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Themen-Dossiers

Vom Umgang mit schwierigen Nutzern in Konfliktsituationen

Regeln für die Konfliktbewältigung sollten in jeder Bibliothek im Team erarbeitet werden, sagt BuB-Autorin Maria Klupp. Foto: Foto: max_776 / Fotolia
Regeln für die Konfliktbewältigung sollten in jeder Bibliothek im Team erarbeitet werden, sagt BuB-Autorin Maria Klupp. Foto: Foto: max_776 / Fotolia

Das Wichtigste gleich vorneweg: Ich ziehe den Hut vor Menschen, die heute in Bibliotheken arbeiten. Warum? Weil ich in den letzten Jahren als Stressmanagement- und Kommunikationstrainerin in zahlreichen Fortbildungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Erfahrung gemacht habe, dass es heute im Bibliotheksalltag praktisch nichts gibt, was es nicht gibt. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Wenn ich bei Gelegenheit im Bekanntenkreis von meinen Erfahrungen berichte, ernte ich ehrliches Erstaunen: Eine Bibliothek, das ist doch ein ruhiger, stressfreier Arbeitsplatz, oder?

Möglicherweise war es das einmal. Wenn man jedoch heute in einer Bibliothek arbeitet, insbesondere in einer Öffentlichen Bibliothek in einer Großstadt, dann ist man im Arbeitsalltag mit Situationen konfrontiert, die sich ein Außenstehender kaum vorstellen kann: nicht nur Kinder und Jugendliche, die sehr laut sind oder sich nicht an Regeln halten. Nein, auch viele Erwachsene verhalten sich nicht so, wie es in einer Bibliothek üblich sein sollte: Dies reicht vom inflationären Telefonieren mit dem Handy – obwohl dies in der Bibliothek untersagt ist – über die tagtägliche Auseinandersetzung darüber, dass Taschen und Mäntel in Schließfächern eingeschlossen werden müssen, geht weiter mit respektlosem Verhalten gegenüber den Mitarbeitenden bis hin zu schweren persönlichen Beleidigungen sowie sexuell konnotierten oder rassistischen Äußerungen. Selbst Handgreiflichkeiten oder körperliche Übergriffe kommen vor, auch wenn sie bislang die Ausnahme bilden.

Die Situationen, für die ich in den letzten Jahren in meinen Fortbildungen mit Bibliotheksmitarbeitern Strategien erarbeitet habe, sind teilweise kurios: Der Nutzer, der Fischbrötchen zwischen den Regalen isst, die Kundin, die ihre Unterwäsche über die Balustraden hängt, die Frau, die Topfpflanzen in der Bibliothek umstellt, der Mann, der Bücher aus der Bibliothek mit Rotstift »korrigiert«, weil er Fehler darin zu finden meint, ein Professor, der alle Bibliotheksmitarbeiter wie seinen persönlichen Generalstab behandelt, die Obdachlosen, die im Winter den Vorraum der Bibliothek als warmen Aufenthaltsort schätzen. Die Liste ließe sich lange fortsetzen.

Die besondere Herausforderung bei der Arbeit in einer Bibliothek ist aus meiner Sicht, dass Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste und Bibliothekare auf diese Situationen durch ihre Ausbildung nicht vorbereitet werden: Natürlich sind sie keine Sozialarbeiter, keine Streetworker, auch keine Psychologen. Aber es braucht heute ein anderes Instrumentarium, um Konflikten kompetent zu begegnen und zugespitzte Situationen zu deeskalieren.

Aus meiner praktischen Erfahrung sehe ich hier drei Herangehensweisen, die wert sind, mehr Berücksichtigung zu finden:

 

Kompetenzen der Beschäftigten fördern

Als erste Ebene sehe ich den Ausbau der Kompetenzen des einzelnen Mitarbeiters/der einzelnen Mitarbeiterin: Was kann dem einzelnen Mitarbeiter/der Mitarbeiterin helfen, kniffligen Situationen im Kontakt mit den Nutzern vorzubeugen und entstehenden Konflikten kompetent zu begegnen?

Die Förderung der individuellen kommunikativen Fähigkeiten und die Schulung im Umgang mit unerwarteten Stresssituationen sind von zentraler Bedeutung, daher möchte ich allen, die in Bibliotheken arbeiten, hierzu zehn konkrete Empfehlungen geben:

 

Tipp 1: Trauen Sie Ihrem Gefühl!

