen Medieneinheiten – Drucke, Handschriften, Landkarten, Zeitungen und andere Materialien, deren Fülle und Qualität überwältigend sind. In ihrer über 350-jährigen Geschichte konnte die Institution durch Erwerbungen, Schenkungen und Vermächtnisse auf allen Gebieten des geistigen Lebens ihre Bestände stetig erweitern. Deshalb sind die Sammlungen der Staatsbibliothek zu Berlin einzigartig und nationales und Weltkulturerbe[3].

Besucher in meinem Büro in der Potsdamer Straße fordere ich gern auf, die Lessing-Büste auf dem Schreibtisch etwas zur Seite zu schieben, damit wir mehr Platz zum Arbeiten haben. Was folgt, ist eine Überraschung: Die immerhin 52 Zentimeter hohe Büste ist federleicht, weil aus Pappmaché. Der Porträtkopf des großen deutschen Dichters trägt die Inventarnummer »K 1«, und ist also Objekt Nummer 1 der Kunstsammlung der Staatsbibliothek. Diese soll im Mittelpunkt meines Beitrages stehen – steht sie doch im Schatten der bekannten und kostbaren Sammlungen unserer Sonderabteilungen:

Neben Lessings Pappmaché-Büste aus dem Jahr 1781 begleiten mich in meinem Arbeitsalltag drei Gemälde. Diese Bilder und der Kopf des hochverehrten Lessings sollen hier exemplarisch für unseren Kunstbesitz stehen und zeigen, wie die Schätze ins Haus gekommen sind. In einer Bibliothek stehen sie naturgemäß nicht im Mittelpunkt.

Aufklärung bringt ein Blick in die über 350-jährige Geschichte unserer Institution: Kunstwerke gehörten schon zum Gründungsbestand der Bibliothek. Neben der wohlüberlegten Anschaffung von Büchern, der Erwerbung von Handschriften, Karten und Musikalien erhielt die Institution ganze Bibliotheken, Nachlässe und Sondersammlungen geschenkt. Mit solchen Vermächtnissen und dem Ankauf von Nachlässen kamen auch Büsten und Bilder, vor allem Gemälde in unseren Besitz. Es entstand eine beachtliche Sammlung von inzwischen über 400 Objekten.

Der Kunsthistoriker Erich Biehahn(1891-1973) hat die Kunstwerke ab 1957, als das Gebäude Unter den Linden noch schwer von den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs gezeichnet war, im Auftrag des Generaldirektors Horst Kunze zusammengetragen. Ihm gefiel die Büste Lessings anscheinend so gut, dass er ihr völlig willkürlich die Nummer 1 der neu zu begründenden Kunstsammlung gab.

Zunächst wurden unter rein räumlichen Kriterien all jene Kunstobjekte erfasst, die nicht in den Sondersammlungen der Bibliothek verzeichnet und erschlossen wurden. Biehahn begann in der Handschriftenabteilung mit der Inventarisierung der Kunstobjekte und legte fest, dass »sämtlichen Nummern« ein »K vorangestellt« ist. Im »Verzeichnis der 1957 inventarisierten Gemälde, Büsten usw.« erfasste er alle Kunstwerke, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Haus Unter den Linden noch vorhanden waren. Er inventarisierte die Werke im Hauptlesesaal, weiter ging es in den Räumen der Kartenabteilung, der Musikabteilung und der Orientabteilung. Schließlich erfasste der Kunsthistoriker auch noch ohne erkennbares Ordnungsprinzip Bilder aus einigen Sammlungen, wie die Pastelle aus dem Besitz von Karl August Varnhagen von Ense (1785-1858), aber auch Büsten und Totenmasken.

Die »K-Nummer« hat bis heute überlebt

Warum Biehahn von dem von ihm selbst aufgestellten Kriterium der Inventarisierung nach Ort der Präsentation abwich, bleibt ungeklärt. Trotzdem ist sein Werk-Verzeichnis bis heute gültig; die »K-Nummer« hat bis heute überlebt und das Verzeichnis wird intern weiter geführt.[4] 1961 erschien der kleine Band »Kunstwerke der Deutschen Staatsbibliothek«, der 238 Nummern nannte und die Objekte kurz beschrieb.[5] Ein Abbildungsteil ergänzt die Auflistung und die Register der Künstler und der Dargestellten. Auf der Grundlage dieses Werkes erreichen uns Anfragen für Ausstellungen und Leihgaben, denen wir gern nachkommen.

