Die »Smart Library«: Perspektiven in die Zukunft der Bibliothek

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Smart Libraries: Konzepte, Methoden und Strategien / herausgegeben von Linda Freyberg und Sabine Wolf. Wiesbaden: b.i.t.verlag, 2019. 198 Seiten: Illustrationen (b.i.t.online innovativ; 76) ISBN 978-3-934997-98-1 – Broschur: EUR 29,50

Smart Library als Dachmarke für eine passionierte wie aktualisierte Haltung und Selbstverständnis unseres Tuns, dazu ist ein anregender und sehr reflektierter Sammelband mit einem frischen Bündel an Angeboten und Impulsen erschienen. Bereits das Titelbild lässt viel erwarten und verrät den Anspruch: Ein aufgeschlagenes Buch ist benetzt mit einem schaltkreisartig verlaufenden Linienraster, deren Endpunkte illuminierende Punkte markieren. Nur die frühmorgendliche Skyline einer Stadt überragt zur Hälfte das Energie- und Datennetz. Smart zu sein, hebt sich weniger ab, als es sich einbetten möchte in den anthropogenen Zeitgeist. Und die neu aufgeschlagene Seite mit den strahlenden Spots hat natürlich mit Bibliotheken zu tun.

Recherchiert man, wie es unserer Zunft zu eigen ist, unter anderem in der Datenbank des Deutschen Bibliothekswesens (DABI) zu Beiträgen der letzten zehn Jahre, und lässt produktspezifische Kombinationen wie Smartphone bis -watch außen vor, erhält man einen überschaubaren Blumenstrauß an Varianten mit dem Label »smart«. Sie reichen von der physischen Welt, die smart wird, über smarte Werkstatt, im Kontext von RFID smarte Regale, smarte Daten, Informationen und Wissen, Objekte, und Städte bis hin zu smarten Bibliotheken. Gleichfalls Buchkapitel haben sich mit Einzelaspekten wie »smart services« bereits beschäftigt, wie im jüngst von Frauke Schade und Ursula Georgy herausgegebenen »Praxishandbuch Informationsmarketing«, für welches der Rezensent die Verantwortung trägt.

»Neue Einsichten und Herangehensweisen – aber rechtfertigt das ein neues Label wie smart libraries?«

Kurzum, es war höchste Zeit für eine selbständige Publikation aus gelebter Perspektive zu diesem Thema, die dankenswerter Weise hiermit vorliegt und bereits Anklang auf der Frankfurter Buchmesse fand. Das auf zweihundert Seiten im broschierten Format gebundene Werk trägt zusammen, was seit ca. 2016 in Seminaren und auf Konferenzen (zum Beispiel beim Bibliothekartag 2019) reifte. Zwei englischsprachige Beiträge von berufenen Expertinnen bereichern den Blickwinkel und ein Interview gehört zum abwechslungsreichen Programm. Schon die frei zugängliche Leseprobe im Umfang von einem Drittel des Bandes bezeugt die Qualität.

Gibt es das Label »smart libraries«?

Natürlich steht gleich zu Anfang die Frage im Raum, und ihre Definition wird auch nahezu in allen der vierzehn Beiträge individuell behandelt, ob aus den neuen Einsichten und Herangehensweisen gleich als sprachliche Markierung des Paradigmenwechsels ein neues Label wie »smart libraries«  resultiert. Anders als bei rezenten Schöpfungen wie »green library« oder »open library« fragt man, ob dem Werk mit nachfolgend besserer Literaturlage nicht ebenfalls Attribute wie innovativ oder kreativ, ggf. sogar im Nachgang von Industrie bis Mittelstand ein 4.0, im Englischen »smart industry« oder »smart manufacturing«, zugestanden hätten?