Jeder Mensch hat ein unterschiedliches Empfinden, wann er sich räumlich, körperlich oder sprachlich in seinen Grenzen verletzt fühlt. Ob Ihre Grenzen als Mitarbeiter/in in einer bestimmten Situation überschritten sind, können nur Sie ganz alleine beurteilen. Ich möchte Sie daher ermutigen, Ihrem Gefühl zu vertrauen, es ernst zu nehmen und sich zu erlauben danach zu handeln.

 

Tipp 2: Setzen Sie Grenzen lieber früher als später!

Ich habe in Fortbildungen viele Menschen erlebt, die Grenzen erst sehr spät setzen. Klare Regeln und eindeutige Grenzen zu vermitteln ist am effektivsten, aber auch am leichtesten, wenn Sie dies frühzeitig tun. Je weiter Ihr Gegenüber eine Grenze überschreitet – zum Beispiel wenn er oder sie sich bereits massiv im Ton vergriffen hat oder Ihnen körperlich bereits zu nahe gekommen ist– umso schwerer wird es für Sie, die Grenze dann noch zu setzen.

Wenn Sie häufig Grenzverletzungen erleben, setzt zudem ein gewisser Gewöhnungseffekt ein: Man stumpft ab. Erinnern Sie sich an Ihre eigenen Werte: Sie dürfen diese auch in ihrem Arbeitsumfeld zum Maßstab nehmen und verteidigen.

 

Tipp 3: Konfliktsituationen sind Stresssituationen!

Viele Mitarbeiter/innen können in Konfliktsituationen ihre kommunikativen Kompetenzen nicht abrufen – denn diese Situationen sind Stresssituationen. Viele Verhaltensweisen von Nutzern kommen vollkommen unerwartet und lösen ein Gefühl der Überforderung und Handlungsunfähigkeit aus. Dies ist Teil der allgemeinen menschlichen Stressreaktion in unserem Körper. Hier bieten die Konzepte des Stressmanagements hilfreiche Herangehensweisen. Denn um Kommunikationstechniken anwenden zu können, ist oft das Wichtigste, sich erst mal einen kurzen Moment Zeit zu geben, um durchzuatmen und sich zu beruhigen. Auch dies kann man trainieren und üben.

 

Tipp 4: Um Grenzen zu setzen, müssen Sie sich klar positionieren!

Welche Haltung nehmen Sie einem Nutzer gegenüber ein, der sich »grenzwertig« verhält? Wann ist aus Ihrer Sicht eine Grenze überschritten? Sich zu positionieren erfordert Mut und Entschlusskraft: Nur wenn Sie innerlich eine eindeutige Haltung einnehmen, können Sie nach außen eine klare Position vermitteln. Sonst werden Sie unklar und das wird Ihr Gegenüber bemerken.

 

Tipp 5: Trainieren Sie Ihr Selbstbewusstsein und Ihren Mut!

Ihr Arbeitsplatz, die Bibliothek, ist ein sehr besonderer Arbeitsplatz: Sie arbeiten im halböffentlichen Raum. Aber Sie tragen auch Verantwortung für das, was in diesem Raum geschieht. Trauen Sie sich dadurch, wie Sie sich in der Bibliothek bewegen und im Kontakt Kunden und Kundinnen gegenübertreten, selbstbewusst zu vermitteln, dass in dieser Bibliothek Sie – gemeinsam mit Ihren Kollegen/Kolleginnen – die Regeln des Umgangs bestimmen und für deren Einhaltung sorgen werden.

 

Tipp 6: Körpersprache sagt mehr als tausend Worte!

Ich erlebe viele Bibliotheksmitarbeiter sprachlich als sehr versiert und ungemein geduldig im Kontakt mit den Nutzern. Dies zeigt sich auch in konflikthaften Situationen zum Beispiel bei entstandenen Mahngebühren. Aber: Rund 80 Prozent dessen, was in einem Gespräch bei Ihrem Kunden ankommt, ist das, was Sie durch Ihren Körper, Ihre Mimik und Gestik vermitteln; die sprachlichen Inhalte machen nur rund 15 Prozent aus. Die Körpersprache bewusst in der Kundenkommunikation einzusetzen, bietet aus meiner Sicht ein großes, viel zu wenig genutztes Potenzial.

 

Tipp 7: Sprechen Sie Klartext!         