Das größte Gemälde in meinem Zimmer ist gerade von einer Ausstellung zurückgekommen. Es ist der Stammbaum der Markgrafen von Brandenburg-Ansbach, gemalt von unbekannter Hand aus den Jahren um 1570.[6] Über 200 verschiedene fein gemalte Gesichter schauen den Betrachter an, Wappenbänder und bunte Kostüme sind ein Blickfang. Das Bild zierte die Wände der Bibliothek, als diese noch im Apothekerflügel des Berliner Schlosses untergebracht war. Das Bild war in einem arg mitgenommenen Zustand, denn es gehörte schon zum Gründungsbesitz der Bibliothek. Wir konnten es 2007 restaurieren lassen.

»Bei der Mehrzahl der vorhandenen und erhalten gebliebenen Kunstwerke handelt es sich um Porträts von Persönlichkeiten, die zu ihrer Zeit bekannt oder berühmt waren.«

Zum ältesten Besitz gehört auch ein Lucas Cranach-Gemälde – das Porträt des Historiographen und Astronomen Johann C. Carion(1499-1537). Der vielseitig gebildete Mann stand in den Diensten des brandenburgischen Kurfürsten, das Bild wurde in der Familie weiter vererbt und kam schließlich in die »churfürstliche Bibliothek«[7]. Johann Carl Conrad Oelrichs beschrieb 1752 in seinem »Entwurf der Geschichte der Königlichen Bibliothek« die Räume: In den Gängen hängen die Bildnisse von »12 heidnische Weltweisen«, also von antiken Denkern, und Bildnisse von Reformatoren und anderen großen Männern aus dem 15.und 16. Jahrhundert. Auch Cranachs Carion-Porträt wird von Oelrichs erwähnt.«[8]

Wie sehr die Bibliothekare schon damals die Kunstwerke zu schätzen wussten, zeigte sich 1805 in ihrem erfolgreichen Widerstand gegen die Aufforderung des übergeordneten Ministeriums, die Bilder an die Museen abzugeben: »...diese Gemälde von Cranach bilden einen besonderen Schmuck der Bibliothek.«[9] Dem bleibt nichts hinzuzufügen.

Bei der Mehrzahl der vorhandenen und erhalten gebliebenen Kunstwerke handelt es sich um Porträts von Persönlichkeiten, die zu ihrer Zeit bekannt oder berühmt waren. Bilder von deutschen und französischen Dichtern, Wissenschaftlern und Musikern dominieren. In den »Utensilien- und Inventarverzeichnissen« der Königlichen Bibliothek werden zahlreiche Bilder, Kupferstiche und Büsten, samt ihren hölzernen Posamenten wie anderes Mobiliar, Kleiderständer und Tischlampen aufgeführt.[10]

Das zweite Bild in meinem Büro, ein goldgerahmtes Porträt eines jungen Mannes, stammt aus dem 17. Jahrhundert. Es zeigt den französischen Dramatiker Jean Baptiste de Racine (1639-1699), sitzend und nach vorn gewandt hält er eine Schriftrolle. Es ist die Kopie eines zeitgenössischen Originals. Bei der Restaurierung des Gemäldes wurde sichtbar, dass der sparsame Maler die Leinwand schon einmal bemalt hatte. Nun sieht man mehrere Bücher verkehrt herum in der oberen linken Ecke.

Im Besitz der Staatsbibliothek befindet sich ein weiteres Porträt Racines. Einst gehörte es zur Sammlung des Prinzen Heinrich von Preußen (1726-1802), der auf Schloss Rheinsberg residierte und das Bibliothekszimmer im Schloss mit 13 Porträts französischer Dichter, einem Porträt des Polyhistors Gottfried Wilhelm Leibniz, dazu Büsten von Jean-Antoine Houdon (1741-1828) schmückte, aber auch Möbel, Bücher und Stiche sammelte. Nach dem Tod des Prinzen kamen diese Dinge per Schiff nach Berlin und wurden dank königlicher Order der Königlichen Bibliothek übereignet. Im Rahmen eines Leihvertrags mit der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten sind alle Gemälde und drei Büsten bis 2025 nach Rheinsberg an ihren ursprünglichen Ort zurückgekehrt.[11]

