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Bibliotheken auf der Tagesordnung – und im Abschlussbericht der Enquete-Kommission

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Im April hat die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages »Internet und digitale Gesellschaft« ihren Abschlussbericht vorgelegt.[1] Ausgedruckt sind es über 2 000 Seiten Papier, die die Kommission in den vergangenen drei Jahren produziert hat – sie enthalten erfreulich viel »Bibliothek«. Grund genug also, die Arbeit der Kommission und das Ergebnis-Papier genauer unter die Lupe zu nehmen.

»Bibliotheken auf die Tagesordnung!« hatte Claudia Lux 2005 als Motto ihrer IFLA-Präsidentschaft ausgegeben.[2] Spätestens seit diesem Weckruf drängen Bibliotheken verstärkt auf Sichtbarkeit in der Politik. Der aktuelle Enquete-Bericht zeigt, dass diese Bemühungen immer mehr von Erfolg gekrönt sind. Anders als im Schlussbericht der Enquete-Kommission »Kultur in Deutschland« aus dem Jahre 2007[3] ist den Bibliotheken im Bericht der Enquete kein eigener Abschnitt gewidmet. Stattdessen finden sich Bibliotheken an ganz verschiedenen Stellen und in unterschiedlichen Zusammenhängen. Dies ist aber auch der besonderen Arbeitsweise der Kommission geschuldet.

Funktion und Arbeitsweise der Enquete-Kommission

Enquete-Kommissionen sind überfraktionelle Arbeitsgruppen des Bundestages, die zu besonderen Themen einberufen werden können. Ihre Aufgabe besteht darin, abseits des Tagesgeschäfts größere Fragenkomplexe zu untersuchen und eine spätere Gesetzgebung vorzubereiten. Obwohl die Beschlüsse von Enquete-Kommissionen keine unmittelbare Gesetzeskraft haben, ist ihre faktische Wirkung nicht zu unterschätzen. Der Erlass von Bibliotheksgesetzen in mehreren Bundesländern ist durch die  Empfehlung im Abschlussbericht der Enquete-Kommission »Kultur in Deutschland« sehr befördert worden.[4]

Enquete-Kommissionen gehören neben den Abgeordneten eine gleiche Anzahl externer Sachverständiger an, die von den Fraktionen benannt werden. Diese Sachverständigen sind dann gleichberechtigte Mitglieder der Kommission. Konkret waren es im Falle der Internetenquete je [5] Abgeordnete und Sachverständige. Zu den Besonderheiten der Internetenquete gehörte, dass von Anfang an einem fiktiven »18. Sachverständigen« eine besondere Rolle zukommen sollte. Gemeint war eine aktive Bürgerbeteiligung, wie es sie in anderen Enquete-Kommissionen nicht gegeben hat. Tatsächlich wurden die meisten Sitzungen im Internet übertragen, fast alle Sitzungsunterlagen zeitnah öffentlich gemacht und auf Adhocracy.de wurde eine elektronische Diskussionplattform eingerichtet, auf der sich Bürgerinnen und Bürger in die Diskussion der Enquete einbringen konnten.

Die dort eingegangenen Vorschläge wurden dann in der Kommission diskutiert und haben in einigen Fällen auch Eingang in die Berichte gefunden.[6]  Für den Deutschen Bundestag waren das erste Gehversuche auf den Gebieten von »Liquid Democracy« und E-Partizipation. Obwohl die aktive Bürgerbeteiligung eher überschaubar geblieben ist, gab diese neue Form der Ausschussarbeit einigen Anlass zu Euphorie (»Die Enquete-Kommission ›Internet und digitale Gesellschaft‹ ist die unterschätzte Keimzelle für die Erneuerung des Parlamentarismus« wurde dem Abschlussbericht als Motto vorangestellt)[7].

Aus bibliothekspolitischer Sicht ist interessant, dass sich damit ein Wandel in der klassischen Lobbyarbeit abzeichnet, weg von der Politikberatung über Verbände, hin zu mehr direkter Bürgerbeteiligung. Hier liegt wohl auch der tiefere Grund für heftige Kritik gerade etablierter Verbände. Der Deutsche Kulturrat beispielsweise erklärte, es habe »keine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages in den letzten fünfzehn Jahren gegeben, die abgeschotteter ihren Abschlussbericht erarbeitet hat. Vielleicht ist es aber gut zu erkennen, dass das Internet eben nicht automatisch eine neue, offenere Gesellschaft schafft, sondern nur ein sehr wichtiges Datentransportsystem ist.«[8]

Weil die zu bearbeitenden Themen sehr heterogen waren, wurde die Arbeit auf insgesamt zwölf Projektgruppen verteilt. Jede dieser Projektgruppen hat einen eigenen Abschlussbericht vorgelegt. Anders als bei früheren Enquete-Kommissionen ist der offizielle Abschlussbericht der Kommission relativ kurz. Statt einer zentralen Zusammenführung wird auf die einzelnen Abschlussberichte der Projektgruppen verwiesen, die zusammengenommen den eigentlichen Bericht bilden. Bibliotheken waren Thema in den Projektgruppen »Bildung und Forschung«[9], »Demokratie und Staat«[10], »Kultur, Medien und Öffentlichkeitsarbeit«[11], »Medienkompetenz«[12] und »Urheberrecht«[13].

