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Bibliothek des Ärztlichen Vereins Hamburg von Schließung bedroht

Bibliothek
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[caption id="attachment_6903" align="alignleft" width="597"]Bibliothek Der Lichthof im 1884 als Gymnasium erbauten Altbau der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg. Hier ist die Bibliothek des Ärztlichen Vereins seit 1946 untergebracht. Fotos: Ärztekammer Hamburg[/caption]

 

 

 

Hamburg. In der Januarausgabe 2016 (Seite 52 ff.) berichtete BuB ausführlich über die Bibliothek des Ärztlichen Vereins in Hamburg. Der Vorstand der Ärztekammer Hamburg hat nun beschlossen, die Einrichtung zum 31. Dezember 2017 zu schließen. Die bisherigen Serviceleistungen Literaturrecherche und Literaturbestellung für Mitglieder der Ärztekammer sollen dann eingestellt werden. Neuanschaffungen von Fachliteratur wird es nicht mehr geben. Ein Teil des historischen Bestandes soll an die Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek übergeben werden. Die geplante Schließung bedeutet das Aus für die bisherige serviceorientierte Literaturversorgung der Hamburger Ärzteschaft. Auch Studierende, Lehrende, Forscher und Angehöriger medizinischer Berufe verlieren damit eine wichtige Fachbibliothek. Wer gegen die Schließung protestieren möchte, kann seine Stimme in einer Online-Petition unter www.openpetition.de/petition/online/fuer-den-erhalt-der-bibliothek-des-aerztlichen-vereins-in-hamburg abgeben. Aufgrund der Aktualität nachfolgend noch einmal der Artikel aus der Januar-Ausgabe:

 

Die Bibliothek des Ärztlichen Vereins (BÄV) feiert in diesem Jahr ihr 200-jähriges Bestehen. Gegründet als Vereinsbibliothek des Ärztlichen Vereins in Hamburg ist sie heute in Trägerschaft der Ärztekammer Hamburg (ÄKHH). Die Bibliothek unterstützt die Literaturversorgung der Hamburger Ärzteschaft, von Studierenden, Wissenschaftlern und weiteren Lesern durch umfassende Serviceleistungen. Gleichzeitig birgt sie einen umfangreichen und einzigartigen medizinhistorischen Buchbestand.

Meilensteine in der Geschichte der Bibliothek

Der »Ärztliche Verein in Hamburg« wurde am 2. Januar 1816 gegründet. Er war – nach Lübeck (1809) und Berlin (1810) – der dritte Ärztliche Verein im Deutschen Kaiserreich. Die Ziele dieser Vereine, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts in vielen deutschen Städten entstanden, waren der fachliche Austausch in Form von Vorträgen und Fallberichten, die Bereitstellung von Fachliteratur in einer Vereinsbibliothek, die Förderung des kollegialen Zusammenhaltes sowie die Übernahme sozialer Aufgaben. Die Bibliothek war als Fachbibliothek für die Vereinsmitglieder und deren Gäste geplant. Zudem sollte sie als Aushängeschild des Vereins zu seinem Ansehen in der Stadt sowie in der internationalen Fachwelt beitragen. In den ersten Jahrzehnten wurde die Hälfte der Mitgliedsbeiträge für die Erwerbung neu erschienener Bücher und Zeitschriften sowie für den Ankauf medizinhistorisch bedeutender Werke veranschlagt. Die Bibliothek war damit ein kostspieliges Projekt, aber sie war auch »eine, wenn nicht sogar die zentrale und Identität stiftende Einrichtung des Vereins«.[1]

 

In den folgenden Jahren wuchs der Bestand der BÄV ebenso stetig wie die Mitgliederzahl des Vereins.[2] Das sogenannte »Lesezimmer« im Vereinslokal war gleichzeitig Treffpunkt der Vereinsmitglieder, die oftmals auswärtige Gäste einführten. Dort wurde diskutiert und Schach gespielt.

 

Während des verheerenden »großen Brandes«, der im Mai 1842 weite Teile der Hamburger Altstadt zerstörte, barg der Vorsteher Dr.med. et chir. Friedrich Nikolaus Schrader (1793-1859) gemeinsam mit dem Kustos in einer waghalsigen Rettungsaktion die wertvollsten Bände aus dem brennenden Vereinslokal. Schrader leitete die Bibliothek 32 Jahre lang (1827-1859) ehrenamtlich. Unter seiner Leitung wuchs der Bestand auf rund 12 000 Bände an, und er verfasste einen vollständigen Bandkatalog und eine Systematik.