Das dritte Gemälde in meinem Büro ist ein Jugendporträt des Historien- und Landschaftsmalers Carl Friedrich Lessing(1808-1880), gemalt von Carl Sohn im Jahr 1833. Es zeigt den 25-jährigen Großneffen von Gotthold Ephraim Lessing, der als Begründer der »Düsseldorfer Malerschule« bekannt wurde. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass wir ein zweites Porträt von C.F. Lessing besitzen. Das ebenfalls von Carl Sohn gemalte Porträt zeigt den Achtundvierzigjährigen als gereifte Persönlichkeit. Beide Bilder und 40 weitere Kunstwerke stammen aus dem Besitz des Verlegers Carl Robert Lessing (1827-1911). Der hatte der Bibliothek seine kostbaren Sammlungen an Autographen und Büchern, Kunstwerken und Möbeln samt Gebäude in der Dorotheenstraße 13 testamentarisch vermacht. Das Lessinghaus wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und später abgerissen.

Das schönste aller Lessing-Porträts

Der Kunsthistoriker Erich Biehahn erstellte 1960 auch eine »Liste der noch im Keller (der Staatsbibliothek) befindlichen Gemälde«, die schwer beschädigt waren, und überwiegend aus dem Lessinghaus stammten. Unter diesen Stücken befanden sich mehrere Darstellungen des Dichters G.E. Lessing, auch das Original des »schönsten aller Lessing-Porträts« von Anton Graff, »verteufelt freundlich« gemalt im September 1771.[12] Das populäre, aus Schulbüchern bekannte und oft kopierte Gemälde wurde aufwendig restauriert und seitdem in mehreren Ausstellungen als Leihgabe gezeigt. In der Zukunft wird es einen Platz im neuen Bibliotheksmuseum finden – auch wenn sich Gotthold Ephraim Lessing zu Lebzeiten vergeblich um eine Anstellung in der Königlichen Bibliothek bemühte.

Ein anderes Porträt aus unserem Bestand hat es sogar auf eine Briefmarke der Deutschen Post geschafft: das nur postkartengroße Bildnis Heinrich von Kleists. 2002, im Gedenkjahr zum 225. Geburtstag des Dichters, fand das kleine Gemälde als Postwertzeichen massenhafte Verbreitung.[13]

Eher unbekannt ist dagegen das größte Porträt unserer Kunstsammlung. Dabei ist die Darstellung des Universalgelehrten Alexander von Humboldt gar nicht zu übersehen. Betritt man den neuen Rara- und Musiklesesaal im Haus Unter den Linden, so begegnet man unweigerlich dem von Julius Schrader im Jahr 1858 gemalten überlebensgroßen Porträt des Gelehrten und Weltreisenden. Zwischen restaurierten Säulen hängt das 3,25 Meter mal 2,48 Meter große Bild an exponierter Stelle; so gut wie jetzt wurde das Geschenk des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. an die Bibliothek noch nie präsentiert.

Die Geschichte des Gemäldes ist so außergewöhnlich wie der Porträtierte. Nach Streitereien zwischen Auftraggeber und Maler erwarb das Preußische Kultusministerium im Auftrag des Königs das Gemälde; schließlich war Humboldt nicht irgendwer. Friedrich Wilhelm IV. schenkte es 1860 der Bibliothek, die eine so honorige Gabe natürlich annehmen und aufhängen musste. Eine alte Fotografie zeigt, wie es im Konferenzraum der Königlichen Bibliothek, zwischen Fuß- und Deckenleiste eingezwängt, jegliche Wirkung verliert. Mit der Hängung im internen Bereich der Bibliothek verschwand das Gemälde für viele Jahre aus der Öffentlichkeit. Es wurde auch nicht, wie geplant, auf der Weltausstellung in Paris 1867 präsentiert, es taucht in keinem bekannten Lexikon auf. Selbst im Werkverzeichnis von Julius Schrader wird es nicht genannt.[14]

Nach der Übergabe eines weiteren restaurierten Gebäudeabschnitts des Hauses Unter den Linden im Jahr 2017 befindet sich dort im Adolf von Harnack-Saal eine besondere Gemäldesammlung: Hier werden die Porträts der früheren Generaldirektoren präsentiert. Dazu gehören als Auftragswerke ein Porträt des Historikers Georg Heinrich Pertz, des Ägyptologen Richard Lepsius und natürlich ein Porträt des Theologen Adolf von Harnack, das von Fritz Rhein gemalt wurde.[15]

Doch zurück in mein Büro in der Staatsbibliothek in der Potsdamer Straße[16]. Schon auf dem Weg dorthin begegne ich der Kunst auf Schritt und Tritt, und das im wahrsten Sinne des Wortes: Der Fußboden der Eingangshalle ist ein Kunstwerk von Erich Reuter (1911-1997), rechts steht als Leihgabe die Büste von Dietrich Bonhoeffer, geschaffen von Alfred Hrdlicka(1928-2009). Sanftes Licht fällt durch die bunten Glasbausteine von Alexander Camaro (1901-1992) Auf dem Weg in den Lesesaal begegnet mir auf der rechten Seite Matthias Koeppels (*1937) großformatiges Gemälde »Grundsteinlegung am Potsdamer Platz«[17].