Gerade im Dienstleistungsbereich wird großer Wert auf Höflichkeit gelegt. Viele Formulierungen, die im Sprachgebrauch als höflich gelten, machen die Kommunikation aber auch unklarer. Viele Bibliotheksmitarbeitende sprechen zum Beispiel im Konjunktiv, nutzen häufig Füllwörter oder stellen dem Nutzer Fragen wie: »Könnten Sie bitte Ihre Tasche im Schließfach einschließen?«– wenn Sie erreichen wollen, dass er oder sie die Tasche einschließt. Wenn ein Nutzer Regeln verletzt, geht es aber darum, klare Ansagen zu machen. Was möchten Sie von Ihrem Gegenüber? Formulieren Sie diese Aussage so einfach, klar und unmissverständlich wie möglich.

 

Tipp 8: Wechseln Sie bewusst die »Tonart«!

Im Kundenkontakt sind Sie gewöhnt, freundlich und daher eher leise zu sprechen. Um eine Grenze zu signalisieren, kann es dagegen gerade hilfreich sein, den Tonfall zu wechseln: Bleiben Sie bewusst freundlich, aber sprechen Sie zum Beispiel etwas lauter und betont langsamer.

Ein Wechsel der Tonart kann aber auch bedeuten – gerade wenn jemand laut wird – ganz bewusst leise zu sprechen. Probieren Sie aus, Ihre Stimmmodulation als ein wichtiges Kommunikationsmittel mehr zu nutzen.

 

Tipp 9: Auch als Bibliotheksmitarbeiter/in haben Sie das Recht anzusprechen, wenn Sie etwas stört!

Jeder Mensch hat ein anderes Distanzempfinden. Auch als Mitarbeiter/in in einer Bibliothek haben Sie das Recht, einem Kunden deutlich zu signalisieren, wenn er in Ihren persönlichen Raum eindringt oder Ihre Grenzen verletzt. Insbesondere bei persönlichen Beleidigungen, sexuell konnotierten Aussagen oder rassistischen Äußerungen haben Sie das Recht zu benennen, dass dies eine Beleidigung ist und dass dies auch für Mitarbeitende im Servicebereich nicht akzeptabel ist.

 

Tipp 10: Nehmen Sie Ihren Kunden ernst, so wie er/sie Ihnen begegnet!             

Sie können als Mitarbeiter/in einer Bibliothek nicht wissen, ob ein Nutzer, der sich auffällig oder unerwartet verhält, psychisch krank ist oder nicht. Die Bezeichnung »verhaltensauffällig« verwende ich in diesem Kontext als rein beschreibende Kategorie: ein Nutzer der sich deutlich anders verhält, als Sie es in der Bibliothek angemessen finden oder erwarten. Wichtig: Sie werden weder eine Diagnose vorgelegt bekommen noch sind Sie in der Lage eine Diagnose zu stellen. Überfordern Sie sich daher nicht mit dem Anspruch, beurteilen zu müssen, ob ein Kunde nun »wirklich« krank ist oder nicht. Nehmen sie stattdessen Ihr Gegenüber ernst in dem Verhalten, dass er/sie Ihnen gegenüber zeigt. Wenn dieses Verhalten Ihre Grenzen verletzt, dann handeln Sie entsprechend.

 

Die Team-Ebene berücksichtigen

Zum Zweiten spielt neben der Förderung der individuellen Kompetenzen die Ebene des Teams in der jeweiligen Bibliothek eine ganz entscheidende Rolle, um den alltäglichen Konflikten in Bibliotheken besser zu begegnen:

Aus meiner Sicht ist es unumgänglich in jeder Bibliothek im Team gemeinsam Regeln zu erarbeiten, wie Sie mit bestimmten Regelverletzungen oder verhaltensauffälligen Nutzern umgehen wollen. Damit diese Regeln im Arbeitsalltag von allen Teammitgliedern gelebt werden können, ist es erforderlich, diese Regeln gemeinschaftlich im Team zu erarbeiten. Das kostet Zeit und Energie – diese ist aber äußerst sinnvoll investiert und wird sich in der Zusammenarbeit im Team und jeden Tag in der Bibliothek vielfältig auszahlen:

Jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin hat, wie schon beschrieben, ein etwas anderes Empfinden, welche Verhaltensweisen er oder sie als grenzüberschreitend erlebt. Es ist daher oft nicht einfach, eine konkrete Regel festzulegen. Denn jedes Teammitglied muss die erarbeiteten Regeln am Ende für sich akzeptieren können und bereit sein, sie im Bibliotheksalltag anzuwenden und durchzusetzen.