Auf jeden Fall schafft diese Dachmarke – anders als beispielsweise Neologismen wie »apomediation« im Umfeld von Digital Humanities – gute Anschlussmöglichkeiten an gesellschaftliche Trends von smart city bis smart home. Und ohne Zweifel sollte eine moderne Bibliothek in der Mitte der Gesellschaft stehen und ihren Platz in deren beförderten Entwicklungen suchen, was für Urbanität und ländlichen Raum gleichermaßen gilt.

Eingangs werden über eine, leider sehr en miniature gehaltene Mind- bzw. Smartmap (S. 22) die tragenden und miteinander verwobenen fünf Säulen als Produktionsfaktoren der smart library vorgeschlagen. Diese sind in ihrer Vielschichtigkeit: Technologie, Personal, Vernetzung/Partizipation, Raum und Innovation. Die folgenden und stets gut recherchierten Kapitel gruppieren sich annähernd entlang dieser Aspekte und aus dem Blickwinkel von »best practice«.

Technologische Entwicklungspfade

Im Bereich Technologie werden die beiden Wege beschritten, wie Technik ganz pragmatisch einfließt in modernen Service und wie Technologie Ausgangspunkt sein kann, kreativ Neues gemeinsam zu produzieren. Beacons, wie früher RFID, können als ein Beispiel zu einer neuen Infrastruktur mit neuen lokalbasierten Dienstleistungen im Raum verhelfen. Der andere Pfad folgt dem Trend, eine offene, digitale Probierstube zum Selbermachen zu sein. Und wo sonst könnte ein solches Labor zur allgemeinen Teilhabe errichtet werden, wenn nicht in der Bibliothek. Der Makerspace der SLUB in Dresden ist exzellent angenommen und befördert die studiengangübergreifende Vernetzung, auch der Bibliothek selbst in Forschung und Lehre.

»Technik kann zu einer neuen Infrastruktur mit neuen lokalbasierten Dienstleistungen im Raum verhelfen.«

Auch das LibraryLab der Zentralbibliothek der Stadtbüchereien Düsseldorf als Testballon vor dem Neubau fand enormen Zuspruch, wie gleichfalls Infrastrukturinvestitionen in die MINT-Schwerpunktbibliothek Köln-Kalk flossen, und damit einem gesellschaftlichem Desiderat Tribut zollen. Bibliotheken machen neue Technologie niedrigschwellig zugänglich und Produktionsprozesse transparent. Man kann seine eigenen Werkstatterfahrungen im gegenseitigen Austausch sammeln.

Nicht nur im Münchener Stadtbibliothekssystem weiß man um den Wert des Personals dahingehend, Kolleginnen und Kollegen zu digital kompetenten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern fort- und weiterzubilden. Ansonsten liefe man Gefahr, dass neue Offerten im digitalen Repertoire nicht vom Bibliotheksteam gelebt werden können, man sich damit weniger identifiziert, unverstanden bleiben, statt kompetent zu vermitteln und zu bewerben. In weiteren Beiträgen kommen als Ergänzung die Kooperationen mit entsprechenden Expertinnen und Experten zum Tragen.

Ein Beitrag widmet sich den verschiedenen Möglichkeiten des Einbeziehens einer interessierten Klientel, sowohl über klassische, analoge Instrumente, als auch digitale.

»Technik kann aber auch dem Trend folgen, eine offene, digitale Probierstube zum Selbermachen zu sein.«

Neben der Daueraufgabe, Kooperationsbereitschaft zu signalisieren, sind es Bibliotheken selbst, die soziale Gruppen spielerisch und bastelnd mit dem Einsatz neuer Technologien als Werkzeug zum Beispiel für die Stadtgesellschaft zusammenbringen können. Ohne dieses Angebot würden sie teilweise kaum direkt miteinander agieren. Mit Methoden wie Design Thinking schafft man in diesem besonderen Mix aus kultureller Vielfalt und Werkstatt Innovation, die in die Gesellschaft zurückfließt. Nicht nur die KollegInnen in Aarhus möchte man nach der Lektüre in Aktion erleben.