Das Gebäude als Gegenstand der Kunst

Der »Kunst am Bau«, dieser pragmatischen Möglichkeit, Kunstwerke in neuen und restaurierten Gebäuden zu präsentieren, verdanken wir diese, und noch weitere zeittypischen Objekte, die der Architekt Hans Scharoun (1893-1972) von Anfang an in die Planung der Staatsbibliothek am Potsdamer Platz einbezog. Kein Wunder, dass das Gebäude selbst zum Gegenstand der Kunst wurde: In Wim Wenders filmischen Meisterwerk »Der Himmel über Berlin« (1987) sitzen die Engel Damiel und Cassiel auf der Galerie und beobachten die Menschen in den großzügigen Leselandschaften der Bibliothek.

Ganz andere Gestalten stehen auf dem Gebäude der Staatsbibliothek Unter den Linden. 33 steinerne Statuen, überlebensgroße allegorische Figuren, schmücken das Gebäude im Stil der Zeit, der wilhelminischen Ära[18]. Dies allerdings in einer solchen Höhe, dass sie für Passanten nicht sichtbar sind. Schade eigentlich – aber dann doch nicht so schlimm.

Die Generalsanierung des Gebäudes ist Anlass zur umfassenden Restaurierung vorhandener Kunstschätze, wie der monumentalen Figurengruppe »Gottvater haucht Adam den Odem ein« von 1898. Zu finden ist die von Gustav Eberlein (1847-1926) geschaffene Bronze in der zweiten Etage des Gebäudes, direkt vor dem Wilhelm v. Humboldt-Saal. Obwohl wirklich nicht zu übersehen, vergaß Erich Biehahn in den Fünfzigerjahren, das Kunstwerk zu inventarisieren. Es war die ganze Zeit anwesend, ebenso wie das gewaltige Humboldt-Bild, wurde es im Zweiten Weltkrieg nicht ausgelagert.

Abwesend ist dagegen zurzeit noch die 2,20 Meter hohe Bronzestatue mit dem Titel »Fragen eines Lesenden Arbeiters« von 1961. Auch sie wird gegenwärtig restauriert und soll mit der Öffnung des Brunnenhofes im nächsten Jahr wieder aufgestellt werden. Die Skulptur eines Arbeiters mit einem Buch in der Hand ist ganz eindeutig ein zeittypisches Werk der DDR-Kunst. Bildhauer Werner Stötzer (1931-2010) konterkarierte sein »sozialistisches Arbeiterstandbild« mit dem Text des Brecht-Gedichtes »Fragen eines lesenden Arbeiters«, dessen letzte Zeilen (ganz dialektisch) lauten: »So viele Berichte. / So viele Fragen«.

»Noch Fragen?« heißt dagegen ein luftiges Objekt von Olaf Metzel (*1966), das unter der Decke des neuen Lesesaals hängt.[19] Die Wolke aus bedruckten und zerknüllten Aluminiumplatten aus dem Jahr 2011 stellt auf ganz andere, aber wieder zeitgenössische Art Fragen zum Thema Lesen.

Im nächsten Jahr wird die Generalsanierung des Hauses Unter den Linden abgeschlossen sein. Zurzeit arbeiten wir an einem Konzept für die Präsentation weiterer Kunstwerke in den neuen Räumlichkeiten. Und es gibt in unserer, so zufällig entstandenen Kunstsammlung noch einiges zu entdecken und zu erforschen. Nun – die Zeit wird vergehen, wie all die Jahre zuvor, und die Stunden und Minuten zeigen uns als »Kunst am Bau« die vier abstrakten Uhrenobjekte von Tobias Rehberger (*1966). Im Rara-Lesesaal ist die Uhr schon zu sehen, im Handschriftenlesesaal, der im nächsten Jahr eröffnet wird, erwartet uns ein Objekt, das schon jetzt in Grün und Orange leuchtet.