Hier ist auch zu berücksichtigen, dass es manchen Mitarbeiter/innen vom Typ her leichter fällt, Regelverletzungen gegenüber Nutzern anzusprechen, andere gehen diesen Situationen im Arbeitsalltag eher aus dem Weg. Dies löst in vielen Bibliotheksteams, die ich erlebt habe, massive Frustration aus und führt oft zu dauerhaften Konflikten innerhalb des Teams. Es ist Zeit, Ausdauer und häufig auch professionelle Unterstützung erforderlich, um diese Themen im Team zu bearbeiten und zu konstruktiven Vereinbarungen zu kommen.

Aber es gibt viel zu gewinnen: Denn Mitarbeiter/innen fühlen sich sicherer, erleben weniger Stress und treten selbstbewusster auf, wenn sie einem Nutzer gemeinsam im Team erarbeitete Regeln vermitteln. Das Wissen, dass das ganze Team hinter Ihnen steht, bedeutet zum einen, dass Sie darauf vertrauen können, dass Ihre Kollegen und Kolleginnen eine gemeinsame Linie vertreten und sich nicht von Nutzern gegeneinander ausspielen lassen werden. Zum anderen hilft das Bewusstsein, jede Kollegin/jeder Kollege wird Ihnen zur Seite springen und helfen, wenn sich eine Situation zuspitzt.

 

Was ist im Notfall zu tun?

Die dritte und letzte Ebene, die entscheidend ist, um Konflikten in der Bibliothek zu begegnen, möchte ich mit einer Frage auf den Punkt bringen: Wissen Sie persönlich, was in einem wirklichen Notfall, zum Beispiel einer körperlichen Bedrohungssituation, in Ihrer Bibliothek zu tun ist?

Eine entscheidende Frage, denn es ist wichtig, die rechtlichen Bestimmungen zum Hausrecht in Bibliotheken zu kennen. Noch viel wichtiger erscheint mir aber, dass Sie wissen, welche Vorgehensweise in Ihrer eigenen Bibliothek für Notfälle festgelegt ist: Wer ist zu informieren, wer entscheidet über die Vorgehensweise, wer hat in Ihrer Bibliothek die Befugnis, das Hausrecht durchzusetzen und ein Hausverbot auszusprechen und wie wird dies in Ihrer konkreten Bibliothek praktisch umgesetzt.

Wer holt wann die Polizei? Diese Fragen stelle ich auch in meinen Fortbildungen und es zeigt sich, dass viele Mitarbeiter/innen in Bibliotheken darauf nicht spontan antworten können.

Hier sind aus meiner Sicht auch die Leiter und Leiterinnen von Bibliotheken in der Verantwortung, Notfallpläne zu erarbeiten und Sorge zu tragen, dass jeder, der in der Bibliothek tätig ist, weiß, was im Notfall zu tun ist. Denn in einer akuten Bedrohungssituation muss jeder Bibliotheksmitarbeiter und jede Bibliotheksmitarbeiterin handeln können – Nachdenken und Nachfragen würde schlicht zu lange dauern. Und leider muss heute jede Bibliothek – egal ob es sich um eine Öffentliche Bibliothek oder eine wissenschaftliche Einrichtung handelt, egal ob in Berlin oder in einer Kleinstadt – auch auf solche Situationen vorbereitet sein.

Maria Klupp, 23.5.2016

 

Zur Autorin

Maria Klupp ist Diplom-Psychologin und zertifizierte Stressmanagement-Trainerin. Mehr als zehn Jahre leitete sie das Team einer Psychologischen Beratungsstelle und beriet Menschen in beruflichen und privaten Belastungssituationen. Seit 2009 entwickelt sie unter ihrem Motto »Gelassener arbeiten & leichter kommunizieren« als Kommunikationstrainerin eigene Fortbildungsangebote für öffentliche Einrichtungen sowie für Unternehmen. Innovative Schulungsangebote für Bibliotheken stellt sie gemeinsam mit dem Weiterbildungszentrum der Freien Universität Berlin (http://www.fu-berlin.de/wbz/bib) zusammen. Alle Angebote unter anderem zum Umgang mit schwierigen Nutzern, zu eskalierten Konflikten und zum Arbeiten im halböffentlichen Raum können auch als Inhouse-Schulungen und Team-Trainings durchgeführt werden. – Kontakt: an@mariaklupp.de