 

[caption id="attachment_6900" align="alignleft" width="300"]Bibliothek Im Altbestandsmagazin der Bibliothek des Ärztlichen Vereins Hamburg : Die farbigen Zettel in den Büchern weisen auf Säurefraß beziehungsweise bereits erfolgte Entsäuerung hin.[/caption]

 

Nach der Zerstörung »seiner« Bibliothek sorgte Schrader umgehend für den Wiederaufbau. Bereits gut eine Woche nach dem Brand veröffentlichte der Verein seine erste Bitte um Spenden zum Wiederaufbau der BÄV in einer medizinischen Zeitschrift.[3] Aus ganz Deutschland und aus vielen europäischen Ländern, sogar aus den USA, trafen Bücher und Zeitschriften als Spenden für den Wiederaufbau ein. Die Geschenke, unter denen sich etliche schon damals wertvolle historische Werke befanden, waren so zahlreich, dass die Bibliothek nach wenigen Jahren bereits wieder 10 000 Bände zählte.

 

Der Ärztliche Verein zog innerhalb der Hamburger Altstadt mehrmals um. Als der Platzbedarf der Bibliothek schließlich so groß war, dass der Verein sich keine geeigneten Räumlichkeiten mehr leisten konnte, erfolgte im Jahre 1923 die Trennung von Vereinslokal und Bibliothek. Der Umzug der BÄV in das damalige Gebäude der Staats- und Universitätsbibliothek (Stabi) bedeutete auch eine Erweiterung ihrer Leserschaft, da sich der Verein verpflichtete, seine Bestände allen Lesern der Stabi zur Nutzung zur Verfügung zu stellen. Die BÄV wandelte sich damit von einer reinen Vereinsbibliothek zu einer öffentlich zugänglichen Fachbibliothek unter dem Dach einer bedeutenden, viel genutzten Universalbibliothek. Die medizinische Literatur wurde bereits damals am Universitätskrankenhaus[4] gesammelt. Daher stellte die Bibliothek eine willkommene Ergänzung der Bestände der Stabi dar.

 

Im Zuge der »Gleichschaltung« der ärztlichen Standesorganisationen wurde der Ärztliche Verein im Jahre 1937 aufgelöst. Die BÄV wurde von der 1936 neu organisierten »Reichsärztekammer, Ärztekammer Hamburg« in Besitz genommen.[5] Die erfolgreiche Kooperation mit der Stabi wurde damit zunächst beendet. Im Juni 1938 wurde die Bibliothek im nationalsozialistischen »Haus der Ärzte« neu eröffnet. Der Zugang zur Nutzung wurde wieder auf die Ärzteschaft beschränkt. Der Bestand blieb, nach bisherigem Kenntnisstand, von ideologisch gefärbten »Säuberungen« und von Sekretierungen verschont. Möglicherweise fühlte sich niemand hierfür zuständig. Auch auf eine Aneignung von Raubgut fanden sich bisher keine Hinweise.

 

[caption id="attachment_6901" align="alignleft" width="300"]Bibliothek Im Freihandbereich sind die aktuellen Fachbücher, CDs und DVDs systematisch aufgestellt.[/caption]

 

Den Zweiten Weltkrieg überstand die Bibliothek, im Gegensatz zu vielen anderen Hamburger Bibliotheken[6], unbeschadet. Dies ist dem Einsatz des Neurologen Prof. Dr. med. Max Nonne (1861-1959) zu verdanken, der zu dieser Zeit Vorsitzender der Bibliothekskommission war. Im Juli 1943 ließ Nonne im Alleingang den gesamten Bestand von rund 80 000 Bänden in sein Sommerhaus in Schleswig-Holstein in Sicherheit bringen. Die BÄV blieb in ihrem Ausweichquartier unversehrt, während das »Haus der Ärzte« bei den Bombenangriffen im August 1943 nahezu vollständig zerstört wurde.

 

Für das Fortbestehen der Bibliothek nach 1945 setzte sich der Hamburger Arzt Dr. Ernst Wolffson (1881-1955)[7] erfolgreich ein. Er sorgte dafür, dass die BÄV in Trägerschaft der 1945 neu gegründeten Ärztekammer Hamburg weiter existieren konnte.[8] Auch die Wiederaufnahme der Kooperation mit der Stabi ist seinem Verhandlungsgeschick zu verdanken. Am 1. Mai 1947 wurde die BÄV im heutigen Altbau der Stabi wieder eröffnet.