Ein Bibliotheksbesuch in der Staatsbibliothek zu Berlin kann also auch immer ein Besuch bei zeitgenössischen und historischen Kunstobjekten sein. Eigentlich braucht man dafür noch nicht einmal seine Wohnung zu verlassen: Viele Kunstwerke wie das Porträt Voltaires aus Rheinsberg[20], besonders Porträts, auch als Stiche und Fotografien, sind schon jetzt in den digitalen Sammlungen unter dem Stichpunkt »Porträts, Bildmaterialien« zu sehen.

Gabriele Kaiser / 13.2.2018

Der Beitrag ist zuerst erschienen in BuB 01/2018, Seite 47-51.

 

Die Autorin

Dr. Gabriele Kaiser  ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Handschriftenabteilung im Referat Nachlässe und Autographen. Sie arbeitete auch als Baureferentin im Haus Unter den Linden, als persönliche Referentin für zwei Generaldirektoren und im Fundraising in Zusammenarbeit mit dem Verein der Freunde der Staatsbibliothek zu Berlin. Sie kuratierte mehrere Ausstellungen, veröffentlichte zuletzt, mit Diethelm Eikermann, »Die Pest in Berlin 1576«.

[1.] staatsbibliothek-berlin.de/die-staatsbibliothek/zahlen-und-fakten/

[2.] www.preussischer-kulturbesitz.de abgerufen am 8. 9.2017

[3.] Alle Informationen auch online im Bibliotheksmagazin der Staatsbibliotheken in Berlin und München. staatsbibliothek-berlin.de/die-staatsbibliothek/publikationen-der-staatsbibibliothek/bibliotheksmagazin/

[4.] Porträts als Stiche oder Fotografien wurden ab 1925 für die Porträtsammlung auch noch mit einer eigenen Signatur nach Formaten erfasst.

[5.] Kunstwerke der Deutschen Staatsbibliothek. Im Auftrag der Hauptdirektion. bearbeitet von Erich Biehahn. Henschelverlag Berlin 1961 - 136 S.

[6.] Eef Overgaauw: Gemalte Markgrafen. In: Bibliotheksmagazin, 3, 2010, S. 48-53

[7.] Es ist gegenwärtig in der Alten Nationalgalerie der Staatlichen Museen Berlin zu sehen. Martin Hollender: Lucas Cranachs Porträt des Astrologen Johannes Carion. In: Bibliotheksmagazin 2015,1, S. 44

[8.] Johann Carl Conrad Oelrichs: Entwurf einer Geschichte der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Neudruck der Ausgabe von Haude u. Spener, Berlin 1752. Nachwort von Friedhilde Krause…, Zentralantiquariat der DDR, 1986, S. 15-16

[9.] Archiv der Staatsbibliothek. Acta VI.17, 1798- , Bl. 101-103 und meine Handakte zur Kunstsammlung

[10.] Aufzeichnungen dazu im Nachlass Emil Jacobs, Mp. 602-605., meiner Kollegin i.R. Dr. Ursula Winter danke ich für unsere »Kunst- Gespräche«.

[11.] Gabriele Kaiser: Voltaire und die anderen… In: Bibliotheksmagazin, 3,2010, S. 24-28

[12.] Birka Siwczyk: »Doch wer ihn kennt, erkennt ihn im Bilde.« Lessing im Porträt. Kamenz 2012, S. 34

[13.] Handschriftenabteilung, Nachlass Heinrich von Kleist, K. 1

[14.] Gabriele Kaiser: »Portrait des Freiherrn Alexander von Humboldt….«. In: Bibliotheksmagazin 2014,3, S. 30-34

[15.] Friedhilde Krause: Bemerkungen zu den Ölgemälden im Rudolf-Hoecker-Saal der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. In: Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät, 59(2003)3, S. 65–87

[16.] Eine virtuelle Ausstellung gibt es unter blog.sbb.berlin/buecherschiff/

[17.] Martin Hollender: Matthias Koeppels »Grundsteinlegung am Potsdamer Platz«. In: Bibliotheksmagazin 2009,2, S. 71-75

[18.] Die gesamte Baugeschichte der Häuser in: Gerhard Ihlow: Die Gebäude der Kurfürstlichen Bibliothek, der Königlichen Bibliothek sowie der Preussischen Staatsbibliothek zu Berlin im Spiegel ihrer Zeit 1652-1940. Staatsbibliothek zu Berlin. 2013, 409 S.

[19.] Der neue Lesesaal der Staatsbibliothek zu Berlin, Nicolaische Verlagsbuchhandlung, 2013, S. 40-45

[20.] resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB0001AFBC00000000



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