Die Beteiligung der Bibliotheken

Im November 2010 hat der Deutsche Bibliotheksverband (dbv) eine Stellungnahme an die Kommission geschickt, die unter Federführung der dbv-Rechtskommission entstanden ist und in der eine Reihe von urheberrechtlichen Verbesserungen angemahnt wurden. In dieser Stellungnahme wird die Schlüsselstellung von Bibliotheken als Vermittler zwischen unterschiedlichen Interessenlagen hervorgehoben: »Wenn Bibliotheken den Zugang zu digitalen Medien zu fairen Preisen lizenzieren und die Medien danach im Rahmen des Urheberrechts ihren Nutzern frei zur Verfügung stellen, werden die Urheber angemessen entlohnt, ohne dass der Zugang zu den Werken künstlich verknappt werden müsste. Die nötige Finanzausstattung vorausgesetzt, bieten Bibliotheken ihren Nutzern also Open Access bei gleichzeitiger fairer Entlohnung für Urheber und Verwerter.«[14]

Auch die BID hat sich frühzeitig mit einem Papier zur Medien- und Informationskompetenz eingebracht.[15]

Eine prominente Rolle hat die Internetenquete auch auf dem 100. Bibliothekartag in Berlin gespielt. Bei der Abschlussveranstaltung saßen gleich drei Mitglieder der Kommission auf dem Podium. Auf verschiedenen Ebenen waren Bibliothekare aber auch persönlich vor Ort. Rückblickend ein Glücksfall war, dass mit Esther Chen eine gerade fertige Bibliotheksreferendarin als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Kommission tätig war.[16]

Besonders ertragreich war eine Expertenanhörung zum Thema Digitalisierung in Schul-, Hochschul-, Aus- und Weiterbildung, die 2011 stattgefunden hat. Von den sechs Experten stammten mit Heike Neuroth (SUB Göttingen) und Frank Simon-Ritz (UB Weimar und dbv) immerhin zwei aus dem Bibliothekswesen.[17]

Bibliotheken in den Berichten

Nicht in allen Projektgruppen hat das Thema »Bibliotheken« eine Rolle gespielt. In einigen Fällen ist dies bedauerlich. Beispielsweise wäre es schön gewesen, wenn eine Projektgruppe, die sich mit Fragen des Zugangs zum Internet beschäftigt hat, erwähnt hätte, dass Bibliotheken das größte Netz von freien Internetzugängen in Deutschland betreiben.

In den anderen Projektgruppen ist die Berücksichtigung von Bibliotheken sehr heterogen. In der Gruppe »Demokratie und Staat« wird zwar die Deutsche Digitale Bibliothek als Teil der Europeana erfreulich ausführlich gewürdigt,17 allgemeine Erwägungen zur demokratiestärkenden Bedeutung von Bibliotheken sucht man jedoch vergebens.

Im Bericht der Projektgruppe »Kultur, Medien und Öffentlichkeit« wird die Deutsche Digitale Bibliothek ebenfalls besonders berücksichtigt. Hier werden auch konkrete Empfehlungen ausgesprochen. Empfohlen wird eine Intensivierung der Digitalisierung verbunden mit einer besseren Finanzierung und einer einheitlichen Struktur.[18] Größere Defizite sieht die Kommission bei der Digitalisierung von audiovisuellen Werken. Ein weiteres Thema ist die Langzeitarchivierung. Konkret benannt werden mehrere Probleme, die dabei durch das sehr restriktive Urheberrecht entstehen. Leider kann sich die Kommission aber nicht zu klaren Empfehlungen durchringen, sondern belässt es bei einem allgemeinen Hinweis auf Prüfbedarf.

Auch der Bericht der Projektgruppe »Medienkompetenz« ist für Bibliothekare erfreulich. Die Bedeutung von Bibliothekarinnen und Bibliothekaren bei der Vermittlung von Medienkompetenz wird klar benannt. Explizit wird empfohlen, dass Bibliothekare auch an medienpädagogischen Lehrstühlen ausgebildet werden sollten. Wichtig sei auch »eine explizite Aufnahme der Medienpädagogik als Aufgabe der außerschulischen Bildungsarbeit, beispielsweise in […] öffentlichen Bibliotheken.«[19]

Die urheberrechtlichen Probleme im Zusammenhang mit dem Internet sind zahlreich und komplex. Bibliotheken sind da eher ein Randthema. Daher ist es schon ein gewisser Erfolg, dass Bibliotheken im Bericht der Projektgruppe »Urheberrecht«[20] immerhin an 13 verschiedenen Stellen erwähnt werden. Ausführlich werden die Bedenken der Forschungseinrichtungen und der wissenschaftlichen Bibliotheken beschrieben. Gleichzeitig wird aber immer wieder betont, dass Einschränkungen zugunsten von Wissenschaft und Forschung zulasten der Urheber gehen.