Die Bibliothek heute

Die BÄV stellt ein Unikum in der deutschen Bibliothekslandschaft dar, weil sie die einzige medizinische Fachbibliothek ist, die von einer Landesärztekammer getragen wird. Ärztekammern sind die Organe der berufsständischen Selbstverwaltung der Ärzteschaft. Zu den gesetzlich festgelegten Aufgaben der Kammern, die sich vor allem aus Mitgliedsbeiträgen finanzieren, gehört unter anderem die Förderung der Fort- und Weiterbildung ihrer Mitglieder.

Primäre Aufgabe der Bibliothek ist die Literaturversorgung der Mitglieder der Ärztekammer. Speziell für die Ärztinnen und Ärzte, die wenig Gelegenheit haben, die Bibliothek während der Öffnungszeiten zu besuchen, gibt es verschiedene Angebote zur Fernnutzung. Dazu gehört die Zusendung von Aufsatzkopien sowie die Durchführung und Zusendung von Recherchen in medizinischen Datenbanken (Pubmed, UpToDate, Livivo und andere), Katalogen und Beständen.

 

 

[caption id="attachment_6905" align="alignleft" width="300"]Bibliothek In der klimatisierten Schatzkammer lagern die wertvollsten Bücher des Altbestandes der Bibliothek des Ärztlichen Vereins Hamburg.[/caption]

Eine »Abholbox« im Hauptgebäude der Stabi ermöglicht die Abholung bestellter Medien täglich bis 24 Uhr[9], für die Rückgabe steht eine Rückgabebox bereit. Diese Angebote werden von den Mitgliedern der Ärztekammern sehr gut angenommen. Die Nutzer kommen aus unterschiedlichen Arbeitsbereichen (Praxen, Kliniken, Unternehmen, Verwaltungen). Die Literatur wird von den Medizinern für ihre Fort- und Weiterbildung, zur Patientenbehandlung, zur Vorbereitung von Vorträgen und Fachartikeln, für Dissertationen und Gutachten sowie für medizinhistorische und biografische Forschungen angefordert.

Als Dienstbibliothek versorgt das Team der Bibliothek die Kollegen aus der ÄK mit Literatur. Da sich die Kammer an einem anderen Standort befindet, wird auch hier auf die Möglichkeiten der Fernnutzung gesetzt.

 

"Die Finanzierung von Buchrestaurierungen ermöglicht der 1998 gegründete Förderverein."

Darüber hinaus hat die Bibliothek, die grundsätzlich jedem Interessierten offen steht, ein breites Spektrum von Lesern. Als Beispiele seien hier Studierende der Medizin und anderer Fächer wie zum Beispiel Gesundheitsökonomie, Pflege, Pharmazie oder Psychologie, Angehörige medizinischer Berufe, Juristen, Historiker, Journalisten sowie Patienten genannt. Über die Stabi gibt die BÄV Bücher und Aufsatzkopien in den ALV.

 

 

[caption id="attachment_6902" align="alignleft" width="150"]Bibliothek Die Bibliothek 1938 im »Haus der Ärzte«, in dem alle ärztlichen NS-Standesorganisationen untergebracht waren.[/caption]

 

[caption id="attachment_6899" align="alignleft" width="150"]Bibliothek Der Anatomische Atlas »de humani corpori fabrica libri septem« von Andreas Vesalius aus dem Jahre 1555 ist eines der kostbarsten Werke im Bestand.[/caption]

Der Bestand umfasst derzeit rund 135 000 Bände (Print). Der Schwerpunkt liegt auf deutschsprachigen medizinischen Fachbüchern und Zeitschriften für die Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie für die praktische und klinische Tätigkeit. Dazu wird Literatur aus den Bereichen Gesundheitswesen, Gesundheitsökonomie, Ärztliche Standespolitik, Pflege, Medizinrecht, Medizingeschichte sowie Psychotherapie und Psychoanalyse erworben. Für Medizinstudierende gibt es eine kleine Lehrbuchsammlung. Der umfangreiche Altbestand mit Büchern ab dem 16. Jahrhundert und Zeitschriften ab dem späten 18. Jahrhundert aus allen medizinischen Fächern sowie aus den Bereichen Gesundheitswesen, Ärztliche Standespolitik und Pharmazie stellt eine echte Rarität dar.