 






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Vom Umgang mit schwierigen Nutzern in Konfliktsituationen

Regeln für die Konfliktbewältigung sollten in jeder Bibliothek im Team erarbeitet werden, sagt BuB-Autorin Maria Klupp. Foto: Foto: max_776 / Fotolia
Regeln für die Konfliktbewältigung sollten in jeder Bibliothek im Team erarbeitet werden, sagt BuB-Autorin Maria Klupp. Foto: Foto: max_776 / Fotolia

Das Wichtigste gleich vorneweg: Ich ziehe den Hut vor Menschen, die heute in Bibliotheken arbeiten. Warum? Weil ich in den letzten Jahren als Stressmanagement- und Kommunikationstrainerin in zahlreichen Fortbildungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Erfahrung gemacht habe, dass es heute im Bibliotheksalltag praktisch nichts gibt, was es nicht gibt. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Wenn ich bei Gelegenheit im Bekanntenkreis von meinen Erfahrungen berichte, ernte ich ehrliches Erstaunen: Eine Bibliothek, das ist doch ein ruhiger, stressfreier Arbeitsplatz, oder?

Möglicherweise war es das einmal. Wenn man jedoch heute in einer Bibliothek arbeitet, insbesondere in einer Öffentlichen Bibliothek in einer Großstadt, dann ist man im Arbeitsalltag mit Situationen konfrontiert, die sich ein Außenstehender kaum vorstellen kann: nicht nur Kinder und Jugendliche, die sehr laut sind oder sich nicht an Regeln halten. Nein, auch viele Erwachsene verhalten sich nicht so, wie es in einer Bibliothek üblich sein sollte: Dies reicht vom inflationären Telefonieren mit dem Handy – obwohl dies in der Bibliothek untersagt ist – über die tagtägliche Auseinandersetzung darüber, dass Taschen und Mäntel in Schließfächern eingeschlossen werden müssen, geht weiter mit respektlosem Verhalten gegenüber den Mitarbeitenden bis hin zu schweren persönlichen Beleidigungen sowie sexuell konnotierten oder rassistischen Äußerungen. Selbst Handgreiflichkeiten oder körperliche Übergriffe kommen vor, auch wenn sie bislang die Ausnahme bilden.

Die Situationen, für die ich in den letzten Jahren in meinen Fortbildungen mit Bibliotheksmitarbeitern Strategien erarbeitet habe, sind teilweise kurios: Der Nutzer, der Fischbrötchen zwischen den Regalen isst, die Kundin, die ihre Unterwäsche über die Balustraden hängt, die Frau, die Topfpflanzen in der Bibliothek umstellt, der Mann, der Bücher aus der Bibliothek mit Rotstift »korrigiert«, weil er Fehler darin zu finden meint, ein Professor, der alle Bibliotheksmitarbeiter wie seinen persönlichen Generalstab behandelt, die Obdachlosen, die im Winter den Vorraum der Bibliothek als warmen Aufenthaltsort schätzen. Die Liste ließe sich lange fortsetzen.

Die besondere Herausforderung bei der Arbeit in einer Bibliothek ist aus meiner Sicht, dass Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste und Bibliothekare auf diese Situationen durch ihre Ausbildung nicht vorbereitet werden: Natürlich sind sie keine Sozialarbeiter, keine Streetworker, auch keine Psychologen. Aber es braucht heute ein anderes Instrumentarium, um Konflikten kompetent zu begegnen und zugespitzte Situationen zu deeskalieren.

Aus meiner praktischen Erfahrung sehe ich hier drei Herangehensweisen, die wert sind, mehr Berücksichtigung zu finden:

 

Kompetenzen der Beschäftigten fördern

Als erste Ebene sehe ich den Ausbau der Kompetenzen des einzelnen Mitarbeiters/der einzelnen Mitarbeiterin: Was kann dem einzelnen Mitarbeiter/der Mitarbeiterin helfen, kniffligen Situationen im Kontakt mit den Nutzern vorzubeugen und entstehenden Konflikten kompetent zu begegnen?

Die Förderung der individuellen kommunikativen Fähigkeiten und die Schulung im Umgang mit unerwarteten Stresssituationen sind von zentraler Bedeutung, daher möchte ich allen, die in Bibliotheken arbeiten, hierzu zehn konkrete Empfehlungen geben:

 

Tipp 1: Trauen Sie Ihrem Gefühl!