Vor diesem Dilemma konnte sich die Kommission zu keinen konkreten Empfehlungen durchringen. Auch hier wird nur ganz allgemein »Prüfbedarf« angemeldet.

Aus Bibliothekssicht mit Abstand am ergiebigsten ist der Bericht der Projektgruppe »Bildung und Forschung«. Bereits auf den ersten Seiten wird festgestellt: »Bibliotheken sind […] besonders wichtige Akteure auf dem Feld digitaler Informationsinfrastrukturen. Sie sorgen nicht nur für die Retrodigitalisierung des kulturellen Erbes, sondern sind ebenso aktiv an der Entwicklung neuer informationslogistischer Prozesse […] beteiligt, die eine bessere Vernetzung der Informationsressourcen zum Ziel haben.«[21]

Durchschnittlich auf jeder zweiten Seite des Berichts werden Bibliotheken erwähnt, und es gibt klare Empfehlungen zu Bibliotheken: Insbesondere wissenschaftliche und schulische Bibliotheken sollten durch eine »ausreichende Grundfinanzierung« stärker als bisher digitale Medien bereitstellen können.[22] Fortbildungsangebote zum E-Learning an Hochschulen könnten in das Dienstleistungsangebot der Universitätsbibliotheken eingebunden werden.[23] Besonders bemerkenswert vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um die Entleihbarkeit von E-Books[24] ist folgende Aussage: »Die Enquete-Kommission empfiehlt […] die Verleihbarkeit digitaler Medien – entsprechend analoger Werke – sicherzustellen.«[25]

Als Fazit bleibt festzuhalten, dass Bibliotheken durch die Enquete-Kommission einigen Rückenwind bekommen haben. Diesen gilt es zu nutzen, wenn es in der nächsten Legislaturperiode darum geht, die Empfehlungen in Gesetzgebung umzuwandeln.

 

Dr. Arne Upmeier hat Rechtswissenschaften und Philosophie studiert. Nach mehrjähriger Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hannover absolvierte er von 2006 bis 2008 ein Bibliotheksreferendariat an der UB Giessen. Seit 2008 ist er stellvertretender Benutzungsdezernent, Ausbildungsleiter und Fachreferent für Wirtschaft und Recht an der Universitätsbibliothek der TU Ilmenau. Er war von 2009 bis 2012 Vorsitzender der dbv-Rechtskommission.

 


 

[1]BT-Drucksache 17/12550 vom 5.4.2013. Zu finden unter anderem über die Homepage der Enquete-Kommission: www.bundestag.de/internetenquete/ 

[2]Claudia Lux hat dieses Motto in zwei Interviews für BuB erläutert: BuB (2005), Heft 11/12, S. 772ff. und BuB (2007), Heft 7/8, S. 516ff. Einen Rückblick auf die Präsidentschaft auch und gerade in Hinblick auf das Motto schrieb Hella Klauser: Zwei Jahre deutsche IFLA-Präsidentschaft. In: BuB (2009), Heft 7/8, S. 547ff.

[3]BT-Drucksache 16/7000 vom 11.12.2007. Der Abschnitt zu Öffentlichen Bibliotheken steht auf den Seiten 129-132. Eine kurze Zusammenfassung aus Bibliothekssicht: www.bibliotheksportal.de/bibliotheken/strategie-und-vision/ 

[4]Zu Bibliotheksgesetzen: Eric W. Steinhauer, Cornelia Vonhof [Hrsg.]: Bibliotheksgesetzgebung. Ein Handbuch für die Praxis, insbesondere im Land Baden-Württemberg. Bad Honnef: Bock + Herchen, 2011

[5]Anm. 9, S. 75f.

[6] https://eidg18.adhocracy.de/instance/eidg18 

[7]Abschlussbericht (Anm. 1), S. 4.

[8]kulturrat.de – Pressemitteilung vom 22.1.2013

[9]BT-Drucksache 17/12029 vom 8.1.2013

[10]Sub Makro1()

[11]BT-Drucksache 17/12542 vom 19.3.2013

[12]BT-Drucksache 17/7286 vom 21.10.2011

[13]BT-Drucksache 17/7899 vom 23.11.2011

[14]dbv: Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung Urheberrecht der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft am 29 November 2010, S.1 – unveröffentlicht

[15]BID: Medien- und Informationskompetenz – Immer mit Bibliotheken und Informationseinrichtungen! (Stand Februar 2011). Die Broschüre ist abrufbar unter www.bideutschland.de 

[16]Ihr Bericht zur Expertenanhörung im November 2011 steht in BuB (2012), Heft 1, S. 7f.

[17]Die schriftlichen Stellungnahmen und das Wortprotokoll sind zu finden unter www.bundestag.de/internetenquete/dokumentation/ 

[18]Anm. 10, S. 89

[19]Anm. 11, S. 35

[20]Anm. 12

[21]Anm. 8, S. 9

[22]Anm. 8, S. 91

[23]Anm. 8, S. 91f.

[24]Bernd Schleh: Eiszeit in Leipzig. In: BuB (2013), Heft 5, S. 366ff.

[25]Anm. 8, S. 91

 





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