Er wird von Historikern und Medizinern für Forschungen vor Ort genutzt sowie für Ausstellungen bundesweit ausgeliehen. Durch Nachlässe und Übernahme von Beständen aus anderen Bibliotheken wird er weiter ergänzt. Die Finanzierung von Buchrestaurierungen ermöglicht der 1998 gegründete Förderverein. Ein gemeinsames Projekt der Jung-Stiftung für Wissenschaft und Forschung und der ÄKHH finanziert die Entsäuerung relevanter Bestände.

Das Team der Bibliothek besteht aus sechs Mitarbeiterinnen auf 4,5 Stellen, einem Azubi und einer studentischen Hilfskraft.

Die BÄV ist Mitglied im GVK, eine Teilnahme am Hamburger Katalog »beluga« ist derzeit in Vorbereitung.

Maike Piegler, 28.7.2016

 

Zur Person

Maike PieglerMaike Piegler, Diplom-Bibliothekarin, Jahrgang 1971, studierte Bibliothekswesen an der FH Hamburg. Seit 1995 tätig in der Bibliothek des Ärztlichen Vereins der Ärztekammer Hamburg, die sie seit 2001 leitet. Schwerpunkte ihrer Tätigkeit sind Literaturrecherchen, Auskunft und Öffentlichkeitsarbeit sowie Teamleitung und Organisation. – Kontakt: maike.piegler@hamburg.de

 

 

 

 

[1]   Mertens, S.: Die Bibliothek des Ärztlichen Vereins in Hamburg bis zum Ersten Weltkrieg. HAW Hamburg, Diplomarbeit, 2005. S. 45f.

 

[2]   Hatte der Verein im Gründungsjahr circa 60 Mitglieder, so waren es 1842 bereits rund 130. Damit war nahezu jeder Hamburger Arzt beziehungsweise Wundarzt Mitglied im Ärztlichen Verein.

 

[3]   Oppenheim: Bitte. Zeitschrift für die gesammte Medicin mit besonderer Rücksicht auf Hospitalpraxis und ausländische Literatur, Bd 20(1842), S. 272

 

[4]   Die Ärztliche Zentralbibliothek am UKE ist heute die größte medizinische Bibliothek in Hamburg und in erster Linie für Wissenschaftler, Studierende und Mitarbeiter des Uniklinikums zuständig.

 

[5]   Die Gleichschaltung der Ärztlichen Standesvertretungen und die »Arisierung« der Ärzteschaft wurden in Hamburg vor allem vom »Ärzteführer« Willy Holzmann vorangetrieben. Eine umfassende Dokumentation hierzu findet sich im Buch von Anna von Villiez: Mit aller Kraft verdrängt. Entrechtung und Verfolgung »nicht arischer« Ärzte in Hamburg 1933 bis 1945. Hamburg 2009.

 

[6]   So verlor die Stabi mehr als 80 Prozent ihrer Bestände bei der Zerstörung des Bibliotheksgebäudes.

 

[7]   Als »unbelastet« wurde Wolffson 1945 in den Vorstand der neu gegründeten ÄKHH einberufen. Ihm wurde die Verantwortung für die »Entnazifizierung« der Hamburger Ärzteschaft übertragen. Vgl. A.v. Villiez, aaO, S. 423; Cordua R: In Memoriam Dr. Ernst Wolffson. Hamb Ärztebl 9(1955), S. 173

 

[8]   Der Ärztliche Verein wurde nicht wieder neu gegründet. Heute erinnert die Vortragsreihe »Ärztlicher Verein« der Fortbildungsakademie der ÄKHH an den Beginn der ärztlichen Fortbildung. Die Bibliothek wird bis heute als »Bibliothek des Ärztlichen Vereins« bezeichnet, um auf den Ursprung der Sammlung hinzuweisen.

 

[9]   Piegler M.: Leuchtturmprojekte an Medizinbibliotheken: »Die Abholbox der Bibliothek der Ärztekammer Hamburg – so kommt das Fachbuch zum Facharzt«. GMS Med Bibl Inf. 2014; 14(3): Doc27 – www.egms.de/en/journals/mbi/2014-14/mbi000324.shtml





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