Jeder Mensch hat ein unterschiedliches Empfinden, wann er sich räumlich, körperlich oder sprachlich in seinen Grenzen verletzt fühlt. Ob Ihre Grenzen als Mitarbeiter/in in einer bestimmten Situation überschritten sind, können nur Sie ganz alleine beurteilen. Ich möchte Sie daher ermutigen, Ihrem Gefühl zu vertrauen, es ernst zu nehmen und sich zu erlauben danach zu handeln.

 

Tipp 2: Setzen Sie Grenzen lieber früher als später!

Ich habe in Fortbildungen viele Menschen erlebt, die Grenzen erst sehr spät setzen. Klare Regeln und eindeutige Grenzen zu vermitteln ist am effektivsten, aber auch am leichtesten, wenn Sie dies frühzeitig tun. Je weiter Ihr Gegenüber eine Grenze überschreitet – zum Beispiel wenn er oder sie sich bereits massiv im Ton vergriffen hat oder Ihnen körperlich bereits zu nahe gekommen ist– umso schwerer wird es für Sie, die Grenze dann noch zu setzen.

Wenn Sie häufig Grenzverletzungen erleben, setzt zudem ein gewisser Gewöhnungseffekt ein: Man stumpft ab. Erinnern Sie sich an Ihre eigenen Werte: Sie dürfen diese auch in ihrem Arbeitsumfeld zum Maßstab nehmen und verteidigen.

 

Tipp 3: Konfliktsituationen sind Stresssituationen!

Viele Mitarbeiter/innen können in Konfliktsituationen ihre kommunikativen Kompetenzen nicht abrufen – denn diese Situationen sind Stresssituationen. Viele Verhaltensweisen von Nutzern kommen vollkommen unerwartet und lösen ein Gefühl der Überforderung und Handlungsunfähigkeit aus. Dies ist Teil der allgemeinen menschlichen Stressreaktion in unserem Körper. Hier bieten die Konzepte des Stressmanagements hilfreiche Herangehensweisen. Denn um Kommunikationstechniken anwenden zu können, ist oft das Wichtigste, sich erst mal einen kurzen Moment Zeit zu geben, um durchzuatmen und sich zu beruhigen. Auch dies kann man trainieren und üben.

 

Tipp 4: Um Grenzen zu setzen, müssen Sie sich klar positionieren!

Welche Haltung nehmen Sie einem Nutzer gegenüber ein, der sich »grenzwertig« verhält? Wann ist aus Ihrer Sicht eine Grenze überschritten? Sich zu positionieren erfordert Mut und Entschlusskraft: Nur wenn Sie innerlich eine eindeutige Haltung einnehmen, können Sie nach außen eine klare Position vermitteln. Sonst werden Sie unklar und das wird Ihr Gegenüber bemerken.

 

Tipp 5: Trainieren Sie Ihr Selbstbewusstsein und Ihren Mut!

Ihr Arbeitsplatz, die Bibliothek, ist ein sehr besonderer Arbeitsplatz: Sie arbeiten im halböffentlichen Raum. Aber Sie tragen auch Verantwortung für das, was in diesem Raum geschieht. Trauen Sie sich dadurch, wie Sie sich in der Bibliothek bewegen und im Kontakt Kunden und Kundinnen gegenübertreten, selbstbewusst zu vermitteln, dass in dieser Bibliothek Sie – gemeinsam mit Ihren Kollegen/Kolleginnen – die Regeln des Umgangs bestimmen und für deren Einhaltung sorgen werden.

 

Tipp 6: Körpersprache sagt mehr als tausend Worte!

Ich erlebe viele Bibliotheksmitarbeiter sprachlich als sehr versiert und ungemein geduldig im Kontakt mit den Nutzern. Dies zeigt sich auch in konflikthaften Situationen zum Beispiel bei entstandenen Mahngebühren. Aber: Rund 80 Prozent dessen, was in einem Gespräch bei Ihrem Kunden ankommt, ist das, was Sie durch Ihren Körper, Ihre Mimik und Gestik vermitteln; die sprachlichen Inhalte machen nur rund 15 Prozent aus. Die Körpersprache bewusst in der Kundenkommunikation einzusetzen, bietet aus meiner Sicht ein großes, viel zu wenig genutztes Potenzial.

 

Tipp 7: Sprechen Sie Klartext!         