Öffentlicher Raum ging gerade verloren

Durch die aktuelle Krisensituation, die das räumliche Miteinander und die gewünschten sozialen Interaktionen über dieses Jahr hinaus verändern wird, kommt dem von Ray Oldenburg in »Celebrating the Third Place« geprägten Dritten Ort, der physischen Präsenz als Kardinalswert im Portfolio der Bibliothek, die doppelte Aufmerksamkeit zu. Zum einen bietet sie den Rahmen für die Freisetzung von viel Neuem, sieht man zu Dokk1 nach Aarhus in Dänemark, für Erwachsenenkurse und bildungsnahes Verweilen zu den Londoner »idea stores«, den Einsatz von Beacons, die Schiller-Bibliothek in Berlin-Wedding oder zum bewegten Lernen in der Philologische Bibliothek der FU Berlin. Zum anderen sind es gerade diese Vorzüge von Bibliotheksorten, die in diesem Jahr wegen der Covid-19-Pandemie weit weniger zum Tragen kommen. Alles wechselt auf digital und online, e-only Strategien heißen die Gewinner des langen Augenblicks. Ruhe-, Kreativ- und Bewegungsarrangements zum »behavioral enrichment« und bezogen auf vielfältige Lerntypen und -phasen, Partizipation und Integration treten ins Hintertreffen. Man kann sich nur wünschen, dass die absehbare Rückeroberung des öffentlichen Raumes zu sicheren Konditionen diesen Schatz wieder freilegen lässt zu den Vorzügen eines inspirierenden Miteinanders.

Das weite Feld der Innovation als gesonderter Beitrag stellt präzise hergeleitet Alternativen und klare Erkenntnisse heraus, z.B. das Trendbeobachtung Leitungsaufgabe ist, oder gerade repetitive und häufig durchgeführte Tätigkeiten mit ihrer Quantität der Wiederholung die Wahrscheinlichkeit der Automatisierbarkeit erhöhen. Aufschlussreich sind die Betrachtungen zu den miteinander verwobenen Imagedimensionen, dem Branchenimage und Unternehmensimage. Während das Branchenimage der Bibliotheken stark von Medien etc. bestimmt ist, liegt die Gestaltungshoheit der jeweiligen Informationseinrichtung auf ihr Unternehmensimage. Branchenunkundige lassen sich in ihrem Urteilsvermögen eher vom Branchenimage leiten, branchenkundige Stakeholder stattdessen, als eine mögliche Personengruppe, von dem des Unternehmens. Von Beobachtung, Planung, Zielgrößen, Ausstrahlung bis Nutzen durchkämmt der Beitrag umfänglich die Dimensionen von Innovation und leitet über zu Entscheidungshilfen wie mit der Abstufung von First bis Late Mover.

Manchmal fühlt man sich unweigerlich an die vielzitierte Rede des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog von 1997 erinnert, als er auf Deutschland bezogen äußerte und es hier in Substitution auf Informationseinrichtungen bezogen werden soll:

»Niemand darf aber vergessen: In hochtechnisierten Gesellschaften ist permanente Innovation eine Daueraufgabe! Die Welt ist im Aufbruch, sie wartet nicht auf Bibliotheken. Aber es ist auch noch nicht zu spät. Durch die Bibliotheken muss ein Ruck gehen.« Die Beiträge des Sammelbandes können Ruckgeber sein.

Nach zwanzig Jahren der verlegerischen Arbeit an der Reihe b.i.t.online Innovativ ist auch dem 76. Band ein guter Aufschlag zu bescheinigen. Die größte Würdigung, die man einem Buch angedeihen lassen kann, ist - und dies gilt uneingeschränkt für diese Anthologie - ihm die Anregung für das Fachpublikum zuzugestehen.

Anschrift des Rezensenten: Dr. Frank Seeliger, Leiter der Hochschulbibliothek, TH Wildau, Hochschulring 1, 15745 Wildau, E-Mail: fseeliger@th-wildau.de.

Frank Seeliger, 12.8.2020

 

 

 

 

 

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