Gerade im Dienstleistungsbereich wird großer Wert auf Höflichkeit gelegt. Viele Formulierungen, die im Sprachgebrauch als höflich gelten, machen die Kommunikation aber auch unklarer. Viele Bibliotheksmitarbeitende sprechen zum Beispiel im Konjunktiv, nutzen häufig Füllwörter oder stellen dem Nutzer Fragen wie: »Könnten Sie bitte Ihre Tasche im Schließfach einschließen?«– wenn Sie erreichen wollen, dass er oder sie die Tasche einschließt. Wenn ein Nutzer Regeln verletzt, geht es aber darum, klare Ansagen zu machen. Was möchten Sie von Ihrem Gegenüber? Formulieren Sie diese Aussage so einfach, klar und unmissverständlich wie möglich.

 

Tipp 8: Wechseln Sie bewusst die »Tonart«!

Im Kundenkontakt sind Sie gewöhnt, freundlich und daher eher leise zu sprechen. Um eine Grenze zu signalisieren, kann es dagegen gerade hilfreich sein, den Tonfall zu wechseln: Bleiben Sie bewusst freundlich, aber sprechen Sie zum Beispiel etwas lauter und betont langsamer.

Ein Wechsel der Tonart kann aber auch bedeuten – gerade wenn jemand laut wird – ganz bewusst leise zu sprechen. Probieren Sie aus, Ihre Stimmmodulation als ein wichtiges Kommunikationsmittel mehr zu nutzen.

 

Tipp 9: Auch als Bibliotheksmitarbeiter/in haben Sie das Recht anzusprechen, wenn Sie etwas stört!

Jeder Mensch hat ein anderes Distanzempfinden. Auch als Mitarbeiter/in in einer Bibliothek haben Sie das Recht, einem Kunden deutlich zu signalisieren, wenn er in Ihren persönlichen Raum eindringt oder Ihre Grenzen verletzt. Insbesondere bei persönlichen Beleidigungen, sexuell konnotierten Aussagen oder rassistischen Äußerungen haben Sie das Recht zu benennen, dass dies eine Beleidigung ist und dass dies auch für Mitarbeitende im Servicebereich nicht akzeptabel ist.

 

Tipp 10: Nehmen Sie Ihren Kunden ernst, so wie er/sie Ihnen begegnet!             

Sie können als Mitarbeiter/in einer Bibliothek nicht wissen, ob ein Nutzer, der sich auffällig oder unerwartet verhält, psychisch krank ist oder nicht. Die Bezeichnung »verhaltensauffällig« verwende ich in diesem Kontext als rein beschreibende Kategorie: ein Nutzer der sich deutlich anders verhält, als Sie es in der Bibliothek angemessen finden oder erwarten. Wichtig: Sie werden weder eine Diagnose vorgelegt bekommen noch sind Sie in der Lage eine Diagnose zu stellen. Überfordern Sie sich daher nicht mit dem Anspruch, beurteilen zu müssen, ob ein Kunde nun »wirklich« krank ist oder nicht. Nehmen sie stattdessen Ihr Gegenüber ernst in dem Verhalten, dass er/sie Ihnen gegenüber zeigt. Wenn dieses Verhalten Ihre Grenzen verletzt, dann handeln Sie entsprechend.

 

Die Team-Ebene berücksichtigen

Zum Zweiten spielt neben der Förderung der individuellen Kompetenzen die Ebene des Teams in der jeweiligen Bibliothek eine ganz entscheidende Rolle, um den alltäglichen Konflikten in Bibliotheken besser zu begegnen:

Aus meiner Sicht ist es unumgänglich in jeder Bibliothek im Team gemeinsam Regeln zu erarbeiten, wie Sie mit bestimmten Regelverletzungen oder verhaltensauffälligen Nutzern umgehen wollen. Damit diese Regeln im Arbeitsalltag von allen Teammitgliedern gelebt werden können, ist es erforderlich, diese Regeln gemeinschaftlich im Team zu erarbeiten. Das kostet Zeit und Energie – diese ist aber äußerst sinnvoll investiert und wird sich in der Zusammenarbeit im Team und jeden Tag in der Bibliothek vielfältig auszahlen:

Jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin hat, wie schon beschrieben, ein etwas anderes Empfinden, welche Verhaltensweisen er oder sie als grenzüberschreitend erlebt. Es ist daher oft nicht einfach, eine konkrete Regel festzulegen. Denn jedes Teammitglied muss die erarbeiteten Regeln am Ende für sich akzeptieren können und bereit sein, sie im Bibliotheksalltag anzuwenden und durchzusetzen.

Hier ist auch zu berücksichtigen, dass es manchen Mitarbeiter/innen vom Typ her leichter fällt, Regelverletzungen gegenüber Nutzern anzusprechen, andere gehen diesen Situationen im Arbeitsalltag eher aus dem Weg. Dies löst in vielen Bibliotheksteams, die ich erlebt habe, massive Frustration aus und führt oft zu dauerhaften Konflikten innerhalb des Teams. Es ist Zeit, Ausdauer und häufig auch professionelle Unterstützung erforderlich, um diese Themen im Team zu bearbeiten und zu konstruktiven Vereinbarungen zu kommen.

Aber es gibt viel zu gewinnen: Denn Mitarbeiter/innen fühlen sich sicherer, erleben weniger Stress und treten selbstbewusster auf, wenn sie einem Nutzer gemeinsam im Team erarbeitete Regeln vermitteln. Das Wissen, dass das ganze Team hinter Ihnen steht, bedeutet zum einen, dass Sie darauf vertrauen können, dass Ihre Kollegen und Kolleginnen eine gemeinsame Linie vertreten und sich nicht von Nutzern gegeneinander ausspielen lassen werden. Zum anderen hilft das Bewusstsein, jede Kollegin/jeder Kollege wird Ihnen zur Seite springen und helfen, wenn sich eine Situation zuspitzt.

 

Was ist im Notfall zu tun?

Die dritte und letzte Ebene, die entscheidend ist, um Konflikten in der Bibliothek zu begegnen, möchte ich mit einer Frage auf den Punkt bringen: Wissen Sie persönlich, was in einem wirklichen Notfall, zum Beispiel einer körperlichen Bedrohungssituation, in Ihrer Bibliothek zu tun ist?

Eine entscheidende Frage, denn es ist wichtig, die rechtlichen Bestimmungen zum Hausrecht in Bibliotheken zu kennen. Noch viel wichtiger erscheint mir aber, dass Sie wissen, welche Vorgehensweise in Ihrer eigenen Bibliothek für Notfälle festgelegt ist: Wer ist zu informieren, wer entscheidet über die Vorgehensweise, wer hat in Ihrer Bibliothek die Befugnis, das Hausrecht durchzusetzen und ein Hausverbot auszusprechen und wie wird dies in Ihrer konkreten Bibliothek praktisch umgesetzt.

Wer holt wann die Polizei? Diese Fragen stelle ich auch in meinen Fortbildungen und es zeigt sich, dass viele Mitarbeiter/innen in Bibliotheken darauf nicht spontan antworten können.

Hier sind aus meiner Sicht auch die Leiter und Leiterinnen von Bibliotheken in der Verantwortung, Notfallpläne zu erarbeiten und Sorge zu tragen, dass jeder, der in der Bibliothek tätig ist, weiß, was im Notfall zu tun ist. Denn in einer akuten Bedrohungssituation muss jeder Bibliotheksmitarbeiter und jede Bibliotheksmitarbeiterin handeln können – Nachdenken und Nachfragen würde schlicht zu lange dauern. Und leider muss heute jede Bibliothek – egal ob es sich um eine Öffentliche Bibliothek oder eine wissenschaftliche Einrichtung handelt, egal ob in Berlin oder in einer Kleinstadt – auch auf solche Situationen vorbereitet sein.

Maria Klupp, 23.5.2016

 

Zur Autorin

Maria Klupp ist Diplom-Psychologin und zertifizierte Stressmanagement-Trainerin. Mehr als zehn Jahre leitete sie das Team einer Psychologischen Beratungsstelle und beriet Menschen in beruflichen und privaten Belastungssituationen. Seit 2009 entwickelt sie unter ihrem Motto »Gelassener arbeiten & leichter kommunizieren« als Kommunikationstrainerin eigene Fortbildungsangebote für öffentliche Einrichtungen sowie für Unternehmen. Innovative Schulungsangebote für Bibliotheken stellt sie gemeinsam mit dem Weiterbildungszentrum der Freien Universität Berlin (http://www.fu-berlin.de/wbz/bib) zusammen. Alle Angebote unter anderem zum Umgang mit schwierigen Nutzern, zu eskalierten Konflikten und zum Arbeiten im halböffentlichen Raum können auch als Inhouse-Schulungen und Team-Trainings durchgeführt werden. – Kontakt: an@mariaklupp.de

 



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